Pädagogische Hochschule Luzern

Wo Lehrer das Fürchten lernen

Das Uni-Gebäude neben dem Bahnhof Luzern, in dem auch künftige Lehrpersonen ausgebildet werden. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Viel Verantwortung, mittelmässige Bezahlung, wenig Ansehen. Der Lehrerberuf ist bei weitem kein Traumjob. Kein Wunder mangelt es stets an Lehrpersonen. Mitschuldig an diesem Defizit dürfte aber auch die Ausbildung sein. Denn die Kritik von Studenten am Studiengang ist gross.

Ein Drittel aller Lehrpersonen an öffentlichen Schulen im Kanton Luzern sind über 50 Jahre alt. Nur rund 17 Prozent aller Lehrer sind jünger als 30, wie eine Untersuchung von LUSTAT Statistik Luzern zeigt. Während bei den Frauen knapp 19 Prozent unter 30-jährig sind, macht dieser Anteil bei den Männern gerade mal zehn Prozent aus.

«Gesamtschweizerisches Phänomen»

Laut Hans-Rudolf Schärer, Rektor der Pädagogischen Hochschule Luzern, hat das Ergebnis der Statistik mit «demographischen Entwicklungen zu tun» und sei ein «gesamtschweizerisches Phänomen». Er erklärt: «In den nächsten Jahren geht ein überproportionaler Anteil an Lehrpersonen in Pension.» Dies bedeute, dass die Pädagogischen Hochschulen besondere Anstrengungen unternehmen müssten, um genügend Studierende zu rekrutieren.

Dies gelang bisher laut Schärer sehr gut: «Wir haben derzeit doppelt so viele Studierende, wie noch vor wenigen Jahren prognostiziert.» Die Zahlen sprechen dafür: Mit 1600 Studierenden und 500 Mitarbeitern ist die PH Luzern heute die viertgrösste Pädagogische Hochschule der Schweiz.

Die Gründe für den Mangel an jungen Lehrpersonen sind jedoch vielfältiger. Realität ist, dass der Lehrerberuf in den letzten Jahren an Anerkennung verloren hat. «Der Lehrerberuf hat einen schlechten Ruf», erklärt der Verein StudOrg auf Anfrage und fügt an, dass man als Lehrperson keinen einfachen Stand in der Gesellschaft habe. «Wo Lehrer früher die höchsten Respektpersonen waren, müssen sie sich heutzutage rechtfertigen wie noch nie.» Doch nicht nur der Beruf, sondern auch die Ausbildung zur Lehrperson steht nicht selten in der Kritik. StudOrg sagt dazu: «Es gibt jährlich wiederkehrende Kritikpunkte am Studiengang an der PH Luzern. Beispielsweise der ständige Standortwechsel zwischen den Lektionen oder auch die 80-Prozent Anwesenheitspflicht kommen bei den Studierenden nicht gut an.»

«Wo Lehrer früher die höchsten Respektpersonen waren, müssen sie sich heutzutage rechtfertigen wie noch nie.»

Verein StudOrg

Auch David Leclerc, der im Sommer 2013 den Bachelor erworben hat und seither im Schulhaus Fluhmühle in Reussbühl unterrichtet, konnte sich nie mit der hohen Anwesenheitspflicht anfreunden: «Etwas weniger Präsenzzeit wäre schon angebracht gewesen.» Denn Arbeiten, für die man auch Zeit in der Freizeit investieren muss, gäbe es zu Genüge. «Man absolviert Praktika, muss Hausaufgaben machen, in der Schule präsent sein und Leistungsnachweise schreiben. All das bedeutet einen enormen Zeitaufwand.»

Die viele Präsenzzeit hat auch F. – heute Lehrer einer 2. Primarklasse in Ebikon – während des Studiums hier und da mal den Nerv geraubt. «Ich sass oftmals im Unterricht und dachte, dass ich ja noch anderes zu erledigen hätte. Dabei einfach die Zeit abzusitzen, war schon sehr mühsam.» Als Beispiel spricht der 24-Jährige das Fach Kommunikationstraining an: «Dies ist eines der Fächer, in dem das unterrichtet wird, was bereits 80 Prozent aller Studierenden beherrschen.» Der Nutzen dieses Moduls sei somit lediglich für eine Minderheit vorhanden gewesen.

«Kommunikationstraining ist eines der Fächer, in denen man lernt, was bereits 80 Prozent aller Studierenden beherrschen.»

F., Primarlehrer und ehemaliger Student der PH Luzern

Die strenge Anwesenheitspflicht gepaart mit den teils zeitaufwändigen Leistungsnachweisen hat F. während seiner Studiumszeit an die Grenze gebracht: «Ich hatte das Gefühl, dass sie recht viele Leistungsnachweise aufdrücken, nur um den Bologna-Prozess (siehe Box) aufrecht zu erhalten.» Es sei einfach schade, wenn es nur darum gehe, den Leistungsnachweis zu erfüllen. Für ihn besonders prekär: Am Anfang des Studiums sei die Leistung der Arbeiten nicht wirklich differenziert beurteilt worden: «Es gab lediglich ein ‹erfüllt› oder ‹nicht erfüllt›. Ich hatte dadurch oft das Gefühl, dass ich einige Seiten schreibe, lediglich damit da etwas steht.»

Schreiben, ohne zu überlegen

Dem schliesst sich Liliane Kyburz, PH-Studentin im zweiten Jahr, an: «Wenn man eine Arbeit machen muss, ist es meist so, dass man einfach schreiben muss, ohne sich wirklich etwas zu überlegen.» Das Studium fordere im Allgemeinen nicht viel an eigenständiger Denkarbeit, so Kyburz weiter.

Studenten der PH Luzern sind dafür bekannt, ausgewiesene Experten in Sachen «Reflexion» zu sein. Diese Lernform macht im Studium ein relativ grosses Stück vom Kuchen aus. «Ich finde, dass es nicht so viel schriftliche Reflexion braucht, wie es im Studium der Fall ist. Oftmals reichen gute Diskussionen – ob mit Mitstudenten oder der Praxislehrperson – aus, um sich des eigenen Handelns bewusst zu werden», erklärt F..

Rektor Hans-Rudolf Schärer legitimiert: «Tatsache ist, dass Reflexionsarbeit an unserer Hochschule wichtig ist und systematisch geübt wird. Die Voraussetzung dafür, etwas zu verstehen, ist die Reflexion.» Es sei nur auf diese Weise möglich, jene zugleich wissenschaftsgestützte und praxisorientierte Ausbildung zu realisieren, die angestrebt werde.

«Die Voraussetzung dafür, etwas zu verstehen, ist die Reflexion.»

Hans-Rudolf Schärer, Rektor der Pädagogischen Hochschule Luzern

Der «Bologna-Prozess»

Als «Bologna-Prozess» wird eine europaweite Vereinheitlichung von Studiengängen- und abschlüssen bezeichnet. Diese will einen einheitlichen europäischen Hochschulraum schaffen. Der Begriff geht auf eine politische Erklärung zurück, die 1999 von 29 europäischen Bildungsministern in Bologna unterzeichnet wurde.

Wesentliche Elemente des «Bologna-Prozesses» sind ein zweistufiges System berufsqualifizierender Studienabschlüsse – typischerweise in Form eines Bachelor- und Masterstudienganges – oder auch die durchgängige Etablierung des «European Credit Transfer Systems» (ECTS). Diese soll sicherstellen, dass Leistungen von Studenten an Hochschulen des europäischen Hochschulraumes vergleichbar und bei einem Wechsel von einer Hochschule zu einer anderen auch grenzüberschreitend anrechenbar sind.

Dass das «Lehrer-Semi» praxisorientierter als die Hochschulausbildung war, bezeichnet Hans-Rudolf Schärer als «Mythos». Er erklärt: «Rund 20 bis 30 Prozent der Ausbildung sind in Form von Praktika vor Ort gestaltet.» Das sei mehr als das Doppelte gegenüber dem Vorgänger der Pädagogischen Hochschule. «Wir wollen nicht nur eine genügend intensive Praxisausbildung realisieren, sondern setzen Praxissequenzen auch früh im Studium an. Dies, um eine frühzeitige Eignungsabklärung zu ermöglichen.» So hätten Studierende bereits ab der zweiten Ausbildungswoche des Grundjahres erste Praxiseinsätze zu meistern.

Starker Fokus auf Berufspraxis

Dass sich der Studiengang stark an der Praxis orientiert, weiss auch F. zu schätzen: «Ich finde es sehr gut, wie es momentan ist. Besonders im Vergleich zu anderen Universitäten oder Hochschulen, wird hier stärker auf die Berufspraxis gesetzt. Das hat mir für meine jetzige Arbeit geholfen.» StudOrg sagt zu den Praktika: «Besonders jene Praktika, die bereits ab dem ersten Jahr starten, motivieren die Studierenden sehr und werden geschätzt.»

Die Quote jener, die das Studium abbrechen, liegt seit Jahren konstant bei zehn Prozent. David Leclerc seinerseits war schon nahe dran, das Studium vorzeitig zu beenden. «Es hatte mich einfach nur noch genervt. Vieles von dem, was wir gemacht haben, hat mir einfach nichts gebracht.» Liliane Kyburz, die das Studium für ein Jahr auf Eis gelegt hatte, erklärt: «Ich hatte einfach genug von allem und keine Lust mehr, weiter zu studieren.» Nach Umwegen über die Polizeischule und die Hochschule Luzern für Wirtschaft habe sie jedoch gemerkt, dass dies keine Berufe sind, in denen sie künftig tätig sein wolle. «Deshalb bin ich wieder an die PH Luzern zurückgekehrt.»

«Man muss es einfach locker nehmen»

F. rät momentanen und künftigen Studierenden an der PH Luzern: «Man muss es einfach locker nehmen und soll sich nicht stressen lassen. Die Studenten sollten für sich entscheiden, worin sie sich vertiefen wollen.» Denn es gäbe gewisse Leistungsnachweise, die relativ einfach abzuhaken seien. «Das gibt die Möglichkeit, mehr Zeit in die Leistungsnachweise, die die eigenen Interessen überschneiden, zu investieren.» David Leclerc sieht das auch so und fügt an: «Dadurch, dass man stets recht gestresst ist, hat man gar nicht die Möglichkeit, viel Zeit in alle Leistungsnachweise zu investieren. Man kann nicht überall gut sein.»

Hinweis: Im Mai 2019 wurde F. auf seine Bitte hin anonymisiert.

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