Entscheid zum carfreien Inseli

Wo die rot-grüne Mehrheit in der Stadt Luzern bröckelt

«Wenn wir clever vorgehen, können wir vieles durchbringen», sagt Christian Hochstrasser, Fraktionschef der Grünen/Jungen Grünen, (Bild: uus/bic)

Es knistert im linken Gebälk der Stadt Luzern: Nach der Airbnb-Debatte gingen SP und Grüne auch beim carfreien Inseli diese Woche nicht Hand in Hand. Offenbart sich ein innerlinker Graben in der Tourismusfrage?

Die Cars bleiben vorläufig auf dem Inseli. Das Luzerner Stadtparlament hat es abgelehnt, den Platz bereits Anfang 2022 zu räumen – obwohl SP und Grüne derzeit im Grossen Stadtrat eine knappe Mehrheit haben (zentralplus berichtete).

Doch mehrere grüne Parlamentarierinnen enthielten sich überraschenderweise der Stimme. In den sozialen Medien machte die SP keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. «Da bin ich jetzt gelinde gesagt sehr enttäuscht», schreibt der kantonale SP-Präsident David Roth auf Facebook. «Zuerst wollen die Grünen Hunderte von Wohnungen Airbnb opfern und jetzt verhindern sie auch noch ein carfreies Inseli? Echt jetzt?»

Am Tag nach dem Entscheid sagt Simon Roth, SP-Fraktionschef im Stadtparlament, zu zentralplus: «Ich kann mir nicht erklären, wieso sich so viele Grüne enthalten haben.»

Wieso die Grünen nicht einstimmig auftraten

Die Kritik der SP nehme man sportlich, entgegnet Christian Hochstrasser, Fraktionschef der Grünen/Jungen Grünen. «Wir richten unser Abstimmungsverhalten nicht nach David Roth», sagt er schmunzelnd.

Um im Ernst nachzuschieben, seine Fraktion habe eigentlich eine klare Haltung gehabt – nämlich dieselbe wie die SP. «Wir haben keine Geduld mehr und teilen die Sorge, dass es beim Inseli ähnlich lange dauern könnte wie bei der Neugestaltung der Bahnhofstrasse.» 

Bei einem Teil der Grünen hätten im Verlauf der Debatte aber gewisse Bedenken Auftrieb erhalten. «Besonders die Äusserung von Stadtrat Adrian Borgula, dass die Cars mangels Alternative auf die Quartiere ausweichen könnten, bewog einige dazu, sich ihrer Stimme zu enthalten.» Mit Folgen: Aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse reichte das, um das Gesamtresultat im Sinne der Bürgerlichen zu kippen.

Nebst den Inseli-Initianten und der Stadtluzerner SP zeigte sich auch Kantonalpräsident David Roth enttäuscht über die fehlende Unterstützung einiger Grüner:

Den Vorwurf, er habe seine Fraktion nicht im Griff, weist Christian Hochstrasser zurück. «Es ist nicht meine Rolle, allen vorzuschreiben, ob sie die Hand heben dürfen. Wir stimmen bei den Grünen/Jungen Grünen grundsätzlich immer frei.» 

Simon Roth von der SP hat wenig Verständnis für das Argument der Minderheit in der Fraktion der Grünen. «Es ist Aufgabe der Polizei, dafür zu sorgen, dass die Cars nicht unerlaubterweise parkiert werden. Zudem gibt es mit dem VBL-Depot eine bereits erprobte Alternative für einen Teil der Carparkplätze – sie wird im Moment einfach nicht genutzt», sagt der Chef der grössten Fraktion im Stadtparlament. «Es ist auch nicht unser Problem, dass der Stadtrat mehr als sechs Jahre nach Einreichung der Initiative keinen Ersatz für die Carparkplätze findet.»

Bei Airbnb gehen die Meinungen auseinander – und sonst?

Es ist innert kurzer Zeit das zweite Mal, dass SP und Grüne in der Stadt Luzern nicht auf einer Linie politisieren. Auch beim Umgang mit kommerziellen Airbnb-Anbietern verfolgen die beiden Linksparteien unterschiedliche Lösungen: Die SP forciert mit einer Volksinitiative die 90-Tage-Regel, die Grünen wollen gemeinsam mit der GLP eine Begrenzung pro Quartier und damit liberalere Regeln (zentralplus berichtete).

Bei beiden Entscheiden geht es im Grunde um die Frage, welchen Tourismus die Stadt Luzern künftig ermöglichen oder fördern soll. Diese Diskussion wird die Leuchtenstadt in nächster Zeit noch eingehender beschäftigen: Der Stadtrat wird bald das Resultat des noch vor Corona ins Leben gerufenen Strategieprozesses für eine neue Tourismusvision 2030 präsentieren.

Die Grünen werden dabei einen möglichst nachhaltigen Tourismus anvisieren, die SP eine Lösung, die nicht auf Kosten der Einheimischen geht. Wird das deckungsgleich sein oder weitere Differenzen offenbaren?

«Wir verstehen uns mit der neuen Mehrheit in der Verantwortung, während die SP nach wie vor eher der Stachel im Fleisch ist.»

Christian Hochstrasser, Fraktionschef Grüne

Ob man beim Tourismus unterschiedliche Haltungen habe, werde sich zeigen, sagt Simon Roth. Klar ist für ihn: «Die SP ist nicht bereit, Hunderte Wohnungen für Airbnb zu opfern.» 

Hochstrasser verneint derweil, dass diese Episode und der Airbnb-Streit eine grundsätzlich unterschiedliche Haltung von SP und Grünen in der Tourismusfrage implizieren. «Es zeigt mehr über unser Rollenverständnis: Wir verstehen uns mit der neuen Mehrheit in der Verantwortung, während die SP nach wie vor eher der Stachel im Fleisch ist», sagt der grüne Grossstadtrat.

Das unterschiedliche Selbstverständnis von SP und Grünen

Diese Aussage ist aus drei Gründen interessant. Erstens hört man diesen Vorwurf an die Adresse der SP sonst vor allem auf bürgerlicher Seite und aus Wirtschaftskreisen. Zuletzt etwa von FDP-Grossstadtrat Fabian Reinhard, der die grösste Partei nach wie vor im Oppositionsmodus verortet (zentralplus berichtete).

Zweitens: Die SP würde das gar nicht grundsätzlich abstreiten, aber in andere Worte fassen. Für Simon Roth ist es zentral, dass die SP als grösste Partei einen Wählerauftrag hat. «Wir wollen die Stadt nach unseren Vorstellungen gestalten. Und nicht bereits von Anfang an einen Kompromiss vorschlagen.» 

Das zeigt: Die beiden linken Parteien im Luzerner Stadtparlament legen ein unterschiedliches Selbstverständnis an den Tag. Die Genossen schlagen Pflöcke ein, die Grünen bauen Brücken.

«Wir wollen die Stadt nach unseren Vorstellungen gestalten. Und nicht bereits von Anfang an einen Kompromiss vorschlagen.» 

Simon Roth, SP

Und damit zum dritten Punkt: Die Grünen könnten sich vom Juniorpartner der SP zur Mehrheitsbeschafferin emanzipieren. «Wenn wir clever vorgehen und unsere Anliegen richtig einfädeln, können wir vieles durchbringen», sagt dazu Christian Hochstrasser, der bereits im Sommer 2020 bekräftigte, man werde nicht einfach ein rot-grünes Powerplay durchziehen, nur weil es die gegenwärtigen Mehrheitsverhältnisse erlauben würden (zentralplus berichtete).

Die SP bleibt die wichtigste Partnerin der Grünen

Droht die SP dadurch isolierter zu werden?  Für SP-Fraktionschef Simon Roth ist dies jedenfalls kein Grund, den Kurs anzupassen. Natürlich suche die SP mehrheitsfähige Lösungen, bekräftigt er, aber ohne sich dafür zu verbiegen.

Dass die Grünen in Zukunft häufiger auf bürgerlicher Seite die Fühler ausstrecken, ist ohnehin nicht zu erwarten. «Am Ende ist die SP unser wichtigster Partner, mit dem wir in 95 Prozent der Fälle die gleichen Grundhaltungen teilen», betont Christian Hochstrasser. Ähnlich äussert sich Simon Roth von der SP. «Es darf durchaus sein, dass Grüne und SP nicht immer gleich stimmen. Sonst könnten wir ja fusionieren.»

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8 Kommentare
  • Profilfoto von Andreas Bründler, Kriens - Bleiche
    Andreas Bründler, Kriens - Bleiche, 25.09.2021, 16:24 Uhr

    Wieder David Roth: Er drückt sich immer in den Vordergrund. Er will, dass stramm auf Parteilinie gestimmt wird. Sein ganzes Verhalten erinnert mich schon sehr an die SED in der alten DDR. Da wurde auch immer stramm auf Parteilinie gestimmt. Abweichler wurden nicht geduldet. David Roths Verhalten zeigt was uns einfachen Bürgern blüht, wenn die Linken mehr und mehr Macht an sich reissen. Als Bürger muss man hier hellwach sein und so eine Entwicklung verhindern. Auf Parteilinie stimmen ist überhaupt nicht schweizerisch, wo jeder seine eigene Meinung haben kann.

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    • Profilfoto von Peter Bitterli
      Peter Bitterli, 25.09.2021, 20:11 Uhr

      Simon ist der Bruder von David. Im Fleische. Und im Geiste. Ideologisch und „beruflich“.

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      • Profilfoto von Peter Bitterli
        Peter Bitterli, 26.09.2021, 10:16 Uhr

        Ja, aber hallo, lieber anonymer „Möglichmacher“ mit dem Däumchen nach unten! Wo liegt denn jetzt genau das Problem und der Grund Deines Missfallens? Die zwei sind keine Brüder? Auch nicht im Geiste? Sie haben nicht die gleiche Ideologie? Sie sind nicht beide bei Institutionen linken Politlebens angestellt?

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  • Profilfoto von Libero
    Libero, 25.09.2021, 13:33 Uhr

    Liebe ALLE Rot/Grüne
    Hektik via Medien aufkommen solltr wirklich nicht sein.
    Als gewöhnliche Mitbürger wollen wir bezahlbaren Wohnraum und möglichst gute Wohnqualität.
    Das ist nur ohne Airbnb, Massentourismus und weitere Parkhäuser wie ein Parkhaus Musegg möglich.

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  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 25.09.2021, 11:58 Uhr

    Simon Roth ist nicht bereit „Hunderte Wohnungen für Airbnb zu opfern“. Braucht er auch nicht; die Wohnungen gehören nämlich weder ihm noch der SP.

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  • Profilfoto von hegard
    hegard, 25.09.2021, 11:05 Uhr

    Die stuhren B… sehen die einfachsten Lösungen nicht.

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  • Profilfoto von hegard
    hegard, 25.09.2021, 08:58 Uhr

    Mag sein das Roth seine Leute im Griff hat.Die SP liebt machtspiele.
    Aber mit Borgola vieles andere nicht

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  • Profilfoto von hegard
    hegard, 25.09.2021, 08:55 Uhr

    Die Cars würden schon im VBL Areal parken.
    Aber niemand lässt sich gerne Abzocken.
    Und hier sieht man wieder die Stuhrheit das ist die Spezialität der SP,Leute zu Erpressen ,anstatt ein entgegenkommen um Propleme zu lösen .würden Sie in dem VBL Areal faire oder günstige Parkgebühren verlangen,wäre das Areal voll und das Inseli leer.Proplem??

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