Luzerner Genossenschaften kontern Kritik der SP

Wenn die günstige Wohnung erst eine Stange Geld kostet

In der Krienser Teiggi-Siedlung werden beim Einzug relativ hohe Summen verlangt. (Bild: zvg)

Bei Wohnbaugenossenschaften müssen Mieter oft Anteilscheine kaufen, bevor sie in eine Wohnung ziehen können. Das kann bis zu 30'000 Franken kosten. Die Stadtluzerner SP sieht darin ein Problem.

Es klingt eigentlich wunderbar. In der hippen Teiggi-Siedlung in Kriens wird ein Mieter gesucht für ein Wohnatelier. 57 Quadratmeter Fläche, bis zu 5 Meter hohe Räume, Mietpreis 1210 Franken. Doch: Interessenten müssen bei der Wohnwerk-Genossenschaft, der die Wohnungen in der Teiggi gehören, ein Anteilkapital von 14'500 Franken beisteuern.

Ein stolzer Betrag, den man nicht so leicht aus dem Ärmel schüttelt. Und laut der SP eine hohe Hürde, um überhaupt eine Genossenschaftswohnung zu erhalten. Denn damit würden genau jene Personen ausgeschlossen, die womöglich auf eine preisgünstige Wohnung angewiesen wären.

Die SP bringt in einem Postulat dieses Problem des Eigenkapitals ins Gespräch. Gemäss der Partei besteht in Sachen sozialer Durchmischung bei den Genossenschaftswohnungen «noch grosses Potenzial». Gerade was der Anteil von ausländischen Mieterinnen betrifft, sei die Integration «enttäuschend». Die SP verlangt deshalb Gegensteuer, zum Beispiel, indem die Stadt Geringverdienern die Pflichtanteile vorschiesst. Der Stadtrat wird seine Stellungnahme nächste Woche veröffentlichen.

Der Vorstoss der SP mag erstaunen, denn dass in Genossenschaften die «falschen» Leute wohnen, ist üblicherweise ein Kritikpunkt der Bürgerlichen. Allerdings hat die Stimmbevölkerung 2012 die SP-Initiative «Für zahlbaren Wohnraum» angenommen hat. Bis 2037 sollen darum jährlich 100 zusätzliche gemeinnützige Wohnungen entstehen. Wenn diese aber gar nicht «bezahlbar» sind, verfehlt die Stadt das Ziel der Initiative.

Genossenschaften zeichnen ein anderes Bild

Erstaunt über diese «Problematik» ist der Zusammenschluss der Luzerner Wohnbaugenossenschaften, das G-Net. «Sowohl hinsichtlich Einkommen als auch Herkunft ist die Durchmischung in den Genossenschaftswohnungen gut», sagt Koordinator Florian Flohr. «Wie bunt das Bild ist, zeigt nur schon der Blick auf die Türklingeln zum Beispiel bei uns an der Ulmen- oder Lindenhausstrasse.»

Um diese Aussage zu stützen, verweist das G-Net auf Zahlen der Hochschule Luzern. Sie hat 2017 mit dem sogenannten Wohnkalkulator für die Stadt Luzern den gemeinnützigen Wohnungsbau analysiert. Die Resultate zeigen: Der Ausländeranteil ist zwar etwas geringer als in Mietwohnungen. Bei der Einkommensverteilung ist es aber durchaus so, dass vor allem Leute mit kleinem Budget in Genossenschaftswohnungen leben (siehe Grafiken).

Ein ähnliches Bild zeichnet eine gesamtschweizerische Studie von 2017. Demnach zählen Genossenschaften zwar weniger ausländische Mieter wie private Wohnungen, aber einen ähnlich grossen Anteil an Personen mit Migrationshintergrund. Zudem zeigten die Untersuchungen, dass «in den preisgünstigen Genossenschaftswohnungen tatsächlich überproportional viele Personen mit geringeren finanziellen Ressourcen wohnen», so Studienautoren.

Der Wohnkalkulator der HSLU zeigt: In Luzerner Genossenschaftswohnungen verdienen fast 40 Prozent der Mieter weniger als 60'000 Franken pro Jahr. (Bild: zvg)

«Die Eigenkapitalvorgaben führen nicht dazu, dass gewisse Menschen ausgeschlossen werden», sagt folglich Florian Flohr vom Luzerner G-Net. Ihm seien keine Fälle bekannt, in denen Interessenten sich die Wohnung deswegen nicht leisten konnten. In Einzelfällen, wenn ein Interessent knapp bei Kasse sei, würden Sozialinstitutionen oder die Sozialhilfe das Kapital vorschiessen. Vor allem aber lägen bei den meisten Genossenschaften die Eigenkapitalvorgaben in der Höhe des normalen Mietzinsdepots. Bei Flohrs eigener Genossenschaft müssen Mieter vor dem Einzug den aufgerundeten, doppelten Mietzins abliefern.

Es gebe nur wenige Ausnahmen, vor allem unter jüngeren Genossenschaften. Zu diesen zählen zum Beispiel die Wogeno, die GWI oder eben das Wohnwerk.

Wieso manche so hohe Beiträge verlangen

Wieso verlangen manche Genossenschaften so hohe Summen von ihren Mitgliedern? Wohnwerk-Geschäftsführer Martin Wyss begründet das mit dem nötigen Eigenkapital. Wie Private müssten auch Genossenschaften zwischen 15 und 20 Prozent Eigenkapital aufbringen, um eine Hypothek zu erhalten. «Da wir keinen Gewinn erzielen, ist der einzige Weg dazu über die Mitglieder, die Anteilsscheine oder Pflichtanteile erwerben.»

Deshalb verlangt Wohnwerk derzeit fünfstellige Beiträge – je nach Wohnungsgrösse bis zu 30’000 Franken – von ihren Mietern. Wyss sieht in dieser Hürde durchaus ein Problem. «Klar schliesst das viele aus. Aber es gibt Wege, um das abzufedern.» Wohnwerk Luzern hat zum Beispiel einen Solidaritätsfonds, in den alle 1 Prozent der Nettomiete einzahlen. Das Geld kommt unter anderem jenen zugute, die kein Geld für die Pflichtanteile besitzen.

Martin Wyss ist ebenfalls kein Fall bekannt, in dem ein Mietinteressent wegen der Eigenkapitalanforderungen abgelehnt wurde. «Das kann kein Abweisungsgrund sein, denn bei Bedarf stehen die Mittel aus dem Solidaritätsfonds bereit.» Allerdings ist bisher nie ein entsprechendes Gesuch für einen Beitrag aus dem Fonds eingegangen.

Das Problem liegt vielleicht woanders

Das zeigt: Das Problem liegt womöglich woanders. Denkbar, dass hohe Summen in einem Wohnungsinserat Geringverdiener bereits vorgängig abschreckt. Dass das Interesse an den teils selbstverwalteten Strukturen fehlt. Oder kulturelle Gründe vorliegen. Das zumindest vermutet Mahir Kabakci, SP-Grossrat von Basel, wo der Ausländeranteil in den Genossenschaftswohnungen nur gerade halb so gross ist wie in Mietwohnungen. Das Konzept von Genossenschaften sei vielen Ausländern zu wenig geläufig, sagte er im Herbst zum Onlineportal «Bajour»: «Manchen ist das Prinzip fremd.»

«Wir müssen uns noch stärker darum bemühen, die Genossenschaftsidee auch bei Menschen aus anderen Kulturkreisen bekannter zu machen.»

Florian Flohr, G-Net

Auch Florian Flohr vom Luzerner G-Net sieht eher bei der Kommunikation Handlungsbedarf. «Wir müssen uns noch stärker darum bemühen, die Genossenschaftsidee auch bei Menschen aus anderen Kulturkreisen bekannter zu machen.» Martin Wyss stimmt ebenfalls zu, dass es Aufgabe der Genossenschaften sei, vermehrt nach aussen zu treten.

Gemeinnützig heisst nicht von Anfang an günstig

Dabei könnte sie vielleicht auch mit der Vorstellung aufräumen, dass genossenschaftliche Wohnungen ausschliesslich für Menschen mit kleinem Budget sind. Diese Kritik hat in Luzern erst noch zu reden gegeben, im Kontext der neuen Genossenschaftswohnungen der Himmelrich-Siedlung (zentralplus berichtete).

«Genossenschaftliche Wohnungen sind nicht per se oder in jedem Einzelfall günstiger», erklärt Florian Flohr. «Aber ihre Preise bleiben über die Jahre konstant, selbst wenn ringsum die Landpreise steigen. Darum sind die Mieten im Gesamtbestand tiefer.»

Verwendete Quellen
  • Austausch mit Florian Flohr vom G-Net
  • Austausch mit Martin Wyss vom Wohnwerk Luzern
  • Postulat der SP-Fraktion zum Eigenkapital-Problem
  • Studie von Sotomo (2017) zum gemeinnützigen Wohnen
  • Artikel «Bajour»
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Rudolf 1
    Rudolf 1, 06.03.2022, 06:36 Uhr

    Das Ziel der Wohnbaugenossenschaften ist die solidarische Finanzierung des Wohnungsbaus durch Genossenschafter (Miteigentümer). Die Verbilligung von Genossenschaftsanteilen muss von anderen Stellen kommen. Mit den Jahren wird das Wohnen in Genossenschaftsbauten für alle Genossenschafter vergleichsweise günstiger – auch für die Vermögenden.

    👍2Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎1Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon