Diese Truppe leistet Widerstand gegen das geplante Hochhaus
Sie möchten den Bebauungsplan verhindern (v.l.): Miro Zeljko, Vilson Markaj, Verena Betschart und Esmeralda Ruiz. (Bild: Sabine Windlin)
Ohne die Unterschriftensammlung von vier Nachbarn käme es im kommenden Februar nicht zur Abstimmung über das umstrittene Hochhaus «Pi» in Zug. Die Mitglieder des Referendumskomitees wollen verhindern, dass ihr Zuhause abgerissen wird.
Eigentlich möchte das Quartett gar nicht im Mittelpunkt stehen. Aber es lässt sich derzeit kaum vermeiden. Die vier Nachbarn aus dem Wohnblock Baarerstrasse 104 bis 108 haben fast im Alleingang dafür gesorgt, dass die Zuger Bevölkerung in Bälde über ein Projekt abstimmen kann: über den Bebauungsplan GIBZ, den das Stadtparlament einstimmig genehmigt hat.
Findet das Geschäft auch bei der Bevölkerung eine Mehrheit, wird der ältere Wohnblock im Guthirt-Quartier, in dem rund 100 Personen in günstigen Wohnungen leben, abgerissen. An dessen Stelle kann dann ein 80 Meter hohes Hochhaus realisiert werden: ein Gebäude, welches 1,6-mal mehr Volumen hat als der schwarze Parktower beim Bahnhof Zug. Projektname: «Pi».
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«Wir haben nichts Verbotenes gemacht»
Zuerst trat das Referendumskomitee – aus Angst vor negativen Reaktionen der Verwaltung oder gar Anfeindungen in der Öffentlichkeit – nur anonym in Erscheinung. Aber jetzt bekennen die Zuger Einwohner Farbe. «Wir haben nichts Verbotenes gemacht, nur unsere Rechte ausgeübt», sagt Esmeralda Ruiz, 57, gegenüber zentralplus. «Und wir sind nicht die einzigen, die gegen diese masslose Verdichtung im Quartier sind und das Wachstum in Zug kritisch sehen», ergänzt Verena Betschart, 71.
Auch ihr Nachbar Miro Zeljko, 65, ist empört: «Ein intaktes Wohnhaus abreissen? Das macht doch keinen Sinn. Wir verstehen es nicht und wehren uns.» Die Truppe klingt jetzt selbstbewusst. Sie kämpft für ihre Interessen, doch nicht nur.
Letztlich kommt ihr Engagement auch jenem Teil der Bevölkerung zugute, der das Projekt aus städtebaulichen Gründen ablehnt und als unverhältnismässig kritisiert. Die vier glauben auch nicht wirklich, im «Pi» dereinst eine der als «preiswert» gepriesenen Wohnungen zu ergattern. Die Betroffenen haben bescheidene Löhne beziehungsweise sind schon pensioniert und bessern sich ihre AHV mit stundenweisen Einsätzen auf. Und klar ist jetzt schon: Die neuen Wohnungen werden deutlich teurer sein als die heutigen.
Mit offenen Armen empfangen
Immerhin: Als die vier im September mit weiteren Nachbarn loszogen und gegen den Beschluss des Gemeinderates Unterschriften sammelten, war das für die Involvierten eine positive Erfahrung. «Wir wurden an den Haustüren mit offenen Armen empfangen, die Solidarität war gross. Leute fragten, ob sie für den Abstimmungskampf spenden könnten und beglückwünschten uns für unseren Mut», erzählt Verena Betschart und lobt ihre jüngere Nachbarin in vollen Tönen: «Esmeralda gab Vollgas. Ohne ihren Einsatz hätte das niemals geklappt. Wie verrückt hat sie geweibelt.»
Diese ergänzt: «Wir sind politische Grünhörner und machen das zum ersten Mal. Trotzdem haben wir das Ziel erreicht.» 771 Unterschriften kamen für das Referendum zustande – nötig gewesen wären 500.
Dass der Block mit Baujahr 1960, vermietet von der Pensionskasse der V-Zug AG, für ein Hochhaus weichen soll – mit diesem Gedanken anfreunden können sie sich nicht. Denn das alte Gebäude ist ihr Zuhause. Hier fühlen sie sich geborgen, geniessen die Nachbarschaft. Man kennt sich mehr oder weniger gut, grüsst sich, hilft sich gegenseitig aus. Esmeralda Ruiz hat hier ihre ganze Kindheit verbracht und mehrere Schicksalsschläge hinter sich: «Die Wohnung gibt mir Halt.»
«Ein Wegzug wäre eine Katastrophe»
Die 71-jährige Verena Betschart ist vor rund zwanzig Jahren in den Block gezogen und hier ebenfalls fest verwurzelt – zusammen mit ihren beiden Katern Mirco und Campino: «Ein Wegzug wäre ein Katastrophe.» Die beiden Herren wohnen mit ihren Frauen und den jüngeren Kindern, die noch nicht ausgezogen sind, hier: «Wir sind glücklich und dankbar.»
Grundriss, Innenausbau, Standard, Nasszellen – bei nichts lassen die 2003 komplett frisch sanierten Wohnungen zu wünschen übrig. «Höchstens die Umgebung rund ums Haus könnte man wieder etwas auf Vordermann bringen», findet Verena Betschart. «Die Sprayereien wirken nicht sehr einladend.»
Im Gespräch wird deutlich, dass sich die zwei Männer und zwei Frauen herzlich zugetan und durch die Unterschriftensammlung noch nähergekommen sind. Kampfgeist und Optimismus wechseln sich ab mit Tagen und Nächten voller Sorgen, wenn sie an ihre Wohnsituation in der Zukunft denken. Eher deprimierend sei die Vorstellung, dass die Unterschriftensammlung am Ende vielleicht doch für die Katz gewesen sein könnte, weil die Interessen «einfacher» Mieter letztlich weniger ins Gewicht fielen als jene von mächtigen, gutvernetzten Investoren.
Aufgeben ist für die Widerstandstruppe aber keine Option. Als die Journalistin aufsteht, sich für das Gespräch bedankt und zur Tür läuft, meint Verena mit fester Stimme: «Noch ist die Abstimmung nicht gelaufen.» Das klingt nach einer klaren Ansage.
Ich beglückwünsche das sympathische Referendumskomitee zu seinem Mut. Gleichzeitig ist es beschämend, dass es nur dank dem Widerstand dieser Gruppe überhaupt zu einer Volksabstimmung kommt. Bevor man das Guthirt mit einem riesigen, fetten Turm verschandelt (im Volksmund bereits «bodybuilder» genannt), sollten kreative Immobilienprofis endlich dafür sorgen, dass die bestehenden Wohn- und leeren Büroflächen besser genutzt oder umgenutzt werden. Denn es gibt in Zug nicht zu wenig Wohnungen – es gibt aber reichlich Raum, der falsch genutzt und zu teuer vermietet wird: als Serviced Apartments (auch Business-Apartments genannt) an Geschäftsleute, die sich dort ein oder zweimal pro Woche aufs Ohr hauen und dann wieder verreisen. Egal, ob der bestehende und absolut taugliche Wohnblock aus den 1960-er Jahren mit den wirklich günstigen Wohnungen (rund 1800 Fr. für eine 4-Zimmer-Wohnung) stehen bleibt, in den nächsten Jahren behutsam saniert wird oder am Ende vielleicht doch «end of Lifetime» ist: Das geplante, gigantische Wohnsilo gilt es auf jeden Fall zu verhindern. Kein Mensch mit gesundem Menschenverstand kann ein solch überdimensioniertes Projekt gutheissen – hölzernes Tragwerk hin oder her. Pi lässt jegliche Sorgfalt und Zurückhaltung, die im Sinne einer qualitativ hochstehenden baulichen Verdichtung der Stadt Zug nötig wäre, missen. Der Blick auf das Ganze muss Partikularinteressen (Tech Cluster Zug, Implenia usw.) vorgehen. Darum NEIN am 9. Februar zum Bebauungsplan GIBZ.
Smax, 06.01.2025, 10:32 Uhr
Solange in Zug nicht in anständigem Masse gebaut wird, werde ich bei restlos jedem Neubauprojekt ja stimmen.
Ich kann verstehen, dass Bewohner bestehender Wohnungen besorgt sind. Aber der komplette Zuger Wohnungsmarkt ist aufgrund jahrzehntelangem politischen Versagen zerstört worden. Jetzt muss gebaut werden, damit Menschen wieder Wohnungen finden. Leider schmerzt das jetzt die nächsten zehn oder zwanzig Jahre, aber es führt kein Weg mehr daran vorbei.
Rufus Winterkorn, 06.01.2025, 13:01 Uhr
Der Kommentar von Smax erscheint mir sehr kurzsichtig und fragwürdig, da er die langfristigen Auswirkungen von Neubauprojekten auf die bestehenden Bewohner und die Gemeinschaft ignoriert. Es ist wichtig, eine sinnvolle und ausgewogene Planung zu fördern, die sowohl den Wohnraumbedarf als auch die Anliegen der Anwohner berücksichtigt.
Smax, 06.01.2025, 15:56 Uhr
Aus Ihrem anderen Kommentar wird klar ersichtlich, dass sie ein klassischer Hochhaus Gegner sind ("gigantisch", "Wohnsilo", "überdimensioniert", etc.). Das ist ok, aber eine weitere Diskussion erübrigt sich.
PHCB, 05.01.2025, 17:30 Uhr
Dass die heutigen 48 Mietparteien bei der Vergabe der über 180 neuen und grösstenteils preisgünstigen Wohnungen (70%!) im Wohnhochhaus den Vorrang haben, ist durchaus glaubwürdig. Was sollte denn aus Sicht der Vermieter dagegensprechen? Zudem wird die Trägerschaft die Mieterinnen und Mieter auch nach Möglichkeit bei der Suche nach Ersatz- oder Übergangslösungen unterstützen. Und selbst wenn das Wohnhochhaus nicht gebaut würde, müsste die bestehende Liegenschaft in den nächsten Jahren umfassend saniert und möglicherweise durch einen Neubau ersetzt werden.
Allen Unannehmlichkeiten zum Trotz: Ich persönlich bin überzeugt, dass die bestehende Mieterschaft letztlich vom Bau des Wohnhochhauses besser fährt – und mit ihr viele andere, die in der Stadt Zug auf eine erschwingliche und preisgünstige Wohnung warten.
Philip C. Brunner
Gemeinderat Stadt Zug
Mitglied im Komitee Wohnraum für Zug
Haribo, 05.01.2025, 22:15 Uhr
Sehr geehrter Herr Brunner
Wissen Sie wirklich, was es bedeutet, „nach Möglichkeit bei der Suche nach Ersatz- und Übergangslösungen behilflich zu sein“? Das ist reine Augenwischerei! Solche Übergangslösungen existieren nicht einmal ansatzweise. Es ist absolut verständlich, dass die Mieterschaft alles daran setzt, ihr Zuhause nicht zu verlieren – das kann man ihnen kaum verübeln. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Politik macht es sich viel zu einfach, solche Probleme mit leeren Floskeln zu beschwichtigen. Es braucht dringend andere, flankierende Sofortmassnahmen gegen die Wohnungsnot, und hier tragen auch Sie als Mitglied des städtischen Wohnkomitees eine besondere Mitverantwortung!