Wo immer im Raum Luzern ein Haus in die Höhe wachsen soll, ist Protest vorprogrammiert. Ist das begründet? Oder denken wir zu klein? Eine Architektin ordnet im Gespräch mit zentralplus ein.
Wenn Ende November der Spatenstich für den Bau der Pilatus Arena erfolgt, wird der Bauherrschaft ein tonnenschwerer Stein vom Herzen fallen. Zwar wird sie auch der Bau der Arena und insbesondere des 113 Meter hohen Pilatus Tower noch viele Nerven kosten. Doch immerhin kann der Bau jetzt starten.
Denn das Projekt lag lange in der Schwebe. Erst wurde das Prestige-Projekt von einem Referendum bekämpft. Dann folgte eine zähe Einspracheverhandlung mit der Stiftung Archicultura, die keine Einigung hervorbrachte (zentralplus berichtete). Letztlich wies der Krienser Stadtrat die Einsprache ab, worauf die Stiftung auf eine Beschwerde verzichtete. Viele Jahre später als ursprünglich geplant, kann der Pilatus Tower nun doch noch in die Höhe wachsen (zentralplus berichtete).
Doch das Krienser Beispiel ist kein Ausnahmefall. Die Brache am Bundesplatz, wo vor Jahren schon mit dem Bau eines rund 35 Meter hohen Hochhauses hätte begonnen werden sollen, unterstreicht das. Ein ähnliches Schicksal droht der Brache am Pilatusplatz, wo es vonseiten des Vereins «Stadtbild Luzern» ebenfalls zu Einsprachen kommen könnte, wie es auf dessen Webseite heisst.
Warum tun wir uns mit dem Thema Hochhäuser so schwer? Schliesslich gibt es diesen Gebäudetyp seit über 100 Jahren. Und mit dem Aalto-Hochhaus im Matthof-Quartier steht in Luzern gar eine Architektur-Ikone.
zentralplus hat dazu mit Rahel Marti gesprochen. Die Architektin und Raumplanerin ist Redaktorin bei der Zeitschrift «Hochparterre» und hat sich mit Hochhäusern auseinandergesetzt. Wir wollten von ihr wissen, woher der Widerstand gegen Hochhäuser kommt, ob er berechtigt ist und ob Luzern dabei ein Sonderfall darstellt.
zentralplus: In Luzern haben Hochhäuser einen schweren Stand. Sind wir ein Einzelfall?
Rahel Marti: Nein, überhaupt nicht. Es gibt wohl in jeder Stadt der Schweiz ein aktuelles Hochhaus-Projekt, das umstritten ist.
zentralplus: Was ist denn los mit uns? Sind wir zu konservativ für Hochhäuser?
Rahel Marti: Das Hochhaus polarisiert. Die einen verbinden damit negative Vorurteile und denken an anonymes Wohnen in einer anonymen Stadt. Für die anderen macht das Hochhaus die eigene Stadt ganz im Gegenteil automatisch zur spannenden Grossstadt mit internationalem Touch. Das Hochhaus ist als Gebäude ein starkes Symbol.
«Wer ein Hochhaus baut, zeigt, dass sie oder er Geld hat. Und wer darin wohnt, ebenso.»
zentralplus: Ein Symbol für was?
Rahel Marti: Wer am höchsten baut, ist mächtig. Früher war das die Kirche und die Kirchtürme die Symbole dafür. Es ist ein Privileg, in die Höhe zu bauen und sich weitherum sichtbar zu machen und zu zeigen. Ausserdem ist es teurer, als ein normales Haus zu bauen. Wer ein Hochhaus baut, zeigt, dass sie oder er Geld hat. Und wer darin wohnt, ebenso.
zentralplus: Aber in vielen Agglomerationen der Schweiz sind Hochhäuser nicht immer Statussymbole, sondern günstiger Wohnraum. Viele dieser Türme sind aus heutiger Sicht auch nicht besonders ästhetisch.
Rahel Marti: Tatsächlich wurde das Hochhaus in der Hochkonjunktur nach dem Zweiten Weltkrieg als Mittel verwendet, um auf knappem Raum viele Wohnungen zu bauen. Doch damals waren die Bauvorschriften weniger strikt. Heute muss das Tragwerk stärker sein und es gibt mehr Vorschriften zum Brandschutz und den Fluchtwegen. Diese Faktoren machen den Hochhausbau teurer. Und darum ist es heute ein teures Privileg, in einem neuen Hochhaus zu wohnen.
zentralplus: Ist es also womöglich auch der Neid, der aus den Hochhaus-Kritikerinnen spricht?
Rahel Marti: Das glaube ich nicht. Wir stellen die Kritikerinnen und Kritiker schnell in eine zukunftsskeptische Ecke und stellen sie als Bewahrerinnen und Verhinderer dar. Doch so einfach ist es nicht. Die Kritik an Hochhäusern ist oft berechtigt.
zentralplus: Warum?
Rahel Marti: Kritikerinnen weisen auf unbeantwortete Fragen hin. Das beginnt mit der Höhe eines Gebäudes. Schweizer Hochhäuser wären in vielen Grossstädten weltweit kaum der Rede wert. Hierzulande jedoch fällt bereits ein Turm von 40 Metern auf, weil die Städte gesamthaft eher niedrig gebaut sind. Darum sollte man mit höheren Gebäuden reflektiert umgehen.
zentralplus: Gemäss dem nationalen Raumplanungsgesetz haben wir als Gesellschaft den Auftrag, schonungsvoll mit der Ressource Boden umzugehen. Das bedeutet, dass wir dicht bauen sollen. Können wir es uns da leisten, bei Hochhäusern so pingelig zu sein?
Rahel Marti: Hochhäuser sind keine Antwort auf die Verdichtung. Was man in der Höhe an zusätzlichem Raum gewinnt, muss rund um das Gebäude freibleiben. Die Hochhäuser auf der Allmend oder jetzt der Pilatus-Tower entstehen nicht per Zufall an diesen Orten, sondern weil es dort genügend Platz hat. Die Verdichtungsrechnung geht so nicht auf.
«Ein Hochhaus ist in jeglicher Hinsicht das Gegenteil von Sparsamkeit.»
zentralplus: Aber wir bauen doch lieber in die Höhe, als dass sich unsere Siedlungen immer weiter in die Landschaft fressen?
Rahel Marti: Natürlich müssen wir verdichtet bauen. Aber dazu brauchen wir keine Hochhäuser. Die Wohnungen im Pilatus Tower könnte man vermutlich auf demselben Areal auch in einer anderen Bauform realisieren. Der Blockrandbau, wie er in Luzern im Hirschmatt- oder Bruchquartier vorkommt, ist zum Beispiel eine dichte Bauweise. Die Hausreihen stehen direkt an der Strasse und bilden auf der Hinterseite einen gemeinsamen Innenhof. Dadurch erhalten die Wohnungen von beiden Seiten Luft und Licht. In Luzern ist diese Blockrandbebauung übrigens teilweise ein bis zwei Geschosse höher als etwa in Zürich oder Basel. Dennoch sind die Strassenräume und die Quartieratmosphären angenehm. In anderen Städten könnte man also auf bestehende Blockrandbebauungen gut ein bis zwei Stockwerke obendrauf packen, um noch dichter zu bauen.
zentralplus: Wie steht es um die Ökobilanz von Hochhäusern?
Rahel Marti: Schlecht. Es braucht viel Beton, um in die Höhe zu bauen. Die Produktion von Beton ist CO₂-intensiv. Viel Beton braucht es auch für die starken Fundamente, die überdies tief reichen müssen. Baukosten, Energie, Emissionen – ein Hochhaus ist in jeglicher Hinsicht das Gegenteil von Sparsamkeit.
zentralplus: In Rotkreuz steht ein Hochhaus aus Holz. Ein weiteres ist in Zug geplant. Werden Hochhäuser damit ökologischer?
Rahel Marti: Es ist toll, was aktuell alles entwickelt wird in der Baubranche. Aber auch hinter Hochhäusern aus Holz steht vorläufig noch ein Fragezeichen. Ein Hochhaus bleibt als Bauform energieintensiv. Zudem bestehen auch bei einem Holzhochhaus die Decken zumindest teilweise aus Beton, weil sie als reine Holzdecken zu dick würden. Ausserdem ist das verwendete Holz stark verleimt, und die Leime sind chemische Produkte. Leimen verunmöglicht, dass das Holz später als Baustoff rezykliert werden kann. Trotz allem ist aber eine effiziente Kombination – viel Holz, wenig Beton – aus ökologischer Sicht eine vielversprechende Bauweise.
zentralplus: Der Pilatus Tower in Kriens wird nicht das letzte Hochhaus in unserer Region bleiben. Dennoch stellt sich nach Ihren Äusserungen die Frage, ob Hochhäuser überhaupt zukunftsfähig sind? Mir kommt das vor wie bei der Mall of Switzerland: 20 Jahre Planung, und wenn das Gebäude steht, ist es gar nicht mehr zeitgemäss.
Rahel Marti: Das ist die Frage, mit der wir uns in der Architektur und im Städtebau auseinandersetzen müssen. An gewissen Orten in den Städten kann das Hochhaus die genau richtige Antwort sein, sofern es möglichst ökologisch und sozial gerecht erstellt wird. Aber letztlich geht es dabei auch nicht nur um Verdichtung und Ökologie.
zentralplus: Sondern?
Rahel Marti: Es ist und bleibt der Traum vieler Architekten, Bauherrinnen oder Unternehmen, sich mit einem Hochhaus im Stadtbild zu verewigen. Und Träume und Wünsche spielen im Städtebau letztlich immer eine wichtige Rolle.
- Telefonat mit Rahel Marti
- Zeitschrift «Hochparterre»