150 Gläubiger wollen von Zuger Firma Geld – zahlt sie?
Die Nord Stream 2 mit Sitz in Steinhausen kann aufatmen. (Bild: Nord Stream 2 / Axel Schmidt)
Nord Stream 2 mit Sitz in Steinhausen hat das Ende immer wieder hinausgezögert. Bei einem Aus verlören zig Unternehmen Millionen. Nun konnte die Firma den Kopf aus der Schlinge ziehen.
Bei einer scheinbar unendlichen Geschichte ist ein Ende in Sicht. Protagonistin: Das Unternehmen Nord Stream 2 mit Sitz in Steinhausen. Der Firma gehört eine 9,5 Milliarden Euro teure Pipeline von Russland bis Norddeutschland. Nur: Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine kamen die teuren Röhren nie in Betrieb. Die Geschichte dreht sich um US-Sanktionen, eine unterirdische Sprengung, ein Wettlauf gegen das drohende Ende, eingefrorene Millionen, zig Kleinunternehmen, denen das Wasser bis zum Hals steht.
Jetzt hat das Zuger Kantonsgericht am Freitag einen wichtigen Entscheid gefällt.
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was das Zuger Kantonsgericht entschieden hat
welche Rechtskämpfe die Nord Stream 2 sonst noch führt
wie die Zukunft des Pipelineunternehmens aussieht
Wie das Zuger Kantonsgericht am Freitag mitteilt, hat sich das Erdgasunternehmen Nord Stream 2 mit seinen Gläubigern einigen können. Das Nachlassverfahren, mit dem ein Konkurs verhindert werden soll, zog sich bereits seit drei Jahren dahin und wurde zuletzt auch über das gesetzliche Maximum von 24 Monaten hinaus verlängert (zentralplus berichtete).
Jetzt hat das Zuger Kantonsgericht den Nachlassvertrag gerichtlich bestätigt. Damit ist der Konkurs des Pipelineunternehmens, dessen Eigentümerin die Firma Gazprom des russischen Staats ist, verhindert. Allerdings ist der Entscheid noch nicht rechtskräftig. Er kann noch angefochten werden.
Grossgläubiger verzichten auf viel Geld
Mit einem Nachlassvertrag einigen sich Unternehmen und ihre Gläubiger darauf, dass die Gläubiger nicht ihre volle geschuldete Summe erhalten, jedoch einen Teil. Im Falle der Nord Stream 2 sollen rund 150 Gläubigerinnen bestehen, wie der NDR berichtet.
Davon sind die meisten Kleingläubiger, etwa Firmen, die Büros des Pipelineunternehmens gebaut haben oder Leitungen installiert haben. Dazu bestehen sechs grosse Gläubiger, die europäischen Energieunternehmen Engie (Frankreich), OMV (Österreich), Shell (Grossbritannien), Uniper und Wintershall Dea (beide Deutschland) sowie die Eigentümerin Gazprom. Was im Nachlassvertrag der Nord Stream 2 genau steht, ist nicht öffentlich bekannt. Auch das Zuger Kantonsgericht macht den jetzigen Entscheid nicht öffentlich und beantwortet derzeit keine Fragen zum Fall.
Im interaktiven Zeitstrahl findest du die letzten drei Jahre zum Konkurs der Nord Stream 2 zusammengefasst:
Allerdings lieferte ein Gerichtsverfahren vom Dezember 2024 einen Hinweis. Den Grossgläubigern soll das Erdgasunternehmen über eine Milliarde Franken schulden (zentralplus berichtete). Gemäss damaligem Vertragsentwurf sollten sie jedoch nur je 11 Millionen Franken erhalten. Die zahlreichen Kleingläubiger hingegen sollten voll ausgezahlt werden. Das war auch eine Bedingung des Zuger Kantonsgerichts, um ausnahmsweise das Nachlassverfahren über das gesetzliche Maximum zu verlängern (zentralplus berichtete).
Streit um Bankkonten
Wie der NDR berichtet und Dokumente beweisen, die zentralplus vorliegen, hat die Nord Stream 2 einige ihrer Kleingläubiger auf den letzten Drücker ausgezahlt. Erste Kleingläubiger sollen am Montag ihr Geld erhalten haben.
Dass sich die Auszahlung so hingezogen hat, ist unter anderem den Sanktionen geschuldet. Weil das Unternehmen sanktioniert ist, haben Banken die Kontos der Nord Stream 2 gekündigt.
In den letzten Monaten kämpfte das Steinhauser Unternehmen daher gerichtlich gegen die Sparkasse Vorpommern. Diese hat zwei Konti der Nord Stream 2 gekündigt, da die Bank Sanktionen fürchtete. Auf den Konti lagen zum Zeitpunkt der Kündigung rund 12,3 Millionen Euro. Diese stammen von den rund 69 Millionen Euro, welche die Bundesrepublik Deutschland für Pipelineröhren der Nord Stream 2 gezahlt hatte, wie der NDR berichtet.
Auf ein neues Konto konnte die Sparkasse das Geld noch nicht überweisen, da das Steinhauser Unternehmen kein neues vorweisen konnte, verteidigte sich die Bank vor Gericht. Die Erdgasfirma wehrte sich – doch das Landgericht Stralsund gab der Bank recht. Nord Stream 2 hat Berufung eingelegt. Doch die nächste Instanz räumt der Berufung gemäss einer Medienmitteilung wenig Chancen ein.
Geht Pipeline wieder in Betrieb?
Für die Kleingläubiger hat das Pipelineunternehmen inzwischen trotzdem eine Lösung gefunden. Das Geld erhielten sie von der Transliq AG via ein Konto der Valiant-Bank. Die Transliq AG stellt den Sachwalter der Nord Stream 2, der die letzten Jahre das Unternehmen beaufsichtigt und überprüft hat.
Doch auch wenn die Kleingläubiger nun befriedigt sein sollten und auch der Nachlassvertrag unterzeichnet ist, steht dem Unternehmen eine schwierige Zukunft bevor. Vor Gericht gab Sachwalter Philipp Possa zwar an, dass das Erdgasunternehmen in einem Szenario mit einer Inbetriebnahme der 9,5-Milliarden-Röhre fürs Jahr 2030 plant.
Doch Stand heute ist die Pipeline nach einem Anschlag 2022 noch immer beschädigt. Die Ermittlungen dazu dauern noch an. Schweden und Dänemark haben diese im Februar 2024 eingestellt, nur Deutschland ermittelt weiter. Zwischenergebnisse veröffentlicht Deutschland mit Verweis auf eine mögliche Gefährdung der Untersuchungen nicht. Selbst als Nord Stream 2 Zugang zu den schwedischen Ermittlungsakten verlangte, wurde dies dem Unternehmen verweigert, wie aus einem Urteil des Stockholmer Verwaltungsgerichts vom Oktober 2024 hervorgeht.
EU will sich von russischem Gas lösen
Selbst wenn sich das klären sollte und die Röhren repariert würden, wäre unklar, ob sich überhaupt noch Abnehmer für das russische Erdgas fänden. Die 1234 Kilometer Pipeline führt vom Russland nach Norddeutschland. Und für Deutschland ist die Abnahme des Gases kein Thema mehr, sagte eine Sprecherin des deutschen Wirtschaftsministeriums vor rund einem Jahr gegenüber zentralplus. Zudem will eine EU-Kommission bis Ende 2027 Importe von russischem Gas verbieten, wie diese Woche bekannt geworden ist.
Wahrscheinlicher ist darum ein Verkauf. Bereits während der Verhandlung im Dezember sagte Sachwalter Possa, ein Verkauf sei nicht ausgeschlossen. Die Nord Stream 2 habe mehrere Kaufinteressenten – auch ausserhalb Russlands.
Schreibt über Politik, Kurioses und wühlt gern in Unterlagen. Im ländlichen Luzern aufgewachsen, hat sie beim «Entlebucher Anzeiger» ihre Begeisterung für Lokaljournalismus entdeckt. Hat ein abgeschlossenes Studium in Medienwissenschaften und Englisch, und die Diplomausbildung Journalismus beim MAZ absolviert. Sie schreibt seit September 2021 bei zentralplus.