Patrik Rust spricht über Folgen des Ukraine-Kriegs

EWL-Chef weiss nicht, wie viel russisches Gas nach Luzern fliesst

«Ein Effekt ist die grundsätzliche Nervosität»: Patrik Rust, Chef von EWL, spürt den Ukraine-Krieg. (Bild: jal)

Der Ukraine-Krieg konfrontiert die Schweizer Energieversorger mit höheren Preisen und schwierigen Fragen. Patrik Rust, seit Mai 2021 Chef von Energie Wasser Luzern (EWL), spricht im Interview über die Abhängigkeit von Russland und wieso die aktuelle Entwicklung der Energiewende helfen könnte.

zentralplus: Herr Rust, vor gut zwei Wochen ist Russland in der Ukraine einmarschiert. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon erfuhren?

Patrik Rust: Ich war wie viele andere auch schockiert und habe bis zuletzt gehofft, dass ein Krieg vermeidbar ist. Für EWL und die gesamte Schweiz macht dies die Energiesituation nicht einfacher. Die Preise haben ja bereits seit Mitte letztes Jahr angezogen.

zentralplus: Jetzt sind sie erneut stark gestiegen. Wie spüren Sie die Auswirkungen bei EWL?

Rust: Wir haben zum Glück eine langfristig ausgelegte Beschaffungsstrategie. Darum können wir die aktuelle Preissteigerung für den Moment gut überbrücken. Ein spürbarer Effekt ist die grundsätzliche Nervosität: Viele Leute beschäftigt die Situation, auch unsere Kunden. 

zentralplus: Andere Versorger mussten die Preise bereits erhöhen. Bis wann kann EWL durchhalten, bevor man den Anstieg an die Kunden weitergeben muss? 

Rust: Auch wir mussten letztes Jahr in zwei Schritten die Preise erhöhen. Was die weitere Entwicklung betrifft, kann ich nur sagen: Wir haben unsere Mengen bis Ende Sommer bereits eingekauft. Das grosse Fragezeichen ist der nächste Winter. Dann wird sich zeigen, ob und in welchem Umfang wir die Preise weitergeben müssen.

«Am Ende kommt ein Teil von Russland, aber niemand kann zurzeit eine exakte Zahl nennen.»

zentralplus: Eine Frage, die derzeit oft zu hören ist: Wie stark unterstützen Luzerner mit ihrem Energiekonsum Putins Krieg? Anders gefragt: Wie viel russisches Gas fliesst in unsere Haushalte?

Rust: Das kann man nicht abschliessend sagen. Aktuell sprechen alle von den 47 Prozent russischem Gas. Das ist aber einfach der Anteil, der 2020 von Russland ins europäische System floss. Momentan gehen wir davon aus, dass mehr Flüssiggas aus Amerika zirkuliert. Klar ist: Am Ende kommt ein Teil von Russland, aber niemand kann zurzeit eine exakte Zahl nennen.

zentralplus: Von aussen kann man sich das nur schwer vorstellen. Erklären Sie doch kurz: Wie läuft das ab, wenn EWL Gas einkauft?

Rust: Der Gashandel ist ein Börsengeschäft. Auf Marktplätzen machen verschiedene Händler Angebote und Käufer Gegenangebote – und wenn der Preis passt, kommt ein Abschluss zustande. Weil viele Zwischenhändler beteiligt sind, sehen wir nicht, wer am Ende der Kette verkauft – ganz ähnlich wie bei einer Aktie, bei der man nicht weiss, ob Herr Müller oder Frau Meier sie veräussert. Zudem gibt es beim Gas – im Unterschied zum Strom –  kein separates System, in welchem Herkunftsnachweise gehandelt werden. Darum ist es für uns schwierig zu sagen, woher dieses oder jenes Methanmolekül kommt, das bei uns verbrannt wird.

zentralplus: Das heisst, ob russisches Gas in Luzerner Haushalte fliesst, kann man nur begrenzt steuern?

Rust: Ja, und insbesondere nicht wir von EWL alleine. Wir müssen uns auf nationaler Ebene um langfristige, direkte Bezugsverträge bemühen. Der Bundesrat hat die Branche jetzt dazu legitimiert – zuvor war das aus wettbewerbsrechtlichen Gründen gar nicht möglich.

«Bisher sind die fossilen Energien sehr günstig. Da kann uns die aktuelle Situation womöglich helfen.»

zentralplus: Amerika hat jüngst ein Importverbot für russisches Öl und Gas verhängt. Welche Folgen hätte es, wenn die EU und allenfalls auch die Schweiz nachziehen würden?

Rust: Vorab: Grundsätzlich unterstützen wir die Sanktionen. Das amerikanische Importverbot ist letztlich Symbolpolitik, denn für die USA machen die russischen Importe nicht so viel aus. Zwischen Europa und Russland ist die gegenseitige Abhängigkeit hingegen deutlich grösser. Das russische Gas liesse sich nicht von heute auf morgen substituieren. Nichtsdestotrotz sind Bemühungen im Gang, wie wir alternative Quellen fördern können, vor allem Flüssiggas. Dafür braucht es aber Infrastruktur in Form von speziellen Terminals an den Häfen, die sich nicht einfach über Nacht erweitern lässt.

zentralplus: Kritiker sagen, man werde jetzt bestraft für das Zögern in der Vergangenheit: Man habe zu spät Gegensteuer gegeben, um sich aus der Abhängigkeit vom Ausland zu lösen.

Rust: Bei EWL ist das nicht erst seit dem Ukraine-Krieg ein Thema. Wir sind seit 2010 dran, Fernwärme- und See-Energie auszubauen. Wir haben dafür rund 200 Millionen Franken investiert – genau mit dem Ziel, im Wärmesegment von den fossilen Energien wegzukommen.

zentralplus: Das führt uns zum nächsten Thema. Stadt und Kanton Luzern haben jüngst Klimastrategien erarbeitet. Was kann und muss EWL dazu beisteuern?

Rust: Das eine ist das Angebot, das andere die Nachfrage. Wir sehen uns in der Rolle, das Angebot bereitzustellen und die nötigen Bauten zu bewerkstelligen. Man kann viel Papier und Gesetze produzieren, aber EWL vollzieht diesen Wandel auf dem Platz Luzern.

zentralplus: Zur Nachfrage: Heisst das, wenn die Kundinnen nicht auf Grün umsteigen wollen, stockt es halt?

Rust: Alleine können wir den Umstieg nicht schaffen. Es braucht Lenkung durch den Staat. Denn bisher sind die fossilen Energien sehr günstig. Aus preislicher Sicht fehlt für viele der Anreiz zum Umstieg. Da kann uns die aktuelle Situation womöglich helfen. Auch das CO2-Gesetz hätte geholfen. Ich persönlich hoffe, dass es ein Nachfolgegesetz gibt.

«Für den Ausstieg 2030 müssten wir die ganze Stadt gleichzeitig aufreissen – Luzern wäre eine einzige Baustelle.»

zentralplus: Wie sieht der Zeithorizont bei EWL aus?

Rust: Der Ausbau geht sicher steiler voran als bisher. Ob das Ausstiegsziel 2040 heisst oder etwas vorher oder nachher: Wir werden den Beschluss der Stadt Luzern befolgen. Das heisst, in rund 20 Jahren müssen wir das Netto-Null-Ziel schaffen.

zentralplus: Letzten Sommer hat EWL 2045 als Zieljahr vorgeschlagen. 2040 wäre aber auch umsetzbar?

Rust: Sicher nicht machbar ist der Ausstieg 2030. Da müssten wir die ganze Stadt gleichzeitig aufreissen – Luzern wäre eine einzige Baustelle. Aber alles, was sich um 2040 herum bewegt, ist möglich. Es gilt: Je kürzer der Zeithorizont, desto mehr muss der Staat eingreifen, zum Beispiel mit Anreizen oder Vorschriften.

zentralplus: Bisher war die Rede von rund 1 Milliarde Franken Investitionen. Wie kann EWL das finanziell stemmen?

Rust: Als Unternehmen mit gut 300 Mitarbeitenden ziehen wir das nicht einfach aus der Portokasse, zumal das rentable Erdgasgeschäft zurückgeht. EWL schlägt vor, die Dividendenausschüttung gegenüber der Stadt zu reduzieren, um dieses Geld in erneuerbare Energien zu investieren. Der Entscheid liegt aber bei der Stadt. Vielleicht braucht es auch eine Finanzstärkung mit Eigenkapital oder Darlehen. Aber wir wollen eine klimaneutrale Stadt und sehen uns als Treiber und Ermöglicher der Dekarbonisierung in Luzern.

zentralplus: In Sachen See- und Fernwärme ist schon einiges passiert. Was sind die nächsten grossen Projekte?

Rust: Wir haben mehrere Projekte für die nächsten Jahre initiiert. Mit der Fernwärme kommen wir von Littau her immer mehr in die Stadt hinein und auch mit der See-Energie beginnen wir nun in die Quartiere rauszugehen. Das allein wird aber nicht reichen. Wir sind jetzt an einem Masterplan, der zeigen soll, welches Quartier mit welchem Energieträger abgedeckt werden soll.

zentralplus: Also quasi ein neuer Energie-Stadtplan?

Rust: Genau, denn um den Umstieg in dieser kurzen Zeit zu ermöglichen, braucht es eine koordinierte Planung. See-Energie macht zum Beispiel im Wesemlin nur begrenzt Sinn. Ebenso ist die Fernwärme von der Kehrichtverbrennung begrenzt. Mittelfristig braucht es weitere Energieträger.

zentralplus: Zum Beispiel?

Rust: Wir könnten uns im Raum Allmend zum Beispiel eine Holzverbrennung vorstellen. In einer noch längeren Perspektive wäre auch Geothermie denkbar. Wir sind ideologisch nicht auf einen Energieträger fokussiert, sondern offen. Am Ende braucht es einen Mix.

Patrik Rust EWL Chef Luzern Dach
Der 48-jährige Patrik Rust arbeitet seit 2003 bei EWL. (Bild: jal)

zentralplus: Der Bundesrat warnte kürzlich vor Strommangellagen. Andere Länder, etwa Grossbritannien, erlebten schon diesen Winter eine sogenannte Energiearmut: Ärmere Menschen konnten es sich nicht mehr leisten, ihre Wohnung zu heizen. Ist so etwas in Luzern auch denkbar?

Rust: Es besteht die Gefahr, dass Menschen mit tieferem Einkommen durch höhere Energiepreise übermässig belastet werden. In der Stadt Luzern verlangt ein Vorstoss der SP, dass die Klimamassnahmen sozialverträglich gestaltet werden. Ich sehe das nicht primär als unsere Aufgabe als Energieversorger, aber es ist sicher im Rahmen der städtischen Klimapolitik mitzuberücksichtigen.

zentralplus: Worin sehen Sie denn die Aufgabe von EWL im Kampf gegen drohenden Strommangel?

Rust: Unser Beitrag besteht darin, selber in Kraftwerke zu investieren. Das ist meines Erachtens der wichtigste Weg, um die Produktionskapazität in der Schweiz zu erhöhen. Aber es wird nicht möglich sein, 100-prozentig unabhängig zu sein. Das ist auch nicht nötig, wenn wir in Europa ein funktionierendes System haben. Da würde sicher das Stromabkommen mit der EU helfen.

«Gewisse Unternehmen können es sich nicht leisten, viel mehr für die Energie zu zahlen, weil sie sonst aus dem Markt fallen.»

zentralplus: Manche raten, die Raumtemperatur zu Hause um ein paar Grade zu senken, um die Abhängigkeit von russischer Energie zu reduzieren. Was halten Sie davon?

Rust: Jede eingesparte Kilowattstunde ist die beste. Darum empfehlen wir grundsätzlich einen haushälterischen Umgang mit Energie. Aber wir sind sicher nicht an dem Punkt, an dem wir die Bevölkerung dazu aufrufen, das System zu stabilisieren.

zentralplus: Besonders viel Energie braucht die Industrie. Gibt es da auch Sensibilisierung, damit die Firmen von der günstigen fossilen Energie wegkommen?

Rust: Wir machen mit ihnen Monitoring und Beratung, definieren Ziele und Massnahmen. Das versuchen wir vor allem über Energieeffizienz zu erreichen. Aber die Bandbreite an Unternehmen ist gross: Bei manchen ist der Stromverbrauch ein Nebeneffekt, bei manchen – zum Beispiel Stahlwerken – ein entscheidender Faktor. Letztere sind sehr kostensensitiv: Sie können es sich nicht leisten, viel mehr für die Energie zu zahlen, weil sie sonst aus dem Markt fallen.

zentralplus: Das heisst, bei starken Preissteigerungen wird es schwierig?

Rust: Ja, das ist schwierig. Ausser eine Firma schreibt sich selber Ausstiegsziele auf die Fahne und vermarktet sich entsprechend. Die Wirtschaft wird diesbezüglich sicher sensibler, aber wenn man die Gesamtmenge anschaut, überwiegt das Kostenargument im Moment noch. Bei den Privaten hingegen spüren wir eine grosse Bereitschaft, für erneuerbare Energie auch etwas mehr zu bezahlen.

zentralplus: Blicken wir noch kurz zurück: Sie haben am 1. Mai 2021 die Stelle als CEO angetreten. Mitten in der Coronapandemie, mitten in der Energiewende und jetzt auch noch der Krieg. Macht Ihre Arbeit überhaupt noch Spass?

Rust: (lacht). Die Energiewende hat mich sehr motiviert, dafür stehe ich ein und deshalb bin ich wohl auch in dieser Funktion. Wir haben trotz der turbulenten Zeit viel erreicht. Wir haben die Wärmestrategie fertiggestellt, eingebettet in eine überarbeitete Gesamtunternehmensstrategie, die kurz vor dem Abschluss steht. Wir bauen aktuell ein Rechenzentrum im Stollen Wartegg. Intern haben wir die Digitalisierung vorangetrieben und – worauf wir besonders stolz sind – in Führungspositionen Co-Leitungsmodelle etabliert.

zentralplus: Wäre es Ihnen lieber, wenn es etwas ruhiger würde oder soll es in diesem Takt weitergehen?

Rust: Sagen wir es so: Zehn Prozent ruhiger wäre schon angenehm.

So sparst du Energie

  • Beim Kochen eine doppelwandige Pfanne mit Deckel benutzen
  • Beim Backen auf das Vorheizen verzichten (ausser du machst Soufflé oder Guetzli)
  • Warmes Essen zuerst abkühlen lassen, bevor es in den Kühlschrank kommt. Tiefgefrorenes im Kühlschrank auftauen.
  • Geräte ausschalten statt auf Stand-By laufen lassen
  • Energieeffiziente Geräte kaufen (Energieetikette beachten)
  • Bei Lampen LED statt Glühbirnen verwenden
  • Wohnräume nicht zu warm heizen: Pro gesenktem Grad Raumtemperatur spart man 6 Prozent Heizenergie.
  • Im Winter kurz, aber intensiv lüften – nicht länger als 10 Minuten
  • Clever waschen: Oft reicht 30-Grad-Wäsche

Weitere Energietipps gibt es hier.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hebi Habegger
    Hebi Habegger, 12.03.2022, 17:46 Uhr

    Insgesmt eine gute Sache, dass es in Luzern vorwärtgeht mit der Energiewende. Man muss aber im Hinterkopf behalten, dass rund 10% der Wärmeenergie bei der Fernwärme und der See-Energie weiterhin mit Gas produziert wird. Da diese Anlagen momentan gebaut werden bleiben die aus finazieller Sicht auch mindestens die nächsten 25 Jahre im Betrieb. Somit ist nichts mit CO2 neutral 2040. Da werden jetzt Tatsachen aus Stahl geschaffen.
    Und nein, Biogas ist keine Lösung in einem Massstab in dieser Grösse. Biogas ist nur sehr begrenzt verfügbar.

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