Emmen verkündet Enteignungen – wegen Regel von 1934
Am Seetalplatz in Emmen schwelt ein Konflikt zwischen Eigentümern und Gemeinde. Es geht um Enteignungen und Baubeschränkungen. In der Stadt Luzern wollen Politiker solche Sonderregeln ganz abschaffen.
Neue Bürogebäude, Wohnblöcke und das neue Verwaltungsgebäude des Kantons Luzern – am Seetalplatz in Emmenbrücke ist Grosses geplant. Im Hintergrund schwelt allerdings ein neuer Konflikt.
Kürzlich erhielten mehrere Grundeigentümer der Siedlung zwischen Centralstrasse und Bahnhofstrasse – dort, wo die Luzerner Kantonalbank (LUKB) ihre neue Geschäftsstelle bauen will – einen Brief der Gemeinde Emmen. Das Schreiben liegt zentralplus vor. Der Inhalt? Enteignung.
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welches uralte Recht dafür verantwortlich ist
was für Auswirkungen das für die Grundeigentümer hat
wie die Eigentümerinnen darauf reagieren
Die Eigentümer verlieren nicht ihre Grundstücke. Vielmehr verlieren sie durch die Enteignung ein uraltes Recht, das auf ihrem Grundstück gilt – die sogenannte Villenservitut. Das ist eine privatrechtliche Baubeschränkung, die besagt, dass neue Gebäude auf den betroffenen Parzellen zum Beispiel eine gewisse Bauhöhe nicht überschreiten dürfen oder den baulichen Charakter der bestehenden Gebäude beibehalten müssen.
Als Bank bauen wollte, kam Beschränkung ans Licht
Im aktuellen Fall stammt diese Servitut aus dem Jahr 1934. Scheinbar war die Baubeschränkung bei den Behörden und den Bauherren lange nicht präsent.
Bei den Enteignungen handle es sich «um ein Bereinigungsverfahren einer im Grundbuch eingetragenen alten Dienstbarkeit, die sich über die Jahrzehnte überlebt hat», heisst es bei der Gemeinde Emmen auf Anfrage. Weitere Auskünfte werden aufgrund des laufenden Verfahrens keine erteilt.
Diese uralte Servitut kam im Rahmen des Baugesuchs der LUKB für ein neues Büro- und Geschäftshaus am Seetalplatz wieder ans Tageslicht, wie es in dem Brief an die Grundeigentümer heisst. Die Bank war es denn auch, die das Enteignungsverfahren ins Rollen brachte. Ihr Projekt «Metropool» ist wegen Einsprachen bereits seit Jahren verzögert (zentralplus berichtete).
Besagte Villenservitut legt unter anderem die Höhe der Gebäude auf maximal 15,5 Meter fest. Das schränkt die Pläne der LUKB stark ein. Obwohl nicht alle Parzellen im Strassenblock von der Bank bebaut werden, haben dennoch alle neun Grundeigentümer ein Enteignungsgesuch erhalten. Nur so kann die Gemeinde das Villenservitut vollständig aufheben.
Einige Eigentümer wehren sich, andere sind für Enteignung
Für die Grundeigentümer hat die Enteignung sogar Vorteile. In der Regel erhalten sie Entschädigungen und der Wert der Grundstücke steigt teilweise markant an. Schliesslich darf man danach auf dem Grund deutlich höher bauen. Einer der Eigentümer sagt anonym gegenüber zentralplus, dass er gerne auf die Servitut verzichtet.
Zwei andere Betroffene wehren sich gegen das Verfahren. Ihnen geht es um die Höhe der Entschädigungen, die sie von der Gemeinde für die Auflösung der Villenservitut erhalten. Ausserdem sorgen sie sich vor zu hohen Gebäuden in der Nachbarschaft. So geht es aus den Einsprachen hervor, die zentralplus vorliegen.
Jahrelange Prozesse können drohen
Im Extremfall kann ein solcher Streit zum langwierigen Gerichtsprozess werden, wie die Stadt Luzern schmerzlich erfahren durfte. Im Jahr 2007 lancierte die Stadt einen Projektwettbewerb, um zwei Gebäude des Betagtenzentrums Dreilinden mit Neubauten zu ersetzen. Das Siegerprojekt kollidierte aber mit einer Villenservitut. Es folgten Gespräche mit Grundeigentümern. Der Grossteil stimmte einer Aufhebung zu – fünf stellten sich quer.
Es folgte ein Enteignungsverfahren, wobei in zwei Fällen eine Einigung zustande kam. Die drei anderen Fälle gipfelten in langjährigen Rechstreitereien durch alle Instanzen, welche schliesslich 2018 mit einem Entscheid zugunsten der Stadt endeten.
Soll Luzern Baubeschränkungen gleich ganz abschaffen?
Solche Streitfälle sind einer der Gründe, weshalb Servitute unter Druck geraten. Die Grünen und jungen Grünen im Grossen Stadtrat von Luzern wollen solche privatrechtlichen Baubeschränkungen auf städtischem Gebiet abschaffen. Sie haben dazu dieses Jahr ein Postulat und eine Motion eingereicht.
Eine «Schattenbauordnung» nennen die Postulanten die Vielzahl an Baubeschränkungen im Stadtgebiet. Die alten Regeln würden die innere Verdichtung enorm verkomplizieren. Sie forderten den Stadtrat daher auf, Enteignungsverfahren einzuleiten. Zumindest dort, wo dies gesetzlich möglich ist.
Stadt ist grossflächige Enteignung zu aufwendig
Dem Luzerner Stadtrat ist dies aber zu kompliziert und kostspielig – auch wenn eine Aufhebung das Bauen erleichtern würde. So erklärt es die Stadtregierung in ihrer aktuellen Stellungnahme.
Zunächst einmal wisse die Stadt nicht, wie viele Grundstücke von Servituten betroffen sind. Hinzu kämen Kosten für weitere juristische Beratungen, allenfalls Gerichtsprozesse. Allein 50’000 Franken koste das Ermitteln der betroffenen Grundstücke. Die Kosten für die Enteignungsverfahren seien «nicht abschätzbar.»
Ausserdem könnten neue Beschränkungen jederzeit erlassen werden, «wodurch die Wirksamkeit generell infrage gestellt ist», so der Stadtrat. Als Nächstes kommt das Geschäft ins städtische Parlament.
Zurück nach Emmen: Ob es wegen der Enteignungen zu langwierigen Prozessen kommen wird – wie sie die Stadt Luzern auf Dreilinden führen musste – wird sich nun zeigen. Weder die zuständigen Behörden noch die Eigentümer wollten das kommentieren.
Schreibt gerne über harte Fakten und skurrile Aufreger. Seit über zehn Jahren Journalist bei Online, Print und Fernsehen. Für zentralplus schreibt der Wahl-Luzerner seit 2024.
hat Politikwissenschaften, Philosophie und Wirtschaft studiert und an der Universität Luzern zur Mobilität von Gesetzen geforscht. Seit 2022 bei zentralplus, zuständig für die Ressorts Bauen&Wohnen und Verkehr&Mobilität. Parallel absolviert er die «Diplomausbildung Journalismus» am MAZ Luzern.