300 Millionen Mehreinnahmen reichen nicht

OECD-Mindeststeuer: Diese 7 Fakten müssen Zuger kennen

Zug ist einer der Hauptstandorte grosser internationaler Unternehmen in der Schweiz. Mit der neuen OECD-Mindeststeuer müssen sie bald tiefer in die Tasche greifen als bisher. (Bild: zvg)

Die OECD-Mindeststeuer kommt. Was heisst das konkret, besonders für Zuger? Bald mehr Steuern und weniger Arbeitsplätze? Wir haben bei Experten nachgefragt und wurden überrascht.

Was ist die OECD? Warum ist Zug so betroffen? Müssen Zugerinnen bald mehr Steuern zahlen? Oder Angst um ihre Arbeitsplätze haben? Was ist eigentlich mit den 300 Millionen Franken Mehreinnahmen, wer kriegt die? Wir haben all diese Fragen gestellt und noch mehr. An Experten aus der Wirtschaft, der Politik und der Forschung. Die Antworten zeigen, dass es in Zug um mehr geht als um eine neue Steuer.

1. Was ist die OECD und was ist die Mindeststeuer?

OECD steht für «Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung». Die 38 Mitgliedsländer nutzen die Organisation, um sich auf einheitliche Standards zu einigen und für Wirtschaftsreformen. Eines ihrer Hauptanliegen ist der Kampf gegen Steueroasen und internationale Steuerhinterziehung.

«Die OECD sieht Länder mit sehr tiefen Steuern als Grund für unfairen Wettbewerb. Das führt zu Gewinnverschiebungen», erklärt Stefan Kuhn, Leiter der Steuer- und Rechtsberatung von KPMG Schweiz. Die Organisation bekämpfte deshalb in der Vergangenheit Steuervermeidungskonstrukte und war erfolgreich. Das bekannteste Beispiel: der «Doppelte Ire mit einem eingeklemmten Holländer». Das Konstrukt wurde nach Berichten des «Guardian» auch von Google benutzt.

Was ist der «Doppelte Ire mit einem eingeklemmten Holländer»?

Dafür braucht es drei Tochterunternehmen in drei Ländern. Google Irland mit Sitz in Irland. Google Bahamas, Briefkastenfirma mit Lizenz- und Markenrechten. Und Google Niederlande, ebenfalls Briefkastenfirma. Was passiert jetzt?

Google Irland sammelt europaweit die Gewinne der Firma ein. Google Bahamas stellt Rechnung für Markenrechte – eine sehr hohe Rechnung. Die Zahlung wird dann über die Niederlande abgewickelt. Weil Markenrechtszahlungen nicht steuerpflichtig sind, Irland ein Steuerabkommen mit den Niederlanden hat und diese eines mit den Bahamas, landet das Geld unversteuert in der Karibik.

International stark vernetzt, hohe Umsätze, kaum Betriebsstandorte und ein immaterielles Geschäftsfeld: Digitalkonzerne zu besteuern, ist schwierig. Um das zu ändern, startete die OECD das Projekt globale Mindeststeuer im Jahr 2019. Mindestens 15 Prozent für alle internationalen Unternehmen mit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz, so die Vorgabe. Letztes Jahr stimmten 130 Staaten, darunter die G20-Länder dem Vorschlag der OECD zu.

2. Wann kommt die Steuer in der Schweiz?

Die Mindeststeuer wird kommen – daran zweifelt kaum noch jemand. Weil der Bund damit in Kantonsrecht eingreift und Unternehmen erstmals unterschiedlich hoch besteuert, braucht es eine Verfassungsänderung. Für den Zeitplan der OECD dauert das zu lang. Der Bund plant daher, die Steuer zuerst mittels Verordnung umzusetzen. Die Vorlage liegt seit dieser Woche den Kantonen zur Vernehmlassung vor. Geplant ist die Einführung am 1. Januar 2024.

«Die OECD-Mindeststeuer greift in die Steuerhoheit der Kantone ein; sie werden verpflichtet, sich der Mindeststeuer zu unterwerfen.»

Marco Portmann, Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern

Die Mindeststeuer wird eine Ergänzungssteuer. Unternehmen, die beispielsweise nur 11 Prozent Gewinnsteuer zahlen, müssen dann zusätzliche 4 Prozentpunkte bezahlen. Der Bund erwartet jährliche Mehreinnahmen von 1 bis 2,5 Milliarden Franken. Die Verwendung der zusätzlichen Einnahmen ist zur Zeit ein grosser Streitpunkt. Wenn es nach dem Bundesrat geht, sollen die Erträge zu 75 Prozent den Kantonen und zu 25 Prozent dem Bund zufallen. Die Verwendung der Gelder wäre dann den Kantonen überlassen.

Letzten Monat hat die Wirtschaftskommission des Nationalrats einen anderen Vorschlag unterbreitet. 50 Prozent an den Bund und 50 Prozent an die Kantone. Ausserdem ein Deckel: kein Kanton soll mehr als 400 Franken pro Einwohner erhalten.

Wer sich am Ende durchsetzen kann, wird an der Urne entschieden. Gemäss aktuellem Stand wird das am 23. Juni 2023 sein.

Die Linke unterstützt das. Sie will durch den höheren Bundesanteil verhindern, dass nur vier Kantone den grössten Teil der zusätzlichen Steuereinnahmen erhalten. Geld verlieren würden bei der 50:50-Variante wirtschaftsstarke Kantone mit wenig Einwohnern. Weit vorne in der Liste: der Kanton Zug.

3. Warum geht es ständig um Zug?

Wie sehr ein Kanton von der Steuer betroffen ist, liegt an zwei Faktoren, erklärt Marco Portmann vom Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern: Wie weit die effektiven Steuersätze unter den geforderten 15 Prozent liegen und wie viele Firmen mit mehr als 750 Millionen Franken Umsatz ansässig sind.

Für die Unternehmen spielt es letztlich keine Rolle, wo sie die Steuer bezahlen.

Stefan Kuhn, Leiter der Steuer- und Rechtsberatung von KPMG Schweiz

Im Kanton Zug gibt es zurzeit einen effektiven Gewinnsteuersatz von 11,95% und viele globale Konzerne. Deswegen ist Zug mit am stärksten betroffen. «Die Steuer gilt nur für Unternehmen, die international tätig sind», erklärt Stefan Kuhn. Erwartete Mehreinnahmen in Zug? 300 Millionen Franken jährlich.

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4. Dürfen die Bürger über die Einführung der Steuer mitbestimmen?

«Die OECD-Mindeststeuer greift in die Steuerhoheit der Kantone ein; sie werden verpflichtet, sich der Mindeststeuer zu unterwerfen», sagt Portmann. Der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler bestätigt das: «Bundesrecht bricht kantonales Recht. Das heisst, dass der Bund aufgrund der Mehrheitsverhältnisse eine "Lex Zug" beschliessen kann, die dem Kanton Zug zum Nachteil gereicht, ohne dass wir etwas dagegen unternehmen können.»

Wenn Steuersubstrat in grösserem Ausmass entfällt, ist nicht auszuschliessen, dass dies durch andere Steuereinnahmen kompensiert werden muss.

Heinz Tännler, Finanzdirektor Kanton Zug

Auf Grund der Verfassungsänderung braucht es allerdings ein obligatorisches Referendum. Sobald es soweit ist, können die Zuger Bürgerinnen abstimmen, wie die Steuer im nationalen Gesetz verankert wird, so Portmann. Später ginge es weiter. «Die Kantone sind weitestgehend frei, wie sie die ihnen zugestanden Mehreinnahmen einsetzen und wie sie den Steuermix auf die Mindeststeuer anpassen.» Auch da können Zuger Bürger in Zukunft noch einiges mitreden.

5. Muss ich als Bürgerin von Zug bald mehr Steuern zahlen?

Kurzfristig sicher nicht. Von der Steuer sind nur Unternehmen mit über 750 Millionen Franken Umsatz betroffen. Langfristig sind die Folgen ungewiss. «Sollte das Regime ordnungspolitisch so falsch umgesetzt werden, dass Steuersubstrat in grösserem Ausmass entfällt, ist nicht auszuschliessen, dass dies durch andere Steuereinnahmen kompensiert werden muss», so Tännler. Solche Massnahmen könnten dann alle treffen.

«Im Vergleich zu anderen steuerlich attraktiven Standorten hat Zug mehr zu bieten als nur Briefkästen.»

Marco Portmann

Marco Portmann sieht noch eine andere mögliche Entwicklung. Wenn Heinz Tännler Wort hält und mit den Mehreinnahmen die Steuern natürlicher Personen senkt, könnte das zum neuen Standortvorteil werden. Geringe steuerliche Belastung für Mitarbeiterinnen sei auch für Unternehmen interessant, erklärt der Akademiker.

Zug als Wirtschaftszentrum gehört zu den am meisten betroffenen Kantonen bei einer Einführung der OECD-Mindeststeuer. Geschätzt werden Mehreinnahmen von 300 Millionen Franken. (Bild: Andreas Busslinger)

6. Müssen Zuger Angst um ihre Arbeitsplätze haben?

«Für die Unternehmen spielt es letztlich keine Rolle, wo sie die Steuer bezahlen», meint Stefan Kuhn von KPMG. Die betroffenen Unternehmen müssen die Steuer sowieso zahlen, wenn nicht in der Schweiz, dann im Ausland.

«Es gibt Unternehmen, die die Kriterien für die OECD-Mindeststeuer erfüllen, aber so aufgestellt sind, dass das Ausland nicht zugreifen kann. Aber das sind wenige», führt Kuhn aus. Das seien Unternehmen, die nur mit Steueroasen tätig sind und steuerpflichtig in der Schweiz. «Die tragen aber in der Regel nicht viel zur Wertschöpfung der Schweiz bei und beschäftigen nicht viele Arbeitnehmende.»

Das Risiko, dass Unternehmen abwandern, ist moderat.

Finanzdirektion der Stadt Zug

Marco Portmann von der Universität Luzern zeigt sich unbesorgt: «Im Vergleich zu anderen steuerlich attraktiven Standorten hat Zug mehr zu bieten als nur Briefkästen, da es mitten in Europa liegt, über eine gute öffentliche Infrastruktur verfügt und für Fachkräfte attraktiv ist.» Auch die Verwaltung schätzt das Risiko für Abwanderung moderat ein, schreibt die Finanzdirektion der Stadt Zug. Zudem werde man die Mehreinnahmen den Bürgern und Firmen am Ende wieder zuführen.

7. Was passiert mit den 300 Millionen Mehreinnahmen?

Dass die Firmen ihre 300 Millionen Franken zurückbekommen, bezweifelt Portmann. «Es besteht die Einsicht, dass ein Kanton einem Unternehmen für eine zusätzliche Million Franken Steuern nicht den gewünschten Gegenwert von einer Million Franken, geschweige denn von mehr bieten kann», erklärt er.

187 Millionen Franken sollen es sein, um als Wirtschaftsstandort attraktiv zu bleiben.

Das wiederum bedeute, dass Zug eigentlich mehr als die 300 Millionen Franken Mehreinnahmen benötigen würde, um den Attraktivitätsverlust zu kompensieren. Und nicht weniger, wie derzeit im Gespräch.

Finanzdirektor Heinz Tännler rechnet vor. Bekäme der Kanton Zug 75 Prozent der 300 Millionen Franken Mehreinnahmen, wären das nach Abzügen 187 Millionen Franken. Diese Summe könnte der Kanton in die «Kompensation der Standortnachteile» investieren. Durch Steuersenkungen, Subventionen oder Investitionen in die Infrastruktur. Bei der neuen 50:50-Variante mit 400 Franken Deckel pro Einwohnerin seien es nur 50 Millionen Franken.

Die übrigen 250 Millionen würden dann an den Bund und in andere Kantone fliessen. Die Linke findet das gerecht, die Bürgerlichen erschaudern. Wer sich am Ende durchsetzen kann, wird an der Urne entschieden. Gemäss aktuellem Stand wird das am 23. Juni 2023 sein.

Verwendete Quellen
  • Q&A zur OECD-Mindeststeuer des IWP
  • Schriftlicher Austausch mit Marco Portmann
  • Mündlicher Austausch mit Stefan Kuhn
  • Schriftlicher Austausch mit Heinz Tännler
  • Schriftlicher Austausch mit André Wicki
  • Artikel der «Neuen Zürcher Zeitung»
  • Artikel des «Guardian»
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
    Kasimir Pfyffer, 14.11.2022, 13:37 Uhr

    «Bruch des Rechts», «Unterwerfung», meine Güte, was für neoliberale Tiraden hier aufgefahren werden. Man könnte ja meinen, dass der nächste Sonderbundskrieg ins Haus steht. Und das nur, weil die OECD der Steuerhinterziehungsindustrie ein kleines Riegelchen schiebt. Ist die Auswahl der Gesprächspartner eigentlich Zufall, oder wollte Zentralplus bewusst nur die Lobbyisten und Profiteure des alten Systems zu Wort kommen lassen? Die ALG oder die KdK haben bestimmt auch etwas zu diesem Thema zu sagen …

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    • Profilfoto von Konstantin Kreibich
      Konstantin Kreibich, 14.11.2022, 16:04 Uhr

      Vielen Dank für ihre kritische Nachfrage. Ziel des Artikels war es nicht, die Schweizer Debatte um die OECD-Mindeststeuer auszuleuchten, sondern die Konsequenzen für Zugerinnen und Zuger. Nach dieser Zielvorgabe wurden die Experten ausgewählt. Mit Herr Tännler und Herr Wicki haben wir die verantwortlichen Politiker befragt. Herr Kuhn haben wir zum Interview gebeten, um die Perspektive von Zuger Unternehmen zu erfahren, welche von der Steuer betroffen sind. Herr Portmann gehört zum IWP, einem zwar jungen aber führenden Think Tank für Wirtschaftspolitik, insbesondere in der Zentralschweiz. Andere Parteien wurden nicht angefragt, da sie sich in den betreffenden Ämtern nicht in Regierungsverantwortung befinden.

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