Bauherrin setzt in Kriens auf Mieter ohne Autos

Neue Siedlung: Kein Parkplatz, aber Geld für den Velomechaniker

Das markante Hochhaus prägt die Überbauung «Matteo».

(Bild: Visualisierung zvg)

Eine Überbauung in Kriens will vor allem Mieter ohne Autos anziehen. Deshalb bekommt man zur Wohnung Gutscheine für Mietvelos, ÖV und Carsharing im Wert von bis zu 800 Franken – Jahr für Jahr. Ist das einfach gutes Marketing oder ein Konzept für die Zukunft?

Noch wächst der 15-stöckige Turm gleich beim Krienser Bahnhof Mattenhof in die Höhe. Hier entsteht das Quartier «Matteo» als Teil der Mattenhof-Überbauung. Und es sorgt schon vor Fertigstellung für Aufsehen. Nicht mit der Architektur oder der Aussicht auf den Pilatus, sondern mit seinem neuartigen Mobilitätskonzept.

Wer eine der 146 Wohnungen mietet, bringt von Vorteil kein eigenes Auto mit. Dafür lassen die Vermieter einiges springen: Wer auf den Parkplatz verzichtet, erhält jedes Jahr Mobilitätsgutscheine zwischen 400 und 800 Franken. Bei der grössten Wohnung sind das 100 Franken für den Veloverleih, 400 ans ÖV-Abo, 150 für Carsharing, 75 Franken für einen Veloservice und 75 für E-Cargo-Bikes.

Da in Luzern Süd in den nächsten Jahren tausende neue Wohnungen auf den Markt kommen, ist das ein entscheidender Vorteil. Denn schon jetzt gibt es zu viele leere Wohnungen (zentralplus berichtete). Im Matteo kosten die Wohnungen zwischen 1340 (2,5 Zimmer im 1. OG) und 4360 Franken (Maisonette im 15. OG).

Unternehmenspreis für das Start-up

Einer der Köpfe hinter der Mobilitätsstrategie, Christoph Zurflüh, will das Mobilitätspaket nicht als «Lockangebot» sehen. «Es ist ein Beitrag ans strenge Fahrtenkontingent, die wenigen Parkplätze und ein Mobilitätskonzept waren schon in der Baubewilligung gefordert», sagt Zurflüh, der vor wenigen Jahren das Luzerner Start-up Trafiko mitgegründet hat. Das Unternehmen für Mobilitätsfragen hat kürzlich den mit 10’000 Franken dotierten Zentralschweizer Neuunternehmerpreis gewonnen.

«Wir sind hier in der Agglo und nicht in der Europaallee.»

Christoph Zurflüh, Mobilitätsplaner

«Unser Mobilitätskonzept hilft dem Bauherrn, die Auflagen zu erfüllen, und er kann darüber hinaus ein Zeichen setzen», sagt Zurflüh. Denn es gebe schlicht zu wenige Parkplätze für alle Mieter, 90 sind es für 146 Wohnungen. Zudem wolle man verhindern, dass diese mit den Autos einfach auf andere Quartiere auswichen. «Wir wollen die Mobilität nicht dem Zufall überlassen, sondern sinnvoll steuern», fasst er zusammen.

Anreize richtig setzen

Die politische Vorgabe für die Überbauungen im Boom-Gebiet Luzern Süd waren von Anfang an klar: Der motorisierte Individualverkehr darf trotz grossem Wachstum nicht merklich zunehmen. Darum war es die Aufgabe von Zurflüh und Team, diese Vorgaben auf konkrete Massnahmen zu reduzieren. Die jetzige Lösung tönt simpel, doch dahinter steckt viel Denkarbeit und Verhandlungsgeschick. «Man muss die Anreize richtig setzen, sonst funktionieren sie nicht», sagt Zurflüh.

Und weil die Beiträge nicht einmalig anfallen, sondern jährlich, müssen sie für den Investor finanzierbar sein. «Die Rechnung muss aufgehen, aber die Anreize müssen trotzdem stark genug sein, damit sie ein Umdenken auslösen», so Zurflüh.

Und so sieht das Mobilitätspaket im Detail aus:

Beiträge gibt's je nach Grösse der Wohnung – und abhängig davon, ob man einen Parkplatz mietet.

Beiträge gibt’s je nach Grösse der Wohnung – und abhängig davon, ob man einen Parkplatz mietet.

(Bild: zvg)

Wieso nicht alle Parkplätze aufgehoben?

Wieso hat man nicht gänzlich auf Parkplätze verzichtet, wenn man möglichst wenig Autos will? Mit diesem Modell sei es einfach sehr viel realistischer, so Zurflüh. Zudem seien in der «Matteo»-Siedlung die ersten vier Etagen für Arbeiten und Dienstleistungen reserviert, das gehe nicht ohne Parkplätze. «Zudem sind wir hier in der Agglo und nicht in der Europaallee», sagt er.

Zurflüh will die künftigen Mieter «positiv beeinflussen». Autofreies Wohnen solle keine Einschränkung sein, sondern man solle davon profitieren – das sei die Message dahinter. Er will den Mietern die Alternativen zu den fehlenden Parkplätzen aufzeigen – und die bieten sich beim Mattenhof an: Bahnhof, Buslinien oder der Veloweg «Freigleis» grenzen direkt an die Liegenschaft. Und wer doch ein Auto braucht, ist auch schnell auf der Autobahn.

Wie das Handyabo

«Es gibt heute so viele kluge Mobilitätslösungen, wir müssen sie nur clever vernetzen», sagt Zurflüh. Und die Mobilität werde immer mehr zum Wohnen dazugehören. «Wenn ich ein Handy kaufe, nehme ich das Abo auch gleich als Paket dazu, so funktioniert auch unser Mobilitätspaket», sagt er.

«Matteo» ist die Feuertaufe, es ist das erste Mal, dass Mieter ein solches Mobilitätspaket jährlich erhalten. Doch Zurflüh denkt schon weiter: eine zentrale Plattform und eine App, die alle Angebote bündelt. «Im Moment ist es noch etwas umständlich, der Kunde muss sich bei allen Diensten registrieren und einloggen.» Künftig soll man alle Mobilitätsangebote aus einer Hand beziehen können. «Wir arbeiten daran, wie wir das vereinfachen können», so Zurflüh.

Hier in der Überbauung «Matteo» wird es sich lohnen, ohne Auto zu wohnen.

Hier in der Überbauung «Matteo» wird es sich lohnen, ohne Auto zu wohnen.

(Bild: zvg)

Nicht einfach ein Goodie

Auch bei der Vermieterin betritt man mit dem Mobilitätskonzept und der autoarmen Siedlung Neuland. Doch Lars Gabriel, Berater bei Intercity Luzern, sieht die Mobilitätsvorgabe nicht als Einschränkung, sondern als Vorteil in der Vermarktung gegenüber den Mitbewerbern in der Nähe.

«Das ist die Zukunft.»

Lars Gabriel, Intercity

Intercity ist für die Vermarktung und Erstvermietung zuständig. Bauherrin von «Matteo» ist die Credit Suisse. «Solche jährlichen Mobilitätsgutscheine gibt es in der Schweiz bisher noch nicht», sagt er. Für ihn ist das ein willkommenes Alleinstellungsmerkmal.

Kosten schwierig abzuschätzen

Gabriel sieht die Gutscheine nicht einfach als «Goodie», um Mieter «anzulocken». «Es ist ein umfassender Gedanke dahinter», sagt er. «Das ist die Zukunft, damit in städtischen Gemeinden der Verkehr nicht kollabiert.» Neben den 4000 Quadratmetern Gewerbefläche, die selbstredend Parkplätze benötigen, wolle man insbesondere auch Mieter ansprechen, die in dieser urbanen Lage auf ÖV, Velo und Sharing-Angebote setzten.

Die grosse Frage wird letztlich sein, wie fleissig die Mieter die Gutscheine tatsächlich einlösen. Davon hängt ab, wie viel es die Bauherrin kosten wird. Würden sämtliche Mieter ihren Gutschein komplett einlösen, landete man schnell bei einem Betrag um die 80’000 Franken, der jährlich anfiele.

Auf der Website kann man die Wohnungen in der «Matteo»-Überbauung anschauen und sich bewerben – der Einzug ist ab Juli 2019 geplant.

Oben die Siedlung «Matteo», unten das geplante Mattenhof-Quartier.

Oben die Siedlung «Matteo», unten das geplante Mattenhof-Quartier.

(Bild: zvg)

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