In diesem reichen Luzerner Quartier gelten eigene Regeln
Servitute sind teils uralte Bestimmungen, wie ein Grundstück bebaut werden darf. In Luzern stehen solche Sonderregeln zur Debatte – deren Ausmass ist aber unbekannt.
Kaum ein Luzerner Quartier ist so gesegnet wie Bellerive. Seine mondänen Strassen erstrecken sich über dem Vierwaldstättersee, sie sind gesäumt von Villen, die mehr Sonne abbekommen als der Rest der Stadt. Hier zu leben, ist ein Privileg, dessen Luxus ein uraltes Recht schützt.
Sämtliche 63 Grundstücke im Bellerivequartier sind von einer quartierweiten Baubeschränkung betroffen. So schreibt es der Luzerner Stadtrat in einer aktuellen Stellungnahme auf zwei Vorstösse der Grünen und jungen Grünen.
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was Enteignungen mit den Baubeschränkungen zu tun haben
wie schwer er ist, die Regeln aufzuheben
wie die Beschränkungen der inneren Verdichtung im Weg stehen sollen
Darin kritisieren sie eine «Schattenbauordnung» in der Stadt Luzern, die verdichtetem Bauen im Weg stünde: die Quartierservitute. Sie fordern die Stadt auf, diese Sonderregeln – wo möglich – abzuschaffen und in einem Bericht aufzuzeigen, wo überall in der Stadt sie gelten.
Will die Gemeinde ein Servitut aufheben, muss sie enteignen
Servitute sind privatrechtliche Beschränkungen. Sie regeln, wie hoch Gebäude auf einem Grundstück seien dürfen oder wie sie aussehen müssen. Die allgemein festgelegten Regeln in der Bau- und Zonenordnung werden ausgehebelt.
Rückgängig machen lassen sich die teils uralten Regeln nur schwer. Nur wenn die Gemeinde alle Eigentümer um die Servitut enteignet – das Recht, nicht das Grundstück – lässt sich die Beschränkung aufheben. So geschieht es aktuell in einer Siedlung am Seetalplatz wegen einer Regel von 1934 (zentralplus berichtete).
Gegen ein Enteignungsverfahren können allerdings Einsprachen eingehen. Als die Stadt Luzern 2007 ein Villenservitut beim Altersheim Dreilinden für einen Neubau aufheben wollte, entfachte das einen zehnjährigen Rechtsstreit – den die Stadt teuer bezahlte, aber gewann. In Vitznau hat ein Servitut vor Kurzem neue Wohnungen gleich ganz verhindert (zentralplus berichtete).
Im Bellerivequartier schützt die alte Sonderregel die gute Aussicht
Die Stadt ist daher vorsichtig geworden. In der Stellungnahme zeigt der Stadtrat exemplarisch auf, wie schwer eine Aufhebung der Sonderregeln im wohlhabenden Bellerivequartier wäre.
Dort verhindert ein Servitut ein zusätzliches Untergeschoss und ein voll ausgebautes Dachgeschoss. Ohne die Regel könnte man also mehr bauen. Dies aber würde die «Aussicht auf den See beeinträchtigen» und damit die Immobilienpreise. «Es ist daher mit grossem Widerstand gegen die Aufhebung der Baubeschränkungen zu rechnen», so der Stadtrat.
Aufgrund der Prozessrisiken und der Kosten lehnt der Stadtrat die Idee für mehr Verdichtung der Grünen und jungen Grünen daher ab. Eine «detaillierte Übersicht» über die Verbreitung von Servituten in der Stadt Luzern hat er ausserdem nicht.
Grünen fordern die Stadt Luzern auf, zu handeln
Dies schockiert die Grünen. «Dass die Stadt über die Servitute keine Übersicht hat und diese auch nicht erhalten möchte, ist aus unserer Sicht völlig unverständlich», schreibt Grossstadtrat Christian Hochstrasser (Grüne), Mitglied der Baukommission, auf Anfrage.
Hochstrasser sagt: «Alte Quartierservitute sind uns deshalb ein Dorn im Auge, weil diese eine innere Verdichtung trotz politisch breit abgestütztem Willen und der Baubereitschaft der Grundeigentümer:innen wirksam verhindern können.»
Eine Aufhebung dieser Servitute durch einzelne Private sei praktisch unmöglich, da alle Grundeigentümer gleichzeitig damit einverstanden sein müssten. «Hier braucht es zwingend eine Koordination der Stadt.» Als Nächstes darf das Stadtparlament über die Vorstösse entscheiden.
hat Politikwissenschaften, Philosophie und Wirtschaft studiert und an der Universität Luzern zur Mobilität von Gesetzen geforscht. Seit 2022 bei zentralplus, zuständig für die Ressorts Bauen&Wohnen und Verkehr&Mobilität. Parallel absolviert er die «Diplomausbildung Journalismus» am MAZ Luzern.