Gemeinden loben sich

Lohngleichheit in Zug und Luzern? Von wegen!

Laut Bundesverfassung müssten Frauen in der Schweiz seit 40 Jahren gleich viel verdienen wie Männer. (Symbolbild)

Derzeit häufen sich die Good News beim Thema Lohngleichheit in den Kantonen Luzern und Zug. Die Gleichstellungsexpertin applaudiert deswegen noch lange nicht.

Oberägeri hat’s. Baar. Risch. Aber auch die Stadt Kriens oder die Pädagogische Hochschule Luzern. Nämlich gleichen Lohn für Frau und Mann.

In letzter Zeit prasseln bei zentralplus Medienmitteilungen mit dieser Message gehäuft ein. Was gut klingt, macht stutzig. Ist mit den oft zitierten Lohndifferenzen zwischen den Geschlechtern also alles nur halb so wild?

Revidiertes Gleichstellungsgesetz verpflichtet zur Lohngleichheitsanalyse

Warum wir überhaupt so viele Meldungen dazu erhalten: Seit Juni 2020 ist das revidierte Gleichstellungsgesetz in Kraft. Seither sind Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden dazu verpflichtet, eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen und diese durch eine zugelassene Revisionsstelle zu prüfen. Das betrifft rund 5’000 Firmen schweizweit und rund 45 Prozent aller Arbeitnehmenden.

Im letzten August wurden erste Ergebnisse veröffentlicht. Und diese waren überraschend positiv. Wie die «NZZ am Sonntag» damals berichtete, analysierten Comp-on, ein Anbieter von Lohngleichheitsanalysen aus dem Kanton Aargau, und ein Institut der Universität St. Gallen unabhängig voneinander die Löhne von insgesamt 270’000 Angestellten. Nur bei etwa 1 von 20 Unternehmen seien die Löhne zwischen den Geschlechtern so gross, dass man sie nicht mit objektiven Kriterien erklären könne. Entsprechend titelte die «NZZ am Sonntag»: «Kaum Lohndiskriminierung von Frauen».

Nur ein Mini-Bruchteil der Unternehmen muss Löhne analysieren

Nun: Ganz so einfach ist es nicht. Das betont auch Lucia M. Lanfranconi. Sie ist Soziologin und Professorin an der Hochschule Luzern. Seit mehr als zehn Jahren ist sie als Gleichstellungsexpertin tätig und analysiert im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) die Lohngleichheit in Unternehmen als externe Fachperson. «In vielen Diskussionen passiert es leider, dass man von einzelnen Fällen auf das grosse Ganze schliesst –was sehr gefährlich ist», sagt Lanfranconi.

Denn was dabei ausgeblendet wird: Bei den Auswertungen wurde nur ein Bruchteil aller Unternehmen berücksichtigt. Und diese sind keinesfalls repräsentativ für alle Schweizer Unternehmen. Die Auswertung von Comp-on wertet beispielsweise die Ergebnisse von rund 200 Firmen aus, wobei bestimmte Branchen klar übervertreten sind.

Der Bund verpflichtet per Gesetz rund 5’000 Schweizer Firmen dazu, zu analysieren, ob sie Frau und Mann für gleichwertige Arbeit den gleichen Lohn zahlen. Das macht aber gerade einmal 1 Prozent aller Arbeitgeber aus. Das hält der Bundesrat in einer Stellungnahme auf eine Interpellation vom November 2021 fest.

Und obwohl laut Bundesverfassung Frauen in der Schweiz seit 40 Jahren gleich viel verdienen müssten wie Männer, entkräftet auch das Bundesamt für Statistik solche Good News zu fairen Löhnen. Frauen verdienten im Jahr 2018 rund 19 Prozent weniger als Männer. Damit vergrösserte sich der Unterschied im Vergleich zur Erhebung von 2016 um 1 Prozent. Der unerklärbare Teil betrug dabei 45,4 Prozent.

Standard-Tool des Bundes: Lohnabweichungen von 5 Prozent werden toleriert

Der Bund stellt den Firmen für die Lohngleichheitsanalyse das Standard-Analysetool Logib zur Verfügung. Der Bund garantiert damit eine «aussagekräftige Lohngleichheitsanalyse mit geringem Aufwand». In einem Webtool geben Unternehmen Infos zu den Angestellten an. Unter anderem Alter, Geschlecht, Ausbildung, Funktion, berufliche Stellung, Anforderungsniveau, Arbeitszeit und Lohn.

«Wir können auch bei einem guten Logib-Resultat nicht darauf schliessen, dass in einem Unternehmen nicht doch Lohndiskriminierung in Einzelfällen vorliegt.»

Lucia Lanfranconi

Logib prüft diese Daten und weist Unternehmen auf Auffälligkeiten in Bezug auf geschlechterspezifische Lohnunterschiede hin, die sie eventuell korrigieren müssen. Lohnungleichheiten, welche nicht signifikant über 5 Prozent liegen, werden jedoch toleriert.

Gutes Tool – doch es hat seine Grenzen

Das Softwaretool stand schon mehrmals in der Kritik. Was taugt es wirklich, um Lohnungleichheiten aufzudecken? Und wo sieht die Gleichstellungsexpertin mögliche Schwachstellen?

Logib sei per se ein sehr gutes Instrument, sagt Lanfranconi. «Allerdings können wir auch bei einem guten Logib-Resultat nicht darauf schliessen, dass in einem Unternehmen nicht doch Lohndiskriminierung in Einzelfällen vorliegt.»

Zum einen beleuchte das Analysetool Unternehmen nur daraufhin, ob systematische Lohnungleichheit vorliegt. Die Diskriminierung in Einzelfällen könne nicht ausgeschlossen werden. Lanfranconi, die zu Chancengleichheit, Vereinbarkeit und Gleichstellung im Erwerbsleben, der Sozialpolitik und Organisationen des Sozialwesens forscht und lehrt, erklärt, dass Logib eben auch nur Lohnungleichheit und keine anderen möglichen Diskriminierungsformen betrachtet.

Wird eine Frau anders eingestuft, kann das mehrere Gründe haben. Vielleicht hat sie weniger Dienstjahre als ein männlicher Angestellter oder eine weniger hohe Stellung im Unternehmen. Verdient sie dann weniger, ist das eine Lohnungleichheit, die Logib nicht analysiert.

(Bild: hslu.ch)

Auch die Chancengleichheit analysieren

Würde man genauer hinschauen, könnte sich beispielsweise zeigen, dass die Frau weniger Dienstjahre aufweist, weil sie aufgrund einer Kinderpause ausgefallen ist. Jedoch würde sie genauso viel Erfahrung mitbringen wie ihre Kollegen. Dies ist im Lohnsystem jedoch nicht so hinterlegt. Oder es könnte sich zeigen, dass sie gleich gut qualifiziert wäre wie ein männlicher Angestellter, beide dieselben Erfahrungen und Ausbildungen aufweisen. Das Unternehmen jedoch den Mann befördert und ihm die höhere Position eher zutraut. Logisch verdient der Mann mehr – weil die Frau anders eingestuft wurde. Solche Ungleichheiten erfasst Logib nicht.

Das ist die sogenannte Beschäftigungsdiskriminierung – wenn Frauen weniger Möglichkeiten erhalten, sich weiterzubilden, befördert zu werden oder anforderungsreiche Aufgaben anzunehmen.

«Unternehmen haben Handlungsspielraum, wenn sie ihre Löhne selber auf Diskriminierung analysieren. Schliesslich will jeder ein gutes Ergebnis.»

Lucia Lanfranconi

«Es ist ganz wichtig, Unternehmen nicht nur daraufhin zu beleuchten, ob sie Frau und Mann denselben Lohn für dieselbe Funktion bezahlen», sagt Lanfranconi. «Sondern auch die Chancengleichheit zu analysieren. Ob Frau und Mann zum Beispiel die gleichen Chancen haben, in führende Positionen oder an die Spitze zu kommen. Oder ob das Unternehmen Frauen und Männern bei der Einstellung und Rekrutierung dieselben Chancen gibt.»

Ein umfassenderes Messinstrument hat Lanfranconi mit ihrem Team an der Hochschule Luzern für den Verein für Chancen- und Lohngleichheit entwickelt. Im Rahmen von statistischen und qualitativen Erhebungen sowie Befragungen ermitteln sie den Stand und die Perspektiven der Chancen- und Lohngleichheit von Unternehmen und Organisationen in sechs Dimensionen: Lohn, Rekrutierung, Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Karriere, Schutz vor sexueller Belästigung und Vereinbarkeit.

Unternehmen haben Handlungsspielraum

Zudem weiss Lanfranconi aus ihrer Praxis: «Viele Unternehmen erfassen gar nicht die effektive Ausbildung der Mitarbeitenden. Sie leiten diese dann lediglich von der ausübenden Funktion im Job ab, dabei wären die Angestellten besser qualifiziert. Das wird immer wieder zum Geschlechterproblem.»

Die Resultate der Analyse müssen zwar von einer externen Fachstelle oder einer Revisorin überprüft werden. «Das ist aber eine recht schwache Kontrolle», so Lanfranconi. Es sei nicht möglich, die angegebenen Daten inhaltlich zu überprüfen, wie es möglich wäre, wenn die Kontrolle von einer externen Stelle durchgeführt würde. «Das heisst: Unternehmen haben Handlungsspielraum, wenn sie ihre Löhne selber auf Diskriminierung analysieren. Schliesslich will jeder ein gutes Ergebnis.»

Ist die Toleranzschwelle zu hoch?

Immer wieder gibt auch die Toleranzgrenze von 5 Prozent zu reden und ob da Anpassungsbedarf besteht. Lanfranconi sagt: «Je tiefer die Toleranzschwelle, umso mehr tatsächliche Lohnungleichheiten könnte Logib auch aufzeigen.»

«Die Grenze von 100 Mitarbeitenden ist für mich willkürlich und halt politisch gesetzt.» Schliesslich sind 99 Prozent aller Unternehmen per Gesetz nicht dazu verpflichtet, zu analysieren, ob sie ihren Mitarbeiterinnen faire Löhne bezahlen. «Es gibt für mich keinen plausiblen Grund, warum KMUs ausgeschlossen sind», so Lanfranconi. Zumal die neueste Analyse des Bundesamt für Statistik (BFS) zeigt, dass bei kleineren Unternehmen der unerklärte Anteil am Lohnunterschied tendenziell grösser sei. Zudem gibt es neu vom Bund ein «Logib Modul 2» für kleine Unternehmen.

Wie es auch sein könnte: Ein Blick gen Norden

Aufzudecken, ob Unternehmen Mitarbeiterinnen fair bezahlen, mag eine Frage der Methode sein. Lanfranconi hätte sich eine Revision des Gleichstellungsgesetzes gewünscht, das griffiger und verbindlicher wäre.

So sieht das Gesetz keine Sanktionen vor, wenn ein Unternehmen keine faire Löhne bezahlt. Das Unternehmen muss lediglich innerhalb von vier Jahren die Analyse wiederholen.

Pioniere sind wie immer in Sachen Gleichstellung nordische Länder. Beispielsweise hat Norwegen 2003 als erstes Land der Welt eine Geschlechterquote von 40 Prozent für Aufsichtsräte eingeführt.

In Schweden verpflichtet die öffentliche Gleichstellungsstrategie Unternehmen mit mehr als neun Angestellten dazu, Gleichstellungspläne zu verfassen, welche auch Zielquoten von Frauen in Führungspositionen oder Massnahmen enthalten, wie sie gegen Lohnungleichheiten vorgehen.

Island setzte 2018 die weltweit erste Richtlinie ein, die von Unternehmen und Institutionen mit mehr als 25 Mitarbeitenden verlangt, nachzuweisen, dass sie Männer und Frauen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn bezahlen. Und: Island unterscheidet bei den Lohngleichheitsanalysen nicht zwischen objektiv erklärbaren und nicht erklärbaren Unterschieden.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Lucia Lanfranconi
  • Interpellation SP-Ständerätin Eva Herzog vom 30.09.2021 «Lohndiskriminierung von Frauen: Nur eine Frage der Methode?»
  • Stellungnahme des Bundesrates vom 17.11.2021 zur Interpellation von Eva Herzog
  • Medienbericht «NZZ am Sonntag» vom 15.08.2021 «Kaum Lohndiskriminierung von Frauen»
  • Medienbericht «Tages-Anzeiger» vom 18.08.2021 «Gute Nachrichten bei der Lohngleichheit – und niemand feiert»
  • Beitrag von Lucia Lanfranconi in der Zeitschrift «sozialpolitik.ch»: «Familien- und Gleichstellungspolitik in Schweden – ein Vorbild für die Schweiz?»
  • Medienmitteilungen von Oberägeri (13.01.2022), Baar (31.01.2022), Risch (07.07.2021), Kriens (06.10.2021) und weiteren
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Fankhauser-Feitknecht Vivian
    Fankhauser-Feitknecht Vivian, 05.02.2022, 18:33 Uhr

    Zu den erklärbaren Unterschieden der Löhne gehört übrigens der Zivilstand, weil bekannt ist, dass verheiratete Männer einen höheren Lohn erhalten als Frauen. Dass ein Lohnunterschied erklärbar ist, bedeutet noch nicht, dass er nicht diskriminierend ist!

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    • Profilfoto von Also Meier
      Also Meier, 05.02.2022, 19:16 Uhr

      Verheiratete Männer erhalten auch eeinen höheren Lohn als ledige Männer. Nur gibt es keine Lobby, die setzt sich gegen diese Diskriminierung zur Wehr setzt.

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