Ein Mehrfamilienhaus im Luzerner Kleinmattquartier ist von Bettwanzen befallen. Manche Bewohner fühlen sich von der Verwaltung im Stich gelassen. Diese wiederum sieht die Schuld bei den Mietern.
Stell dir folgendes Szenario vor: Schon seit Wochen wachst du zerstochen auf, ekelst dich in deinen eigenen vier Wänden. Darum hast du die Verwaltung informiert. Sogar Experten mit Spürhunden sind in deine Wohnung gekommen. Nun hast du Gewissheit: Es sind Bettwanzen.
Die Verwaltung bittet dich, innert 24 Stunden die Wohnung zu räumen. Dir wird ein Hotel in der Nähe gezahlt, während ein Kammerjäger die Schädlinge beseitigen soll. Du musst dafür den Kühlschrank leeren, Möbel verrücken, deine Kleider auf 60 Grad waschen und Pflanzen in den Keller bringen.
Doch nach drei Tagen im Hotel ruft dich die Verwaltung an. Die Arbeit habe nicht abgeschlossen werden können, heisst es. Die Wanzen seien noch immer in deiner Wohnung – und noch in vielen anderen. Eine Schädlingsbekämpfung in allen 27 Wohnungen des Gebäudes sei notwendig. Man müsse jetzt zurück in die Wohnung.
Wann geht es weiter? Das ist erst einmal unklar.
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was die Mieter in ihren Wohnungen genau erlebt haben
So geht es etwa einem halben Dutzend Mieterinnen in einem Mehrfamilienhaus in der Kleinmattstrasse in Luzern. Sie haben zentralplus von ihren unangenehmen vergangenen Monaten berichtet. Und erklärt, wie sehr sie sich von ihrer Verwaltung im Stich gelassen fühlen. Einige gehen so weit zu sagen, Wanzen seien im Haus schon lange bekannt. Doch es sei zu wenig geschehen.
zentralplus hat entschieden, die Mieterinnen zu anonymisieren. Denn einige Bewohner fürchten, keine neue Wohnung mehr zu finden, wenn eine neue Verwaltung weiss, welches Haus sie zuvor bewohnt haben.
Bettwanzen belasten Bewohner – eine Meldepflicht gibt es nicht
Häufig werden Bettwanzen im Gepäck eingeschleppt. Sie vermehren sich rasant, sind lichtscheu, leben in Verstecken und saugen in der Nacht Blut von Menschen. Ihre Anwesenheit könne zu Angstzuständen, schweren psychischen Problemen und sozialem Rückzug bei den Bewohnern der Wohnung führen, warnt das Bundesamt für Umwelt.
Ist eine Wohnung befallen, kann nur eine professionelle Schädlingsbekämpfung den Befall tilgen. Da Bettwanzen nach heutigen Erkenntnissen keine Krankheiten übertragen, besteht in der Schweiz keine Meldepflicht. Somit ist auch das Ausmass von Bettwanzen im Land unklar. Einige Ämter sprechen in den vergangenen Jahren aber von einer starken Zunahme.
Einige Mieter sind nicht in die Wohnungen zurückgekehrt
Mieterin Lisa* lebt noch immer in einer Pension. Sie hätte sich geweigert, zurück in ihre Wohnung zu kehren, nachdem die Verwaltung die Sanierung abgebrochen hätte, sagt sie gegenüber zentralplus. «Solange es Wanzen hat, komme ich nicht zurück.» Sie ist nicht die Einzige, die sich so entschieden hat.
Den Resistenten hat die Verwaltung gemäss Aussagen von Mietern angeboten, dass sie keine Miete mehr zahlen müssen. Mit dem Gesparten sollen sie eine Unterkunft finanzieren. Doch das ist leichter gesagt als getan. Jemand ist bei Verwandten untergekommen, andere leben in einem Hotel, müssen aber draufzahlen. «Die Rechnung ist höher als meine Miete. Ausserdem gibt es kein Frühstück im Hotel. Das muss ich extra kaufen», sagt Marc*, der von staatlicher Unterstützung lebt.
Im Haus liegt überall Material zur Schädlingsbekämpfung herum
Andere Mieter sind aus Mangel an Alternativen zurückgekehrt. Ihnen soll die Verwaltung das Angebot, fernzubleiben und keine Miete zu zahlen, nicht gemacht haben. «Wir haben seither keinen erholsamen Schlaf und werden jede Nacht gebissen», sagt Akim*. Er schlafe nun im Wohnzimmer, um den Wanzen im Schlafzimmer zu entgehen.
Gleichzeitig sieht das Mehrfamilienhaus aus wie eine Baustelle. Die Schädlingsbekämpfungsfirma hat bereits Stromkabel in der ganzen Liegenschaft verlegt. Dafür wurden handtellergrosse Löcher in Haustüren von jetzt bewohnten Wohnungen gebohrt. Wann die tatsächliche Sanierung startet, hat die Verwaltung gemäss den Betroffenen nur punktuell und telefonisch verkündet.
Betroffene Mieter erzählen, die Verwaltung werde wohl im Januar die Wanzenbeseitigung fortsetzen. Die rund 20 Mietparteien in dem Mehrfamilienhaus, die vom abgebrochenen Sanierungsversuch nicht betroffen waren, wissen teils bis heute nicht, was im Haus zurzeit genau geschieht.
Verwaltung will ermitteln, wer für die Wanzen verantwortlich ist
Die zuständige Verwaltung schreibt auf Anfrage, die Bettwanzen seien «eingeschleppt» worden. Welche Mieter verantwortlich seien, werde nun abgeklärt. Zwei «Spezialfirmen» seien beigezogen worden. Mit chemischen Mitteln sei «den Schädlingen» aber nicht beizukommen. Daher würden jetzt die schweren Geschütze aufgefahren.
«In der Liegenschaft muss innerhalb von drei Wochen jede einzelne Wohnung jeweils für mindestens zwei Tage auf 60 Grad konstante Temperatur aufgeheizt werden.» Persönliche Gegenstände der Mieter müssten 48 Stunden in einen Kühlcontainer. Beginnen sollen die Arbeiten nach Neujahr. Kosten: rund 100’000 Franken. Die Organisation der Arbeiten sei «äusserst komplex» und bedürfe auch der Bewilligung «öffentlicher Stellen».
Mieter sagen: Wanzen gebe es schon länger im Haus
Einige Mieter beschuldigen dagegen die Verwaltung. Wanzen seien in einer Wohnung bereits vor mindestens einem Jahr aufgetaucht. Auch eine Schädlingsbekämpfungsfirma sei damals vor Ort gewesen. Warum die Verwaltung nicht entschiedener gegen den Befall vorgegangen sei, würden sie sich fragen. Die Verwaltung hat dazu keine Stellung bezogen.
Auch werfen die Mieter der Verwaltung vor, zu mauern. Ansprechpersonen seien schwer erreichbar, Briefe würden nicht oder zu spät beantwortet. Die Mieter würden in grosser Unsicherheit leben, was geschehe, und würden teils nicht wissen, ob und wann sie im Januar die Wohnungen verlassen müssten. Auch dazu äussert sich die Verwaltung nicht explizit.
Mieterverband: Eventuell muss der gesamte Mietzins erlassen werden
Keine Freude am Verhalten der Verwaltung hat der Mieterinnen- und Mieterverband Luzern. Co-Geschäftsleiter Daniel Gähwiler lässt sich von zentralplus die Situation schildern und stellt fest: «Die Kommunikation der Verwaltung ist sicher ungenügend. Bei solch massiven Einschränkungen sollen die Mieterinnen und Mieter zeitnah und laufend informiert werden.»
Auch hätten die Betroffenen in einer solchen Situation weitgehende Rechte: Die Vermieter seien verpflichtet, den Mangel zu beseitigen. Die Mieter könnten eine Herabsetzung des Mietzinses verlangen. Würden die Mieter einen Schaden – Übernachtungskosten oder Schäden am Mobiliar – erleiden, hätten sie zudem Anspruch auf nachträglichen Schadenersatz, sagt Gähwiler.
Gemäss Bundesgericht ist die Wohnung unter Umständen über die ganze Zeit der Wanzenbekämpfung unbewohnbar. Gähwiler schlussfolgert: «Die Vermieterschaft muss also davon ausgehen, dass bis Ende der Bekämpfung im Februar der gesamte Mietzins erlassen werden muss, auch für die wieder eingezogenen Mieterinnen und Mieter.»
Sollte der Vermieter bei Fragen zur Mietzinsreduktion oder Schadenersatz nicht kooperieren – einige Mieter berichten zentralplus so Ähnliches –, rät der Verband direkt den Gang zur Schlichtungsbehörde. Dies haben die ersten Mieter bereits vor.
hat Politikwissenschaften, Philosophie und Wirtschaft studiert und an der Universität Luzern zur Mobilität von Gesetzen geforscht. Seit 2022 bei zentralplus, zuständig für die Ressorts Bauen&Wohnen und Verkehr&Mobilität. Parallel absolviert er die «Diplomausbildung Journalismus» am MAZ Luzern.