Hirschengraben: Lärmschutz verhindert zig neue Wohnungen
Luzi Andreas Meyer sagt, am Hirschengraben könnten viele neue Wohnungen entstehen. (Bild: bic / zvg)
Reicht eine Lüftung, um angenehm an einer lauten Strasse zu leben? Der Eigentümerverband findet ja und hofft auf neue Wohnungen, wo heute noch Büroflächen sind. Durch weniger Lärmschutz in Luzern.
Wie stark soll der Lärmschutz entschärft werden, damit wieder mehr gebaut wird? Diese Frage steht aktuell zur Debatte. Denn in Luzern gibt es wie in allen Schweizer Städten zu wenig Neubauten. Auflagen und Einsprachen machen Bauen unattraktiv – ebenso wie die hohen Kosten (zentralplus berichtete).
National- und Ständerat haben daher in der Herbstsession das Umweltschutzgesetz gelockert. Damit reduziert Bern die Auflagen, um an Strassen zu bauen, die eigentlich zu laut sind. Immobilienfirmen kritisieren landesweit die strengen Bauvorschriften in Innenstädten. Es könne kaum noch gebaut werden, so lauten die Schlagzeilen zum Thema.
Ab jetzt sind Lüftungsfenster wieder in Ordnung
Kernpunkt der Revision ist die Frage, wie viele ruhige Fenster eine neue Wohnung haben muss, um eine Baubewilligung zu kriegen. Bisher mussten die Lärmgrenzwerte an allen geöffneten Fenstern vielgenutzter Zimmer eingehalten werden. Künftig muss nur die Hälfte der «lärmempfindlichen Räume» ein ruhiges Lüftungsfenster haben. Gibt es eine Lüftungsanlage, reicht ein ruhiges Lüftungsfenster pro Wohnung.
Die Idee ist nicht gänzlich neu. Bis vor einigen Jahren haben einige Schweizer Gemeinden Baubewilligungen auf diese Art vergeben. Dann verbot das Bundesgericht die Praxis. Mit der neusten Änderung des Umweltschutzgesetzes ist sie nun landesweit verankert.
Schweizer Städte kritisieren Abbau beim Lärmschutz
Die Städte kritisieren die Lockerungen beim Lärmschutz. Der Schweizerische Städteverband schreibt in einer Mitteilung, dies sei weder eine «Stärkung des Stadtraums» noch trage die Gesetzesänderung zu einer «angenehmen Wohnqualität» bei. Die Städte Zug und Luzern haben öffentlich keine Stellung bezogen.
In der Stadt Luzern, nach Studien die lärmigste Stadt der Deutschschweiz, sind sich Mieter- und Eigentümerverbände dagegen einig, dass die Lockerungen richtig sind. Denn Neubau müsse gefördert werden. Während der Mieterverband noch stärkere Abstriche beim Lärmschutz aber ablehnt, wollen die Eigentümer deutlich weiter gehen.
Lärmschutz ist beim Bauen ein Kostentreiber
«Der Kanton Luzern ist sehr restriktiv, was das Bauen an Strassen angeht, die Lärmgrenzwerte überschreiten», erklärt Luzi Andreas Meyer. Der Architekt und Grossstadtrat präsidiert seit Mai die Mitte Stadt Luzern und ist im Vorstand des Hauseigentümerverbands Luzern. Qua Beruf kennt er die Fallstricke beim Bauen.
An lauten Hauptstrassen müssten zum Beispiel Loggias geplant werden, die den Autolärm abschirmen. Oder es müsse eine Option bestehen, nach hinten ruhig zu lüften, um eine Baubewilligung zu erhalten. «Das macht Bauen sehr teuer – was sich in den Mieten niederschlägt», sagt Meyer am Telefon.
Ein Beispiel dafür ist die neue Überbauung der Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (ABL) an der lärmbelasteten Bernstrasse. Sie hat Loggias, Lüftung und Schallschutzfenster. Trotz moderner Wohnungen schrecken die laute Strasse und die hohen Mietzinsen ab – es gibt immer noch über ein Dutzend freie Wohnungen (zentralplus berichtete).
Hauseigentümer wollen Lärmschutz in Luzern abschwächen
Luzi Meyer hat eine Lösung: «Der Kanton Luzern sollte Lüftungsanlagen zulassen.» Neuwertige Fenster würden vor Lärm schützen und die Lüftungsanlage für genügend Frischluft sorgen. Ausserdem müssten per Gesetz trotzdem Fenster an nicht lärmbelasteten Abschnitten der Fassade geplant werden.
Weiter kritisiert der Architekt, dass die Lärmschutzverordnung nur bei Nutzungsänderungen greift – wenn zum Beispiel aus Büros Wohnungen werden sollen. Bei der Sanierung einer bestehenden Wohnung seien «lärmschutztechnische Verbesserungen» nicht nötig. Er hält das für einen Fehler.
Eigentümer würden Büros nicht umnutzen, weil der Erhalt einer Bewilligung für Wohnraum zu kostspielig sei, erklärt Luzi Meyer. Wären technische Lösungen wie Lüftungen gegen Strassenlärm dagegen akzeptiert, gäbe es an den Einfallstrassen in die Stadt Luzern ein grosses Potenzial für Wohnraum. «Dutzende neue Wohnungen am Hirschengraben wären möglich», nennt er als Beispiel.
Mieterverband will Lärm an der Wurzel anpacken
Dass Bern den Lärmschutz gelockert hat, findet auch Grünen-Nationalrat Michael Töngi gut. Zu gross ist die Wohnungsnot in den Städten. Weitere Lockerungen, wie sie der Luzerner Hauseigentümerverband fordert, lehnt der Vizepräsident des Mieterinnen- und Mieterverbands Schweiz allerdings ab.
«In heissen Sommern ist es wichtig, dass mit Lüften in der Nacht die Temperatur runtergebracht werden kann.» Die neu verankerte Lüftungsfensterpraxis reiche völlig aus, um Bauen zu ermöglichen. «Schlimmere Auswüchse» hätte seine Partei im Parlament verhindern können. Etwa die Idee, dass in keinem einzigen Fenster die Grenzwerte eingehalten werden müssen, um eine Baubewilligung zu erhalten.
Statt weiteren Lockerungen beim Lärmschutz fordert Michael Töngi, Lärm in Innenstädten an der Quelle zu bekämpfen. Beispiellösungen sind Tempo 30 auf Hauptstrassen und der Einbau von lärmarmen Asphalt. Auch Luzi Meyer pflichtet Töngi im letzten Punkt bei: Die Strassen in der Innenstadt müssten leiser werden.
seit 2022 im Journalismus, davor Politikwissenschaftler, Weltenbummler und Steinbildhauer. Bei zentralplus vom Praktikanten, zum Volontär bis zum Ressortchef alles durchlaufen. Heute Co-Redaktionsleiter mit einem Hang zu guten Texten.