Cryptoleaks

Warum bleibt der Zugang zum entscheidenden Dokument verwehrt?

Die Crypto AG soll Geheimdiensten Spionage ermöglicht haben. (Bild: woz)

Trotz Corona: In der Crypto-Affäre wird weiter untersucht. Das entscheidende Dokument kann die Öffentlichkeit aber weiterhin nicht einsehen.

Es scheint fast wie aus einer anderen Zeit – und ist doch erst ein paar Monate her: Die Crypto-Affäre. Mit dem Stillschweigen könnte es aber bald vorbei sein. Man könne bestätigen, dass die Inspektion zur Crypto AG trotz Corona weiterlaufe, lässt jedenfalls das Sekretariat der Geschäftsprüfungskommission des National- und Ständerates auf Anfrage verlauten.

Man erinnert sich: Mitte Februar hatte die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) der Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) von National- und Ständerat eine Inspektion zum Fall Crypto AG beschlossen. Diese soll Licht ins Dunkle bringen und klären, wer beim Bund in Sachen «Crypto AG» was genau wusste. Mittlerweile haben dazu Anhörungen stattgefunden.

Das Schlüsseldokument

Das zentrale Dokument in der ganzen Crypto-Affäre bildet der Minerva-Bericht. Dabei handelt es sich um ein an bestimmte Medien gelangtes Dokument, welches Papiere des amerikanischen Geheimdienstes CIA und des deutschen Nachrichtendienstes BND enthält. Der Bericht umfasst 280 Seiten. Rund 100 Seiten entfallen auf Papiere der CIA und rund 180 auf Papiere des BND. Der Minerva-Bericht war der Auslöser für die unzähligen Medienbeiträge, die sich im Nachgang zur Rundschau-Sendung mit dem Fall Crypto befasst hatten. Demnach sollen der amerikanische Geheimdienst CIA und der deutsche Nachrichtendienst BND mithilfe der Geräte aus Steinhausen jahrzehntelang andere Länder ausgehorcht haben.

Warum schafft SRF keine Transparenz?

Die interessierte Öffentlichkeit konnte diesen Minerva-Bericht aber bisher nicht einsehen. Klar ist: Das Schweizer Fernsehen – respektive die «Rundschau» – ist im Besitze dieses Berichtes. Auszüge daraus hat SRF einzelnen Medienunternehmungen zugestellt.

Die NZZ warf der «Rundschau» im Februar mangelnde Transparenz vor, weil sie dieses entscheidende Dokument zurückbehalte. SRF verschaffe somit der Öffentlichkeit keinen Zugang zu jenem Dokument, auf welchem die «teilweise gravierenden Vorwürfe» im Falle der Crypto AG beruhen würden, schrieb die NZZ. Die Frage scheint berechtigt: Warum eigentlich stellt das SRF diesen Bericht nicht der gesamten interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung?

Gemäss dem SRF liegt die Hoheit beim ZDF

Nicole Vögele arbeitet bei der «Rundschau» vom SRF. Zusammen mit ihren Kolleginnen Anielle Peterhans und Fiona Endres hatte sie im Fall Crypto AG über Monate hinweg recherchiert und ihn für das Fernsehen aufgearbeitet. «Wir haben zurzeit nicht vor, den Minerva-Bericht der CIA zu publizieren», erklärt Nicole Vögele auf Anfrage. Die Hoheit über die Papiere liege beim ZDF und nicht beim SRF, zudem gehe es nicht nur um den Schutz von im Dossier erwähnten Personen, sondern auch um den Schutz der Quellen.

«Nicht möglich», antwortet das ZDF

«Einerseits müssen wir die Person, die diese Dokumente dem ZDF zugespielt hat, schützen und dürfen nicht zulassen, dass aus den Dokumenten Rückschlüsse auf diese Person getroffen werden könnten. Und zweitens sind in diesem Bericht viele Personen mit Klarnamen genannt – die meisten davon sind keine Personen des öffentlichen Interesses. Wir möchten die Privatsphäre dieser Personen schützen. Das gehört zur Verantwortung, die wir als Journalistinnen in dieser Sache tragen.»    

Auch eine Anfrage beim ZDF bleibt – erwartungsgemäss – erfolglos: «Es ist nicht möglich, den Bericht einzusehen», schreibt Ulrich Stoll vom ZDF knapp und bündig.

Veröffentlichung wäre wünschenswert

Die Privatsphäre der von der «Rundschau» erwähnten Personen muss selbstredend geschützt werden. Die Frage ist allerdings, ob das SRF dem nicht Genüge tun könnte, wenn es entsprechende Stellen einfach einschwärzen und so unkenntlich machen würde. Aber das Schweizer Fernsehen will den Bericht derzeit wohl auch ganz grundsätzlich nicht offenlegen.

Martin Stoll, Geschäftsführer von Öffentlichkeitsgesetz.ch, bestätigt, dass das SRF diesen Bericht rechtlich gesehen nicht herausgeben muss. Auch spiele es eine Rolle, welche Abmachungen die «Rundschau» mit ihren Recherchepartnern in Deutschland getroffen habe. Dennoch bezeichnet es Stoll als wünschenswert, wenn dieser Bericht öffentlich zugänglich wäre.

Auch der Bund mauert

Hat denn nun aber wenigstens der Bund Zugang zu diesem mysteriösen Dokument? Immerhin soll er ja Vorwürfe untersuchen, welche unmittelbar mit diesem Minerva-Bericht in Verbindung stehen.

Dazu erklärt Beatrice Meli Endres, Sekretärin der GPK/GPDel:  «Inwiefern die Bundesverwaltung und damit auch die GPDel im Besitz des Minerva-Berichtes ist, gibt die Delegation zum jetzigen Zeitpunkt ihrer Inspektion nicht bekannt.»

So weit, so unklar. Ist der Bund, also die GPDel, aber berechtigt, vom Sender SRF diesen Minerva-Bericht gegebenenfalls herauszuverlangen? Dazu nochmals Beatrice Meli: «Medienschaffende könnten sich im Falle einer Vorladung der GPDel selbstverständlich auf den Quellenschutz berufen. Dennoch könnten sie der GPDel freiwillig Dokumente, die sie im Zuge ihrer Recherchen erhalten haben, anbieten. Damit läge noch keine Verletzung des Quellenschutzes vor.»

Die «guten Partnerbeziehungen» des Nachrichtendienstes

Weiss man beim SRF, ob der Bund den Minerva-Bericht ebenfalls besitzt? Dazu sagt Nicole Vögele von SRF auf Anfrage: «Wir wissen nicht, was abgelaufen ist. Wir haben aber Hinweise erhalten, dass den Leuten in Bern das Papier zugänglich ist. Wir gehen mit Blick auf die guten Partnerbeziehungen des Nachrichtendienstes des Bundes davon aus, dass Personen in Bern, die Zugang zum Papier brauchen, um ihre Arbeit tun zu können, diesen auch haben.»

Da es sich bei den Abklärungen der GPdel um ein laufendes Verfahren handelt, hilft in diesem Falle auch das Öffentlichkeitsgesetz nicht weiter. Ein Gesuch um Einsichtnahme bliebe chancenlos.

Fazit: Bis auf Weiteres scheint es der interessierten Öffentlichkeit verwehrt zu bleiben, Einblick in das zentrale Dokument der Crypto-Affäre zu erhalten.

Zugerin recherchierte in dieser Zuger Affäre

Wie kam die Rundschau überhaupt in den Besitz des besagten Minerva-Berichtes? «Das Dossier wurde dem deutschen Journalisten Peter F. Müller zugespielt, der für das ZDF an mehreren Geheimdienst-Dokumentationen arbeitet. Das ZDF hat die Washington Post und die  ‹Rundschau mit ins Boot geholt, weil sowohl die Schweiz wie auch die USA eine wichtige Rolle in dieser Geschichte spielen», erklärt Anielle Peterhans. Die Rundschau sei unter anderem deshalb in die Recherchen mit einbezogen worden, weil sich diese Geschichte in der Schweiz, im Kanton Zug, abspielte, sagt Nicole Vögele. Es sei schnell klar gewesen, dass auch in der Schweiz viel recherchiert werden musste. «Als Schweizerinnen hatten wir leichteren Zugang zu den Mitarbeitern der Firma sowie den Vertretern der Behörden. Ausserdem besuchten wir viele, viele Male das Bundesarchiv. So konnten wir unseren Teil zu dieser Recherche aus der Schweiz heraus beitragen.» Anielle Peterhans präzisiert: «Wir haben rund sechs Monate lang mit drei Personen an diesem Fall gearbeitet, 5000 Archivseiten gelesen und 300 Stunden Gespräche geführt.» Anielle Peterhans weist darauf hin, dass der ganze Fall Crypto bis in die unmittelbare Gegenwart hineinreicht: «Gemäss unseren Recherchen war die CIA bis 2018 in dieser Firma aktiv und hat die Operation weitergeführt.»

«Warum wir manchmal vielleicht ein bisschen komisch waren»

Ein Problem bei der Recherche sei gewesen, dass die meisten befragten Personen öffentlich nicht genannt werden wollten, erklärt Nicole Vögele: «Der Schutz dieser Personen hatte für uns höchste Priorität. Da kann man manchmal auch guten Freunden nicht erzählen, wer jetzt gerade angerufen hat oder wo man gestern war.»

Deshalb sei es eine Erleichterung gewesen, als die Recherche publiziert wurde und das eigene Umfeld verstand, «warum wir manchmal vielleicht ein bisschen komisch waren» in der besagten Zeit.   

Nachdem die «Rundschau» ihren grossen Crypto-Bericht veröffentlicht hatte, wurde in einem NZZ-Beitrag gerügt, dass die Motive derjenigen, welche diese Dokumente den betreffenden Medien zugespielt hatten, der «Rundschau» kein Wort wert gewesen seien. Quellenkritik oder das Hinterfragen von Motiven seien sehr wichtig, um die Glaubwürdigkeit von Informationen und Quellen einzuschätzen, bestätigt Nicole Vögele. Sie ergänzt aber auch: «Dieses Minerva-Papier stammt aus dem historischen Dienst der CIA. Wie wahr oder falsch sein Inhalt ist, hängt nicht vom Motiv derjenigen ab, die diese Dokumente zugespielt haben.»

«Ich war zwei Jahre alt»

Interessanterweise hat eine der an der Recherche beteiligten Journalistinnen einen Zuger Hintergrund. Fiona Endres stammt nämlich aus Zug. Sie sagt: «Als Zugerin war mir diese Firma natürlich ein Begriff, arbeiteten doch viele Zuger in dort. Zum Zeitpunkt der Affäre Bühler war ich aber zwei Jahre alt, in dem Sinne habe ich diese persönlich nicht miterlebt. Und auch sonst würde ich sagen, dass im Kanton Zug die Gerüchte über die Firma Crypto AG keinen richtigen Nährboden hatten. Wenn das Thema aufkam, dann wurde es schnell als Hirngespinst abgetan. Die reine Weste dieser Firma war im Kanton Zug meiner Meinung nach nie ernsthaft infrage gestellt.»

Die Cryptoleaks – in aller Kürze

Im Februar enthüllte die Recherche «Cryptoleaks» der «Washington Post», des ZDF und der «Rundschau» von SRF weltweite Abhöroperationen der amerikanischen und deutschen Geheimdienste.

Die Recherche stützte sich auf das 280-seitige Geheimdienstdossier «Minerva». Dieses belegt, dass mit manipulierten Verschlüsselungsgeräten der Zuger Firma Crypto AG spioniert wurde. Gemäss dem Minerva-Bericht kauften die amerikanische CIA und der westdeutsche BND 1970 die Firma Crypto AG zu gleichen Teilen – dies verschleiert über eine Stiftung in Liechtenstein. Gerüchte, wonach hinter der Crypto AG Geheimdienste stecken, gab es früher schon wiederholt. Der Minerva-Bericht liefert nun die entsprechenden Belege. Über 100 Staaten wurden vom CIA und vom BND abgehört.

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