Mitten in Zug steht das wohl kleinste Wohnhaus der Schweiz
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In Zug, mittendrin und doch versteckt, gibt es seit Kurzem ein Tiny House, das sich trotz seiner Winzigkeit sehen lassen kann. Dies nicht nur architektonisch, sondern auch technisch.
Der Mensch hat zu viel Kram. Diese Erkenntnis ereilt einen, kaum hat man Richard Arnolds Haus betreten. Oder besser gesagt, sein Häuschen. Mitten in der Zuger Altstadt und doch nicht für jedermann sichtbar, hat er sich einen Traum verwirklicht: Einen Rückzugsort, in dem es sich gut leben lässt, und der erst noch nahezu autark ist. Und nicht nur das: Es handelt sich gleichzeitig um ein Labor und einen Showroom.
«Ich bin in unmittelbarer Nähe aufgewachsen. Im Schopf, der während meiner Kindheit hier stand, haben wir Seifenkisten gebaut und unsere Velos und Töffli abgestellt. Dass hier je ein Wohnhaus steht, wäre damals unvorstellbar gewesen», sagt der 56-Jährige bei einem Besuch von zentralplus.
Ein lang gehegter Wunsch
Schon vor Jahrzehnten spielte er mit dem Gedanken, auf dem Grundstück, das seit Langem im Familienbesitz ist, ein sogenanntes Tiny House – also ein winziges Haus – zu erstellen. «Auch wenn es den Begriff vor 25 Jahren noch nicht gab.» Vor Kurzem ist aus dem langjährigen Wunsch Realität geworden. Seit rund einem Monat ist das zweistöckige Haus mit seinen rund 30 Quadratmetern Wohnfläche bewohnbar.
Im Erdgeschoss befindet sich der Wohnraum mit Küche mit zwei Gasherdplatten. Vor dem Eingang steht zudem ein Gasofen, dessen Rohr durch die Decke ins Obergeschoss führt. Obwohl draussen drei Grad herrschen, der Raum noch nicht vollständig eingerichtet ist und die Wände aus Sichtbeton bestehen, ist es gemütlich.
Vier grosse und vier kleine Teller liegen ordentlich im Geschirrschrank. Dazu mehrere Tassen und Gläser, sogar Sektgläser sind vorhanden. Das Zentrum bildet eine hübsche Retrokaffeemaschine, die aus praktischen Gründen auf einer Drehscheibe steht. Dass hier Prioritäten gesetzt wurden, ist unübersehbar. «Ich trinke zwar nicht sehr viel Kaffee, jedoch sehr gerne», sagt Richard Arnold.
Im Schrankteil daneben liegen eine Werkzeugkiste und ein Basketball. Richard Arnold deutet auf mehrere leere Tablare und sagt: «Ich weiss ehrlich gesagt gar nicht, womit ich die füllen soll. Das Haus übertrifft all meine Erwartungen. Ich habe überhaupt kein Platzproblem.»
Noch ist der Wohnbereich im Erdgeschoss leer. Eine grosse, filigrane Tischlampe deutet an, wo dereinst ein Tisch stehen wird. Auch eine Eckbank und zwei Stühle fehlen noch. Eckbank und Tisch hat der Hausbesitzer bei einem bekannten Schreiner in Auftrag gegeben. Die Bank ist so konzipiert, dass es sich darauf so gemütlich wie auf einem Sofa sitzen lässt.
Gebadet wird im Regenwasser
Eine erstaunlich breite Treppe führt ins Obergeschoss. Anders als das Erdgeschoss sind die Wände dort aus Holz. Auch hier sind die Prioritäten klar ersichtlich. Ein 160 Zentimeter breites Bett steht im Zentrum des Raums. «Für mich ist guter Schlaf sehr wichtig. Und tatsächlich habe ich schon lange nicht mehr so gut geschlafen wie in diesem Bett.»
Neben diesem steht, nahe der Fensterfront, eine freistehende Holzbadewanne. «Ich dusche hier jeden Tag in der Hocke. Auch im anderen Haus, das ich besitze, dusche ich seit vielen Jahren auf diese Weise. Zwei Minuten reichen.» Einmal in der Woche gönnt sich Richard Arnold zudem ein Bad in der Holzwanne. Um möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen, badet und duscht der Zuger mit Regenwasser. Dieses wird durch die Wärmepumpe aufgewärmt, die primär der Heizung des Hauses dient. Frischwasser gibt es im Tiny House nur in der Küche.
Rund um den Neubau stehen Häuser. Vor Publikum baden muss Richard Arnold dennoch nicht. Er drückt einen Knopf an der Wand und sofort verwandelt sich die durchsichtige Scheibe zu Milchglas. «Wenn ich hier bin, habe ich sie meistens so eingestellt. Es ist ein schönes Gefühl, mitten in der Stadt so zurückgezogen zu sein.»
Freude am leeren Raum
Im Kleiderschrank liegt eine überschaubare Anzahl von Kleidern. Auch hier sind noch mehrere Regale leer. Ebenfalls finden sich im Bücherregal, das entlang der Treppe in der Hauswand eingelassen wurde, nur eine geringe Anzahl Bücher. Obwohl die Raumverhältnisse stark begrenzt sind, fühlt man sich nicht eingeengt. Ganz im Gegenteil: Sowohl Wohnraum als auch Schlafzimmer wirken geräumig. Letzteres sicher auch wegen der durch das Satteldach grosszügigen Raumhöhe. «So zu leben, ist sicher nicht jedermanns Sache. Man muss Freude haben am leeren Raum. Ich habe bereits vor Jahren begonnen, meinen Besitz zu minimieren.»
Ein solches Tiny House zu erstellen ist nichts Einfaches. «Es hat sehr viel Planung benötigt. Immer und immer wieder musste ich mir dabei die Frage stellen: Braucht es das?» Die Antwort bezüglich einer Abwaschmaschine lautete klar nein. «Ich habe in meinem Leben schon viel abgewaschen und bin ein guter Abwascher. Eine Maschine würde abgesehen davon sehr viel Platz wegnehmen», sagt Arnold.
Eine Waschmaschine mit integriertem Trockner findet man hingegen im Kellergeschoss des Häuschens. Dort soll künftig auch ein Regal für Koffer und Ähnliches zu stehen kommen. Bereits heute steht im UG ein Stuhl. Eine Gitarre ist an die Wand angelehnt. «Eigentlich ist nicht gedacht, dass man diesen Raum aktiv nutzt. Doch weil die Isolation so gut ist, ist der Keller mit 21 Grad aktuell der wärmste Raum des Hauses.»
Ein 1500-Liter-Regenwasser-Tank
Eine Türe führt von hier in den Technikraum, der, gemessen an der überschaubaren Gebäudegrösse, sehr gut ausgestattet ist. Etwa mit einem 1500-Liter-Regenwasser-Tank, der mittels Sensor erkennt, wenn zu wenig Wasser vorhanden ist und in diesem Fall mit Frischwasser gefüllt wird. «Der Sensor orientiert sich dabei auch am aktuellen Wetterbericht.»
Neben der Wärmepumpe ist auch der Wechselrichter der Fotovoltaikanlage hier zu finden. Das ist insofern speziell, da Häuser in der Zuger Altstadt in den allerwenigsten Fällen über eine PV-Anlage verfügen. Nicht zuletzt, weil es in dieser Gegend schwieriger ist, eine Bewilligung dafür zu erhalten. «Doch weil ich mich auch beruflich in diesem Feld bewege, war mir das Thema sehr wichtig.»
Hausschlüssel vergessen? Welchen Hausschlüssel?
Das Gebäude ist mit einem elaborierten Smart-Home-System ausgerüstet. «Ich bin jemand, der häufig seinen Schlüssel vergisst. Beim Tiny House ist das kein Problem, denn es gibt keinen Schlüssel.» Zwar trägt Richard Arnold an seinem Schlüsselbund einen Badge, mit dem er Zugang zum Haus erhält. «Doch es geht auch ohne. Die Tür lässt sich auch mit einem Code öffnen. Und wenn ich diesen nicht mehr weiss, geht es auch mittels App.» Der Bewohner muss zudem nicht jedes mal daran denken, alle Lichter und die Musik auszuschalten, bevor er das Haus verlässt. «Das macht das System automatisch. Alles wird heruntergefahren, wenn ich den entsprechenden Knopf drücke.»
Was der Bau des Tiny Houses gekostet hat, will Richard Arnold nicht verraten. «Wenn man so etwas möchte und es sich leisten kann, dann soll man das machen.» Er warnt jedoch: «Die Preisvorstellung, die ich anfangs hatte, wurde ziemlich schnell zur Makulatur. Letztlich ist das Gebäude doppelt so teuer geworden wie ursprünglich gedacht. Nicht zuletzt, da das Projekt ein baulogistischer Albtraum war. Doch auch die Unterkellerung kostete Einiges.» Er gibt jedoch zu bedenken: «Was heute teuer ist, ist morgen ein Schnäppchen. Und wenn man in so ein Projekt investieren kann, ist das sicher nicht falsch. Gerade in Zug.»
Auch für die Architekten ein ungewöhnliches Projekt
Für Zünti Trinkler Architekten, die mit diesem besonderen Auftrag betraut wurden, ist das Tiny House in Zug ein in mehrerlei Hinsicht spezielles Projekt. Markus Trinkler, Inhaber von Zünti Trinkler Architekten Zug, erklärt: «Bevor das Wohnhaus stand, befand sich hier ein Keller, und auf diesem wiederum stand eine Pergola. In der dicht bebauten Altstadt ein neues Wohnhaus zu errichten, wo vorher keines stand, ist per se sehr ungewöhnlich.»
Die Ausgangslage für den Bau auf dieser kleinen Parzelle, umrundet von Altstadthäusern, ist schier unmöglich. Trinkler sagt: «Auf den ersten Blick dachte ich: an der Grenze des Möglichen. Dann habe ich mir die Sache genauer angeschaut und wusste: Es wird herausfordernd, aber nicht unmöglich. Hier entsteht Zuger Geschichte.»
Auch wenn der Architekt zu bedenken gibt: «Die effektive Wohnfläche beträgt 29,7 Quadratmeter. Die meisten Leute haben ein Wohnzimmer, das grösser ist.» Klein, aber aufwendig war in diesem Fall das Motto, denn: «Jedes Detail in diesem Haus existiert nur einmal. Je einfacher etwas aussieht, desto mehr steckt oft dahinter.» Auch in diesem Fall waren Planung und Umsetzung des Baus nicht ohne.
Angefangen mit der Lage mitten in der Zuger Altstadt: Bauten in diesem Bereich sind dem Ortsbildschutz unterstellt, müssen also optisch in die Gegend passen. «Aus diesem Grund war von Anfang an klar, dass es ein Haus mit Satteldach würde.» Auch stand der ursprüngliche Keller anfänglich noch im Inventar der schützenswerten Bauten. «Entsprechend musste das Amt für Denkmalpflege zunächst Abklärungen über die Schutzwürdigkeit des Baus tätigen. Relativ schnell merkte man jedoch, dass da nicht mehr viel schützenswerte Bausubstanz vorhanden ist. Deshalb wurde der Abbruch freigegeben», sagt Trinkler.
Eine gute Absprache mit den Nachbarn war unumgänglich
«Weiter brauchte es eine gute Absprache mit der Nachbarschaft», so der Architekt. «Auf zwei der vier Seiten stehen bereits Häuser direkt auf der Parzellengrenze. Eine weitere Seite grenzt an einen Garten, die vierte zeigt in den Innenhof, unter dem ein eingedolter Bach die Grundstückgrenze streift.»
Rund ein Jahr dauerte es, um die nötige Baubewilligung und die Einverständnisse der Nachbarn zu erhalten. Bis das Tiny House fertig gebaut war, verging fast ein weiteres Jahr. «Ein Problem war sicher, dass nicht zehn Leute gleichzeitig auf einer Etage arbeiten konnten, die nur 15 Quadratmeter gross ist.» Entsprechend wurde der obere Teil des Gebäudes als Holzbau vorfabriziert und per Kran aufs Haus aufgesetzt. «Für uns ist wichtig, dass sich mit dem reduzierten Aussendesign des Hauses das Gedankengut der reduzierten Wohnform eines Tiny Houses widerspiegelt», sagt Trinkler. Das sei hier gelungen, ist er überzeugt.
Das wohl kleinste Wohnhaus der Schweiz
34 Quadratmeter Grundstückfläche, davon macht die Umgebung 6 Quadratmeter aus. Trinkler sagt: «Mit seinen 29,7 Quadratmetern beheizter Wohnfläche würde ich daher sagen, dass es sich um das kleinste permanent bewohnte Wohnhaus der Schweiz handelt.» Komme dazu, dass technisch alles sehr gut ausgetüftelt sei. «Diese Kombination macht das Tiny House einzigartig in der Schweiz.»
Die Zufriedenheit ist nicht nur beim Architekten, sondern auch beim Hausbesitzer deutlich spürbar. «Dieses Tiny House übertrifft all meine Erwartungen», sagt Richard Arnold. «Ich wünschte, alle hätten einen solchen Rückzugsort zur Verfügung.»