Kritik an Wirtschaftsworkshops für Jugendliche

Zuger Vermögensverwalter lockt 13-Jährige an die Börse

Zwei Teilnehmerinnen des Workshops freuen sich über das «Nötli» mit drei Nullen.

(Bild: Zugerberg Finanz)

Teenager, die stolz mit einer 1’000er-Note posieren oder eine fiktive Aktie in die Höhe recken: Mit solchen Bildern versucht ein Zuger Vermögensverwalter Jugendliche für seine Workshops zu begeistern. Dem erfolgreichsten Teilnehmer winkt ausserdem eine Geldprämie. Wirtschaftsethiker sehen die Kurse kritisch.

Es ist Samstag. Während Jugendliche auf dem Fussballplatz ihr Bestes geben, drücken Gleichaltrige bei einem Vermögensverwalter freiwillig die Schulbank. Auf dem Stundenplan steht von 9 bis 16 Uhr aber nicht Mathematik, sondern das 1×1 der Börsensprache. Hinter den Wirtschaftsworkshops für 13- bis 17-Jährige steht die Zugerberg Finanz.

«Faszination Börse und Kapitalmärkte»

Gesucht werden die Junginvestoren über Inserate. Hier heisst es: «Fast täglich werden wir mit Begriffen aus der Wirtschaft wie Aufschwung, Konsum, Unternehmensfusionen, Börse, Aktienkurs, Inflation und vielem mehr konfrontiert. Bestimmt fragen sich auch viele Jugendliche, was diese Begriffe genau bedeuten.» Auf Impressionen aus Vorjahren sieht man, wie Teenager stolz mit einer 1’000er-Note posieren oder eine fiktive Aktie in die Höhe recken.

Angeboten werden zwei Workshops im März: «Faszination Wirtschaft» und «Faszination Börse und Kapitalmärkte». Als Nichtkunde kostet ein Workshop 35 Franken.

Qual der Wahl in der Kanti

Timo Dainese ist Gründer der Zugerberg Finanz. Er erklärt, wie er auf die Idee der Wirtschaftsworkshops gekommen ist: «Meine Tochter war in der zweiten Kanti und stand vor der Wahl des Schwerpunktfaches.» Dabei stand auch Wirtschaft und Recht zur Wahl.

Timo Dainese (Zweiter von rechts) ist Gründer von Zugerberg Finanz.

Timo Dainese (Zweiter von rechts) ist Gründer von Zugerberg Finanz.

(Bild: Zugerberg Finanz)

Daineses Tochter hatte zuvor noch nie Wirtschaft in der Schule, konnte das Fach also nicht einschätzen. «Und dies am Wirtschaftsstandort Schweiz. Solche Themen kommen in der Schule teilweise zu kurz oder werden zu spät behandelt», sagt Dainese. Er spricht dabei Dinge wie den Umgang mit Geld an oder weshalb es Banken braucht.

Blinddegustation mit Energy Drinks

«Weiter versucht unser Professor Maurice Pedergnana den Jugendlichen aufzuzeigen, weshalb ein Unternehmen erfolgreich ist und warum der Unternehmer, welcher durch seine Investitionen ein Risiko eingeht, Anrecht auf einen angemessenen Gewinn hat», erklärt Dainese weiter.

«Nur wenige haben bereits einen wirtschaftlichen Hintergrund.»

Timo Dainese

Die einigermassen trockene Materie soll möglichst anschaulich nähergebracht werden. So gibt es beispielsweise eine Blinddegustation mit Energy Drinks. Die Jugendlichen sollen merken, dass Red Bull gar nicht besser schmeckt, sondern nur teurer ist.

Es gibt 50 Franken zu gewinnen

Ausserdem erwartet die Jugendlichen ein Börsenspiel. Für den Wert von 10’000 Franken können sie sich ein fiktives Aktienportfolio zusammenstellen. Anschliessend werden Wirtschaftsnachrichten simuliert und die Jugendlichen müssen einschätzen können, ob diese gut oder schlecht für ihre Aktien sind.

Nach dem Workshop erhalten die Teenager noch sechs Monate lang Mails von Zugerberg Finanz zugesandt. Inhalt: Wie sich die Kurse «ihrer» Aktien entwickelt. Der Sieger bekommt schliesslich 50 Franken.

Bedenken, dass die jungen Teilnehmer durch die Workshops das schnelle Geld riechen, hat Dainese keine. «Vor den Workshops fragen wir die Teilnehmer jeweils nach ihren Erwartungen. Bislang hat noch nie jemand erwähnt, er wolle lernen, wie man spekuliert, um Millionen zu machen. Und das vermitteln wir auch nicht.»

Zudem seien ihre Teilnehmer nicht diejenigen, welche an die Kapitalmärkte drängen. «Wir motivieren die Jugendlichen nicht, Spekulationsaktien zu kaufen. Dies würde auch gar nicht zu unserer Firmenphilosophie passen, da wir selbst eher für Konservatismus bekannt sind», so Dainese.

Schulen gehen auf Distanz

Das Zuger Unternehmen bietet die Workshops zum vierten Mal an. Die Nachfrage stimme, so Dainese. Auch Zuger Schulen habe man schon angefragt. «Doch diese üben sich noch in vornehmer Zurückhaltung», sagt er.

«Wir motivieren die Jugendlichen nicht, Spekulationsaktien zu kaufen.»

Timo Dainese

Dainese gibt zu, dass es jeweils nicht ganz einfach ist, die Jugendlichen für die Workshops zu motivieren. Es seien denn jeweils meist auch die Eltern, welche das Inserat sehen und ihren Kindern einen Samstag mit Wirtschaft, Aktien und Obligationen nahelegen.

Der gebürtige Aargauer betont, dass es längst nicht bloss Kantischüler seien, welche an den Workshops aufkreuzen. «Nur wenige haben bereits einen wirtschaftlichen Hintergrund. Wir haben zum Beispiel auch einen 17-Jährigen, welcher eine Lehre als Automechaniker absolviert, oder eine 13-Jährige, welche erst gerade in die Kanti gekommen ist.» Zudem unterscheide sich der Inhalt stark von demjenigen, welcher an der Schule gelehrt wird.

Will niemand Millionen machen?

«Nein, Jugendliche brauchen in diesem Alter noch kein vertieftes Wissen, was die Wirtschaft, Kapitalmärkte oder den Aktienhandel anbelangt», gesteht Dainese ein. «Aber die Workshops sind für diejenigen spannend, welche sich für die Materie interessieren.»

Die Wirtschaftsworkshops finden im Lüssihof in Zug statt.

Die Wirtschaftsworkshops finden im Lüssihof in Zug statt.

(Bild: Zugerberg Finanz)

Kritik aus der Lehre

Kritisch sieht solche Workshops Marianthe Stavridou. Sie leitet am «Center for Corporate Responsibilty and Sustainability», einem assoziiertem Institut der Uni Zürich, den Bereich Wirtschaftsethik. Stavridou sagt: «Es ist wichtig, dass die Jugendlichen in diesen Workshops die positiven wie negativen Seiten des Bankenwesens und der Märkte lernen. Werden nur die Sonnenseiten beleuchtet, wäre dies ein Muster aus dem 20. Jahrhundert, welches nicht mehr zeitgemäss ist.»

Zudem müsse auch der Aspekt der Nachhaltigkeit Platz finden. Denn als Vermögensverwalter habe Zugerberg Finanz eine grosse Verantwortung, welche das Unternehmen auch wahrnehmen müsse.

«Es ist ausserdem wichtig, dass Jugendliche lernen, was sie mit ihrem Handeln an der Börse bewirken, welche Risiken sie eingehen und wie sie nachhaltig und verantwortungsvoll investieren. Es ist keine Frage des Konservatismus. Es ist eine Frage der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft», so Stavridou weiter.

«Es soll eine kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Wirtschaftspraxis Platz haben.»

Peter Kirchschläger, Leiter Institut für Sozialethik, Universität Luzern

Peter G. Kirchschläger ist Professor für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik an der Universität Luzern. Er sagt: «Bildungsangebote von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden dürfen sicherlich nicht als Werbeveranstaltungen missbraucht werden. Es soll eine kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Wirtschaftspraxis Platz haben, wo auch Probleme aus wirtschaftsethischer Sicht zur Sprache kommen.»

Sie scheinen Spass zu haben am Wirtschaftsworkshop.

Sie scheinen Spass zu haben am Wirtschaftsworkshop.

(Bild: Zugerberg Finanz)

Die negativen Seiten der aktuellen Wirtschaftspraxis seien ebenfalls zu thematisieren. Als Beispiel nennt er etwa Menschenrechtsverletzungen durch multinationale Konzerne mit Hauptsitz in der Schweiz.

Peter G. Kirchschläger lehrt an der Uni Luzern.

Peter G. Kirchschläger lehrt an der Uni Luzern.

(Bild: zvg )

Weiter nennt er die 50 bis 70 Milliarden Euro, welche die EU-Mitgliedstaaten jährlich aufgrund von Steuervermeidung durch multinationale Konzerne verlieren. Oder Sklaverei und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen an Billigproduktionsstandorten und bei der Schürfung von Rohstoffen. Dabei gelte es auch, Alternativen wie beispielsweise die Konzernverantwortungsinitiative oder Fairtrade aufzuzeigen.

Zugerberg Finanz steht nicht alleine da

Kirchschläger weiss von ähnlichen Workshops für Jugendliche: «Es gibt einige solcher Initiativen. Zum Beispiel der dem Wirtschaftsverband Economiesuisse nahestehende Verein Yes, in dem sich verschiedene Unternehmen engagieren.»

Es scheine, dass Unternehmen und Wirtschaftsverbände den wirtschaftspolitischen Nutzen und das damit verbundene ökonomische Potenzial solcher Bildungsangebote erkannt haben und nützen wollten, so Kirchschläger.

Und was wurde aus dem Berufswunsch von Timo Daineses Tochter? Sie hat sich nach dem Besuch des Wirtschaftsworkshops für das Schwerpunktfach Musik entschieden.

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