Pharmafirma bleibt uneinsichtig

Skandal um Bluthormone kommt in Luzern an

Auf die Pferde wird eingeprügelt, bis sie ruhig stehen, damit man ihnen die Katheternadel setzen kann. (Bild: Screenshot SRF)

Seit September ist klar: In Südamerika wird Stuten auf brutale Art und Weise Blut abgezapft, um ein Hormon für Nutztiere daraus zu gewinnen. Ausgerechnet in Luzern sitzt einer der Hauptproduzenten – und will an den umstrittenen Präparaten festhalten.

Trächtige Stuten werden geschlagen, und man zapft ihnen literweise Blut ab: Kürzlich wurde in der Schweiz die Herkunft der sogenannten Bluthormone bekannt (siehe Box). «Das ist ein abscheuliches Beispiel dafür, wie Tiere ausgenützt werden, um massenhaft billiges Fleisch zu produzieren», sagt Josef Blum, Präsident des Tierschutzes Luzern.

Was an Grausamkeiten in Uruguay und Argentinien geschieht, zieht seine Kreise bis in die Schweiz, auch bis nach Luzern. Hier lebt nämlich rund ein Viertel aller Schweizer Schweine. Landesweit erhalten etwa 12’000 Mutterschweine mindestens einmal pro Jahr eine Pferdehormon-Spritze.

 

«MSD Animal Health» vertreibt die Präparate weiterhin

«In der Schweiz kann ohne grössere Probleme auf dieses Präparat verzichtet werden», sagt Meinrad Pfister, Zentralpräsident vom Schweizerischen Schweinezucht- und Schweineproduzentenverband «Suisseporcs». Die Pharmaindustrie sieht das anders: «Gegenwärtig sind keine vergleichbaren synthetischen Alternativen zu PMSG verfügbar. Wir werden auch weiterhin Produkte mit PMSG vertreiben», liess die MSD Animal Health mit Sitz in Luzern Mitte Dezember gegenüber der SRF-Radiosendung «Espresso» verlauten. «Die Wissenschaft für gesündere Tiere» − so wird man auf der Webseite der Unternehmung begrüsst, die dem US-Milliardenkonzern «Merck» angehört, dem drittgrössten Medikamentenhersteller der Welt.

Auf Betrieben mit mehreren Tausend Schweinen werden Bluthormon-Präparate standardmässig eingesetzt. So wird dafür gesorgt, dass alle Säue gleichzeitig rauschig werden, was den Aufwand erheblich senkt. Aber: In der Schweiz sind mehr als 250 Muttertiere oder 1500 Mastschweine pro Betrieb nicht erlaubt, was weltweit einzigartig ist. Wozu wird das Bluthormon also hierzulande eingesetzt?

Aus dem Hormon PMSG werden Hormonpräparate wie «Folligon» und «P.G.600.» hergestellt – beide sind in der Schweiz zugelassen.

Aus dem Hormon PMSG werden Hormonpräparate wie «Folligon» und «P.G.600.» hergestellt – beide sind in der Schweiz zugelassen.

(Bild: Screenshot SRF)

Die Präparate kommen zum Einsatz, wenn einzelne Tiere Fruchtbarkeitsprobleme haben. Als Alternative gibt es etwa gleich teure synthetische Präparate, die aber komplizierter in der Anwendung sind. Meinrad Pfister, der selbst einen Betrieb mit 100 Mutterschweinen in Altishofen besitzt, sieht keinen Grund, routinemässig auf Präparate zurückzugreifen. So setzt er selbst auf Zucker und Rapsöl: Dem Futter beigemischt treibt dies den Blutzucker der Tiere in die Höhe und verstärkt die Fruchtbarkeit. Ausserdem hält Pfister seine Muttersauen zusammen mit einem Eber.

Branche ist gegen die Bluthormone

Pfister spricht sich im Namen von Suisseporcs klar gegen den Einsatz von Bluthormonen bei Schweinen aus. Auch andere Branchenverbände wie die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) und die Schweizerische Vereinigung für Schweinemedizin (SVSM) unterstützen die Forderung. «Die Branche befürchtet Imageschäden und hat daher sofort reagiert und kommuniziert, sie wolle auf die Präparate verzichten», sagt Josef Blum vom Tierschutz Luzern.

Als Tierarzt gehört es für Stefan Birrer zum Alltag, Schweinen Hormone zu spritzen. «Wir spritzen das ja nicht einfach so, sondern nur, wenn es nötig ist. Das ist bei etwa drei bis fünf Prozent der Schweine der Fall», sagt der Spezialist für Schweinemedizin und Teilhaber der «AG für Tiergesundheit» in Gunzwil. Was hält er denn von den von Meinrad Pfister verwendeten Alternativen? Oft seien diese zu aufwändig, sagt Birrer. «Natürlich geht es den Landwirten auch immer um Wirtschaftlichkeit und Arbeitsaufwand.»

«Kassensturz» deckt Stutenquälerei auf

Schauriges wurde vergangenen September von der SRF-Konsumentensendung «Kassensturz» enthüllt: Unter widrigsten Umständen wird auf sogenannten Blutfarmen in Südamerika trächtigen Stuten Blut abgezapft. Viel Blut – bis zu zehn Liter jede Woche. Darin befindet sich das begehrte Hormon PMSG, aus dem Präparate hergestellt werden, die bei Nutztieren für Fruchtbarkeit sorgen. Die Stuten produzieren dieses nur bis zum 130. Trächtigkeitstag – danach werde ein mechanischer Abort eingeleitet, wie Tierschützer berichteten. «Das ist extrem brutal für die Stuten. Zudem werden sie danach nicht medizinisch versorgt, sondern sich selbst überlassen», sagte York Ditfurth vom Tierschutzbund Zürich.

Alle drei Wochen werden Säue rauschig. Um Jungtiere in diesen Rhythmus zu integrieren, seien Hormonpräparate ein beliebtes Mittel. Wenn die Stuten, von denen das Blutplasma stammt, tiergerecht gehalten würden, sei gegen die Anwendung von Hormonpräparaten nichts einzuwenden, sagt Birrer. Doch wer kontrolliert diese Stutenfarmen in Südamerika?

Wer kontrolliert?

Die MSD Animal Health zeigt sich in einer Stellungnahme «betroffen von den Vorfällen» und betont, sie hätte sofort Tierärzte zu ihren Lieferanten geschickt, um die Kontrolle zu gewährleisten. Das Pharmaunternehmen behauptet, es beziehe sein Blutplasma nicht von den von «Kassensturz» gezeigten Farmen in Argentinien. «Um eine artgerechte Haltung der Tiere zu gewährleisten, sind alle Lieferanten angehalten, die lokal und regional geltenden Auflagen sowie die behördlichen Vorschriften einzuhalten. Dies wird durch Inspektionen der staatlichen Aufsichtsbehörden überprüft», so die Firma. Nur: In Uruguay, wo sich unter anderem ihre Lieferanten befinden, gibt es keine Tierschutzvorschriften für Blutfarmen. In vielen weiteren Punkten widersprechen sich Aussagen von Tierschützern und dem Pharmaunternehmen. Die Fohlen würden keinesfalls abgetrieben, sondern aufgezogen und als Arbeitstiere verkauft, schreibt MSD Animal Health. Und: Die Blutentnahme fände unter tierärztlicher Aufsicht statt. Solange diese Behauptungen der Firma nicht von einer unabhängigen Kontrollinstanz verifiziert werden, bleiben sie Pharma-PR.

Trotz jahrelanger Verwendung waren sich selbst Fachleute nicht über die Herkunft des Hormonpräparats im Klaren. Tierärzte seien nicht für die Einschätzung, ob ein Medikament unbedenklich in der Anwendung ist, zuständig, sagt Stefan Birrer. In der Schweiz ist die «Swissmedic» verantwortlich für die Zulassung von Medikamenten. Doch Swissmedic beurteilt nur Wirksamkeit und Risiko. Die Herstellungsmethode wird aussen vorgelassen; dafür fehlen schlicht die gesetzlichen Grundlagen.

Labels verhängen Verbot

Wenn es also weder in den Herkunftsländern noch in der Schweiz entsprechende Gesetze gibt, wie soll eine vernünftige Kontrolle stattfinden? Josef Blum sagt dazu: «Es braucht eine unabhängige Überprüfung der Zustände.»

«In der Schweiz wird keine detaillierte Statistik über den Medikamenteneinsatz bei Nutztieren geführt. Das muss sich ändern.»

Josef Blum, Tierschutz Luzern

Seit dem 1. Januar haben sowohl Coop für das «Naturafarm»- und Migros für das «Terrasuisse»-Label die Bestimmungen verschärft und den Einsatz von Bluthormonen verboten.

Bei Rindern würden noch mehr Hormone eingesetzt als bei Schweinen, jedoch andere, sagt Tierarzt Stefan Birrer. Im Gegensatz zu Medikamenten gibt es für Hormone keine Absatzfristen. Welche Rückstände im Endprodukt Fleisch vorkommen, ist nicht restlos geklärt. «Dass wirksame Stoffe von Hormonpräparaten über das Fleisch in die Nahrungskette gelangen, ist sehr unwahrscheinlich. Spätestens im Magen-Darm-Trakt des Menschen werden die Hormone verdaut», sagt Stefan Birrer. Tierschützer Josef Blum fordert Transparenz, was die Verabreichung von Medikamenten und Hormonen betrifft. «In der Schweiz wird keine detaillierte Statistik über den Medikamenteneinsatz bei Nutztieren geführt. Das muss sich ändern», sagt der diplomierte Agronom.

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