Drug-Checking in Luzern stösst auf hohe Nachfrage

Wo Partygänger erfahren, was wirklich in ihren Drogen ist

Olivia Allemann ist die Projektleiterin der Drogeninformation Luzern (DILU). (Bild: ida)

In der Drogeninformation Luzern (DILU) können Konsumentinnen ihre Drogen auf gefährliche Substanzen testen. Im ersten Jahr hat das Team rund um Olivia Allemann 127 Substanzen entgegengenommen – und dabei 39 Mal gewarnt. Sei das wegen hochdosierten MDMA-Pillen oder gefährlichem Cannabis.

Um kurz nach 17.30 Uhr klingelt es das erste Mal. Wenige Minuten später setzt sich der 24-jährige Mann an der Murbacherstrasse 20 in der Drogeninformation Luzern (DILU) auf einen Stuhl. Gegenüber von ihm sitzt Sozialarbeiter Christoph Landolt.

Schon bald zückt der Mann ein Plastiksäckli aus seiner rechten Jeanstasche. Inhalt: eine blaue, viereckige Pille. «Ah, eine Rolls-Royce», sagt Landolt, der das darauf gepresste Logo erblickt hat. «Die haben wir hier auch schon getestet. Weisst du, wie stark sie sein sollte?» «Etwa 200 Milligramm MDMA», antwortet der Mann vis-à-vis. Das jedenfalls hat er gehört. Der Mann verstaut die blaue Pille in einen Plastiksack mit Etikett, den ihm Landolt reicht.

Jeden zweiten Montagabend hat das Drug-Checking-Angebot in Luzern geöffnet. Partygängerinnen können hier ihre psychoaktiven Substanzen anonym und niederschwellig testen lassen – und erfahren so, was in den Drogen wirklich alles drin ist. Bei der DILU handelt es sich um ein dreijähriges Pilotprojekt, angeboten vom Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern.

Zu jedem Drug-Checking gibt’s ein Beratungsgespräch

Nun folgt das Beratungsgespräch. Landolt will wissen, welche Substanzen der Mann konsumiert, wie oft – und ob er etwa schon Mal einen Bad Trip oder andere Nebenwirkungen hatte. Der Mann konsumiert nur gelegentlich im Ausgang MDMA. Wie stark dosiert die letzte Pille ungefähr war, will Landolt nun wissen. «220 Milligramm», antwortet der Mann. «Du weisst schon, dass das zu viel für dich ist?» Und er macht ihn auf die Regel aufmerksam: Bei Männern sind über 1,5 Milligramm MDMA pro Kilogramm Körpergewicht zu viel. «Ja», räumt der Mann ein. Die Regel kennt er – eigentlich. «Ich war ein bisschen betrunken.»

Christoph Landolt berät Konsumentinnen im DILU. (Bild: ida)

Das Gespräch dauert gut 20 Minuten. Auch die Safer-Use-Regeln sind Thema. Vier Tage später kann der Mann anrufen und erfährt unter Angabe eines abgemachten Kennworts, wie viel Milligramm MDMA effektiv in der Pille sind – und was sonst noch alles drin ist.

Hier kannst du Drogen auf gefährliche Substanzen testen lassen

Jeden zweiten Montagabend hat das DILU – Drogeninformation Luzern von 17.30 bis 19.30 Uhr geöffnet. Das nächste Mal am 20. September. Mehr Infos findest du hier. Die Abgabe einer Substanz ist jeweils mit einem Beratungsgespräch verbunden. Alles kostenlos und anonym.

Hier findest du alle aktuellen Substanzwarnungen des nationalen Warnungstools. Und auf know-drugs.ch findest du Infos zu allen Substanzen, Risiken, Nebenwirkungen und Safer Use.

Von 127 Substanzproben gab’s 39-mal eine Warnung

Seit einem Jahr hat das DILU geöffnet. Das Angebot ist gefragt. Alle zwei Wochen können maximal fünf Substanzen ins Labor geschickt werden, wo das Institut für Rechtsmedizin in Basel die Drogen testet. Das DILU ist meistens ausgelastet, «gefühlt häufiger» müsse man auch Partygänger wegschicken, weil die Kapazitätsgrenze bereits erreicht wurde, erklärt Olivia Allemann, die Projektleiterin des DILU. In einem Jahr haben sie und ihr Team 127 Substanzproben entgegengenommen – und dabei 39 Warnungen ausgesprochen.

«Am meisten testen wir MDMA, LSD, Kokain und Cannabis», sagt Allemann. Nicht selten sind MDMA-Pillen hochdosiert. Wie beispielsweise die Pille mit dem Logo von Walter White. Der Chemielehrer, der in der Netflix-Serie «Breaking Bad» unter seinem Pseudonym Heisenberg Crystal Meth herstellt. In diesem März wurde die Pille, die 171 Milligramm MDMA enthält, in Luzern getestet:

MDMA ist oftmals hochdosiert, Kokain mit Entwurmungsmittel gestreckt

Noch viel gefährlicher ist die «Punisher-Pille», die mehrmals in Luzern getestet wurde – mit bis zu 317,3 Milligramm MDMA. Zur Veranschaulichung: Der empfohlene Grenzwert bei Frauen liegt bei 1,3 Milligramm MDMA pro Kilogramm Körpergewicht, bei Männern bei 1,5 Milligramm. Eine Frau, die 60 Kilogramm wiegt, dürfte also eine Pille mit maximal 78 Milligramm einnehmen. Wer zu viel MDMA zu sich nimmt, bei dem kann es zu Kiefermahlen oder Zuckungen bis hin zu starken Krampfanfällen und Halluzinationen kommen. Eine solch hohe Überdosis kann lebensgefährlich werden.

Teilweise werden auch Drogen getestet, die andere Substanzen als angenommen enthalten. Gerade kürzlich hat das DILU Heroin getestet – das unter anderem mit MDMA gespickt war. Kokain wird meistens gestreckt, mit Levamisol, einem Entwurmungsmittel, das eigentlich in der Tiermedizin zum Einsatz kommt.

Immer mehr wird auch Cannabis getestet. Mit gutem Grund: Schweizweit, gerade auch in Luzern, ist immer mehr Cannabis im Umlauf, das mit synthetischen Cannabinoiden versetzt ist (zentralplus berichtete). Raucht man dieses, kann man in Ohnmacht fallen, Herzrasen und Bluthochdruck, Krampfanfälle bis hin zu einem Herzinfarkt sind möglich. «Der Konsum dieses Cannabis wird mit Todesfällen in Verbindung gebracht, auch in Luzern», sagt Allemann.

Was drin ist, weiss man nur, wenn man die Substanz testet

Jede Droge, die getestet und vom Labor als gefährlich eingestuft wird, für die wird eine Meldung aufgeschalten im nationalen Warnungs-Tool. Am meisten gibt es Meldungen zu MDMA-Pillen, die sich durch Form, Farbe und Logo unterscheiden. Werden pulverähnliche Drogen wie Kokain getestet und diese für gefährlich eingestuft, werden Konsumentinnen individuell gewarnt, nicht aber durchs öffentliche Warnungstool. Dies weil es für Konsumentinnen keinen Vergleichswert gibt, Kokain immer wie weisses Pulver aussieht.

«Eigentlich weiss man nie 1:1, was genau in der Substanz drin ist. Absolute Sicherheit hat man nur dann, wenn man die vorliegende Substanz getestet hat.»

Olivia Allemann, Projektleiterin DILU

Allemann erklärt, dass immer wieder Leute kommen, weil sie eine Warnung zu einer bestimmten Substanz gesehen haben, die gleich aussieht die die ihrige. «Eigentlich weiss man nie 1:1, was genau in der Substanz drin ist. Absolute Sicherheit hat man nur dann, wenn man die vorliegende Substanz getestet hat.»

Drug-Checking machen den – ohnehin realen Konsum – sicherer

Kritische Stimmen sagen: Drug-Checking würde den Konsum unterstützen. Olivia Allemann schüttelt bestimmt den Kopf, als sie diese Aussage hört. «Der Konsum von psychoaktiven Substanzen ist nun mal eine Realität. Das Drug-Checking ist eine Reaktion darauf. Wir schliessen eine wichtige Lücke und haben mit dem DILU ein Angebot in der Schadensminderung geschaffen – das klar auf eine Nachfrage stösst.»

Jede Droge ist irgendwann einmal auf dem Schwarzmarkt gekauft worden und unterliegen somit keinen Qualitätskontrollen, so die Sozialarbeiterin. Anders als bei einer Flasche Wein gibt’s kein Etikett drauf, was in diesen illegalen Substanzen konkret enthalten ist und in welcher Menge. Auch wenn die Dealerin auf der Gasse oder im Darknet die Drogen anpreist und Angaben dazu macht: ob das alles stimmt, ist eine andere Frage. «Mit jedem Konsum einer psychoaktiven Substanz gehen Konsumenten ein unkalkulierbares Risiko ein. Wer zu uns ins Drug-Checking kommt, macht dieses Risiko für sich selber kalkulierbarer. Der Konsum wird sicherer.»

Könnte allenfalls auch mit dem Drug-Checking der Druck auf Dealer steigen, weil Käufer bei schlechten Resultaten ihre Drogen anderswo kaufen würden? «Das wäre ein wünschenswerter Effekt», sagt Allemann. «Weil es bedeuten würde, dass Dealer mehr Verantwortung übernehmen würden und die Qualität besser wird.»

Mehr Männer als Frauen lassen ihre Drogen testen

Ins DILU kommen Menschen, die wissen wollen, was genau sie konsumieren. Mehr Männer als Frauen – nur jede Fünfte, die zum Drug-Checking kommt, ist weiblich. Die jüngste Person war 18-jährig, die älteste 63-jährig. Männer im Anzug, Studentinnen, «Menschen wie du und ich», sagt Olivia Allemann.

«Wer zu uns ins Drug-Checking kommt, macht dieses Risiko für sich selber kalkulierbarer. Der Konsum wird sicherer.»

Olivia Allemann

18.36, es klingelt erneut. Wenig später stehen zwei junge Frauen vor der Tür im 1. Stock. Zwei Kolleginnen. Die eine setzt sich zu Landolt ins Zimmer, die andere bei Olivia Allemann. Wir dürfen bei ihr dazusitzen. «Was bringst du mit?», fragt Allemann. «Ich habe Kokain dabei», sagt die 29-jährige Frau. Aus einem goldenen Couvert kramt sie einen Plastiksack mit weissem Pulver hervor, nimmt davon eine kleine Probe, die sie in einen Behälter füllt und Allemann reicht. Kokain hat die 29-Jährige noch nie genommen. Und vor ihrem ersten Konsum will sie wissen, was sie da genau zu sich nimmt. «Der Reinheitsgehalt müsste um die 90 Prozent sein», sagt sie. «Deswegen bin ich auch mega gespannt.»

Sicherer und sichtbarer

Drug-Checking-Angebote machen den Drogenkonsum nicht nur sicherer, sondern auch sichtbarer, sagt Allemann. «Sie geben Einblicke in einen absolut undurchsichtigen Markt.» Es wird sichtbar, welche Substanzen im Umlauf sind und wie sich der Drogenmarkt entwickelt.

«Wir sind zwar nicht diejenigen, die andere für ihren Konsum verurteilen», sagt Allemann. «Wir haben eine akzeptierende Haltung.» Über die obligatorische Beratung versuchen die DILU-Mitarbeitenden aber, die Besucherinnen dazu zu bringen, über ihr eigenes Konsumverhalten nachzudenken. Nicht selten spüren die Sozialarbeitenden, dass sich bei einem zweiten Besuch bei den Partygängern etwas verändert hat. Dass sie sich Gedanken gemacht haben, weniger oder bedachter konsumieren wollen. Auch können die Berater problematisches Konsumverhalten erkennen und triagieren.

Das Kokain der Frau war übrigens zu 100 Prozent rein – deutlich reiner als angepriesen. Doch auch wenn keine gesundheitsschädigenden Streckmittel drin sind, beim Konsum ist trotzdem Vorsicht geboten. Bei der getesteten Rolls-Roys-Pille handelt es sich mit 194 Milligramm MDMA um eine hochdosierte Pille. Das DILU hat bereits eine Warnung aufgeschaltet.

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