Besetztes Haus

Leerkündigung: Jetzt reden Ex-Bewohner der Bruchstrasse 64

In einem desolaten Zustand ist diese Wohnung zweifellos nicht. Trotzdem wurde den Mietern an der Bruchstrasse 64 wegen einer Kernsanierung gekündigt. (Bild: zvg)

Die ehemaligen Bewohnerinnen des besetzten Hauses an der Bruchstrasse wurden unter dem Vorwand einer Renovierung auf die Strasse gestellt. Jetzt berichten sie, was an der Bruchstrasse seit vier Jahren schiefläuft.

Eine Vier-Zimmer-Wohung an der Bruchstrasse mit Keller, Estrich, Waschraum sowie einer Gemeinschafts-Dachterrasse. Was die Miete wohl kostet? 2’000 Franken? 2’500 Franken? Weit gefehlt. Spottbillige 780 Franken zahlten Maria* und Andreas für eine solche Wohnung an der Bruchstrasse 64 – jenem Haus, das seit knapp einem Monat besetzt ist. Nebenkosten inklusive.

Ihre Nachbarn, Fabienne und Michael, zahlten mit 1’000 Franken Miete zwar etwas mehr. Trotzdem ist auch dieser Mietpreis im Vergleich zu den heutigen Preisen auf dem Wohnungsmarkt geradezu lächerlich tief.

Kein Wunder, dass sich die beiden Paare wohlfühlten in diesem Haus. Und ihre Wohnung fast schon liebten. Doch die Beziehung zur Bruchstrasse 64 nahm für beide ein unschönes Ende. Das Unheil begann am 25. Mai 2018 mit einem unschuldigen Brief.

Bewohnerinnen wurde innerhalb einer Woche gekündigt

Darin teilte die damalige Verwaltung den Bewohnerinnen des Hauses mit, dass die Hauseigentümer, die Familie Davis & Guggenheim, das Haus an die Immobilienfirma T-Industries verkauft hat. So weit, so gut. Doch der grosse Schock folgte lediglich eine Woche später.

Am 1. Juni 2018 flatterte ein Kündigungsschreiben der neuen Verwaltung ins Haus. Per 30. September 2018 wurde sämtlichen Bewohnern das Mietverhältnis gekündigt. Der Grund: Die neue Eigentümerin wollte das Haus einer umfassenden Kernsanierung unterziehen (zentralplus berichtete).

«Von einem desolaten Zustand der Wohnungen, wie es die Verwaltung nannte, kann sicher nicht die Rede sein.»

Michael, ehemaliger Bewohner Bruchstrasse 64

Eigentümerin plante umfassende Kernsanierung

Das sorgt bei Michael auch heute noch für Kopfschütteln: «Klar war das Haus in die Jahre gekommen. Aber die Wohnungen befanden sich noch immer in einem guten Zustand.» Das zeigen auch die Bilder aus Michaels Wohnung. Ein intaktes Fischgrat-Parkett, einwandfreie Stuckaturen an der Decke. «Von einem desolaten Zustand, wie es die Verwaltung nannte, kann sicher nicht die Rede sein», fügt Michael an (zentralplus berichtete).

Maria bestätigt: «Wir hatten kurz vor der Kündigung gemeinsam das gesamte Treppenhaus neu gestrichen. Wir alle hatten dieses Haus so gerne, dass wir immer gut dazu geschaut haben.» Auch aus statischen Gründen sei eine Kündigung nicht gerechtfertigt gewesen. Die Bausubstanz des Hauses sei intakt, bekräftigen die vier ehemaligen Bewohner.

«Anstatt einer Vier-Zimmer-Wohnung in Luzern bot uns die Verwaltung eine 1,5-Zimmer-Wohnung in Olten an.»

Maria, ehemalige Bewohnerin Bruchstrasse 64

Doch die neue Eigentümerschaft hatte andere Pläne. Ein Lift sollte her im Innenhof. Sämtliche Wasser- und Stromleitungen sollten ersetzt, die Böden aufgerissen und eine Bodenheizung eingebaut werden. Neue Küchen mit Induktionsherd, Geschirrspüler und Waschtürmen – versteht sich fast von selbst.

Bewohnerinnen wehren sich erfolgreich

Nur: Eine solch umfassende Kernsanierung bedarf zwingend eines Baugesuchs. Ein solches lag aber nie vor. Also wehrten sich die Bewohnerinnen vor der Schlichtungsbehörde. Sie bezeichneten die Kündigung als «missbräuchlich» und forderten eine Verlängerung des Mietverhältnisses. Und tatsächlich konnten sich die Bewohner und die Eigentümer vor der Schlichtungsbehörde einigen.

Das Mietverhältnis wurde um ein Jahr verlängert, zudem zahlte die Eigentümerin einen Schadensersatz von 10’000 Franken pro Partei. Immerhin: Bei den bestehenden Mietpreisen entsprach dies mehr oder weniger einem Jahr gratis Wohnen. Zudem bot die Verwaltung Hilfe bei der Wohnungssuche an und stellte Ersatz in Aussicht. Eine reine Alibi-Übung, wie sich herausstellte: «Anstatt einer Vier-Zimmer-Wohnung in Luzern boten sie uns eine 1,5-Zimmer-Wohnung in Olten an», erinnert sich Maria.

Die Einigung war zudem mit dem Versprechen verbunden, dass die Eigentümerin die Sanierung des Hauses direkt nach dem Auszug der Bewohnerinnen in Angriff nimmt. «Und es wurde uns gesagt, dass wir als Erste informiert würden, wenn die renovierten Wohnungen wieder zu vermieten seien», berichtet Andreas.

Bruchstrasse 64 dient als Spekulationsobjekt

Doch bekanntlich kam alles anders. Bis heute ist kein Baugesuch für die Bruchstrasse 64 eingereicht worden. Dafür hat das Haus in der Zwischenzeit zwei weitere Male den Besitzer gewechselt. Erst verkaufte die T-Industries das Haus an die Firma Crowdhouse. Fabienne erzählt: «Offenbar hat es sich um ein unschlagbares Angebot gehandelt. Die T-Industries versicherte uns, dass sie das Haus ansonsten wirklich renovieren wollten. Aber dieses Angebot konnten sie nicht ablehnen.»

«Die jetzige Besetzung ist zwar illegal. Aber sie macht auf das Problem der Immobilienspekulation aufmerksam. Und das ist gut so.

Andreas, ehemaliger Bewohner

Die Firma Crowdhouse wiederum verkaufte das Haus nur wenig später an das Immobilienunternehmen Corgi Real Estate, das dem Sika-Erben Fritz Burkard gehört. Die jeweiligen Kaufpreise sind zwar nicht offiziell bekannt. Michael meint aber, dass das Haus in den 2000er-Jahren einen Wert von rund 1,2 Millionen Franken hatte. Nun schätze Burkard den Kaufpreis auf 6,4 Millionen Franken. Eine Verfünffachung des Werts innerhalb von zwanzig Jahren.

«Dieses Haus steht als Sinnbild für die problematische Entwicklung des Immobilienmarkts», fasst die ehemalige Bewohnerin Maria zusammen. «Auf der einen Seite stehen diese professionellen und reichen Immobilienfirmen, die sich hinter einem Heer aus Anwälte und ihrem Recht auf Privateigentum verstecken. Und auf der anderen Seite stehen wir Luzerner, die sich das Wohnen in der Stadt bald nicht mehr leisten können.» Für sie ist darum klar, dass die Politik aktiv werden und den Immobilienmarkt regulieren muss.

Sympathien für die Besetzung

Die vier sind mittlerweile in andere Wohnungen in der Stadt eingezogen. Mit einer Rückkehr in die Bruchstrasse 64 rechnet niemand mehr von ihnen. Dass die Corgi Real Estate demnächst ein Baugesuch einreichen werde, wie die Firma vor wenigen Tagen behauptete, bezweifeln sie. Darum sympathisieren die ehemaligen Bewohner mit ihren jetzigen «Nachmietern» an der Bruchstrasse.

Andreas führt aus: «Wir haben auf dem legalen Weg alles versucht, um im Haus zu bleiben. Das hat nicht funktioniert. Die jetzige Besetzung ist zwar illegal. Aber sie macht auf das Problem der Immobilienspekulation aufmerksam. Und das ist gut so.»

*Namen auf Bitte der ehemaligen Bewohnerinnen geändert. Zwar möchten sie eigentlich gerne mit ihrem Namen auf das Problem aufmerksam machen. Doch die vier befürchten Schwierigkeiten bei einer künftigen Wohnungssuche, sollten sie mit ihrem echten Namen erwähnt werden. Darum die Pseudonyme.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Maria, Fabienne, Michael und Andreas
  • Unterlagen, Mietverträge, Briefverkehr zwischen Bewohnern und Verwaltung
  • Entscheid der Schlichtungsbehörde
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13 Kommentare
  • Profilfoto von Peter Omachen
    Peter Omachen, 14.07.2022, 15:39 Uhr

    Immerhin ist jetzt die lächerliche Vermutung eines Kommentarschreibers vom Tisch, die Renovation verzögere sich sicher wegen den horrenden Anforderungen der städtischen Denkmalpflege.

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  • Profilfoto von Müller
    Müller, 14.07.2022, 12:23 Uhr

    Altbau null Komfort, was für ein blöder Vergleich,,

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  • Profilfoto von Roger Brücker
    Roger Brücker, 13.07.2022, 19:17 Uhr

    Es gibt kein Recht in einer Mietwohnung zu einem Mietpreis jenseits von gut und böse zu wohnen. Die Herrschaften die sich hier beschweren konnten jahrelang von einer absolut unterdurchschnittlichen Miete profitieren, während andere eine marktgerechte Miete zahlen mussten. Es ist abstossend als Geringverdiener sowas lesen zu müssen.

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    • Profilfoto von Yolanda
      Yolanda, 13.07.2022, 23:16 Uhr

      Gehts mir nicht gut, muss es den anderen schlechter gehen

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    • Profilfoto von Heinz Gadient
      Heinz Gadient, 13.07.2022, 23:54 Uhr

      Es geht hier nicht um den Preis einer Mietwohnung, der ja angemessen wäre. Es geht um die Spekulanten.

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    • Profilfoto von Kommentarschreiber
      Kommentarschreiber, 14.07.2022, 07:35 Uhr

      @Roger Brücker
      Gerade Sie als «Geringverdiener» sollten doch sehr daran interessiert sein, dass Wohnen nicht rücksichtsloser, wilder und ruinöser Spekulation ausgesetzt ist! Oder lässt Ihr Rechtsverständnis kein Recht auf Wohnen zu? Ihr Kommentar ist Wasser auf die Mühlen der Akteure solcher Machenschaften und mir ein Rätsel, warum ein «Geringverdienender» so denkt. Vielleicht überprüfen Sie einmal Ihre politische Gesinnung und denken darüber nach, welche politischen Akteure eher Ihre Interessen vertreten.

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      • Profilfoto von Goeggeler
        Goeggeler, 19.07.2022, 09:06 Uhr

        Vielleicht denkt der «Geringverdiener» normal und nicht heuchlerisch.

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    • Profilfoto von Bin zu arm um selber zu kaufen
      Bin zu arm um selber zu kaufen, 14.07.2022, 07:49 Uhr

      Gerade den Spekulanten verdanken wir, dass Häuser überhaupt gebaut werden. Ohne Aussicht auf eine (mögliche aber nicht garantierte) Rendite hätte es noch weniger Wohnraum für uns Mieter.

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      • Profilfoto von Kommentarschreiber
        Kommentarschreiber, 14.07.2022, 08:12 Uhr

        @bin zu arm….
        Als vermietender Hausbesitzer ist Ihr Kommentar ein Affront, vielen Dank! Man muss nicht Spekulant sein, um preislich vernünftigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, so ein Quatsch. Ihr Kommentar ist billigste Provokation.

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      • Profilfoto von Zu arm
        Zu arm, 14.07.2022, 09:51 Uhr

        Seien sie doch ehrlich: wenn ihre Vermietung ein Verlustgeschäft wäre, würden sie damit nicht aufhören?

        Es ist nichts schlecht daran ein Spekulant zu sein. Ohne Spekulation hätten wir auch keine Wirtschaft. Gewinn darf und muss sein, Vermieter sein ist ja nicht risikolos.

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      • Profilfoto von Kommentarschreiber
        Kommentarschreiber, 14.07.2022, 11:57 Uhr

        @zu arm….
        Ihre Kommentare werden immer abenteuerlicher und lächerlicher. Selbstverständlich muss ich als Vermieter dafür sorgen, dass die Vermietung kein Verlustgeschäft ist. Eine Insolvenz bringt weder der Mieterschaft noch mir etwas. Machen Sie sich doch einmal gescheit über den Unterschied von «Kostenmiete» und «Renditenoptimierung» und informieren Sie sich über den Begriff «Spekulation».

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    • Profilfoto von C. Bucher
      C. Bucher, 14.07.2022, 09:02 Uhr

      In der Schweiz dürfen Vermieter gemäss Gesetz nicht mehr als ungefähr 2 Prozent (wie viel genau?) Profit aus Immobilien machen. Wohnen ist ein Grundrecht, darum wurde die Höhe des erlaubten Profits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesetzlich beschränkt. Nur gibt es seit einigen Jahrzehnten keine Mietpreiskommissionen mehr, die die Einhaltung dieses Rechts kontrollieren könnten.
      Sogenannte «Marktmieten» sind in aller Regel «illegal», sie machen viel mehr Rendite mit Mietwohnungen als gesetzlich erlaubt wäre!
      Wirklich fair wären Kostenmieten.
      Im Bruchquartier waren bis vor dreissig Jahren sehr viele Mieten so tief oder noch tiefer – und trotzdem schrieben die Hauseigentümer schwarze Zahlen. Dies als «gratis Wohnen» (wie im Artikel) zu bezeichnen, ist auch etwas verzerrend. Tausend Franken im Monat sind schliesslich eine Stange Geld – für viele ist das so!

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      • Profilfoto von Sandra Klein
        Sandra Klein, 14.07.2022, 09:21 Uhr

        Aktuell sind es 3,25 Prozent Rendite, die zulässig sind. Gemäss einem Bundesgerichtsurteil von 2020 dürfen Vermieter als Maximalrendite höchstens zwei Prozentpunkte mehr als den gesetzlichen Referenzzinssatz verlangen.

        Das Problem ist jedoch, dass sich die Vermieter halten nicht ans Gesetz halten, und der Staat kontrolliert sie nicht. Die Mieten werden bei einem Mieterwechsel oft trotz sinkender Kosten nach oben angepasst. Auch die Senkungen des Referenz-Zinssatzes wurden in den letzten Jahren nur in einem von sechs Mietverhältnissen zumindest teilweise weitergegeben. Und das rechte Parlament arbeitet derzeit intensiv daran, dass «Marktmieten» (also viel höhere) zukünftig erlaubt sein werden. Heisst: Hohe Rendite für Versicherungen, Banken und Immobilienhaie, massiv höhere Kosten für alle, die sich kein Wohneigentum leisten können.

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