Jakobsweg in Luzern

Wo Atheisten mit den Füssen beten

Die Jakobsmuschel ist das Erkennungszeichen der Jakobspilger. (Bild: Natalie Boo/AURA)

Wandern für Gläubige, oder Selbstfindung für Hippies? Vieles wird über Pilger gesagt, aber nicht, es sei eine aussterbende Spezies. Schon bevor Hape Kerkeling sich auf den Jakobsweg machte, stiegen die Zahlen der Pilger nach Santiago jährlich an. Ein weniger bekannter Teil des Jakobswegs führt durch Luzern. Auch dort ist der Trend spürbar.

215’880 Menschen machten sich im letzten Jahr auf den Jakobsweg. Seit der Veröffentlichung von «Ich bin dann mal weg» von Autor und Komiker Hape Kerkeling und dem Trend zur Selbstfindung machen sich immer mehr Leute auf zum Pilgern. Pro Jahr kommen über 1’100 Schweizer Pilger im spanischen Santiago de Compostela an. Alleine in St. Gallen werden jährlich um die 600 Pilgerpässe bezogen. Tendenz steigend.

Reaktivierte Strecke in Luzern

Auch durch den Kanton Luzern lässt es sich pilgern. Zwischen 1995 und 1998 wurde der Luzerner Jakobsweg reaktiviert. Josef Stöckli aus Ufhusen ist nicht nur Pilger, sondern war auch mitbeteiligt bei der Beschilderung und der neuen Wegführung des Jakobsweges zwischen Einsiedeln und dem bernischen Rüeggisberg. «Da habe ich natürlich auch darauf geachtet, dass der Weg durch das Dorf Ufhusen führt», erzählt er mit einem Zwinkern. Der Luzerner Teil des Jakobsweges führt von der Stadt Luzern unter anderem über Malters, Werthenstein und Hüswil.

Die bekanntere Jakobsweg-Strecke durch die Schweiz verläuft jedoch über den Brünig. «Gegenüber dieser Route ist der Luzerner Weg weniger begangen. Er ist aber attraktiv für Pilgernde in der Schweiz, die den Brünig schon gemacht haben», merkt Pfarrer Thomas Heim aus Hüswil an. Josef Stöckli und seine Frau Heidi sehen einen Anstieg der Pilger in Luzern: «Es kommen jede Woche Leute vorbei. Der Weg ist bekannter geworden seit der Beschilderung.» Aber er merkt auch an: «Es gibt ja nicht den richtigen Weg. Der Weg beginnt vor deiner Haustüre und führt über ein Spinnennetz von Wegen nach Compostela.»

Bei der Reaktivierung des Luzerner Teils wurden neue Beschilderungen angebracht und 14 Pilgerstationen am Weg gestaltet. Mit jeder Station (siehe Slideshow) sind Gedankenanstösse und Themen verbunden, die den Pilger auf seinem Weg begleiten sollen.

«Mit den Füssen beten»

Pilgern war ursprünglich eine Möglichkeit, sich durch diese «Selbstkasteiung» einen Platz im Himmel zu sichern. In erster Linie pilgerten Gläubige, um Sünden abzulegen, für das Seelenheil und um vollkommene Vergebung oder zu Gott zu finden. Heute hat sich die Motivation bei vielen Pilgern verändert. Welche Rolle spielt die Religion heute noch beim Jakobsweg?

«Es geht darum, eine Auszeit zu nehmen. Sich zu entschleunigen und zu besinnen», findet das Ehepaar Stöckli. «Es geht uns nicht darum, Busse zu tun, sondern um die Freude an der Natur, am Wandern und am Entdecken neuer, unbekannter Orte.»

Können Atheisten denn pilgern?

Pfarrer Thomas Heim aus Hüswil sagt zur aktuellen Entwicklung: «Aus dem Trend ist wohl mehr eine Bewegung geworden, die nun seit längerer Zeit andauert.» Man könne dies auch anhand der Pilgerzahlen in Santiago de Compostela sehen. «Pilgern ist eine eigenständige und individuell erlebbare Form des Glaubens, kombiniert mit Sport und Natur. Das ist attraktiv und entspricht dem Zeitgefühl», erklärt sich Heim den Trend. Und auch die Verbindung von Spiritualität und Tourismus sei sehr spannend. Tatsächlich sprechen die Zahlen für sich. Seit Jahren wächst die Zahl der Pilger immer weiter und hat die 200’000 Marke bereits überschritten. Auf Facebook gibt es unzählige Gruppen mit zehntausenden von Mitgliedern. Es werden Fotos, Tipps und Motivationen ausgetauscht. Auch in der Schweiz sind Jahr für Jahr mehr Pilger unterwegs.

«Sie dürfen es selbstverständlich gerne versuchen.»
Thomas Heim, Pfarrer Hüswil

Braucht es denn Religiosität beim Pilgern? Thomas Heim findet «Ja». «Zum Pilgern gehört für mich die Gemeinschaft mit Gott im Gebet. Pilgern hat für mich als evangelisch-reformierter Christ mit der Nachfolge Jesu Christi zu tun.» Auch er sei als Wanderprediger umhergezogen. Daher sei Pilgern letztlich ein Bild für den Lebensweg unterwegs mit und zu Gott. «In diesem Sinne können Atheisten nicht pilgern, weil sie nicht mit Gott rechnen. Aber sie dürfen es selbstverständlich gerne versuchen.»

Die Legende von Werthenstein

Ein alter Mann verdiente sich um 1500 mit Goldwaschen in der Emme sein Auskommen. Eines Abends entschied er sich, sein Nachtlager auf dem Hügel, auf welchem heute das Kloster steht, aufzuschlagen. In dieser Nacht sah der alte Mann die wunderschönsten Lichter und hörte himmlische Gesänge. Durch dieses Erlebnis tief beeindruckt, hinterliess der Alte eine Zeichnung der Krönung Mariae an einer Tanne, vor welcher er oft seine Andacht hielt.


Das Lichtwunder sprach sich schnell herum und viele Leute pilgerten an die Stelle. Weitere Wunder geschahen in den darauffolgenden Jahren. Eines davon war, als einem Kind ein Pflaumenstein in der Nase steckengeblieben war und nicht mehr zu entfernen war. Erst vor der Tanne konnte das Kind schliesslich niesen und der Pflaumenstein fiel aus der Nase. 1520 wurde schliesslich eine Kapelle an der Stelle errichtet, woraus später das Kloster wurde.

Werthenstein war zur Hochblüte der Pilgerzeit im Barock der zweibeliebteste Wallfahrtsort in der Schweiz nach Einsiedeln.

Der Werthensteiner Alt-Regierungsrat Toni Schwingruber ist ähnlicher Meinung. Es gehe zwar nicht unbedingt darum, Gott zu suchen, aber doch ein bisschen darum, ihn zu finden. Denn «auch Atheisten können allenfalls beim Pilgern, oder beim Wandern Göttliches entdecken», so Schwingruber, der eine enge Bindung zum Kloster Werthenstein und dem Jakobsweg hat.

Josef Stöckli aus Ufhusen relativiert: «Einen Hintergrund gibt es immer. Eine Suche nach etwas. Sonst macht man sich nicht auf einen solchen Weg.» Ausserdem sei man teilweise stundenlang oder ausserhalb der Saison sogar tagelang alleine unterwegs: «Da kommt das eine oder andere hoch.» Das liesse sich gar nicht vermeiden, bestätigt auch seine Frau.

Der Durchschnittspilger

Sandra Zurkirchen wohnt im Kloster Werthenstein. Dort bietet sie eine Pilgerwohnung mit Zimmer für Jakobspilger an. Auch ihr ist aufgefallen, dass seit ein paar Jahren mehr Leute unterwegs sind. «Es tauchen vor allem mehr Einzelpilger und junge Leute auf als früher. Und sie sind sehr einfach und klassisch unterwegs. Mit Stock und wenig Gepäck.» Toni Schwingruber hingegen ist in Werthenstein kein Anstieg aufgefallen. Doch er würde meinen, dass Werthenstein trotzdem sicher täglich von Einzelpilgern besucht werde. Zurkirchen ist überzeugt, dass Kerkeling mit seinem Buch einen Trend ausgelöst habe. «Es hat einen neuen Schwung in die Pilgerbewegung gegeben.» Es seien die unterschiedlichsten Leute, die heute pilgern würden. Ob religiös oder nicht, sei ihr nicht wichtig. Sie frage nie danach.

«Das ist dann nicht mehr besonders christlich.»
Heidi Stöckli, Pilgerin

Laut einer Studie von Ökonom Stephan Dähler sind weitaus mehr Pilger in Gruppen unterwegs. Nur 12,9 Prozent sind Einzelpilger. Dabei sind Männer häufiger auf dem Jakobsweg unterwegs als Frauen. Doch die Frauen holten in den letzten Jahren auf. Der durchschnittliche Pilger trägt ungefähr 10 Kilogramm Gepäck mit sich herum und läuft zwischen 30 bis 40 Kilometer pro Tag. Insgesamt bestätigt die Studie aber vor allem: Pilgern boomt wirklich.

Die Studie teilt Pilger in verschiedene Gruppen ein: Kurzstrecken-Pilger, schnelle, langsame Pilger und so weiter. Heidi und Josef Stöckli nennen sich selbst «bequeme Pilger». Zu Fuss haben sie ungefähr 10 bis 16 Kilometer pro Tag zurückgelegt. Das Ehepaar hat immer wieder Teile des Jakobsweges absolviert. Zu Fuss, mit dem Velo und auch mal mit dem Car. Sie sind zu zweit gereist, mit der Familie aber auch in einer grösseren, geführten Gruppe.

«In der Gruppe ist der Vorteil, dass jeweils die Betten bereits vorher reserviert sind. Sonst kann man auch Pech haben», gibt Heidi Stöckli zu bedenken. Tatsächlich erzählen Langstreckenpilger öfters, dass es regelrechte Springt-Kämpfe um die günstigen Betten – oftmals in Herbergen und Klöstern näher bei Compostela – gibt. «Das ist dann nicht mehr besonders christlich», lacht Heidi Stöckli.

Zurkirchen hat im Kloster Werthenstein noch keine derartigen Sprints erlebt. «Bisher konnte ich noch fast immer alle unterbringen.» Notfalls stelle sie noch Klappbetten auf. «Nur einmal musste ich bisher jemanden wegschicken, weil ich wirklich keinen Platz mehr hatte.»
 Auf dem Luzerner Jakobsweg habe es momentan auf jeden Fall noch genug Platz für alle. Auch für die «Ungläubigen».

Hungrig auf dem Luzerner Jakobsweg

An einem Montag im Juli den Luzerner Teil des Jakobsweges zu begehen, ist keine gute Idee. Nicht nur die Hitze macht zu schaffen. Nein, es hat auch grundsätzlich alles zu. Sogar die öffentlichen Toiletten sind geschlossen – wegen Vandalismus. Als naturverbundener Pilger ist Wildpinkeln natürlich kein Problem, aber auch etwas zu Essen zu finden ist schwierig. In Ufhusen und Hüswil hat alles zu, die Wirtschaften haben Ferien, Ruhetag oder für immer zugemacht. Die Bäckerei ist geschlossen. Die Käserei hat am Mittwoch wieder auf. Auch in Werthenstein sind die Gasthöfe, inklusive das Restaurant Kloster geschlossen. In Zell, etwas abseits, wieder drei geschlossene Wirtschaften. Dann tauchte schliesslich ein geöffneter Kebap-Stand auf. Guten Appetit.

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