Luzerner Wirtschaftsexperten ordnen ein

Steuersenkungen hüben wie drüben – wie geht das?

In vielen Gemeinden zahlen Luzernerinnen künftig trotz schwächelnder Wirtschaft weniger Steuern. Macht das Sinn? (Bild: mik)

Teuerungen, Inflation, Lieferschwierigkeiten: Die Schweiz erlebt derzeit eine unsichere Wirtschaftslage. Gleichzeitig senken mehrere Luzerner Gemeinden und auch der Kanton selbst voraussichtlich die Steuern. Macht das Sinn? Zwei Luzerner Wirtschaftsexperten ordnen ein.

Der Zentralschweiz scheint es finanziell gutzugehen. Sempach, Hochdorf, Adligenswil, die Stadt Luzern und mehr als die Hälfte der Zuger Gemeinden: Sie alle planen, die Steuern aufs nächste Jahr zu senken oder einen Rabatt zu gewähren. Auch der Kanton Luzern hat vom Parlament kürzlich den Auftrag erhalten, im Rahmen der OECD-Mindestbesteuerung die Luzernerinnen steuerlich zu entlasten – unter grossem Protest der Linken. Dies, nachdem er bereits fürs Jahr 2022 den Steuerfuss auf 1,6 gesenkt hat (zentralplus berichtete).

Die Senkungen erstaunen, scheint doch die wirtschaftliche Lage alles andere als rosig: Lieferschwierigkeiten, teure Rohmaterialien, die die Preise in die Höhe treiben und eine steigende Inflation dämpfen das Wirtschaftswachstum. Gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beträgt die Teuerung gegenüber dem Vorjahr rund 3,3 Prozent. Machen in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage Steuersenkungen Sinn? Ist das nicht Schönwetterpolitik? Zwei Luzerner Wirtschaftsexperten ordnen ein.

Noch soll der Teufel nicht an die Wand gemalt werden

«Man hört das Donnern des aufziehenden Konjunkturgewitters, noch schlagen aber keine Blitze ein», schreibt Martin Mosler sinnbildlich zur derzeitigen Wirtschaftslage. Gemäss dem Bereichsleiter Fiskalische Nachhaltigkeit am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) sei der Schweizer Arbeitsmarkt robust und die Erwerbslosenquote verharre auf geringem Niveau. Das RAV muss in gewissen Kantonen gar Stellen streichen (zentralplus berichtete).

Auch Roland Fischer, HSLU-Dozent für Regionalökonomie, schreibt auf Anfrage: «Im Moment steht es grundsätzlich gut um die Schweizer Wirtschaft. Zwar liegt das Bruttoinlandprodukt noch etwas unter dem langfristigen Trend, doch mit 2 Prozent ist das Wachstum immer noch relativ hoch.» Derzeit verspüre die Wirtschaft einen Aufholeffekt: «Die Konsumenten holen das auf, was sie in den Pandemiejahren verpasst haben.»

«Bei solch einer Ausgangslage sollten die Gemeinden doppelt vorsichtig sein.»

Roland Fischer, HSLU-Dozent für Regionalökonomie

Der hohen Nachfrage stehen jedoch jede Menge Probleme aus der Pandemie und dem Krieg gegenüber. Lieferschwierigkeiten und hohe Energiepreise erhöhen die Preise, was wiederum die Inflation in die Höhe treibt. «Das Angebot hinkt der Nachfrage hinterher.»

Wirtschaft schwächelt im nächsten Jahr

Dieses Ungleichgewicht müsse sich wieder einpendeln. Fischer geht deshalb davon aus, dass wir die Folgen vor allem im nächsten Jahr spüren: Gemäss Prognose des SECO wachse die Wirtschaft deutlich weniger stark als in diesem Jahr. Einerseits, da Konsumenten wegen steigenden Preisen und verschärften Lieferschwierigkeiten weniger kaufen. Andererseits, weil die Exporte zurückgehen. «Vereinfacht gesagt, verdienen wir jeden zweiten Franken im Ausland.»

Laut Mosler erwarten Wirtschaftsexperten eine Inflationsrate von 9,5 Prozent. Europa ächze besonders unter den hohen Energiepreisen, China entkopple sich zunehmend vom Welthandel und die USA seien stark mit sich selbst beschäftigt. «Die exportorientierte Schweiz leidet entsprechend unter der Schwäche unserer Handelspartner.»

Droht im nächsten Jahr gar eine Rezession? Sowohl Mosler als auch Fischer verneinen. Zwar nehme das Wirtschaftswachstum deutlich ab, eine Rezession zeichne sich jedoch nicht ab. Fischer fügt jedoch an: «Sollte es im nächsten Jahr wirklich zu einer Energieknappheit kommen und als Folge davon die Produktion eingeschränkt werden, dann könnten wir in eine Rezession schlittern.»

Als Folge der Inflation zahlen viele plötzlich mehr Steuern

Heute ist also die Wirtschaft einigermassen stabil, künftig soll es jedoch kriseln. Wie erklären die Wirtschaftsexperten also die vielen Steuersenkungen in diesem Jahr? Grundsätzlich habe jede Gemeinde individuelle Gründe, den Steuerfuss anzupassen, sagt der IWP-Steuerexperte. Wie etwa ein besonders florierendes Unternehmen, langfristig gesunde Finanzen oder ein abgeschlossenes Grossprojekt. Für Mosler hat ein grosser Teil der diesjährigen Steuerreformen jedoch mit Inflationsanpassungen infolge der «kalten Progression» zu tun.

Was ist die «kalte Progression»?

Arbeiterinnen verhandeln wegen der allgemeinen Teuerung einen Lohnausgleich, können sich damit jedoch nicht mehr leisten als vorher. «Auf dem Papier verdienen sie nun jedoch mehr und rutschen dadurch in eine höhere Steuerklasse», erklärt Martin Mosler. Wegen ihres Inflationsausgleichs zahlen sie letztlich also mehr Steuern.

Zwar gleicht der Kanton Luzern die Folgen der kalten Progression automatisch aus. Aufgrund des Mechanismus erfolgt dieser Ausgleich jedoch nur verzögert. Massgebend im Kanton Luzern ist der jeweilige Stand des Landesindexes für Konsumentenpreise per Ende Juni vor Beginn der nächsten Steuerperiode. Die Anpassungen bei den Einkommenstarifen erfolgen also erst für die Steuerperiode 2023, wie der Kanton Luzern auch so mitgeteilt hat.

«In normalen Jahren ist das kein grosses Problem, im aktuellen Umfeld mit schnellen Preissteigerungen trifft es jedoch die Steuerzahler», so der Steuerexperte. Einige Gemeinden hätten dies erkannt und deshalb schon vorab den Steuerfuss angepasst. Vermutlich auch aus Überlegungen zum Steuerwettbewerb zwischen den Gemeinden.

«Wir müssen aufpassen, dass wir uns die Rezession nicht herbeireden.»

Reto Wyss, Luzerner Finanzdirektor

Hinzu kommen gemäss dem HSLU-Dozenten Roland Fischer die deutlich höheren Steuereinnahmen. «Viele Gemeinden spüren derzeit einen Nachholeffekt, auch durch die Corona-Pandemie.» Vielerorts fielen die Rechnungen dementsprechend deutlich besser aus als budgetiert – was Begehrlichkeiten wecke. Insbesondere, da etwa die Statistik mit einem weiteren Wachstum der Steuererträge rechnet, wie Lustat-Direktor Norbert Riesen im Rahmen einer Medienkonferenz erläuterte.

Wirtschaftsexperten mahnen zur Vorsicht

Für Fischer machen jedoch nicht alle Steuersenkungen Sinn. Wenn die Gemeinde über Jahre hinweg immer zu tief budgetiere, unabhängig von der Konjunktur, dann könne man davon ausgehen, dass eine strukturelle Anpassung vonnöten sei. «Wenn der Effekt aber nur kurzfristig aufgetreten ist, so etwa in den letzten zwei Jahren, dann ist eine Steuersenkung sehr riskant.»

Gerade vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaft im nächsten Jahr schwächer wird, womit auch die Steuereinnahmen sinken dürften. «Ich habe in meiner Karriere noch nie so unsichere Zeiten wie jetzt erlebt», so Fischer. Ukraine-Krieg, Energie, Klimawandel, Arbeitskräftemangel, steigende Gesundheits- und Pflegekosten – alles Faktoren, die sich schlecht einberechnen liessen. «Bei solch einer Ausgangslage sollten die Gemeinden doppelt vorsichtig sein.» Auch Mosler plädiert im aktuellen Wirtschaftsumfeld für Vorsicht: «Eine zu lockere Steuerpolitik kann die Inflation weiter anheizen.»

Bestes Beispiel, dass eine zu optimistische Planung nach hinten losgehen kann, biete der Kanton Luzern, so Fischer. Dieser hat schon fix mit jährlichen Gewinnausschüttungen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in der Höhe von rund 160 Millionen Franken gerechnet. Jetzt sieht es eher danach aus, dass ein bis zwei Jahre keine Gewinne ausgeschüttet werden. «Zwar gab es keine Anzeichen, dass die Gewinne der SNB in diesem Jahr einbrechen werden. Da die SNB jedoch einen grossen Teil ihrer Anlagen in ausländischen Währungen hält, die natürlicherweise Schwankungen unterliegen, wäre etwas mehr Vorsicht geboten gewesen.»

Reto Wyss ist optimistisch

Betreibt der Kanton Luzern mit seiner kürzlichen und der geplanten Steuersenkung also Schönwetterpolitik? Nein, findet Finanzdirektor Reto Wyss. «Aufgrund der erfreulichen finanziellen Entwicklung ist es gerechtfertigt, der Bevölkerung etwas zurückzugeben.» Zudem steigere dies die Kaufkraft der Luzerner, die derzeit viele Abstriche im Portemonnaie machen müssen. «Die Zielsetzung der öffentlichen Hand ist es, mit einer möglichst geringen Belastung der Bevölkerung eine gute Dienstleistung zu erbringen.»

Die wirtschaftliche Lage des Kantons Luzern schätzt er als insgesamt stabil ein. «Schaut man das aktuelle Konsumverhalten der Bevölkerung an, wirkt sie nicht verunsichert. Wir müssen aufpassen, dass wir uns die Rezession nicht herbeireden.» Denn: «Für uns zeichnet sich aktuell nicht ab, dass die Luzerner Wirtschaft insgesamt stagnieren wird.» Wyss verweist dabei auf die Corona-Pandemie. Zwar haben einige Firmen und Branchen sehr gelitten, doch andere hätten gerade in dieser Zeit floriert – und die Mindererträge überkompensiert.

Verwendete Quellen
  • Kantonsratsbeschluss vom 25. Oktober
  • Medienmitteilung des SECO
  • Verschiedene Medienmitteilungen zu Budgets von Luzerner und Zuger Gemeinden
  • Teilnahme an Lustat-Medienkonferenz zum Thema Steuern
  • Persönliches Gespräch mit Reto Wyss, Luzerner Finanzdirektor
  • Telefonat mit Roland Fischer, HSLU-Dozent für Regionalökonomie
  • Schriftlicher Austausch mit Martin Mosler, Bereichsleiter Fiskalische Nachhaltigkeit am IWP
  • Stellungnahme Grüne zur AFP-Debatte
  • Medienmitteilung des Kantons Luzern zum Ausgleich der kalten Progression für 2023
  • Web-Dossier Steuern Kanton Luzern von Lustat Statistik Luzern
  • Aufgaben- und Finanzplan 2023 bis 2026 Kanton Luzern
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