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Wie realistisch sind die Forderungen der Bruchstrasse-Besetzer? Hat eine Besetzung in Luzern je funktioniert und etwas gebracht?
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Luzern und seine besetzten Häuser

Diese Faktoren machen eine Besetzung zum Erfolg

Polizeieinsatz und Absperrungen. Die Besetzung des Eichwäldli endete unschön. (Bild: Leserreporter)

Die Bevölkerung der Stadt Luzern hat in den vergangenen Jahren mehrere Häuserbesetzungen erlebt. Viele davon haben mächtig Staub aufgewirbelt. Die Staubwolken haben sich mittlerweile verzogen. Doch was ist von den Besetzungen geblieben?

Die Besetzung an der Bruchstrasse 64 läuft auf eine Eskalation zu. Nachdem die Aktivistinnen die Frist zum Auszug haben verstreichen lassen, droht gar die polizeiliche Räumung des Hauses.

Falls die Polizei zu dieser äussersten Massnahme greifen muss, reiht sich die Bruchstrasse 64 in die unrühmliche Geschichte Luzerner Hausbesetzungen. Wir erinnern uns: Die Besetzung «Gundula» an der Obergrundstrasse führte zu diversen Anzeigen und einem langwierigen Rechtsstreit, in den auch zentralplus involviert war. Und die Besetzung der «Familie Eichwäldli» in der ehemaligen Soldatenstube fand ein ebenso unschönes Ende. Die Stadt hat das Gebäude mittlerweile abgerissen.

Auch weitere Besetzungen an der Sternmattstrasse oder beim Güterbahnhof waren nur jeweils von kurzer Dauer. Plakativ liesse sich also sagen: Die Besetzungen der vergangenen Jahre haben Luzern nichts als Ärger und Kosten eingetragen.

Besetzungen polarisieren in Luzern

So sieht es unter anderem auch die Luzerner SVP. Diese hat im Zusammenhang mit der Eichwäldli-Besetzung einen entsprechenden Vorstoss eingereicht, um zu erfahren, wie viel die Aktion die Stadt gekostet hat (zentralplus berichtete). Und auch die Mitte der Stadt Luzern hat für Hausbesetzungen offenbar nichts übrig. Nachdem die SP wiederholt ihr Verständnis für die Besetzer an der Bruchstrasse ausgedrückt hatte, attackierte die Mitte die Sozialdemokraten scharf und warf ihr als wählerstärkste Partei verantwortungsloses und unehrliches Verhalten vor (zentralplus berichtete).

Besetzungen polarisieren – auch heute noch. Doch dass sie nichts als Streit und Kosten bringen, will SP-Grossstadtrat Mario Stübi so nicht stehen lassen. Er räumt zwar ein: «Die bisherigen Besetzungen haben das System nicht verändert. Und auch politisch ist wenig gegangen». Dennoch betont er die Wichtigkeit solcher Aktionen, weil sie die immergleichen Fragen zum Gespräch machen. «Wie ist der Leerstand eines Hauses zu rechtfertigen? Braucht es eine politische Regulierung, damit so etwas nicht möglich ist? Dank der Besetzungen sprechen wir über diese wichtigen Fragen.»

Hier haben Besetzungen etwas gebracht

So betrachtet es Stübi als Erfolg, dass die Besetzungen auf den jahrelangen Leerstand dieser Häuser aufmerksam machen – und das Thema so zum Stadtgespräch wird. Allerdings stehen beispielsweise die ehemaligen Bodum-Villen an der Obergrundstrasse noch immer leer. «Aber immerhin haben die neuen Besitzer beim einen Haus mit der Renovierung begonnen und beim anderen den weiteren Zerfall verhindert», rechtfertigt Mario Stübi den Erfolg der Besetzung.

«Mit ein wenig Abstand zum Fall Eichwäldli kann festgehalten werden, dass legale Nutzungen von lange leer stehenden Räumen im Eigentum der Stadt Luzern noch immer sinnvoll erscheinen.»

Denise Weber-Zingg, Rechtsdienst Baudirektion Stadt Luzern

Auf dem Grundstück der «Stella Mata»-Besetzung an der Sternmattstrasse stehen zwei neue Wohnhäuser mit luxuriösen Eigentumswohnungen – auch das entspricht wohl kaum den Wünschen der damaligen Besetzerinnen. «Aber immerhin stehen die Häuser nicht leer, sondern dort wird gewohnt», entgegnet Stübi auch bei diesem Beispiel.

Ein weiteres Beispiel mit Happy End ist die «Pulpa»-Besetzung der Remise der Villa Musegg. Die Stadt Luzern kam den Forderungen der Besetzer nach mehr Freiraum aber entgegen und stellte ihnen als Alternative das ehemalige Zentralbahn-Stellwerk beim Freigleis für eine Zwischennutzung zur Verfügung. Erst vor wenigen Monaten hat die Stadt mitgeteilt, dass die Zwischennutzung zehn weitere Jahre bleiben darf (zentralplus berichtete).

Luzern zeigt sich tolerant – Eigentümerinnen nicht

Allgemein zeigt sich die Stadt bei Besetzungen relativ offen. Auch die Zwischennutzung des Eichwäldli hatte sie anfangs toleriert, nannte das Projekt ein «Experiment». Erst als sich die «Familie Eichwäldli» nicht mehr an die Vereinbarungen der Stadt hielt, drehte der Wind. Die Stadt zeigte sich daraufhin schwer enttäuscht über den Vertrauensbruch.

An ihrer toleranten Praxis will die Stadt aber festhalten. So sagt Denise Weber-Zingg vom Rechtsdienst der Baudirektion: «Mit ein wenig Abstand zum Fall Eichwäldli kann festgehalten werden, dass legale Nutzungen von lange leer stehenden Räumen oder Arealen im Eigentum der Stadt Luzern noch immer sinnvoll erscheinen.» Ein Eichwäldli 2.0 ist also durchaus realistisch.

«Ideal wäre, wenn der Besitzer die Liegenschaft für eine Zwischennutzung freigeben würde, bis zu Beginn des Umbaus.»

Bea Durrer, Professorin für Sozialraum- und Stadtentwicklung Hochschule Luzern

Wesentlich komplizierter gestaltet sich die Angelegenheit bei der Besetzung privater Grundstücke – wie eben jetzt an der Bruchstrasse. Die Fronten zwischen Besetzerinnen und Eigentümern sind verhärtet, ein Dialog hat bisher nicht stattgefunden. Doch gerade dieser Dialog ist zentral für einen guten Ausgang der Aktion. «Unabdingbar für alle Zwischennutzungen ist aber, dass Gesprächsbereitschaft vorhanden ist, den Liegenschaften Schutz getragen und Vereinbarungen eingehalten werden», sagt Denise Weber-Zingg von der Luzerner Baudirektion.

Der Stadt sind die Hände gebunden

Dem stimmt auch die Professorin Bea Durrer von der Hochschule Luzern zu. Sie forscht und lehrt zum Thema Sozialraum und Stadtentwicklung. Auf die verfahrene Situation an der Bruchstrasse 64 angesprochen, sagt sie: «Ideal wäre, wenn der Besitzer die Liegenschaft für eine Zwischennutzung freigeben würde, bis zu Beginn des Umbaus. Dafür braucht es Dialog, Respekt und gegenseitiges Verständnis – auch von den Besetzerinnen.»

Letztlich hänge es aber vom Willen des Eigentümers ab, was mit dem Haus geschieht. Und Bea Durrer betont: «Auf dem privaten Immobilienmarkt steht der Gewinn im Vordergrund.» Der Stadt bleibe in dieser Situation nichts anderes übrig, als sich für das Recht auf Privateigentum des Eigentümers einzusetzen – und ihn womöglich für das Thema einer Zwischennutzung zu sensibilisieren.

Eigentümer sollen künftig handfeste Beweise vorlegen müssen, dass sie es mit einer Renovierung ernst meinen und zeitnah damit beginnen, bevor den Mietern gekündigt werden darf. Stübi hält abschliessend fest: «Bei allem Respekt vor dem Eigentum, solche Leerstände dürfen wir als Gesellschaft nicht zulassen».

Den Besetzerinnen an der Bruchstrasse hilft dieses Bekenntnis allerdings auch nicht weiter. Die Zeichen deuten nämlich auch in diesem Beispiel auf eine Eskalation des Konflikts hin.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Mario Stübi
  • Schriftlicher Austausch mit Denise Weber-Zingg
  • Schriftlicher Austausch mit Bea Durrer
  • Interpellation 98 und Antwort des Stadtrats

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 18.07.2022, 09:37 Uhr

    Das Restaurant Einhorn sollte ja auch einmal abgerissen werden,wurde aber durch Besetzung verhindert,das Ziel günstiger Wohnraum wurde leider nicht erreicht.

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    • Profilfoto von Stadt Luzerner
      Stadt Luzerner, 20.07.2022, 12:49 Uhr

      @Hegard – …….und gehört jetzt einem Honorarkonsul von Weissrussland. Die Farbe des Geldes kann sich jeder selbst vorstellen!

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    • Profilfoto von C. Bucher
      C. Bucher, 05.08.2022, 18:03 Uhr

      Die Wirkung einer Hausbesetzung ist nicht auf die besetzte Liegenschaft beschränkt.
      So war die Einhorn-Besetzung mit ein Faktor, der zur Einrichtung des Musikzentrums Sedel beitrug, das bekanntlich bis heute existiert.

      Auch wichtig: Besetzte Häuser boten in Luzern teils über viele Monate Wohn- und Arbeitsraum.

      Die Bruchstrassen-Besetzung hat die Mechanismen des Immobilienmarkts und das Mietrecht (wieder) in Erinnerung gerufen, das löst in den Köpfen einiges aus…

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