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Die Diskussion über das neue Luzerner Theater dreht sich auch um die Zukunft des Theaterplatzes. Dabei gibt es diesen erst seit rund 70 Jahren. Zuvor stand dort der Freienhof. Die Geschichte des Gebäudes ist voller Parallelen zur jetzigen Debatte ums Theater.
Das neue Theater beschäftigt die Stadt Luzern: Seit Mitte Dezember das Siegerprojekt «überall» vorgestellt wurde, gibt es in Luzern plötzlich viele Architekturexpertinnen. Stellvertretend dafür stehen rekordverdächtige 61 Leserkommentare unter dem ersten zentralplus-Artikel über das Projekt.
Dabei muss der geplante Neubau ordentlich Kritik einstecken. Das neue Theater verschandle das Stadtbild, verdränge die Jesuitenkirche und zerstöre den beliebten Theaterplatz, sagen Kritiker. Das klingt fast so, als bestehe die heutige Situation rund um den Theaterplatz schon seit Jahrhunderten. Doch das stimmt nicht, den Theaterplatz in seiner heutigen Form gibt es erst seit 1949, also seit etwas über 70 Jahren. Er entstand mit dem Abriss des Freienhof – einem Steinpalast, der das Stadtbild Luzerns während Jahrhunderten prägte.
Freienhof: Älter als die Kapellbrücke
Ueli Habegger, der ehemalige Denkmalpfleger der Stadt Luzern, hat die Geschichte dieses fast in Vergessenheit geratenen Baus in einer 77-seitigen Publikation aufgearbeitet. Diese bringt viele Bezüge zur jetzigen Diskussion ums neue Theater zum Vorschein. Die teils jahrhundertealten Diskussionen sind auch noch heute hoch relevant.
Der Freienhof wurde im 13. Jahrhundert gebaut. Also noch vor der Kapellbrücke (1333) und lange vor der Jesuitenkirche (1666). Er diente dem Abt von Murbach als Wohnturm. Der Bau solcher Burgen lag zu dieser Zeit schwer im Trend. Zwischen dem 9. und dem 14. Jahrhundert entstanden in der Schweiz rund 1400 dieser Steinburgen. «Sie waren vor allem Herrschaftszeichen und kündeten von der Macht der kleinadligen Geschlechter», schreibt Habegger über die Entstehungsgründe.
Später wurde der Freienhof in die städtische Befestigungsanlage integriert. Die Kleinstadt war damals mit einer mächtigen Mauer geschützt (zentralplus berichtete). Diese reichte von der Spreuerbrücke, wo das mächtige Baslertor stand, über die Pfistergasse und weiter in Richtung Hirschengraben – der damals noch ein Wassergraben war. Der Freienhof bildete den Abschluss dieser Mauer und gleichzeitig den Auftakt der Kapellbrücke, welche ebenfalls zum Schutz vor Feinden diente.
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Der Stadtplan von Martin Martini um 1597 zeigt die damalige Situation. Der Freienhof in der rechten Bildhälfte ist als Teil der Befestigungsanlage gut erkennbar. Die Kapellbrücke war damals rund 50 Meter länger und reichte bis zum heutigen Theaterplatz.
Heimatschutz kritisiert «endgültigen Verlust» der Geschichte
Auf diese historische Stadtmauer, die es längst nicht mehr gibt, beruft sich die Kritik des Innerschweizer Heimatschutzes (IHS) am neuen Luzerner Theater. Zwar begrüsst der IHS, dass das alte Theater erhalten bleibt. Doch kritisiert der Heimatschutz, dass der Neubau die «Historie des Ortes endgültig verschwinden» lässt. Die Verbindung der ehemaligen Wehranlage vom Hirschengraben zur Kapellbrücke falle gänzlich weg.
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Doch die heutige Situation erinnert kaum noch an die alte Stadtmauer, ist da die Kritik des IHS nicht obsolet? Marco Füchslin, Geschäftsführer des IHS, erwidert, dass schon der Bau des Luzerner Theaters eine «städtebauliche Zäsur» war. Doch schaffte der Theaterplatz die Abgrenzung der Klein- zur Neustadt. «Mit dem massiven Fussabdruck der Erweiterung des Luzerner Theaters verkümmert der auf das Äusserste reduzierte Zwischenraum zu einer Gasse und verwischt nun definitiv die Grenze.»
Der Bau der Jesuitenkirche – und die Sache mit dem Licht
Ein weiteres wichtiges Kapitel in der Geschichte des Freienhofs war der Bau der Jesuitenkirche 1666. Vor ihrem Bau führte die Passage am linken Reussufer unter vielen Arkaden und Lauben hindurch – ähnlich, wie sich die Situation «Unter der Egg» bis heute am rechten Reussufer präsentiert. Der Rat von Luzern versuchte die Jesuiten darum zu überzeugen, dass der vordere Bereich der Kirche öffentlich bleibt und weiterhin als Durchgang dient. Die Jesuiten sahen jedoch davon ab.
Der Rektor des Jesuitengymnasiums stellte im Gegenzug Forderungen an die Besitzer des Freienhofs. Er erwirkte, dass die Eigentümer des Freihenhof keine hohen Holzbeigen in ihrem Garten auftürmen und den Stall nicht erneuern durften. «Nach dem Willen der Jesuiten sollte vermieden werden, dass der natürliche Lichteinfall in die Jesuitenkriche durch irgendeine bauliche Massnahme gefährdet wurde», erklärt Ueli Habegger in seiner Publikation.
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Der Lichteinfall wird mit dem Siegerprojekt «überall» erneut zum Thema. Niemand geringeres als der ehemalige kantonale Denkmalpfleger André Meyer kritisierte das Projekt unter anderem aus diesem Grund: «Durch die Höhe und die Nähe wird der Lichteinfall in die Kirche wohl beeinträchtigt», meinte Meyer im Dezember gegenüber zentralplus. Für ihn ein Zeichen, dass dieser Standort grundsätzlich falsch ist für ein Projekt mit einem Raumbedarf wie das Theater.
Pragmatischer sieht es Cony Grünenfelder, die aktuelle kantonale Denkmalpflegerin: «Mit dem teilweisen Abrücken und Staffeln des Volumens in der Höhe wird auf die Lichtsituation der Jesuitenkirche reagiert», sagt sie auf Anfrage. Der Sachverhalt müsse bei der weiteren Planung nun vertieft geprüft werden.
Der Freienhof kommt in umtriebige Hände
Aufgrund der Vorschriften der Jesuiten waren die Entwicklungsmöglichkeiten für die damaligen Besitzer des Freienhofs stark eingeschränkt. 1727 verkauften sie darum die Liegenschaft an die Familie Pfyffer aus Altishofen. Karl Pfyffer, ein Sprössling dieser Familie, machte sich in Luzern rund 100 Jahre später als Initiant und Förderer des Löwendenkmals einen Namen. Gleichzeitig gestalteten er und sein Sohn Niklaus Pfyffer den Freiehnhof wesentlich um.
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Mit einer «Lust zur baulichen Veränderung», so Habegger, veränderten Vater und Sohn die Gestalt dieses Ortes. Sie schütteten neues Land auf, bauten Gebäudeteile an, eröffneten im Freienhof eine Brauerei und einen dazugehörigen Biergarten sowie zwischen Freienhof und Jesuitenkirche ein renommiertes Kunstkabinett. Viele dieser Tätigkeiten führten sie ohne Bewilligung der Stadt aus.
Zur selben Zeit erfuhr das gesamte linke Reussufer wesentliche Veränderungen. Die Bahnhofstrasse wurde gebaut, die Kapellbrücke auf ihre heutige Länge verkürzt und 1837 – für die heutige Diskussion besonders massgebend – wurde das Luzerner Stadttheater gebaut. Das Theater nutzte bis 1910 gar Räume im Freienhof für seine Werkstatt.
Das Ende des Freienhofs
Doch ab der Jahrhundertwende ging es mit dem Freienhof bergab. Die Brauerei schloss aufgrund wachsender Konkurrenz. Der Steinpalast wechselte weitere Male die Besitzerin und ging zuletzt an Roman Abt, der sich im Bahnbau weltweit einen Namen gemacht hatte. 325'000 Franken betrug der damalige Kaufpreis, was für heutige Verhältnisse ein Vermögen ist. Mit dem Tod Abts 1933 begann der Zerfall des Gebäudes. Aus dem einstigen Postkartenmotiv, das 1786 im ersten Touristenführer der Stadt Luzern noch vor der Kapellbrücke erwähnt wurde, wurde ein verlotterter Bau.
«Die politischen Behörden von Kanton und Stadt Luzern hatten den Wert des Freienhofs nicht erkannt.»
Ueli Habegger, ehemaliger Denkmalpfleger der Stadt Luzern
1943 kaufte der Kanton Luzern den Freienhof, mit der Idee, am dortigen Standort die Zentralbibliothek zu bauen. In einem Architekturwettbewerb war es den neun eingeladenen Architekten freigestellt, den Freienhof in das Projekt zu integrieren oder einen kompletten Neubau zu realisieren. Die meisten Architekten entschieden sich mit ihren Ideen für einen Abriss des Bestands – im Gegensatz zum Siegerprojekt für das neue Theater.
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Zwar regte sich aus der Bevölkerung massiver Protest gegen den Abriss. 10'000 Luzernerinnen unterschrieben eine Petition zum Erhalt des geschichtsträchtigen Gebäudes. Trotzdem fuhren im Februar 1949 die Bagger auf und machten den Freienhof dem Erdboden gleich. «Die politischen Behörden von Kanton und Stadt Luzern hatten den Wert des Freienhofs nicht erkannt», kommentiert Habegger den damaligen Abriss.
Die Lehren aus der 800-jährigen Geschichte
Bekanntlich entstand die neue Bibliothek dann nicht neben der Jesuitenkirche. Denn als die Bevölkerung nach dem Abriss die markante Ostseite der Kirche in vollem Ausmass zu sehen bekam, gefiel ihr diese so gut, dass sich erneuter Protest gegen die Bibliothekpläne formierte (zentralplus berichtete). Der Kanton ging daraufhin nochmals über die Bücher und entschied, die ZHB doch nicht an der Reuss, sondern beim Vögeligärtli zu bauen.
«Der historische Freienhof war in seiner Dimension um einiges kleiner als das vorliegende Programm.»
Marco Füchslein, Geschäftsführer Innerschweiz Heimatschutz
Damit schliesst sich der Kreis des rund 800 Jahre alten Grundstücks neben der Jesuitenkirche. Denn die Zukunft des neuen Theaterprojekts hängt massgeblich davon ab, wie es sich neben der Kirche ins Stadtbild eingliedert. Denkmalpflegerin Cony Grünenfelder findet lobende Worte. Das Projekt berücksichtige die Jesuitenkirche, weil das neue Theater etwas weiter hinten stehen wird – gleich wie die Häuserfront auf der rechten Seite der Kirche. «Das ist für die Wahrnehmung der Jesuitenkirche aus dem Stadtraum sehr entscheidend», sagt Grünenfelder.
Der IHS seinerseits anerkennt, dass das Siegerprojekt «überall» die Geschichte des Freienhof aufnimmt. «Die an diesem Ort willkürlich erscheinenden Giebeldachformen erinnern an das Hauptvolumen des Freienhofes», sagt Marco Füchslin und bedauert, dass dies von der Jury gar nicht erwähnt wurde. Dass die Ostseite der Jesuitenkirche bereits zu früheren Zeiten durch ein Gebäude verdeckt war, sieht er jedoch nicht als Legitimation für das neue Theater. «Der historische Freienhof war in seiner Dimension um einiges kleiner als das vorliegende Programm und auch durch die Gliederung kleinteiliger.» Nun hofft er auf geringfügige Anpassungen im Projekt, um eine Gebäudeschlucht zwischen Kirche und Theater zu verhindern: «Vermutlich würden wenige Meter den Zwischenraum bereits stark aufwerten.»
Das letzte Wort um die Zukunft des Luzerner Theaters ist noch längst nicht gesprochen. Sicher ist nur, dass die Geschichte des Freienhofs in irgendeiner Form fortgeschrieben wird – mit oder ohne Neubau.
- «Freienhof - ein verschwundener Bau Alt-Luzerns» von Ueli Habegger
- Schriftlicher Austausch mit Cony Grünenfelder
- Artikel der «Luzerner Zeitung»
- Schriftlicher Austausch mit Marco Füchslin
- Martiniplan auf der Webseite des Kantons
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