Wo in Luzern bald Heuschrecken und Mehlwürmer serviert werden
Heuschrecken werden zur Delikatesse: Der Bundesrat erlaubt ab nächstem Frühling Handel mit und Verkauf von gewissen Insekten. Das beschäftigt auch Luzerner Beizer. Denn Insekten haben Trend-Potenzial. Aus ganz verschiedenen Gründen.
Von Rechts wegen muss man sich nicht länger ekeln: Ab Mai 2017 dürfen essbare Insekten zum Verkauf schweizweit angeboten werden. Der Bundesrat hat dies im Rahmen des neuen Lebensmittelrechts entschieden. Coop lanciert Produkte basierend auf essbaren Mehlwürmern, Heuschrecken und Grillen – in Form von Burgern und Hackbällchen.
Die Supermarktkette arbeitet in diesem Marktfeld mit dem Start-up «Essento» zusammen, das sich auf essbare Insekten spezialisiert hat. Im November hat man gemeinsam mit dem Tropenhaus Wolhusen zur Verkostung geladen (zentralplus berichtete). Damit setzt Coop auf den Trend der Entomophagie, den Verzehr von Insekten.
Nachhaltigkeit ist der grosse Vorteil
Die Argumente für den Insektenkonsum sind ansprechend: Die Tiere haben einen mit Fisch und Fleisch vergleichbaren Proteingehalt, sie enthalten viele ungesättigte Fettsäuren, vergleichbar mit Fisch, Nüssen oder Avocado, und Insekten liefern Minerale und Vitamine. Doch der grösste Pluspunkt liegt in der Nachhaltigkeit: Im Vergleich zu herkömmlichem Fleisch ist die Zucht von Insekten auf kleinerem Raum möglich und hat einen tieferen Wasser- und Futterverbrauch. Der Treibhausgas-Ausstoss bei der Produktion ist im Vergleich zu anderen Fleischproduktionen um ein Vielfaches reduziert. Bei der Herstellung von Rindfleisch können die Emissionen bis zu 100 Mal höher sein.
Importierte Insekten ergeben hohe Transportwege
Trotz Markteinstieg der Insekten im Mai wird die Entomophagie ein Nischenprodukt bleiben. Obschon weltweit zwei Milliarden Menschen regelmässig Insekten verzehren, gelten die Sechsbeiner im hiesigen Kulturkreis als eklig. Das wird sich auch durch das neue Lebensmittelrecht nicht so schnell ändern. Davon zeugt auch: Der Verkauf von verarbeiteten Insekten ist bis zu viermal höher als der Absatz ganzer Tiere.
Momentan reicht die inländische Insektenzucht für die erwartete Nachfrage nicht aus. «Essento» importiert ihre Produkte aus den Niederlanden. Dazu gibt es Produktionen in Thailand, in den USA oder Südamerika. Importe führen zu erhöhtem Transportaufwand und damit zu erhöhter Umweltbelastung. Das relativiert den Nachhaltigkeitsaspekt – noch.
Zentralschweizer Insektenproduktion läuft an
Die Firma Entomos aus Grossdietwil im Kanton Luzern bereitet sich auf den neuen Trend vor. Das Unternehmen der Andermatt-Firmengruppe, des grössten Insektenzüchters der Schweiz, fährt momentan die Produktion von Speiseinsekten hoch. Man habe im Sommer gespürt, dass die Gesetzesänderung bevorstehe, wie Entomos-Geschäftsführer Urs Fanger sagt. Seit dem Bundesratsentscheid vom letzten Freitag könne man genau planen und die Produktion angehen.
Die Gesetzeslage in der Schweiz verbietet momentan den Verkauf von essbaren Insekten. Trotzdem bietet beispielsweise Essento bereits ein Kochbuch für Insektengerichte an. Wie also komme ich zu essbaren Heuschrecken? «Der Weg vom Händler zum Konsumenten stellt heute ein Problem dar», sagt Christian Bärtsch, Co-Founder von Essento. Wer sucht, der findet mehrere Webshops, die als «Futterinsekten» deklarierte Tiere verkaufen, die den europäischen Hygienestandards für Speiseinsekten entsprechen. Das heisst: Diese Tiere sind problemlos geniessbar. Aber Christian Bärtsch macht Neo-Entomophagier auf eine Sache aufmerksam: «Wer unter einer Krustentierallergie leidet, kann auch bei Insekten allergische Reaktionen zeigen.»
Im Produktionsvolumen stecke ein Risiko: «Man hat keine genauen Zahlen über die Höhe der Nachfrage», sagt Fanger. Um diesem Risiko entgegenzuwirken, fährt man bei Entomos zweischienig: Zum einen setzt man auf Selbstproduktion, zum anderen importiert man Insekten aus dem Ausland. «Langfristig möchten wir uns als Schweizer Unternehmen mit Insekten aus der Region etablieren», so Fanger. Die Nachfrage nach verzehrbaren Insekten sei aber schon jetzt sehr hoch.
Zum Preis sagt Fanger: «Unser Ziel ist, das Rohprodukt im Preissegment von Poulet anzubieten.» Dabei müsse man Unterschiede machen: Mehlwürmer seien am günstigsten, Grillen etwas teurer und Heuschrecken seien ein Produkt im Luxussegment. Fanger ist erfreut über das hohe Medieninteresse: «Das neue Lebensmittelrecht ist ein umfassendes Paket, das viele Gesetzesänderungen bringt. Die neue Regelung des Insektenhandels bekommt dabei die grösste Aufmerksamkeit.» Dies zeige das grosse Interesse am Thema Insekten.
«Der Konsument kann 2017 damit rechnen, in einem unserer Luzerner Restaurants Insekten bestellen zu können.»
Philippe Giesser, Teilhaber bei Sinnvoll Gastro
Gesundheit als Hauptargument
Das Interesse an Insekten spüren auch die Gastrobetriebe. Philippe Giesser, Teilhaber bei Sinnvoll Gastro, sagt: «Der Konsument kann 2017 damit rechnen, in einem unserer Luzerner Restaurants Insekten bestellen zu können.» Sinnvoll Gastro betreibt sechs Betriebe in der Region, unter anderem das «Grottino» in Luzern. Man sei bei Sinnvoll Gastro an der Erarbeitung eines Konzepts, wie ein Angebot von insektenbasierten Menüs umgesetzt werden kann. An der Nachfrage fehlt es nicht, glaubt Giesser: «Es gibt gute Argumente, warum Insektenmenüs Durchschlagskraft haben könnten.»
«Der Nährstoffgehalt und die Nachhaltigkeit der Insekten sind sehr überzeugend.»
Philippe Giesser, Teilhaber Sinnvoll Gastro
Die Schweizer seien ein Reisevolk und hätten zubereitete Insekten auf Reisen schon gesehen. Der Verzehr von Heuschrecken oder Würmern sei also den Leuten nicht völlig fremd. Aber: Das Hauptargument liegt laut Giesser bei der Gesundheit: «Früher oder später können wir es uns nicht mehr leisten, ungesund zu sein. Der Nährstoffgehalt und die Nachhaltigkeit der Insekten sind für die Gastronomie sehr überzeugend.» Würmer und Heuschrecken seien vergleichbar mit Fisch – in punkto Nährwert. Entomophagie sei also eine gute Alternative zu herkömmlichen Fleischprodukten, so Giesser.
Insekten auf Anfrage
Auch beim Tropenhaus Wolhusen wird es ein Angebot mit Insekten geben. Dies bestätigt Pius Marti, Geschäftsleiter im Tropenhaus Wolhusen. Eine konkrete Planung gebe es noch nicht, man habe den definitiven Entscheid des Bundesrates abgewartet. Man wolle es den Leuten auch nicht aufdrängen: «Wir werden bereit sein, auf Anfrage Insekten zu servieren. Allenfalls bieten wir unseren Kunden auch einmal ein Amuse-Bouche auf Insektenbasis an.» Die Insektengerichte müssen klar deklariert sein und es müsse Wert auf Qualität gelegt werden. Marti sagt: «Wir bieten keine Futterinsekten an, die angebotenen Tiere entsprechen höheren Qualitätsstandards.»
«Es ist ein absolutes Nischenprodukt und wird dies sicher die ersten fünf Jahre bleiben.»
Pius Marti, Geschäftsleiter Tropenhaus Wolhusen
Insekten bleiben ein Nischenprodukt
Nico Trenn, Sachbearbeiter Food bei der Remimag, meint hingegen, Insekten seien in ihren Restaurants vorerst kein Thema. Remimag betreibt mehrere Luzerner Restaurants, unter anderem den neu eröffneten «Anker». Man würde die Nachfrage sicher beobachten, man glaube aber, dass Insekten auch langfristig ein Nischenprodukt bleiben werden. Marti bestätigt diese Einschätzung: «Es ist ein absolutes Nischenprodukt und wird dies sicher die ersten fünf Jahre bleiben.» Bei der Förderung der kulinarischen Verwertung von Insekten sei aber die Innovation interessant, so Marti.