Erdbebenexponierte Stadt Luzern

Ausgerechnet das Feuerwehrgebäude ist zu wenig sicher

Die heutige Feuerwehrwache der Stadt Luzern liegt in einem Risikogebiet – und ist damit selbst betroffen, wenn sie bei einem Erdbebenhelfen sollte. (Bild: kap)

Die Stadt Luzern ist ein Risikogebiet für Erdbeben, vor allem die Neustadt mit dem Feuerwehrgebäude. Ein Geologe warnt: «Ein Beben hätte katastrophale Folgen.»

Es sei das erste öffentlich zugängliche und bisher fundierteste Erdbebenrisikomodell für die Schweiz. So kündigte jüngst der Bund seine revidierte Gefahrenkarte an. Das neue Modell mache es erstmals möglich, nicht nur die zu erwartenden Schäden, sondern auch die Schadenssumme zu berechnen. Die Erdbebengefährdung trifft Annahmen, wie oft und wie stark die Erde an bestimmten Orten in Zukunft beben könnte. Am gefährdetsten sind Städte, wobei Basel dem grössten Risiko ausgesetzt ist, gefolgt von Genf, Zürich, Luzern und Bern – in dieser Reihenfolge.

«Die zusätzlichen neuen Kriterien für die Gefahrenbeurteilung sollen zwar helfen, die Risiken besser abzuschätzen. Doch führen sie auch zu Verzerrungen.»

Beat Keller, Stadtluzerner Geologe und Unternehmer

Das Erdbebenrisiko taxiert die Auswirkungen auf Personen und Gebäude. Das neue Gefahrenmodell soll der Prävention dienen. Beat Keller, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Geologie der Stadt Luzern, begrüsst die neue Gefahrenkarte, meint aber: «Die zusätzlichen neuen Kriterien für die Gefahrenbeurteilung sollen zwar helfen, die Risiken besser abzuschätzen. Doch führen sie auch zu Verzerrungen.»

Verzerrte Wahrnehmung für die Erdbebenrisiken in Luzern

So meint er beispielsweise: «Dass das Erdbebenrisiko in der Stadt Bern gemäss dieser neuen Karte höher oder gleich sein soll wie in Luzern, ist für mich unverständlich.» Seiner Ansicht nach könnte eine zu starke Gewichtung der direkt bei Risikoherden wohnenden Bevölkerungsgrösse und -dichte gegenüber den anderen Faktoren die Wahrnehmung beeinträchtigen. Das Risiko eines eintretenden Erdbebens drohe verfälscht zu werden.

Kellers Sorge: Diese Anfang März publizierte neue Gefahrenkarte verharmlose die Gefahren für die Stadt Luzern. Sie verleite Politik und Behörden dazu, die erforderlichen Massnahmen zum Schutz vor Erdbeben mit geringerer Priorität als nötig anzugehen.

«Bei einem stärkeren Erbeben kann der in der Neustadt vorliegende Untergrund innert Kürze entfestigen und teilweise verflüssigen.»

Beat Keller

«Wir sollten uns nicht von der geringen Eintretenswahrscheinlichkeit eines Erdbebens verleiten lassen und Gegenmassnahmen auf die lange Bank schieben», bemerkt er. «Ein Beben hätte katastrophale Folgen, vor allem im Gebiet der Neustadt, wo ein sehr schwieriger Baugrund vorhanden ist, in dem praktisch alle Gebäude auf Pfählen fundiert sind.»

Selbstverstärkende Effekte können sich in Luzern gravierend auswirken

Der Geologe sieht hier nicht nur in den  Erdbebenerschütterungen selbst eine grosse Gefahr. Seiner Ansicht nach bestehen zusätzlich Risiken, dass sich in dem bis über 100 Meter tiefen und mit gespanntem Grundwasser gesättigten Lockergesteinstrog der Neustadt die Schwingungen eines Bebens erheblich aufschaukeln und damit weiter verstärken können.

«Allerdings ist dieser Aufschaukelungseffekt noch ungenügend untersucht. Also ist es unklar, wie gross diese Gefahr tatsächlich einzuschätzen ist», sagt er. Doch in Verbindung mit dem Grundwasser ist der sandige Untergrund noch einer ganz anderen Gefahr ausgesetzt: Nämlich der Bodenverflüssigung.

«Bei einem stärkeren Erbeben kann der in der Neustadt vorliegende Untergrund innert Kürze entfestigen und teilweise verflüssigen. Pfahlfundationen könnten sich stark setzen oder gar versagen.» Zudem bestehe die Gefahr, dass Gebäude kippen oder umstürzen, so wie man es aus Medienberichten über Naturkatastrophen kenne.

Feuerwehrnotruf 118: Ausrücken der Feuerwehr kritisch im Erdbebenfall

Ein besonders exponiertes und für die Stadt lebensnotwendiges Gebäude im Falle einer Naturkatastrophe ist die Hauptwache der Feuerwehr an der Kleinmattstrasse 20. Sie ist in einem ursprünglich als Tramdepot genutzten Gebäude untergebracht. Und zwar mitten im Risikogebiet der Neustadt mit der ungünstigen Baugrundklasse D. Anders als die ganze Altstadt und damit auch das Kantonsspital Luzern, welche auf sicherem felsigen Untergrund der Klasse A errichtet worden sind.

Mit Folgen: Denn damit kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die über die via Einsatzleitzentrale der Luzerner Polizei an der Kasimir-Pfyffer-Strasse herbeigerufene Feuerwehr ausrücken kann. Denn allenfalls ist sie infolge des Erdbebens bereits dem Erdboden gleichgemacht.

«Nach jeder Verschärfung gibt es eine Übergangsfrist. Beim bestehenden Gebäude müssten wir spätestens Anfang der 30er-Jahre baulich etwas unternehmen.»

Marko Virant, Luzerner Stadtbaumeister

«Das heutige Feuerwehrgebäude an der Kleinmattstrasse wurde in den 70er-/80er-Jahren nach den damals geltenden Normen saniert und umgebaut», sagt Stadtbaumeister Marko Virant auf Anfrage. Seither hat die Stadt keine Erdbebenertüchtigung des Gebäudes, so der Fachjargon, vorgenommen.

Basel hat sein Feuerwehrgebäude schon länger erdbebenertüchtigt

Dafür gäbe es erprobte Methoden, wie einer nach wie vor prominent auf der Website des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) publizierten Broschüre mit dem Titel «Erdbebenertüchtigung von Bauwerken» zu entnehmen ist. In der Broschüre ist dargelegt, wie diverse zentrale Infrastrukturbauten in Risikogebieten für Erdbeben sicherer gemacht werden konnten.

«Dass die Feuerwehr 2030 in das neue Gebäude auf dem EWL-Areal ziehen kann, ist das Ergebnis einer langfristigen Planung.»

Marko Virant

So wurde die Feuerwehr der Stadt Basel durch eine seismische Isolation ertüchtigt. Sprich: Einzelne Gebäudeteile wurden voneinander getrennt und so neu verbunden, dass sie mit der horizontalen Bewegung eines Erdbebens mitschwingen können.

Luzerner Feuerwehr zieht um

Wie Virant erwähnt, muss sich die Baubranche noch nicht lange an Bauvorschriften halten, die horizontale Bewegungen berücksichtigen. Doch kaum waren diese erst einmal eingeführt, wurden sie rasch weiter ausdifferenziert: «Die Erdbebenbaunormen wurden seit der Ersteinführung 1979 stetig verschärft», sagt er.

Und er ergänzt in Bezug auf die Feuerwehrwache Luzern: «Nach jeder Verschärfung gibt es eine Übergangsfrist. Beim bestehenden Gebäude müssten wir spätestens Anfang der 30er-Jahre baulich etwas unternehmen.»

Oder auch nicht. Denn die Feuerwache der Stadt Luzern schlägt bekanntlich bald ein neues Zelt auf – in einem Stadtteil mit sichererem Untergrund. «Dass die Feuerwehr 2030 in das neue Gebäude auf dem EWL-Areal ziehen kann, ist das Ergebnis einer langfristigen Planung», sagt Marko Virant.

Eine absolute Sicherheitsgarantie gibt es auch für eine Feuerwehr nicht

Aus seiner Sicht hat die Stadt Luzern ihre Hausaufgaben gemacht. Und er gibt zu bedenken: «Normen gilt es zu respektieren. Sie einzuhalten ist wichtig für die Sicherheit, bietet aber keine absolute Garantie.»

Beat Keller meint, dass Stadt und Kanton diese Problematik «sehr ernst» nehmen würden. Sie hätten 2012 für das Gebiet des EWL-Areals eine spezielle Erdbebenstudie erarbeiten lassen, die auch auf die Problematik der Bodenverflüssigung hinweist.

«Als Resultat empfiehlt diese, auf höhere Anforderungen bei der Bemessung der Erdbebensicherheit abzustützen, als dies gemäss der damaligen Normen nötig war.» Er warnt aber trotzdem: «Der risikoreiche Effekt der Aufschaukelung bleibt weiterhin ungenügend erforscht.»

Korrigierte Fassung: In der Erstfassung des Artikels war noch die Rede davon, dass die Nummer 118 im Schadensfall nicht erreichbar sein könnte. Fakt ist, dass die Notfallrufnummer 118 für die örtliche Feuerwehr via Einsatzleitzentrale der Luzerner Polizei an der Kasimir-Pfyffer-Strasse 28 koordiniert wird (siehe auch Kommentare zu diesem Artikel).

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5 Kommentare
  • Profilfoto von Kritischer Blick
    Kritischer Blick, 17.03.2023, 08:51 Uhr

    Neben der Berufs- und Milizfeuerwehr der Stadt Luzern ist auch noch die Zivilschutzorganisation Pilatus (zuständig für die Gemeinden Horw, Kriens und Luzern) sowie seit einigen Jahren auch ein Fahrzeug inkl. Team des Rettungsdienstes 144 in der Kleinmatt stationiert.

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  • Profilfoto von Korrektur
    Korrektur, 16.03.2023, 17:25 Uhr

    Niemand der im Kanton Luzern den Notruf 118 wählt, landet wie im Bericht fälschlicherweise geschrieben beim Telefonanschluss an der Kleinmattstrasse. In Luzern läuft sowohl die Nummer 118 sowie die 117 über die Einsatzleitzentrale der Luzerner Polizei und ist in der Kasimir- Pfyfferstrasse. Bitte korrekt recherchieren.

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    • Profilfoto von Redaktion zentralplus
      Redaktion zentralplus, 17.03.2023, 10:38 Uhr

      Herzlichen Dank für diesen Hinweis: Wir haben den Artikel entsprechend korrigiert und die betreffende Anpassung auch im Anschluss des Artikels deklariert.

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  • Profilfoto von Dolfino
    Dolfino, 16.03.2023, 16:18 Uhr

    Es ist einfach unglaublich wieviele Experten sich bemühen wegen der Erdbeben Sicherheit. Leider ist vieles nur darauf ausgelegt Angst und Unsicherheit zu sähen. Irgend was muss diese Experten antreiben nach corona die Ängste aufrecht zuhalten. Nur weiter so der Mensch schafft sich selber ab.

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    • Profilfoto von tore
      tore, 17.03.2023, 14:57 Uhr

      Und wenn nicht informiert würde, wäre nach einem Erdbeben der Aufschrei riesig – vonwegen, die Experten hätten geschlafen und seinen inkompetent … ja, ja.
      Und zudem – ich glaube nicht, dass Erdbebenexperten etwas von «Corona» verstehe und umgekehrt. Sie sind eben auf Ihren Gebieten Expertinnen und Experten. Lassen wir sie doch in Ruhe arbeiten und nutzen wir Ihre Informationen. Übrigens – was würden Sie im Alltag ohne Expertenwissen machen? Da würde kein Auto funktionieren, die Bahn ebenfalls nicht. Haus bauren ohne Expertenwissen? Wie soll das gehen. Abwasserreinigung, Strom, Coputer etc.
      Wie bloss wird immer wieder auf Expert*innen rumgehakt? Was ist der Gewinn davon?

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