Während die Stahlarbeiter vor dem Luzerner Regierungsgebäude für ihre Arbeitsplätze kämpfen, diskutiert der Luzerner Kantonsrat zeitgleich über politische Massnahmen zur Rettung der Stahlindustrie.
In den vergangenen Wochen erschütterte die Ankündigung von Swiss Steel, 130 Stellen am Standort Emmenbrücke abzubauen, die Region (zentralplus berichtete). Dieser Entscheid ist Teil eines umfassenderen Plans, insgesamt 800 Arbeitsplätze zu streichen.
Die Gründe reichen von steigenden Energiekosten und globaler Billigkonkurrenz bis hin zur Krise in der Automobilindustrie. Gleichzeitig sei bekannt geworden, dass die Stahlwerke in Gerlafingen ähnliche Probleme hätten, ihre Massenentlassungen jedoch wieder zurückgenommen hätten, als sich politische Unterstützung abgezeichnet hätte, wie «SRF» berichtete.
Die Gewerkschaften Unia und Syna sowie andere Arbeitnehmerverbände riefen zu einem entschlossenen Widerstand auf. Sie fordern für die Stahlwerke in Emmenbrücke Kurzarbeit statt Entlassungen und eine verstärkte politische Unterstützung.
Stimmen von der Front
Am Montagmorgen um acht Uhr versammelten sich vor dem Luzerner Regierungsgebäude Dutzende Stahlarbeiter der Swiss Steel. Mit Transparenten von Unia und Syna verliehen sie ihrer Forderung Nachdruck: «Unsere Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben!» Die Aktion markiert einen Wendepunkt, da zeitgleich im Luzerner Kantonsrat mehrere Vorstösse zur Sicherung der Stahlindustrie diskutiert wurden.
Bei der Kundgebung herrscht eine Mischung aus Entschlossenheit und Besorgnis. «Ich darf eigentlich nicht mit Ihnen sprechen», sagt einer der angesprochenen Arbeiter in orangefarbener Arbeitskleidung und blickt kurz zur Seite. «Wir haben ein Papier unterschrieben, das uns das verbietet. Aber ich gebe Ihnen trotzdem Auskunft.» Seine Stimme ist fest. Er will reden. Aber seine Identität will er nicht preisgeben. Sein Kollege bemerkt von der Seite: «Luegsch, dass nüd Falsches seisch, gell.»
Der Mann, der seinen Namen nicht nennen will, hat viele Höhen und Tiefen miterlebt. «Es gab immer wieder Krisen im Unternehmen», erklärt er nach einer längeren Pause, die von einer spürbaren emotionalen Anspannung geprägt ist. Doch diesmal sei es anders: «Dass Swiss Steel so viele Leute auf einmal entlässt, hat mich enttäuscht – vor allem von der Geschäftsleitung.» Jetzt frage er sich: «Was machen wir, wenn das Geschäft wieder anzieht? Uns erfahrene Arbeiter bekommt man nicht wie Kleider von der Stange.»
Swissmem, der Branchenverband der Tech-Industrie, sagte gegenüber zentralplus, dass die betroffenen Mitarbeiter angesichts des Fachkräftemangels schnell wieder eine neue Stelle finden könnten. Darauf angesprochen, reagiert der Swiss-Steel-Mitarbeiter skeptisch. «Ich sehe das nicht so optimistisch. Wenn es überall kriselt, stellt man auch niemanden ein.» Für die Jüngeren möge es leichter sein, aber für die Älteren werde es schwierig. «Ich hoffe einfach, dass ich mit meiner jahrzehntelangen Erfahrung bleiben darf.»
Die Unsicherheit im Betrieb lastet schwer. «Man weiss nicht, welche Stellen betroffen sind oder wer seine Arbeit verliert. Die Geschäftsleitung gibt uns keine Informationen», schildert er die angespannte Stimmung. Besonders bitter findet er, dass die Belegschaft von den Plänen der Geschäftsleitung erst aus den Medien erfahren habe. «Ich hätte es geschätzt, wenn sie uns zuerst informiert hätten. Aber stattdessen mussten wir lesen: «Nun ist es so weit, Stellen werden abgebaut.»
Millionenverluste und schwarze Zahlen
Bruno Emmenegger, ein erfahrener Stahlarbeiter, wirkt nachdenklich, aber auch entschlossen. Im Hintergrund hört man seine Kollegen, die ihn ermutigen: «Du kannst reden, du kriegst keine Verwarnung.» Schliesslich beginnt er zu erzählen.
«Was soll ich sagen, ich bin einfach enttäuscht», sagt Emmenegger. «Darüber, dass das Geld unseres Unternehmens ins Ausland abfliesst. Wäre unsere Firma unabhängig, nicht an die Produktionen in Deutschland und Frankreich gebunden, ginge es uns besser.»
Er spricht von Millionenverlusten, die Swiss Steel durch den Verkauf der Produktion in Frankreich erlitten hat. Emmenegger fragt sich: «Wo ist unser Geld geblieben? Wir haben hier in Littau das letzte Jahr schwarze Zahlen geschrieben. Ich habe bei der Arbeiterkommission nachgefragt, aber keine Antwort erhalten.»
Die Unsicherheit über den Stellenabbau belastet die Belegschaft. «Wir sind jetzt schon unterbesetzt. Ich frage mich, wen man noch entlassen kann. Wenn Personal abgebaut wird, gehe ich auch. Da will ich nicht mehr bleiben. Das hat dann keinen wert mehr, wenn einer für drei arbeitet.»
Bruno Emmenegger ist Armaturenschlosser und seit 30 Jahren im Betrieb. Die Arbeit mache er gerne. Doch die Enttäuschung bleibt: «Es tut einfach weh, dass alles den Bach runtergeht und die inländische, nachhaltige Stahlproduktion nicht besser geschützt wird.» Seine Worte spiegeln die Stimmung wider, die wohl viele seiner Kollegen teilen.
Drei Vorstösse im Kantonsrat
Im Luzerner Kantonsrat stehen am Montag drei zentrale Vorstösse zur Diskussion, die auf die Rettung der Stahlindustrie in Emmenbrücke abzielen. Sie thematisieren die kurzfristige Stabilisierung der Kreislaufwirtschaft bis hin zu einer Sicherung systemrelevanter Arbeitsplätze.
- Postulat von Philipp Bucher: Mit diesem fordert er, auf kantonaler Ebene Massnahmen zur Unterstützung der Stahlindustrie zu ergreifen. Insbesondere soll die Produktion durch Kurzarbeit stabilisiert und die Reorganisation der Firma Swiss Steel unterstützt werden.
- Postulat von Marcel Budmiger: Dieser schlägt vor, Kurzarbeitsregelungen zu flexibilisieren und öffentliche Aufträge stärker auf Recyclingstahl auszurichten, um die Kreislaufwirtschaft zu stärken.
- Anfrage von Elin Elmiger: Sie thematisiert die systemrelevante Rolle von Swiss Steel und fragt nach möglichen Massnahmen, um eine Schliessung zu verhindern und den Standort ökologisch weiterzuentwickeln.
Alle drei Vorstösse wurden durch den Luzerner Kantonsrat in der Sitzung für dringlich erklärt. Sie werden am Dienstag besprochen.
- Augenschein vor Ort
- Persönliches Gespräch mit anonymem Stahlarbeiter der Swiss Steel
- Persönliches Gespräch mit Bruno Emmenegger
- Artikel von «SRF»