Analyse in fünf Akten

Neues Luzerner Theater: Darum wurde es wirklich abgelehnt

Dieses Foyer im geplanten neuen Theater wird es nicht geben. (Bild: Visualisierung: Filippo Bolognese Images)

Mit einer erstaunlichen Geschlossenheit hat sich die Stadtluzerner Stimmbevölkerung gegen das neue Luzerner Theater gestellt. Wie kam es dazu?
 

Unerwartet deutlich haben die Stadtluzerner den Planungskredit von 14 Millionen Franken für ein neues Luzerner Theater abgelehnt. Nur 42 Prozent des Volks wollten, dass der geplante Erweiterungsbau mit drei Bühnen Realität wird. Einen so deutlichen Entscheid haben selbst die Gegner nicht für möglich gehalten (zentralplus berichtete).

Denn alle Parteien, Kulturinstitutionen, Fasnachtszünfte, Bundespolitiker, der Kanton und Lokalberühmtheiten hatten das Projekt der Ilg Santer Architekten aus Zürich gutgeheissen. Sie haben augenscheinlich nicht für die Mehrheit der Stadtbevölkerung gesprochen. Wie es zum Nein kam, lässt sich in fünf Akten rekonstruieren.

Akt 1: Die Salle Modulable scheitert

Das Theater in Luzern ist zu alt und zu klein. Das ist seit Jahren klar. Eine Gesamtsanierung des Hauses würde bis zu 80 Millionen Franken kosten – die Enge des Hauses bliebe. Für das Ensemble und das Luzerner Symphonieorchester sind die Arbeitsbedingungen schon heute untragbar. Daher debattiert die Stadt Luzern seit Langem über einen Ersatz.

Dieses Musiktheater auf dem Inseli war einst geplant. (Bild: zvg)

Im Jahr 2007 stellt der damalige Intendant des Lucerne Festivals, Michael Haefliger, die Salle Modulable als Idee vor. Private wollen sich in der Folge mit Dutzenden Millionen Franken am Musiktheater auf dem Inseli beteiligen. Doch 2016 lehnt der Kantonsrat eine Mitfinanzierung der Planung ab. Beteiligte werden noch Jahre später von einem «Scherbenhaufen» sprechen (zentralplus berichtete).

Akt 2: Der Architekturwettbewerb sorgt für Ärger

Also wird die Stadt Luzern selbst aktiv: Sie will ein neues Luzerner Theater bauen lassen, gründet eine Projektierungsgesellschaft unter der Leitung von Stadtpräsident Beat Züsli (SP) und lanciert 2021 einen zweistufigen Architekturwettbewerb für eine Lösung auf dem Theaterplatz.

128 Projekte gehen ein, zwölf werden näher geprüft, der Entwurf der Zürcher Ilg Santer Architekten siegt. Ihre Idee ist: den Altbau zum Foyer machen und zwei Kästen mit Giebeln und schillernder Fassade anbauen. Viele andere Entwürfe wollen das alte Theater abreissen.

Dieser Entwurf siegte im Wettbewerb für das neue Luzerner Theater. (Bild: zvg)

Doch mit den Stadtluzernerinnen ist das nicht zu machen. Vielerorts machen Bürger deutlich, der «Klotz» sei zu übermächtig, vor allem direkt neben der Jesuitenkirche aus dem 17. Jahrhundert. Fünf Büros gehen ausserdem mit Beschwerden gegen den Ausgang des Wettbewerbs vor. Über Monate ist unklar, ob alles fair über die Bühne gegangen ist (zentralplus berichtete).

Akt 3: Der überarbeitete Entwurf wird öffentlich gefeiert

Nachdem das Kantonsgericht die Beschwerden ablehnt, ist die Stadt erleichtert. Der Siegerentwurf wird weiter überarbeitet. Dabei wird den Zürcher Architekten klipp und klar gesagt: Der Neubau müsse zurückhaltender sein, sonst würden ihn die Luzerner nicht annehmen.

Also verkleinern die Architekten ihren Entwurf und öffnen ihn zur Reuss mit einer grossen Glasfassade. Gleichzeitig platziert die Projektierungsgesellschaft immer wieder die gleiche Kernaussage: Das Theater sei «ein offenes Haus». Ohne Konsumzwang sollen Luzerner ein und aus gehen können. Man bemüht sich, das Projekt vom Elitenimage, das dem Theater anhaftet, wegzubringen (zentralplus berichtete).

So sah der überarbeitete Entwurf für die Theatererweiterung aus. (Bild: Visualisierung: Filippo Bolognese Images)

Gegenüber der Stadtpolitik gelingt das. Als der Stadtrat einen Projektierungskredit von 13,8 Millionen Franken vorlegt, sagen alle Parteien im Stadtparlament im Herbst 2024 Ja. Später wird nur die Juso ausscheren, weil sie die Alternativkultur in Gefahr sieht.

Akt 4: Die Gegnerschaft erhebt sich

Alles wirkt nach einer sicheren Sache. Doch weil der Stadtrat weiss, dass auch das Volk am Ende zum Bauprojekt Ja sagen muss, schlägt er vor, den Projektierungskredit ebenfalls vors Volk zu bringen. Er will Gewissheit haben, nicht in zwei Jahren einen Scherbenhaufen vorzufinden, wie einst bei der Salle Modulable.

Der Abstimmungskampf beginnt – und eine Gegnerschaft erhebt sich. Sie speist sich aus ehemaligen kantonalen und städtischen Denkmalpflegern und erhält zunehmend Unterstützung aus lokalen Architektenkreisen. Mit Zehntausenden Flyern, Buswerbung und einer eigenen Website wird mobilisiert (zentralplus berichtete).

Dieser Flyer der Gegner landete in allen Briefkästen. (Bild: zvg)

Ihre Hauptargumente: Der Neubau sei für den historischen Ort zu gross. Die Kosten würden aus dem Ruder laufen. Ihr Ausruf «Luzern hat Besseres verdient» ist in allen Buslinien auf den Bildschirmen zu sehen. Auf der Website werden täglich neue Meinungsbeiträge publiziert, teils mit KI-Unterstützung, wie leicht erkennbar ist.

Mit wenig Ressourcen erreicht die Gegnerschaft viele Menschen. Ihre Schätzungen zu den Baukosten werden von einigen Luzernerinnen für bare Münze genommen. Gleichzeitig lädt das Ja-Komitee, in dem das Theater weibelt, zu Diskussionsabenden und Führungen. Die Stimmung dort ist gut – dem Theater und dem Ja-Komitee gelingt es aber nicht, aus der eigenen Blase auszubrechen.

Akt 5: Die Abstimmung wird zum sozialen Thema

Dann folgt die Abstimmung: Obwohl auch Ja-Werbung über die Busbildschirme flackert, scheint sie theaterferne Luzernerinnen weniger anzusprechen. Eindrücklich zeigen das die Abstimmungsdaten zu den einzelnen Quartieren. Am Sonntag haben finanziell schwächere Stadtteile das neue Theater regelrecht abgeschossen.

Staffeln, Reussbühl, Littau, Thorenberg haben eines gemeinsam: Die Stimmbeteiligung lag mit rund 30 Prozent deutlich tiefer als im Rest der Stadt – die Ablehnung war mit über 70 Prozent dagegen mehr als klar. Das zeigt: Kritische gingen am Stadtrand abstimmen – doch das Ja-Komitee hat Menschen dort nicht erreicht.

Am Stadtrand wie in Reussbühl haben wenige für das Theater gestimmt. (Bild: jal)

Gefallen hat das Theater in alternativen urbanen Quartieren wie der Neustadt oder auch in Gütsch und Friedberg: Dort wurde der Kredit teils deutlich angenommen.

Doch in dieser Abstimmung ging es nicht nur um Arm gegen Reich. Die höchste Stimmbeteiligung gab es im Wesemlin-Quartier mit vielen Einfamilienhäusern. Eigentlich Theaterpublikum. Doch dort wurde das Projekt mit 57 Prozent deutlich abgelehnt. In Halde mit über 60 Prozent. Es muss also auch im Villen-Luzern beträchtliche Zweifel am Projekt gegeben haben.  

Diese Gründe haben das neue Luzerner Theater zu Fall gebracht

Zusammengefasst: Das Theater ist baufällig, daran zweifelt niemand, doch der Streit um einen Ersatz zieht sich seit zwei Jahrzehnten. Ein Neustart sollte der Debatte frischen Wind geben, doch die Stimmung rund um den Architekturwettbewerb war vergiftet.

Der überarbeitete Siegerentwurf wurde öffentlich so sehr gefeiert, dass kritische Stimmen erst kaum vernehmbar waren. Als der Abstimmungskampf begann, gelang es einer kleinen Gegnerschaft, sich mit gezielten Aktionen und starken Thesen bekannt zu machen. Viele Luzerner glaubten ihnen.

Am Ende stimmten finanziell schwächere Quartiere gegen das Projekt – doch auch in Villenquartieren überwog die Skepsis. Die Stadt hat angekündigt, den Ausgang analysieren zu wollen. Denn die Frage, was aus Theater in Luzern wird, ist nun wieder offen. Der Standort, die Architektur und der Inhalt ohnehin.

Verwendete Quellen
  • zentralplus-Medienarchiv zum neuen Luzerner Theater
  • Website zum neuen Luzerner Theater
  • Medienmitteilung und Abstimmungsinformationen vom 9. Februar
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