Autoarmes Wohnen? Von wegen!

Salesianum: Wo die Bauherrin mit Parkplätzen klotzt

Der historische St. Karls-Hof in der linken Bildhälfte und die dahinterliegenden Gärten, die beim Salesianum in Zug überbaut werden sollen. (Bild: Andreas Busslinger)

Im Gebiet Salesianum liegen S-Bahnstation und Bushaltestelle vor der Haustüre. Trotzdem entstehen in der dort geplanten Überbauung 85 Parkplätze für 60 Wohnungen. Zu viele, finden Kritiker. Gefragt wären nun die Stadt und die Investoren – doch die tun sich schwer mit dem Thema.

Das Salesianum im Süden von Zug: Sehr viel besser kann ein Areal, das ausserhalb des Zentrums liegt, in Sachen ÖV fast nicht erschlossen sein. Die S-Bahn-Haltestelle befindet sich nur wenige Meter entfernt. Unter der Woche fahren je zwei Züge ins Zentrum und in Richtung Oberwil/Walchwil.

Auch die Busstation liegt in unmittelbarer Nähe. Fünf Verbindungen pro Stunde führen hier unter der Woche in Richtung Stadt. Und selbst die leicht oberhalb gelegene Bushaltestelle Roost ist ganz nahe. Macht in Richtung Zentrum – je nach Zählweise – sieben bis neun ÖV-Verbindungen pro Stunde. Und das alles praktisch vor der Haustür.

Das ist komfortabel.

Salopp gesagt: Bei Bedarf könnte man von hier aus - quasi wie eine Zentrumsbewohnerin – durchaus mal mit den Finken in die Apotheke oder zum Beck. Mit der S-Bahn hin und mit der gleichen Komposition wieder retour. Die Retourfahrt dauert gemäss Fahrplan gerade mal vier Minuten.

Vor diesem Hintergrund könnte man meinen, dass bei Neubauten in diesem Gebiet auf autofreies oder zumindest autoarmes Wohnen gesetzt würde.

85 Parkplätze für 60 Wohnungen

Doch weit gefehlt. Die Alfred Müller AG sieht für ihr Projekt auf dem Salesianum-Areal 85 unterirdische Parkplätze sowie 8 Besucherparkplätze vor. Macht 1,4 Parkplätze pro Wohnung, wie zentralplus kürzlich berechnete (zentralplus berichtete). Nach Angabe der Alfred Müller AG beanspruchen diese Parkplätze eine Fläche von 1’300 Quadratmetern.

Othmar Bertolosi von der Alfred Müller AG äussert sich auf Anfrage so: «Unsere Erfahrungen im Wohnungsmarkt Zug zeigen, dass eine Mehrheit Wohnungen mit Parkplätzen nach wie vor bevorzugt.» Wohnraum sei in Zug knapp. «Wir schaffen mit unserem Projekt 60 neue Wohnungen für alle – für Leute, die auf das Auto verzichten und den öffentlichen Verkehr nutzen wollen, aber auch für Leute, die auf das Auto angewiesen sind.»

Kanton nimmt viel Geld für den ÖV in die Hand

Es stellt sich die Frage, ob dieses Argument auch im Sinne der Öffentlichkeit ist. Zug ächzt unter dem Verkehr. Bereits wird über ein neues Tunnelprojekt diskutiert. Den Verkehr an der Quelle zu reduzieren, wäre zweifelsohne zielführend. Kommt hinzu: Die öffentliche Hand nimmt für den ÖV viel Geld in die Hand.

«Wenn eine Bauherrschaft eine reduzierte Anzahl Parkplätze bauen möchte, muss sie ein Mobilitätskonzept vorlegen. Die Stadt steht solchen Anliegen offen gegenüber.»

Birgitt Siegrist, Baudirektion Stadt Zug

Dazu zwei Zahlen: Nach Auskunft der kantonalen Baudirektion beliefen sich die Kosten für die Bahninfrastruktur der Stadtbahn Zug bisher auf total 105,6 Millionen Franken. Und gemäss dem Geschäftsbericht 2021 der Zugerland Verkehrsbetriebe (ZVB) betrugen die Abgeltungen der öffentlichen Hand an die ZVB für das Jahr 2021 insgesamt 30,5 Millionen Franken.

Kanton und Gemeinde müssten auch vor diesem Hintergrund daran interessiert sein, dass diese Infrastruktur möglichst gut genutzt wird.

Kanton überlasst das Thema Parkplätze lieber den Gemeinden

Der Kanton Zug ist einer der wenigen Kantone, die sich in ihren Bau- und Raumplanungsnormen nicht zum Thema Parkplatzpflicht äussern. Allerdings ist in den entsprechenden Bestimmungen auch nichts zu einer allfälligen Befreiung von dieser Pflicht zu finden. In Artikel 17 des Planungs- und Baugesetzes (PBG) überlässt es der Kanton Zug explizit den Gemeinden, den «ruhenden Verkehr» zu regeln.

Das könnte für die Gemeinden im Kanton Zug eine Chance sein, das autoarme Wohnen zu fördern. Artikel 10 der Bauordnung der Stadt Zug hält unter dem Titel «Autoarmes Wohnen und Arbeiten» fest: «Gebiete, die sich für autoarmes Wohnen und Arbeiten eignen, können von der Pflicht zur Erstellung von Parkplätzen ganz oder teilweise befreit werden.»

Bauherren müssen Initiative ergreifen

Auf Anfrage teilt Birgitt Siegrist von der Stadtzuger Baudirektion mit, die Initiative müsse generell von der Bauherrschaft ausgehen. «Wenn eine Bauherrschaft eine reduzierte Anzahl Parkplätze bauen möchte, muss sie ein Mobilitätskonzept vorlegen. Die Stadt steht solchen Anliegen offen gegenüber, sofern das Mobilitätskonzept schlüssige Lösungen aufzeigt.»

«Zug tut sich schwer. Investoren haben nicht den Mut, so etwas zu realisieren.»

Stefan Hodel, Fraktionschef ALG/CSP im Zuger Stadtparlament

Allerdings ist davon auszugehen, dass diese städtische Bestimmung über das autoarme Wohnen in der Vergangenheit kaum je zur Anwendung gelangte. Nicole Nussberger vom Baudepartement der Stadt Zug bestätigt das: «Meines Wissens kam die Regelung noch nie zur Anwendung.» Über laufende Verfahren gibt die Stadt keine öffentliche Auskunft.

Auch die Stadt selbst baut nicht autoarm

Anzufügen bleibt: Die Stadt selber hat in der Vergangenheit in unmittelbarer Nähe des Salesianums auch nicht auf autoarmes Wohnen gesetzt. Bei der stadteigenen Überbauung Roost stehen für die 56 städtischen Wohnungen 53 Autoabstellplätze zur Verfügung.

Die Siedlung Roost ist allerdings mittlerweile nicht mehr ganz neu: Der Erstbezug erfolgte vor über zehn Jahren. Zudem liegt die Parkplatzquote pro Wohnung deutlich tiefer als jene, die beim Projekt der Alfred Müller AG vorgesehen ist.

Schwerfällige Stadt, mutlose Investorinnen

Stefan Hodel, Fraktionschef ALG/CSP im Zuger Stadtparlament, beschäftigt sich unter anderem mit Verkehrsfragen. Für Hodel ist klar: «Das Gebiet Salesianum wäre für eine autofreie Siedlung bestens geeignet.» Dies auch darum, weil das Salesianum praktisch steigungsfrei zu erreichen ist.

Autofreie oder zumindest autoarme Siedlungen seien in anderen Städten schon lange realisiert. «Zug tut sich schwer. Investoren haben nicht den Mut, so etwas zu realisieren. Auch beim Bau von preisgünstigen Wohnungen werden Parkplätze gebaut.»

«Leider limitiert das Parkplatzreglement der Stadt Zug die Anzahl Parkplätze nur nach unten.»

Goran Vejnovic, Geschäftsführer VCS Zug

Dabei seien die Zeichen der Zeit klar: «Der motorisierte Individualverkehr, wie wir ihn heute kennen, hat keine Zukunft.»

Hodel meint, die anstehende Ortsplanungsrevision könnte vielleicht eine Chance für künftige Verbesserungen bieten. «Bei den aktuellen Mehrheiten in unserem Stadtparlament dürfte das aber schwierig werden.»

Stadt gibt nur ein Minimum an Parkplätzen vor

Goran Vejnovic ist Geschäftsführer des VCS Zug. Er sagt, autoarmes Wohnen interessiere die Sektion Zug sehr. Seiner Ansicht nach wäre es sinnvoll, wenn die Stadt den Bauherren verbindliche Vorgaben machen würde: «Leider limitiert das Parkplatzreglement der Stadt Zug die Anzahl Parkplätze nur nach unten.» Das Reglement spreche nämlich von «mindestens einem Abstellplatz pro Wohnung».

Unter dem Begriff «effektiver Bedarf» sieht das Reglement zwar Möglichkeiten vor, die Parkplatzzahl zu reduzieren. So könnte sie zum Beispiel im Stadtzentrum bis auf 20 Prozent gesenkt werden. Goran Vejnovic geht aber nicht davon aus, dass dies in Zug so umgesetzt wird.

Noch gibt es kaum autoarme Siedlungen in Zug

Noch gibt es im Kanton Zug kaum Siedlungen, die das Prädikat «autoarm» wirklich verdienen. Goran Vejnovic erwähnt die in den 1990er-Jahren gebaute Siedlung Fuchsloch in Oberwil. «Damals wurden dort weniger Parkplätze gebaut als vorgeschrieben. Zwar autoärmer, aber sicher nicht zu sehr. Das war möglich, weil der Eigentümer Mobility ins Boot holte.»

Von den Bauvorhaben, die zurzeit in Zug in Planung sind, erwähnt Goran Vejnovic das Projekt Chama (ex «Cham Nord 01»). Dieses Projekt versuche neue Mobilitätskonzepte zu implementieren, was zu einer relativ autoarmen Überbauung führen sollte.

Autoarmes Wohnen im Kanton Luzern

Im Kanton Luzern gibt es einige Wohnprojekte, die man als relativ autoarm bezeichnen kann. Eines der bekannteren dürfte das Matteo im Luzerner Mattenhof sein. Bereits seit über 30 Jahren existiert das Projekt Untergrundhof in Luzern. Zu erwähnen ist auch die Teiggi in Kriens. Weitere Projekte könnten folgen, zum Beispiel aufgrund der Auflagen, wie sie in Luzern Nord vorgesehen sind. Dort sind strengere Vorgaben bezüglich des Autoverkehrs in den Bebauungsplänen verankert.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Othmar Bertolosi (Alfred Müller AG), Karin Fröhlich (Zugerland Verkehrsbetriebe), der Baudirektion des Kantons Zug, dem Baudepartement der Stadt Zug sowie mit Stefan Hodel (Fraktionspräsident ALG im GGR) und Goran Vejnovic (VCS Zug).
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Kommentarschreiber
    Kommentarschreiber, 21.08.2022, 08:58 Uhr

    Den Glauben, dass ein (rechts)bürgerlich dominiertes Parlament, bzw. deren Regierung, freiwillig gegen die Interessen von «Investoren» handelt und sich proaktiv und «eigenverantwortlich» für das Gemeinwohl einzusetzt, z.B. für Umwelt- und Klimaschutz, habe ich aufgegeben. Das gilt nicht nur für den Kanton Zug. Aber vielleicht stirbt die Hoffnung ja doch zuletzt und die Stimmberechtigten wählen endlich solche Regierungen ab…….

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