Vermittlung von ausländischen Patienten

Netzwerken als Erfolgsfaktor für Luzerner Medizin-Tourismus

CEO Dieter Baumgartner (links im Bild) bei der Eröffnung des Akquisitions-Büros in Shanghai.

(Bild: zvg)

Nach einem schwierigen Start kommt Lucerne Health im vierten Geschäftsjahr zunehmend auf Kurs. Mit 97 Fällen liessen sich letztes Jahr so viele Medizin-Touristen in Luzern behandeln wie noch nie. Doch noch kommen die ausländischen Patienten nicht so zahlreich nach Luzern wie erhofft. Und auch das Geschäftsmodell hat sich anders als erwartet entwickelt.

Intensiv war der Gegenwind, dem Lucerne Health zum Start ausgesetzt war. Soll ein Projekt mit Steuergeldern unterstützt werden, welches sich zum Ziel setzt, ausländische Patienten nach Luzern zu holen? Reiche Ausländer, so war zu hören, die Einheimischen die knappen Spitalbetten strittig machen und den Pflegenotstand noch akuter werden lassen.

Reiche Ausländer, aber auch Kriegsopfer

Drei Jahre später ist von der politischen Debatte um die Anschubfinanzierung (siehe Kasten) nicht mehr viel zu spüren. Gekommen sind nicht nur reiche Ausländer, sondern auch libysche Kriegsversehrte. Dennoch wird im Gespräch mit CEO Dieter Baumgartner schnell klar: So manches am Geschäft mit dem Medizin-Tourismus hat man sich vor dem Start anders vorgestellt. «Wir mussten vieles lernen», räumt Baumgartner ein. Nicht weiter verwunderlich: In der Schweiz bestehen kaum vergleichbare Projekte, das Luzerner Modell hat bis heute kaum Nachahmer gefunden.

Anders als erwartet hat sich etwa das Business Modell entwickelt. So sind die Patienten, die sich in Luzern einer Operation unterziehen wollen, deutlich preisbewusster als beim Start vor drei Jahren erhofft. «Längst nicht alle Patienten wollen sich in einem 5-Sterne-Hotel auf die Operation vorbereiten oder danach ihre Ferien hier verbringen», erklärt Baumgartner. Stattdessen mieten sie ein Business Appartement oder suchen sich ein günstigeres Hotel.

Wenig Freude daran dürften die fünf Luxus-Hotels in und um Luzern haben, welche Lucerne Health zusammen mit Spitälern, der Tourismus- und Wirtschaftsförderung sowie dem Kanton über Mitgliederbeiträge finanzieren. Mit dem Paraplegikerzentrum Nottwil hat sich in der Zwischenzeit auch ein prominenter medizinischer Partner verabschiedet. Die aktuelle Klinikleitung vertritt den Standpunkt, die Akquisition ausländischer Patienten würde dem Stiftungszweck widersprechen. Der frühere Leiter Beat Villiger, der zu den grossen Promotoren von Lucerne Health zählte, sah dies noch anders.

Doch es gibt auch die anderen Fälle. Patienten, die sich nach der Operation auf umfangreiche Shopping-Touren begeben oder sich so heimisch fühlen, dass sie sich zusammen mit ihrer Familie gleich ganz hier niedergelassen haben.

Am meisten Fälle in der Diagnostik

«Bei Standardbehandlungen und sehr lange dauernden Fällen sind wir nicht konkurrenzfähig», erklärt Baumgartner. Schliesslich sei das Schweizer Gesundheitssystem nach den USA das zweitteuerste. Stattdessen hätte man in Luzern entweder sehr komplexe Fälle, wie beispielsweise Korrektureingriffe nach misslungenen Operationen. Weitaus üblicher aber sind diagnostische Abklärungen. Letztere machten im Jahr 2013 rund zwei Drittel der 97 behandelten Fälle aus. Bei Diagnosen oder dem Einholen einer Zweitmeinung sei zweifellos der hervorragende Ruf von Vorteil, den die Schweizer Medizin im Ausland geniesse.

Anschubfinanzierung kritisiert

Lucerne Health hat von Stadt und Kanton Luzern eine Anschubfinanzierung erhalten. Während die Stadt den ursprünglich eingestellten Beitrag von 75'000 Franken nach Bezahlung eines Drittels im Stadtparlament kippte, sicherte die Kantonsregierung 150'000 Franken zu. Ein ähnliches Postulat wie in der Stadt zur Streichung der Mittel wurde im Jahr 2011 mit 49:53 Stimmen nur knapp abgelehnt.

Entstanden ist die Idee zu Lucerne Health vor zehn Jahren in der Luzerner Stadtentwicklung, ab 2006 wurde das Projekt durch Wirtschaftsförderer Walter Stalder vorangetrieben. Seit ihrer operativen Gründung im Jahr 2011 wird die Organisation durch Dieter Baumgartner geführt. Der 67-jährige Chirurg und Betriebswirtschafter führt ein vierköpfiges Team mit insgesamt 220 Stellenprozenten.

Mittelfristig setzt man sich die Vermittlung von jährlich 300 Patienten zum Ziel. Nachdem im Jahr 2011 aus 42 Anfragen nur acht Patienten vermittelt werden konnte, resultierten letztes Jahr aus 170 Anfragen 97 Patientenfälle bei den Mitglied-Spitälern und -ärzten.

«Für die Luzerner Spitäler sind vor allem schwierige Fälle sehr spannend, die in diesen Bereichen für höhere Fallzahlen sorgen», sagte Dieter Baumgartner zur Motivation der Spitäler. Hinzu kämen finanzielle Aspekte. «Die Spitäler benötigen zunehmend Finanzierungsquellen ausserhalb des bestehenden Systems. Und die vermittelten Patienten sind allesamt Vollzahler.» Im Durchschnitt würden die Fallkosten der vermittelten Patienten bei rund 20’000 Franken liegen.

Nicht alle Zielmärkte entwickelten sich

Medizinisch aussergewöhnliche Fälle stammen nicht zuletzt aus Libyen. Mit einer Regierungsorganisation bestanden hier bis letzten Sommer gute Kontakte, so dass in Luzerner Spitälern regelmässig Kriegsopfer behandelt wurden. Aktuell stammt jedoch der Hauptteil der Patienten aus Russland und China. «Die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, die wir zu Beginn als weiteren Zielmarkt avisiert haben, hat sich hingegen nicht wie geplant entwickelt», bedauert Baumgartner. Die weltweite Konkurrenz sei gross und nicht überall könne ein tragfähiges Netzwerk aufgebaut werden.

Generell sei jedoch festzuhalten, dass man wirklich kranke Leute behandle. «Wir betreiben keine Schickimicki-Medizin. Und reine Schönheitsoperationen? «Wir haben keinen einzigen Fall akquiriert», antwortet Baumgartner darauf. Hingegen hätten sich bei Kriegsopfern einige Fälle von Wiederherstellungschirurgie ergeben.

Dass man aktuell auf drei Zielmärkte fokussiert sei, lässt sich mit der grossen Anzahl von Ansprechpartnern und nötiger Sprachkompetenz erklären. Aber auch mit der komplexen Akquisition. So steht Lucerne Health in den Zielmärkten mit Partnerärzten, Patientenvermittlern oder Partnerkliniken im Austausch, aber auch mit Regierungsstellen oder Versicherungen. «Aktuell stehen wir kurz vor Abschluss einer umfassenden Zusammenarbeit mit einer russischen Versicherung», hofft Baumgartner auf weiteres Wachstum.

Kaum Konkurrenz für Schweizer Patienten

Ziel sei, mittelfristig 300 Patienten jährlich betreuen zu können. Angesichts dieser bescheidenen Zahl sei es denn auch falsch zu glauben, man nehme einem einheimischen Patienten einen Spitalplatz weg. «Die drei Lucerne Health angeschlossenen Spitäler (Kantonsspital Luzern, Klinik St. Anna, Cereno Klinik Vitznau) behandeln jährlich mehr als 40’000 stationäre Patienten. Wir sprechen also von weniger als einem Prozent der Kapazität», relativiert Dieter Baumgartner.

Oft wird auch gehört, dass in öffentlichen Spitälern für Luxuspatienten eigene Wohlfühloasen geschaffen werden. Dieser Kritik tritt der Luzerner Chirurg dezidiert entgegen. «Natürlich nutzen unsere Privatpatienten in den Spitälern komfortable Einrichtungen. Doch diese wurden allesamt für Schweizer Patienten geschaffen». Und lokale Patienten hätten in jedem Fall Vorrang. «Es ist denn auch eines unserer Hauptprobleme, einen freien Operationssaal zu finden.»

Kundenbetreuung von A-Z

Diese Vermittlung zwischen Patient, Vermittlern medizinischer Dienstleistungen und den angeschlossenen Kliniken versteht Baumgartner denn auch als Stärke seiner Organisation. «Zum Start konzentrierten wir uns auf Marketing und Verkauf. Es hat sich aber schon schnell gezeigt, dass unsere Kernkompetenz in der «Guest Relations», also der vollumfänglichen Patientenbetreuung, liegt». Dazu würden auch die Organisation von Flugreisen, Visabeschaffung, Chauffeurdienste oder Übersetzungsleistungen zählen.

Weltklasse seien die Luzerner Spitäler bei Erkrankungen an Augen und Ohren, aber auch Magen- und Darm-Krankheiten. Urologie, orthopädisch-rheumatologische Fälle sowie innere Medizin zählten ebenso wie die Neurorehabilitation an der Cereno Klinik zu den Spezialgebieten. Die personellen Strukturen für ausländische Patienten mussten an den Spitälern jedoch erst geschaffen werden. Nicht alle Ärzte konnten sich für kulturell bedingte Eigenheiten ausländischer Patienten oder fremd scheinende Erwartungen begeistern. Und auch das Abrechnungssystem der Spitäler sei nicht auf Selbstzahler und Provisionsabzüge vorbereitet. Aus diesem Grund übernimmt Lucerne Health die Leistungsbegleichung und das Inkasso bei den Patienten oder deren Versicherungen – welches ausschliesslich auf Vorauszahlung beruht.

Abläufe spielten sich ein

In der Zwischenzeit verfüge man in den angeschlossenen Spitälern nun über eingespielte Abläufe und die richtigen Ansprechpartner. Doch jeder Fall sei individuell und auch die Spitäler wollen sich mit ihren Angeboten positionieren, «wobei wir als Tabu definiert haben, dass sich unsere Mitglieder gegenseitig die Patienten abjagen», erklärt Baumgartner.

Würde er die Aufgabe angesichts der aufwendigen Aufbauarbeit und der kritischen Haltung aus Politik und Bevölkerung noch einmal angehen? «Selbstverständlich. Gesundheit und Wohlbefinden sind von Luzern Tourismus als wichtige Pfeiler definiert worden. Insofern betreiben wir mit unserem Wirtschaftsförderungsprojekt auch Standortmarketing.» Da sei es nur fair, wenn auch Aufbauhilfe geleistet werde, argumentiert Dieter Baumgartner.

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