Das Verkehrs-Wunder von Zug

Wie SBB und ZVB am «Eidgenössischen» ein Chaos verhinderten

Wie aus dem Nichts tauchten morgens die Besucher des ESAF am Bahnhof Zug auf. (Bild: zvg)

Wenn 50'000 Leute aufs Mal an einem relativ kleinen Bahnhof wie Zug in die Eisenbahn steigen wollen: Wie macht man das? Wenn diese Leute Bus fahren wollen, wenn normalerweise kein Bus fährt: Woher zaubert man die Chauffeure dafür?

Es glich einem Wunder: Wie beim Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) 2019 frühmorgens innert kurzer Zeit Zehntausende von Leuten aus der ganzen Schweiz zusammenströmten – und wie sie am Sonntag nach Abschluss des Festes binnen weniger Stunden wieder verschwunden waren.

Bewegt wurden diese Besucher nicht von Geisterhand, sondern zu 90 Prozent von Unternehmen des öffentlichen Verkehrs. Namentlich der SBB und den Zugerland Verkehrsbetrieben.

Bereits das übernächste ESAF in Planung

Die SBB hat einige Erfahrung bei der Begleitung von Grossanlässen. «Die minutiöse Planung beginnt lange vor den jeweiligen Grossanlässen», sagt Mediensprecher Reto Schärli. «Im Eventmanagement Fernverkehr beschäftigt man sich bereits heute mit den nächsten Austragungen des ESAF, welche 2022 und 2025 stattfinden.» (Für 2025 bewerben sich übrigens das Glarnerland, Sankt Gallen und der Schaffhauser Klettgau.)

«Mehr Extrazüge hätten an auf den Schienen von Zug nicht Platz gehabt.»

Reto Schärli, Mediensprecher SBB

Zur langfristigen Planung gehöre auch die Abklärung, ob die bestehende Bahn-Infrastruktur ausreicht oder ob Perrons verlängert oder gar zusätzliche, provisorische Perrons gebaut werden müssen. In Zug reichten die sieben Geleise aus.

120'000 zusätzliche Sitzplätze

Zu berücksichtigen waren indes Einschränkungen wegen den Bauarbeiten auf der Zugersee-Ostuferlinie, oder dem potentiellen Nadelöhr des alten Albistunnels zwischen Baar und Horgen. «Einspurabschnitte gibt es noch vielerorts auf dem Schweizer Bahnnetz, vor allem in ländlichen Regionen, wo das ESAF häufig stattfindet», so Schärli.

Bahnhof Zug: Zehntausende benützten ihn, um ans «Eidgenössische» zu gelangen. (Bild: zvg)

Das grösste Sportereignis der Schweiz verlangte dann aber doch einen ausserordentlichen Grosseinsatz des Bahnpersonals. Insgesamt über 100 Extrazüge – mehr als 70 alleine im Fernverkehr – wurden eingesetzt, um den Besucherinnen und Besuchern des ESAF am gesamten Wochenende 120'000 zusätzliche Sitzplätze anbieten zu können. «Mehr Extrazüge hätten an diesen drei Tagen auf den Schienen zu den An- und Abreisezeiten nicht Platz gehabt», sagt Schärli.

Nach Mitternacht Entlastungszüge organisiert

Die fahrplanmässigen Züge waren zudem verlängert unterwegs. So habe der Ansturm auch in den Spitzenzeiten bewältigt werden können. Die grössten Engpässe gab es am späten Abend und in der Nacht auf Sonntag. Um die S1 nach Luzern zu entlasten, wurden dabei nach Mitternacht kurzfristig zwei zusätzliche Extrazüge eingesetzt. Ausserdem wie üblich nach dem Schlussgang. «Allein zwischen 16 und 20 Uhr am Sonntag stiegen rund 50'000 Personen in die bereitgestellten Züge,» sagt Schärli. «Diese waren gross dimensioniert, die Kapazität reichte aus.»

Zum Vergleich: An einem Werktag steigen in Zug gesamthaft rund 44'000 Personen ein und aus. Im Rahmen des ESAF wurde also innert weniger Stunden die Passagierfrequenz eines ganzen Tages bewältigt.

Luzerner und Zürcher Chauffeure helfen aus

Im Einsatz waren rund 50 Kundenbetreuer, es gab Direktdurchsagen – und ein Speaker dirigierte die Schwingfreunde auf dem Vorplatz des Bahnhofs.

Noch mehr Leute im Einsatz für die Kundenorientierung hatten die Zugerland Verkehrsbetriebe. «Über 100 Mitarbeitende standen an den Haltestellen den Gästen für Fragen zur Verfügung», sagt Sprecherin Karin Fröhlich. Insgesamt hatten die ZVB 400 Leute im Einsatz. Bei den Chauffeuren wurde man durch Kollegen der Verkehrsbetriebe Luzern (vbl) und der AHW Busbetriebe AG aus Horgen unterstützt. Was immer bei den ZVB Räder hat, rollte am ESAF – speziell in der Nacht.

Renner des Busangebots: die Zuger Nachtbusse

«Die Schwingfans waren in Unterkünften in der ganzen Region untergebracht», so Fröhlich. Die ZVB war daher mit einem speziellen Fahrplan unterwegs, so dass die Sportsfreunde dank dem ausgebauten Bus-Angebot praktisch rund um die Uhr von und zum Festgelände reisen konnten. «Insbesondere die Nachtbusse wurden rege genutzt», sagt Fröhlich. Die Organisatoren des ESAF sprechen von 2'652 zusätzlichen Busfahrten, die während des «Eidgenössischen» im Linienverkehr der Zugerland Verkehrsbetriebe stattfanden.

Die Zugerland Verkehrsbetriebe liessen vor dem «Eidgenössischen» einen speziell bemalten ESAF-Bus verkehren. (Bild: zvg)

Gern hätte zentralplus gewusst, ob diese Mehrleistungen mit den ganzen Überstunden zu personellen Engpässen bei den Busbetrieben führt, weil das Personal nun die geleistete Extra-Arbeit kompensieren muss. Eine entsprechende Frage überging die ZVB-Sprecherin.

Extrem viele Grossanlässe

Bei den SBB wirken sich Events mit vielen Extrazügen nämlich durchaus problematisch aus – wo man doch ohnehin zu wenig Lokführer hat. «Der Mangel an Lokführern und beim Rollmaterial sowie die stetig steigende Anzahl an Baustellen begleiteten uns den ganzen Sommer hindurch», sagte Florian Kurt, der Leiter des Eventmanagements im SBB-Fernverkehr kürzlich auf einem bahninternen Newsportal. Diese Herausforderungen würden auch in den nächsten Jahren spürbar sein.

Wobei die SBB sich im Jahr 2019 mit rekordverdächtig grossen und vielen Grossveranstaltungen herumschlagen musste. Nur 2002, als mit der Expo’02 die letzte Landesausstellung zwischen Murten-, Neuenburger- und Bielersee stattfand, verkehrten je mehr Extrazüge.

Herausforderung: Kurzes Zeitfenster

Aber auch so darf sich die Mehrleistung sehen lassen: 1900 Extrazüge liessen die SBB im Sommer rollen – etwa 1000 dafür für die Fête des Vignerons in Vevey, die mehrere Wochen dauert und nur einmal pro Generation stattfindet. Der grösste Anlass war übrigens das Züri-Fäscht mit 2,5 Millionen Besuchern.

Die Züge fuhren fast im Minutentakt ein. Bahnhof Zug während des ESAF (Bild: zvg)

Während am Genfersee die lange Dauer des Events und viele Verschiebungen von Anlässen die SBB-Verantwortlichen auf die Probe stellten, war es beim Eidgenössischen Turnfest in Aarau und beim ESAF in Zug die Verkehrsspitzen – dass also die meisten An- und Abreisen in einem kurzen Zeitfenster stattfanden. «Sowohl in Aarau wie in Zug konnten wir den Grossandrang mit dem gewählten Transportkonzept und den idealen Bahnhofsinfrastrukturen aber sehr gut bewältigen», sagt Florian Kurt.

Nicht alles lässt sich planen

Unvorhergesehene Zwischenfälle lassen sich aber auch mit dem besten Transportkonzept nicht ausschliessen. Als am Sonntagabend nach dem Schlussgang eben der Hauptharst der Schwingfreunde in die Züge gestiegen war, kam es bei Cham zu einem Personenunfall, der die Strecke Zug-Luzern über eine Stunde lang lahmlegte. Die ESAF-Besucher ertrugen dies relativ geduldig, während die Blaulichtorganisationen im Einsatz standen. «Alle Schwingfans konnten trotz betrieblichen Einschränkungen heimreisen», sagt Reto Schärli.

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