Abriss der Rigistrasse-Blöcke in Baar

Inwil: So will die V-Zug den Mietern die Angst nehmen

Beat Weiss (l.) und Christoph Graf, Projektverantwortliche des Inwiler Projekts, nehmen die Sorgen der Bewohner ernst. (Bild: wia/zvg)

Die Scheibenhäuser an der Rigistrasse in Inwil ZG sollen verschwinden. Die Mieter der 216 Wohnungen sind verunsichert, für eine 5-Zimmer-Wohnung bezahlten sie teilweise lediglich 1500 Franken. Wie die Projektverantwortlichen auf die Ängste und Sorgen ihrer Mieter eingehen wollen.

Wie reisst man vier Blöcke mit insbesamt 216 preisgünstigen Wohnungen ab, ohne dass dabei Hunderte von Menschen in die Bredouille geraten respektive auf die Strasse gestellt werden? Mit dieser schwierigen Frage beschäftigen sich aktuell die Pensionskasse der V-ZUG sowie die Zürcher Pensionskasse BVK. Ihnen gehören die Wohnblöcke an der Rigistrasse in Inwil bei Baar, welche in einigen Jahren abgerissen, respektive neu gebaut werden (zentralplus berichtete).

Vor wenigen Wochen wurde das Richtprojekt vorgestellt. Dabei war spürbar, dass sich die anwesenden Mieterinnen weniger um die architektonischen Finessen und vielmehr um die Frage scheren, ob und inwiefern für sie ein künftiges Leben an der Rigistrasse möglich ist. An diesem Abend wurde klar: Die Bewohner der Scheibenhäuser lieben ihr Quartier, viele können es sich nicht vorstellen, woanders zu leben. Insbesondere, weil für viele von ihnen das Wohnen in Zug zu marktüblichen Mietpreisen nicht möglich ist.

Bewohner hängen an ihren Wohnungen

Der erste Abriss erfolgt frühstens 2026. Weil jedoch bei vielen Mietern bereits jetzt Unsicherheit herrscht, wollen die Verantwortlichen nun reagieren. zentralplus hat das Gespräch mit Beat Weiss und Christoph Graf, den Projektverantwortlichen aufseiten der Pensionskasse der V-ZUG AG, gesucht.

«Die Wohnungen genügen aus fachlicher Sicht den heutigen Anforderungen nicht mehr.»

Beat Weiss, Projektverantwortlicher

zentralplus: Als das Richtprojekt vorgestellt wurde, spürte man die Anspannung der Bewohner sehr stark. Können Sie das nachvollziehen?

Weiss: Ja absolut, ich verstehe das sehr gut. Würde das Projekt meine eigene Wohnung betreffen, hätte ich diese Bedenken ebenfalls. Es ist bemerkenswert, wie sehr die Bewohner an ihren Wohnungen hängen. Dies, obwohl sie aus fachlicher Sicht den heutigen Anforderungen nicht mehr genügen.

zentralplus: Tatsächlich ist es auffällig, wie viele Menschen an der Rigistrasse aufgewachsen und später dort geblieben sind. Oft schwingt Stolz mit, wenn jemand sagt, er oder sie wohne bereits seit 50 Jahren in den Blöcken. Wie schätzen Sie das ein?

Weiss: Ich glaube, viele schätzen die bestehenden Wohnungen und Grundrisse. In diesem Preissegment gibt es nicht beliebig viele Alternativen. Ich nehme auch an, dass sich über die Jahre eine angenehme Nachbarschaft eingestellt hat.

Etappierung soll Entspannung bringen

An der Rigistrasse wird etappiert gebaut. Das heisst: Zuerst wird Scheibenhaus A im Südwesten dem Erdboden gleichgemacht. Dann folgt Haus B im Südosten. Geplant ist es demnach, dass die Bewohner von Haus B ins bereits fertiggestellte Haus A einziehen, dasselbe gilt für die Bewohnerinnen der Häuser C und D bei den nachfolgenden Etappen.

Dies könnte insbesondere deshalb klappen, weil die Kapazität in den neuen Hochhäusern um ein Drittel höher ist als in den heutigen. Grundsätzlich müssen sich «nur» die 54 Mietparteien von Haus A (zumindest für die Bauzeit) eine neue Bleibe an einem ganz anderen Ort suchen.

zentralplus: Die vier bestehenden Blöcke werden gestaffelt abgerissen (siehe Box). Dies, damit es möglich ist, dass die heutigen Einwohner selbst während der Bauzeit möglichst im Quartier wohnen können. Als das Richtprojekt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, warf jemand aus dem Publikum die Frage auf, ob es ein klares Konzept, also ein Mietermanagement, dafür gäbe. Die Frage wurde mit einem vagen Ja beantwortet. Können Sie das genauer erläutern?

Weiss: Das ist der springende Punkt. Es gibt zu diesem Zeitpunkt noch kein konkretes, pfannenfertiges «Mietermanagement», je nach dem, was man darunter verstehen würde. Das erste Haus wird frühestens 2026 abgerissen. Wir arbeiten mit der Gemeinde seit einigen Jahren am Bebauungsplan, der erst die rechtliche Grundlage für die in der Folge entwickelten konkreten Bauprojekte darstellt. Daher sind die konkreten neuen Bauten und Wohnungen noch nicht definiert. Wir sind also heute noch weit entfernt davon, von einem Matching zwischen Mietern und Wohnungen zu sprechen. Es wäre komisch, Versprechungen zu machen, die wir allenfalls nicht einhalten können. Trotzdem sind wir überzeugt, bis heute unser Bestmögliches unternommen zu haben.

«Wir haben auch schon andere Liegenschaften als mögliche Ausweichorte für die Mieter ins Visier genommen.»

Christoph Graf, Projektleiter Pensionskasse V-Zug

zentralplus: Heisst?

Weiss: Wir haben während des bisherigen Prozesses so gut wie möglich Rücksicht genommen auf die Bedürfnisse der Bewohner. So etwa während der Wettbewerbsausschreibung und der Jurierung. Wir sind überzeugt vom Gewinnerprojekt. Auch bei der Vorstellung des Richtprojekts konnten die Mieterinnen ihre Bedenken äussern und viele Inputs und Anregungen der Bewohnerschaft flossen in die Planung ein. Abgesehen davon: Allein die Tatsachen, dass überhaupt etappiert gebaut wird, dass 30 Prozent der Wohnungen preisgünstig sein werden und dass 30 Prozent mehr Wohnungen entstehen sollen, zeugen davon, dass wir das Projekt möglichst sozialverträglich umsetzen möchten. Das war unser grosses Anliegen.

Graf: Die BVK und die PK V-ZUG waren sich von Anfang an über die Wichtigkeit dieses Anliegens einig. Aus diesem Grund haben wir auch schon andere Liegenschaften als mögliche Ausweichorte für die Mieter ins Visier genommen.

zentralplus: Gibt es da bereits konkrete Lösungen?

Weiss: Wir sind derzeit an vielen Bauprojekten dran. Allein im geplanten Hochhaus Pi an der Baarerstrasse entstehen 220 Wohnungen. Weitere Projekte rund um den Technologiecluster sind geplant, darunter auch Mischnutzungen.

Graf: Sowohl die PK V-ZUG als auch die BVK verfügen zudem über bestehende Liegenschaften in der Region. Wir denken, dass wir einige Fälle durch die normale Fluktuation dort abfedern können. Es ist aktuell auch in diesem Bereich noch zu früh, um Genaues zu sagen, gerade bezüglich der geplanten Neubauten.

zentralplus: Bei der Frage der temporären Verteilung der Mieterinnen auf andere Gebäude respektive auf andere Liegenschaften der Pensionskasse obliegt Ihnen nicht die alleinige Verantwortung. Der BVK gehört der älteste und sanierungsbedürftigste der vier Blöcke. Wie empfinden Sie diese Zusammenarbeit?

Weiss: Anfangs kannten wir die BVK respektive die Verantwortlichen dahinter nicht persönlich. Verglichen mit der V-ZUG Pensionskasse handelt es sich um eine vielfach grössere Organisation, auch wenn an der Rigistrasse die Kräfteverhältnisse umgekehrt sind. Bisher haben wir sehr gut mit ihr zusammengearbeitet, auch wenn es um viele schwierige Entscheide ging. Etwa die Frage, wie die Landflächen verteilt werden sollen, wo die Kita, der Kindergarten und der Laden zu stehen kommt. Das Comittment der BVK gegenüber diesem Projekt ist, genau wie unser eigenes, sehr hoch.

zentralplus: Die heutigen Mieter zahlen, gerade für Zuger Verhältnisse, sehr wenig. Da gibt es etwa 5-Zimmer-Wohnungen, die kaum 1500 Franken kosten. Künftig sollen 30 Prozent der Wohnungen preisgünstig werden. Bloss: In Zug gilt eine 5-Zimmer-Wohnung auch mit einem Mietpreis von 2500 Franken als preisgünstig. Dass Bewohner mit kleinem Budget nervös werden, ist daher verständlich.

Graf: Man muss ehrlich sein. Wer seit 30 bis 40 Jahren in einer Wohnung ist, der zahlt eine sehr tiefe Miete, die ausserdem durch den sinkenden Referenzzinssatz noch tiefer wurde in den letzten Jahren. Das ist jedoch in jeder Wohnsiedlung so. Wohnungen, die in den letzten Jahren wiedervermietet wurden, befinden sich jedoch auf dem heutigen Marktniveau für einen vergleichbaren Standard.

«Wir empfinden es nicht als unfair, wenn es eine Korrektur nach oben gibt, so lange sie im verträglichen Rahmen liegt.»

Beat Weiss

Weiss: Natürlich ist ein Kostenanstieg für Betroffene unangenehm, doch gleichzeitig ist das eine Realität. Wir empfinden es nicht als unfair, wenn es eine Korrektur nach oben gibt, so lange sie im verträglichen Rahmen liegt. Zumal auch die Qualität der Wohnungen in den Neubauten deutlich besser wird.

zentralplus: Dennoch kann man wohl davon ausgehen, dass künftig weniger kostengünstiger Wohnraum vorhanden sein wird?

Graf: Betreffend der 30 Prozent kostengünstiger Wohnraum ist Folgendes zu berücksichtigen: Heute verfügt die Siedlung über 216 Wohnungen. Künftig sind es rund 350 Wohnungen. Somit werden rund 120 Wohnungen preisgünstig. Die Wohnungen, welche nicht in diese Pflicht fallen, werden keine Luxuswohnungen. Auch diese sollen erschwinglich sein.

zentralplus: Was können Mieterinnen, die bereits jetzt wissen, dass sie im Quartier bleiben möchten, unternehmen?

Weiss: Wir möchten die Mieter bald aktiv anschreiben, gerade hinsichtlich der spürbaren Verunsicherung am vergangenen Anlass. Wir möchten reagieren, so lange das Thema warm ist.

«Wir sind uns bewusst, dass in den kommenden Jahren viel passieren kann.»

Christoph Graf, Projektverantwortlicher

zentralplus: Worum soll es bei der Kontaktaufnahme konkret gehen?

Weiss: Wir werden die Mieterinnen auffordern, mit uns zu besprechen, was ihre Bedürfnisse sein könnten in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Mit einer gewissen Regelmässigkeit möchten wir später mit diesen im Kontakt bleiben, um abzugleichen, ob sich die Bedürfnisse verändert haben.

Graf: Wir sind uns bewusst, dass in den kommenden Jahren viel passieren kann. Plötzlich ist jemand doch nicht mehr alleinstehend, sondern in einer Partnerschaft und hat vielleicht Kinder. Dann verändern sich die Wohnbedürfnisse natürlich. Oder umgekehrt: Vielleicht braucht jemand doch eine kleinere Wohnung, weil er oder sie getrennt lebt.

zentralplus: Nicht alle der Bewohner sprechen Deutsch. Dies wiederum könnte zu grösserer Unsicherheit bei den Betroffenen führen. Wie geht man mit dieser sprachlichen Hürde um?

Graf: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass bei Anlässen Leute in solchen Fällen ihre Kinder zum Übersetzen mitnehmen, welche ebenfalls in den Scheibenhäuser aufgewachsen sind. Die Liegenschaftsverwaltung ist ja auch in Kontakt mit allen Mietern und das funktioniert. Sollte der schriftliche Austausch nicht funktionieren, besteht immer noch die Möglichkeit einer persönlichen Erläuterung der Situation, damit sie dort jemanden zum Übersetzen mitnehmen können. 

Weiss: Bezüglich den sprachlichen Barrieren hat die V-ZUG bereits Erfahrung. Gemäss unserer Erfahrung kann man auch kommunizieren, wenn die Leute nicht perfekt Deutsch sprechen.

«Allein aufgrund der Baustruktur müssen wir handeln. Der Status quo kann nicht unendlich andauern.»

Beat Weiss

zentralplus: Mehrmalige Kontaktaufnahmen mit den einzelnen Wohnparteien dürften für die V-Zug ziemlich zeitaufwendig werden. Hat man sich das so vorgestellt?

Weiss: Das ist tatsächlich sehr aufwendig. Aber: Das Projekt und die Bewohner verdienen es, dass man dafür viel Aufwand betreibt. Es muss auf allen Ebenen stimmig werden. Architektonisch und während der Bauabläufe, aber auch aus sozialer Sicht. Mir ist es wichtig, dass die Bewohner nicht in ein falsches Feindbild verfallen und glauben, wir täten ihnen etwas zuleide. Allein aufgrund der Baustruktur müssen wir handeln. Der Status quo kann nicht unendlich andauern. Wir möchten den Mietern eine gute Lösung anbieten.

Das sagt die Gemeinde Baar zum Thema

«Der Gemeinderat setzt sich dafür ein, dass die Wohnungen in den Neubauten erschwinglich bleiben», heisst es vonseiten der Gemeinde Baar. Sie verweist dabei auf das geltende Wohnraumförderungsgesetz. Diesem werde von der Grundeigentümerschaft mit den geplanten 30 Prozent kostengünstigen Wohnungen Rechnung getragen. Zudem gelte ein Vormieterrecht auf den neuen Wohnungen.

Und weiter: «Der Gemeinderat wird die Situation im Auge behalten und die Einhaltung der oben genannten Leitsätze und Verpflichtungen einfordern. Dem Gemeinderat ist aber bewusst, dass die Nachfrage nach preisgünstigen Wohnungen in der Gemeinde Baar das Angebot übersteigt.»

Dem Gemeinderat sei es ein Anliegen, dass das Areal Rigistrasse sozial durchmischt bleibe und preisgünstigen Wohnraum biete. Dies könne mit dem Bebauungsplan gewährleistet werden. Dem Gemeinderat sei es zudem ein Anliegen, dass sich das Areal gegen den Ortskern Inwil öffne und besser an ihn angebunden sei.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Beat Weiss und Christoph Graf
  • Informationen zum Bauprojekt
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