Letzter Bewohner ist weg – 150 neue Wohnungen kommen
Vorn die Baugrube der neuen Siedlung – hinten das «Käselager», in dem kürzlich noch eine Wohngemeinschaft lebte. (Bild: kok)
Fünf Baugenossenschaften planen eine Siedlung mit14 Gebäuden an der Industriestrasse in Luzern. Die letzten Bewohner des Areals sind nun ausgezogen. Zeit, sich umzuschauen.
Wo einst Baracken standen, alternative Lebensentwürfe gelebt wurden und Techno über das verlotterte Gelände wummerte, liegen inzwischen die neuen Fundamente einer Genossenschaftssiedlung mit Läden, Kulturangeboten und 151 Wohnungen.
Vor 13 Jahren votierte das Stadtluzerner Stimmvolk für günstigen Wohnraum und Kultur auf dem Areal an der Ecke Geissensteinring/Industriestrasse. Die Stadt gab das Areal im Baurecht an die Kooperation Industriestrasse Luzern, ein Verband aus fünf gemeinnützigen Wohn- und Baugenossenschaften.
Viele Jahre planten die Beteiligten an der Siedlung, seit über einem Jahr wird gebaut. Das Untergeschoss steht bereits, auch die Fundamente sind fertig, wie ein Besuch Mitte Februar zeigt.
Ab Juni sollen die ersten der zehn Neubauten in die Höhe wachsen. Ausserdem sollen vier Gebäude auf dem Areal saniert werden. Eines davon ist das ehemalige «Käselager» an der Industriestrasse 9 – in dem kürzlich noch Menschen lebten.
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Wohngemeinschaft ist über neue Siedlung gespalten
Die letzten Bewohner des Hauses, das seit Jahrzehnten ein Zentrum autonomer Kultur war, hätten ihre Wohngemeinschaft vor wenigen Wochen verlassen, berichtet Christoph Weber, während er an der Baugrube steht. Er ist Gesamtkoordinator der Kooperation.
Freiwillig? «Natürlich», sagt er, «Bewohnerinnen und Bewohner haben das Projekt mit lanciert.» Und tatsächlich: Einige von ihnen sind heute Teil der «Gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft Industriestrasse (GWI)», die mit zwei Neubauten an der Siedlung beteiligt ist und darin «Hallenwohnen» plant (zentralplus berichtete). Weber findet daher: «Der Geist der Gemeinschaft geht nicht vergessen.»
Andere Mitglieder der alternativen WG haben sich widersetzt. Das Kulturmagazin «Kultz» berichtete über «interne Spaltungen» in der Wohngemeinschaft. Übergangsangebote seitens GWI seien nicht angenommen worden. Es ist nicht klar, wer zurückkehren will. Am Eingang des «Käselagers» prangt ein Schild: «Keine Vertreibung der Kultur!»
Dies zeigt: Mit dem Neubauprojekt hat man es nicht allen recht machen können. Vielen aber schon. Denn was an der Industriestrasse entsteht, könnte man als Vorzeigesiedlung bezeichnen.
Wenig Parkplätze, günstige Mieten, ruhiges Gewerbe
Alle zehn neuen Gebäude werden im Holzhybridbau errichtet. Für 151 Wohnungen sind nur 27 Parkplätze in der Einstellhalle geplant. Und die Vermietung erfolgt per Kostenmiete und nach den Regeln der einzelnen Genossenschaften – ein zentraler Wohnungsfinder soll noch dieses Jahr online gehen.
Im gesamten Erdgeschoss der Siedlung ist Gewerbe geplant, ausserdem noch zehn Prozent Kultur. Zwei städtische Kindergärten und eine Kita stehen bereits fest. Der Rest sei offen, so Weber, nur nicht Gastronomie. Davon gebe es in der Nähe genug. Ein kleines Café dagegen sei denkbar.
Informationen zum Stand der Baukosten gibt die Kooperation nicht. Denn jede der fünf Genossenschaften finanziert ihre Gebäude selbst. Die Gesamtkosten bezifferten Beteiligte zuletzt auf 97 Millionen Franken. Pünktlich zum Jahreswechsel 2026/27 soll die Siedlung fertig sein.
Gemeinnützige Eigentumswohnungen? Ja, die gibt es
Für einige der neuen Wohnungen wird zudem eine besondere Form des Eigentums ausprobiert.
Was das heisst, erklärt Adrian Achermann direkt im Planungsbüro der Kooperation. Ein grosses Modell der Siedlung ist mitten im Raum aufgebaut. Früher arbeitete in dem Gebäude an der Industriestrasse 15 Sinnlicht, ein Leuchtenhersteller, der auch die Technopartys auf dem Gelände veranstaltete (zentralplus berichtete).
Achermann ist Geschäftsführer von Wohnen Schweiz, einem Verband für Baugenossenschaften mit Hauptsitz in der Stadt Luzern. Der Verband hat am 1. Februar die Geschäftsführung der Kooperation übernommen.
Die neue Form von Eigentum nennt der 46-Jährige «gemeinnütziges Wohneigentum». Vier Maisonettewohnungen sollen im Stockwerkeigentum verkauft werden, allerdings ohne Anteil am Grund und mit einem Rückkaufrecht für die Genossenschaft.
«So können die Bewohner die Wohnung wie ihre eigene behandeln, zum Beispiel eine Küche einbauen, aber bei einem Verkauf keinen Gewinn erzielen.» Denn der Rückkaufpreis sei fixiert. «Zum ersten Mal ist eine Art Stockwerkeigentum gemeinnützig», sagt Achermann. Er nennt das «out of the box» denken.
Dass Genossenschaften zusammenarbeiten, wird immer üblicher
Weniger innovativ, dafür voll im Trend, ist, dass an der Industriestrasse fünf Baugenossenschaften gemeinsam arbeiten. Dies sind ABL, Wohnwerk, die liberale Baugenossenschaft, GWI und Wogeno.
Achermann hält das Modell für zukunftsträchtig: «Beim Dachverband erleben wir es oft, dass kleine Genossenschaften wachsen wollen, aber ein ganzes Baufeld für sie zu gross ist.» Dann könne so eine Zusammenarbeit ein Projekt ermöglichen.
Das zeigt zum Beispiel auch ein Fall aus Kriens. Für neue Wohnungen auf dem Bell-Areal haben vor Kurzem vier lokale Baugenossenschaften gemeinsam eine Bewerbung bei der Eigentümerin eingereicht. Allein hätten sie die Projektgrösse wohl nicht stemmen können.
Doch ist so ein Schulterschluss so leicht? Locker sagt Gesamtkoordinator Christoph Weber: «Jede Genossenschaft bringt ihr eigenes Mindset mit.» Davon profitieren am Ende die ganze Siedlung und das Projekt. Fast klingt es wie früher in der Industriestrasse: Gemeinschaft statt Vereinzelung. Bald werden die Häuser wachsen.
hat Politikwissenschaften, Philosophie und Wirtschaft studiert und an der Universität Luzern zur Mobilität von Gesetzen geforscht. Seit 2022 bei zentralplus, zuständig für die Ressorts Bauen&Wohnen und Verkehr&Mobilität. Parallel absolviert er die «Diplomausbildung Journalismus» am MAZ Luzern.