Patrick Marti zu Ortwahl und Mobilität der Zukunft

Mobility-Chef: «Luzern hat jeweils eines unserer Killerkriterien nicht erfüllt»

Für den Mobility-CEO ist das Smartphone der Schlüssel der zukünftigen Mobilität.

(Bild: Gian Waldvogel)

Mobility feiert sein 20-Jahr-Jubiläum und zieht im Dezember von Luzern nach Rotkreuz. Am neuen Standort wird für die Mitarbeiter einiges anders sein. Im Interview erklärt Geschäftsführer Patrick Marti den Wegzug und sagt, welche Sharing-Modelle auf Luzern zukommen könnten.

Noch klingeln die Telefone an der Gütschstrasse in Luzern, wenn ein Mobility-Kunde ein Anliegen hat. Doch bald verlässt das Sharing-Unternehmen die Stadt Luzern: Im Dezember zieht Mobility in die Suurstoffi nach Rotkreuz (zentralplus berichtete).

Herr der roten Flotte ist seit rund einem Jahr der 36-jährige Patrick Marti. Im Interview wirft er einen Blick in die Zukunft, spricht über das Wollsocken-Klischee von Mobility und sagt, was ihm die Augen geöffnet hat.

zentralplus: Patrick Marti, zum Start ein Gedankenspiel. Ich überlege mir, ein Auto zu kaufen. Wie überzeugen Sie mich davon, dass Mobility die bessere Lösung für mich ist?

Patrick Marti: Ich würde Sie nicht überzeugen wollen. Denn um auf ein eigenes Auto zu verzichten, braucht eine Änderung der eigenen Haltung – und ein Grossteil dieser Arbeit muss von Ihnen selber geleistet werden.

zentralplus: Das klingt sehr zurückhaltend. Mobility hat doch sicher Vorteile?

Marti: (lacht). Wenn ich Sie überzeugen müsste, würde ich zuerst Ihr Nutzverhalten anschauen. Bei vielen gibt es mindestens ein- oder zweimal jährlich den Mobility-Moment: Den Zeitpunkt, wo Mobility die beste Lösung wäre. Zum Beispiel beim Frühlingsputz, wo unser Transporter genug Platz bietet, um Möbel zu entsorgen. Oder ein Wochenende im Tessin, für das man statt im Stau zu stehen den Zug nimmt und in Locarno ein Cabriolet von Mobility mietet. Oder wenn der Nachwuchs Autofahren lernen will, man aber einen Wagen mit Automat hat. Unter dem Strich, und das ist doch auch ganz nett, spart man mit Mobility durchschnittlich 4’000 Franken pro Jahr im Vergleich zu einem persönlichen Auto.

«Die neue Freiheit besteht im Luxus, mit dem Smartphone innert Kürze zu verreisen.»

zentralplus: Teilen statt besitzen. Hat das Auto seinen Stellenwert als Statussymbol verloren?

Marti: Diese Zeiten sind wohl tatsächlich vorbei, wir stellen einen Wandel fest. Die Generation Golf, die sich beim Eintritt ins Erwachsenenalter die Freiheit eines eigenen Autos leistete, wird abgelöst durch die Generation Smartphone. Die neue Freiheit besteht im Luxus, mit dem Smartphone innert Kürze zu verreisen, sei es mit dem Zug oder mit einem Auto – und mit demselben Gerät gleich noch Unterhaltung zu haben.

zentralplus: Gilt das für Sie auch? Träumen Sie nicht von einem bestimmten Auto, das Sie unbedingt mal besitzen möchten?

Marti: Nein, ich besitze kein eigenes Auto mehr und hege auch keine solchen Träume. Was mir aber sehr wichtig ist: Ich möchte mich frei bewegen können.

zentralplus: Sharing Economy ist im Trend. Als im März der Bahnhof Luzern stillstand, boomten Mitfahrgelegenheiten. Doch kurz darauf verschwand diese Euphorie wieder. Wieso ist das nicht nachhaltig?

Marti: Das Beispiel Luzerner Bahnhof hat gezeigt: Wenn Probleme da sind, ist man offen für alle Lösungsansätze. Aber für einen nachhaltigen Wechsel muss die Gesellschaft einen Denkprozess durchmachen. Dennoch ist klar: Das Auto ist in der Schweiz im Durchschnitt mit 1,2 Personen ausgelastet – das ist zu wenig. Mitfahrgelegenheiten sind auch für uns ein grosses Thema.

zentralplus: Aber offenbar braucht es mehr Druck. Freuen Sie sich also, wenn die Staus zunehmen und die SBB-Preise in die Höhe klettern?

Marti: Nein, überhaupt nicht. Ich bin fest überzeugt davon, dass die kombinierte Mobilität der Schlüssel zum Erfolg ist. Es braucht ein Miteinander von öffentlichem Verkehr und Individualverkehr und nicht ein Gegeneinander. Im Kopf habe ich ein Bild: Ich muss von der Gütschstrasse nach Zürich, tippe das im Smartphone ein und erhalte sofort den schnellsten, den einfachsten, den günstigsten und den bequemsten Weg. So kann ich wählen, für welche Strecke ich am besten Bus, Tram oder ein Auto von Mobility nehme.

Patrick Marti am aktuellen Mobility-Hauptsitz gleich hinter dem Altstadt-Parking.

Patrick Marti am aktuellen Mobility-Hauptsitz gleich hinter dem Altstadt-Parking.

(Bild: Gian Waldvogel)

zentralplus: Mobility feiert sein 20-jähriges Bestehen und hat sich vom Nischenanbieter zum führenden Carsharing-Unternehmen entwickelt. Doch schauen wir in die Zukunft: Wie sieht Mobilität in 20 Jahren aus?

Marti: Es gibt ein Bild der Fifth Avenue von New York aus dem Jahr 1900, wo Kutschen und Pferde unterwegs sind. Auf einer zweiten Aufnahme von 1913 vom selben Ort ist keine einzige Kutsche mehr zu sehen – es sind nur noch Autos unterwegs. Genau in einem solchen Wandel befinden wir uns jetzt.

«Wer sagt also, dass wir uns dereinst nicht in der Luft fortbewegen?»

zentralplus: Was heisst das konkret?

Marti: Einen Teil der Entwicklung können wir fassen, etwa betreffend selbstfahrender Fahrzeuge, wie wir sie ab Ende Jahr in Zug testen (zentralplus berichtete). Aber wir können uns nicht vorstellen, wie wir uns in 15 Jahren bewegen werden. Es gibt zum Beispiel Versuche mit Drohnen, die Leute transportieren. Wer sagt also, dass wir uns dereinst nicht in der Luft fortbewegen? Wer sagt, dass der Verkehr nicht unter der Erde stattfindet? Welche Ideen sich letztlich durchsetzen, werden wir sehen. Klar ist für mich aber: Der Wandel wird schneller kommen, als wir alle denken.

zentralplus: Angesichts dieser Vision stellt sich die Frage: Sind Grossprojekte wie der Bypass mit der Spange Nord in Luzern bereits überholt, wenn sie dereinst umgesetzt werden?

Marti: Grundsätzlich beurteilen wir alles positiv, was die Strassen entlastet. Doch es liegt nicht an mir, das Projekt zu beurteilen. Als Geschäftsführer von Mobility äussere ich mich nicht zu politischen Themen.

zentralplus: Viele würden Mobility wohl häufiger nutzen, wenn man das Auto nicht am selben Ort wieder zurückbringen müsste, wie man es abholt. Gerade für Pendler ist Mobility deswegen nicht attraktiv. Seit Juni 2016 bietet Mobility One-Way genau das an. Wie läuft es?

Marti: Das haben wir im Pilotmodus getestet – mit Erfolg. Nun wollen wir weitere Standorte hinzunehmen.

zentralplus: In der Region Luzern gibt es Mobility One-Way einzig am Bahnhof Luzern. Welche weiteren Standorte kommen hinzu?

Marti: Wir können One-Way nicht an all unseren 1’500 Mobility-Standorten anbieten. Vielmehr müssen wir schauen, wo es sinnvoll ist und wo wir die Masse erreichen können. Ein gutes Beispiel ist die Fahrt vom Luzerner Bahnhof an den Flughafen Zürich, die mit One-Way bereits heute möglich ist. Es kommen sicher andere Luzerner Standorte in Frage, aber welche, ist noch offen.

Zur Person

Patrick Marti ist seit August 2016 Geschäftsführer bei Mobility. Der 36-Jährige war zuvor bei der Migros tätig, wo er zuletzt während vier Jahren Melectronics leitete. In Luzern folgte er auf Viviana Buchmann. Der zweifache Familienvater lebt im Kanton Aargau.

zentralplus: Noch weiter geht das Prinzip von Catch a Car, einer Tochterfirma von Mobility. Das Auto kann bei Catch a Car überall in der blauen Zone abgestellt werden. Wieso gibt es das in Luzern nicht?

Marti: Wir betreiben Catch a Car in Basel und in Genf. Im Moment sind wir zufrieden, wie es läuft. Ich möchte eine Ausweitung nach Luzern nicht ausschliessen, aber dies sicherlich nicht in kurzfristiger Sicht.

zentralplus: Sie sitzen seit einem Jahr am Steuer von Mobility. Hat sich Ihr persönlicher Blick auf die Mobilität seither verändert?

Marti: Ja, massiv. Ich kann das am Beispiel der selbstfahrenden Autos illustrieren. Für mich war das zu Beginn ein Zukunftsgespenst. Doch wir hatten gleich zu Beginn meiner Zeit bei Mobility ein Auto hier, das diese Features zu 98 Prozent bereits eingebaut hatte. Das hat mir die Augen geöffnet. Mir ist bewusst geworden, in welch rasantem Wandel wir uns befinden.

zentralplus: Keine Angst, dass er Sie überrollt?

Marti: Nein, ich bin gerne in der agierenden Position. Es macht Spass und ist reizvoll, die Zukunft der Mobilität mitzugestalten.

zentralplus: Sie sind vergleichsweise jung für einen Chef eines Unternehmens mit knapp 200 Mitarbeitern. Welche Rolle spielt das in einem Umfeld, das sich so rasch entwickelt?

Marti: Wenn es darum ginge, die nächsten 20 Jahre bloss das zu verwalten, was die bisherigen 20 Jahre funktioniert hat, wäre ich sicher der Falsche. Mein Alter ist für meine Zukunftsvisionen jedoch nicht relevant.

zentralplus: Seit Kurzem können Gemeinden und die Verantwortlichen von Wohnüberbauungen einen eigenen Standort eröffnen.

Marti: Das Angebot Mobility-Flex kommt sehr gut an. Wir haben sowieso gute Wachstumsraten bei Geschäftskunden. Das zeigt, dass sich viele Firmen mit nachhaltiger Mobilität beschäftigen, da treffen wir sicher einen Nerv der Zeit.

zentralplus: In den Städten leben mehr Leute ohne Auto als auf dem Land. Spürt Mobility diesen Graben?

Marti: Ja, den gibt es. 70 Prozent unserer Standorte befinden sich in Städten. Hier lässt sich ein Privatauto gut durch Carsharing und öffentlichen Verkehr ersetzen. Je mehr wir unser Angebot entwickeln, umso stärker sollte Mobility aber auch auf dem Land ein Thema werden. Deshalb wollen wir unser Angebot auch an ländlichen Standorten zur Verfügung stellen.

zentralplus: Sie stationieren Autos an Orten, wo nicht mal ein Zug hält. Im Kanton Luzern beispielsweise in Ruswil. Das dürfte sich kaum lohnen?

Marti: Ja, es stimmt, wir betreiben bewusst einige unrentable Standorte. Die Netzabdeckung ist für unsere Kunden nämlich wichtig. Es gilt, einen guten Mix zu finden. Auf der anderen Seite schliessen wir auch wieder Standorte und probieren neue mit mehr Potenzial.

«Wir haben mehrere Objekte angeschaut im Raum Luzern, auch das Rösslimatt-Areal beim Bahnhof.»

zentralplus: Mobility verlegt den Hauptsitz Ende Jahr von Luzern nach Rotkreuz.

Marti: Mitte Dezember ist Zügeltag. Der neue Standort wird einiges ändern. In Rotkreuz gibt es weder fixe Arbeitsplätze noch fixe Parkplätze. Alles, was geteilt werden kann, teilen wir – das gehört ja zu unserer DNA.

zentralplus: Luzern hat den Wegzug sehr bedauert. Der Kanton buhlt mit den tiefen Steuern zwar um Firmen, doch auch die Hochschule Luzern zog nach Rotkreuz und kürzlich entschied sich der Verein Innovationspark für die Suurstoffi.

Marti: Wir haben mehrere Objekte angeschaut im Raum Luzern, darunter auch das Rösslimatt-Areal beim Bahnhof. Ich kann nicht auf die Details eingehen, aber im Endeffekt war jeweils eines unserer Killerkriterien nicht erfüllt. Es war für uns deswegen kein Entscheid gegen Luzern, sondern ein Entscheid für Rotkreuz. Letztlich hat uns das Gesamtkonzept der Suurstoffi überzeugt. 

zentralplus: Sie zeichnen ein Bild des Aufbruchs in eine visionäre Welt. Das widerspricht dem Klischee von Mobility als Angebot für Leute, die – überspitzt gesagt – Wollsocken und Birkenstöcke tragen, aber schlecht Auto fahren können. Kämpft Mobility noch mit diesen Vorurteilen?

Marti: Ich stehe dazu: Ich hatte dieses Vorurteil zu Beginn auch, habe es aber innert weniger Stunden abgelegt. Wir sind ein Technologie- und IT-Unternehmen, das noch mit einem etwas altbackenen öffentlichen Bild kämpft. Doch das wird sich ändern.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 20.09.2017, 14:15 Uhr

    Als Rischer frage ich mich, wie viel wir noch aufnehmen wollen und ob das Boot in Rotkreuz nicht bald voll ist und um nicht missverstanden zu werden, ich rede nicht von Flüchtlingen ich rede von Unternehmen. Langsam wird mir dieses Wachstum unheimlich und ich frage mich wo die Lebensqualität von uns Rischer bleibt, wen wir bald so eng leben, das es jeglicher Tierschutzbestimmung spottet!

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  • Profilfoto von David L
    David L, 20.09.2017, 12:49 Uhr

    Schon komisch, dass alle Firmen und sogar die Hochschule Luzern (!) ins zugerische Rotkreuz zügeln – trotz Luzerns tiefen Unternehmenssteuern – gell, Herr Schwerzmann.
    Wird sich langfristig sicher positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons auswirken, wenn innovative Firmen und sogar die zukunftsträchtigsten Hochschul-Bereiche (Informatik) aus Luzern wegziehen.

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