Velvet sorgt für viel Theater ums Theater

Diese kleinen Luzerner denken gross über die Grenzen hinweg

Geniesst die Narrenfreiheit: Velvet-Mitgründer und Kreativkopf Jürg Schaffhuser. 

(Bild: hae)

Es gibt einen äusserst kreativen Austausch über die deutschsprachigen Grenzen hinweg: Während viele Unternehmen wie das Lucerne Festival ihre Plakate in Deutschland gestalten lassen, greifen die besten Theaterhäuser im Norden gerne auf eine kleine, feine Luzerner Agentur zurück: das Velvet-Team mit Kreativkopf und Mitgründer Jürg Schaffhuser.

Das Lucerne Festival hat seine Kommunikation für das Sommer-Festival im Ausland bestellt. Es wurde damit seinem Programm mit dem Titel «Identität» leider nicht gerecht und liess die lokalen Kommunikationsprofis aussen vor (zentralplus berichtete).

Die Luzerner Agentur Velvet hätte sich der Kommunikation des Lucerne Festivals problemlos annehmen können: Sie vermarktet einerseits in der Schweiz etablierte Firmen wie SwissRe, Albert Koechlin Stiftung und Anliker AG. Caritas, FCL und Paiste Drums. Weingut Gantenbein, Pro Helvetia und Schindler AG. Und sorgt für helvetische oder internationale Identität.

«Bei mehreren grossen Kulturhäusern in Deutschland spielen wir die erste Geige.»

Velvet-Mitgründer und Kreativkopf Jürg Schaffhuser

Ennet des Rheins schafft Velvet andererseits viel beachtete Plakate für renommierte Kulturinstitutionen in den wichtigsten Kunst- und Medienstädten. Es sind beispielsweise die Filmfestspiele und das Deutsche Theater in Berlin, das Schauspielhaus Hamburg und das Schauspiel Köln.

Da tanzt der Bär: Die prämierte Kampagne führte zu viraler Kunstaktion.

Da tanzt der Bär: Die prämierte Kampagne führte zu viraler Kunstaktion.

(Bild: Velvet)

Die Namen sind wohlklingend, der Strauss an Velvet-Kunden ist bunt – das kreative Team dahinter bleibt dennoch bescheiden. Mitgründer Jürg Schaffhuser sagt unaufgeregt: «Die Kommunikationsagentur Velvet kennt man bei uns in Luzern nur in der Szene. Aber bei mehreren grossen Kulturhäusern in Deutschland spielen wir die erste Geige.» Darauf ist er stolz.

Stoff für diverse Kontroversen

Das hat seine guten Gründe. Bei einem Glas Hahnenburger sitzt der 57-Jährige am ovalen Tisch im Grossraum der Tribschenbüros. Lässig flippt er auf seinem Chart durch die Plakate, die das 14-köpfige Team in den letzten Jahren für die deutschen Kulturhäuser gestalten durfte. 

Der Velvet-Bär 2017 wurde Kult und machte auf Social Media Furore.

Der Velvet-Bär 2017 wurde Kult und machte auf Social Media Furore.

(Bild: zvg)

Da posiert etwa ein aufgerichteter Bär, der sich während der diesjährigen Filmfestspiele in der Berliner U-Bahn cool an eine Säule stemmt. Diese Kampagne führte dazu, dass viele Kulturbeflissene das Bild nachstellten und auf Social Media teilten – so wurde Plakatkunst selber zu einem viralen Kulturanlass.

«Die Berliner Agenturen haben sich aufgeregt, dass unbekannte Luzerner gleich noch 6’000 Plakate an Fans verkauften.»

Jürg Schaffhuser erinnert sich: «Die Berliner Agenturen haben sich aufgeregt, dass unbekannte Luzerner daherkamen und gleich noch 6’000 Plakate an Fans verkauften.» Die Berliner Kreativen seien allerdings selber schuld, denn sie hatten es sich zu einfach gemacht, indem sie jahrelang nur angenehm auffallende Plakate ohne Geschichten gestalteten. «Schön – aber halt wenig aufregend.» Dabei lag das Verspielte mit dem Wahrzeichen des Filmfestivals – eben dem Bären – doch glatt auf der Hand. Respektive aufregend an der Wand.

Aufregend sein um jeden Preis

Und aufregend sein, das wollten die Velvet-Kommunikationsprofis schon seit jeher. In Deutschland sorgte das für diverse Kontroversen: Kulturdebatten, Feuilleton-Kritik, Plakat-Abreissaktionen. Und ein blauer Sack über dem Kopf einer gefesselten Schauspielerin führte zu einem wahren Shitstorm. Folter und Mord bei der Nibelungen-Saga – darf man das? Und die deutsche Bundeskanzlerin Merkel lächelnd neben dem türkischen Präsidenten Erdogan, der cool mit einer Krokodil-Handpuppe herumspielt – geht das?

Da lacht das Krokodil wie auch der Bibelkenner: Merkel versus Erdogan und Blatter mit Beckenbauer.

Da lacht das Krokodil wie auch der Bibelkenner: Merkel versus Erdogan und Blatter mit Beckenbauer.

(Bild: Velvet)

Und wie das geht, und ob man das darf – obendrein gab es auch viel, viel Lob! Das war alles gewollt, gefordert, beklatscht. Creative Director Jürg Schaffhuser sagt: «Das gab zwar viel zu diskutieren, aber unsere Auftraggeber gaben uns jeweils volle Unterstützung.» Weil sie die Aufregung und die Provokation lieben – was die Kultur bekanntlich oft auszeichnet. Und manchmal gar ausmacht.

In Deutschland herrscht zudem bisweilen ein anderer, ein forscherer Ton als in der «neutral denkenden» Schweiz. Schaffhuser: «Da wird hart, aber fair diskutiert. Und man weiss stets, woran man ist.» Daran mussten sich die kleinen Kreativschweizer im grossen Deutschland erst gewöhnen – heute haben sie keine Mühe mehr im Umgang damit.

Themen immer nah beim Volk

Im Jahre 2005 fing das Engagement der Velvet-Agentur in Deutschland an. Kontakt war Barbara Mundel, deren Ära als Theaterleiterin in Luzern von 1999 bis 2004 dauerte. Mit ihr hatten die Velvet-Leute viel Aufsehen erregt. Mundel gab ihnen danach auch einen Auftrag der Kammerspiele in München. Die umtriebige Theaterfrau hatte dorthin als Dramaturgin gewechselt. Das Haus gehört neben dem Wiener Burgtheater, der Volksbühne in Berlin und dem Hamburger Theater in den Reigen der ganz grossen Schauspielhäuser Europas. 

«Ich bin das Licht.»

Kampfpilot auf Velvet-Plakat

Eine Empfehlung folgte auf die andere, die Theaterintendanten wurden auf die Ideen der Luzerner aufmerksam. Und immer mehr Kulturhäuser setzten bei Image- und Prestigebildung auf Velvet. Letzter Höhepunkt war ein Gold-Award 2016 im deutschen Wettbewerb des Art Directors Clubs, den die Agentur mit frechen Auftritten wie Blatter-Plakaten gewann. Man machte sich beispielsweise lustig über Mauscheleien des Fifa-Vorsitzenden mit dem Fussball-Kaiser Franz Beckenbauer: «Ich bin auch nur ein Mensch», hiess es da. Oder ein Kampfpilot sagt schön biblisch: «Ich bin das Licht.» So kann man sich auch für Missetaten entschuldigen.

Velvet thematisiert immer nah und aktuell beim Volk: Da gibt’s Anleihen bei Burka-Bekleidung wie beim «Tatort», es kommen Sport und Boulevard genauso prominent zum Zuge wie Politik oder Wirtschaft – oder auch mal das provokante Spiel mit biblischen Zitaten. «Die formale Umsetzung ist uns wichtig. Die Idee ist aber stets im Vordergrund.»

Grosse Narrenfreiheit genossen

Und bei diesen Ideenfindungen genossen die Luzerner höchste Narrenfreiheit. «Gerade weil bei deutschen Theatern der Werbeauftritt nach aussen nicht Sache der Marketingabteilung ist, sondern Chefsache der Intendanten. Und diese haben grosse künstlerische Ansprüche!» Das liebe man besonders. Und reize diese Möglichkeit bis zum Äussersten aus.

Shitstorm garantiert: das goldene Flies als Zelt-Burka.

Shitstorm garantiert: das goldene Vlies als Zelt-Burka.

(Bild: Velvet)

In der Kunstszene sorgte Velvet auch mit ganzen Magazin- und Buchprojekten für Aufsehen: prämierte Programmhefte, ein Ai-Weiwei-Buch oder die grosse preisgekrönte Bibel «Sedel 1981–2001» über die ersten 20 Jahre des berüchtigten Luzerner Musikzentrums.

Jürg Schaffhuser weiss, was sich wie verkaufen lässt. Er arbeitet schon Jahrzehnte in der Werbung, kreierte Ideen für Agenturen in Hamburg, Paris und Wien. Bis er 1995 mit Eva Schätti und Urs Unternährer das Velvet Creative Office in Luzern gründete.

Fabulöse Jahre der grossen Budgets

Und er erlebte die fabulösen Jahre der grossen Budgets. Smart, Swatch, Swissair. Erinnerungen an Swatch-Mogul Nicolas Hayek werden da wach: «Er war sehr grosszügig, aber leider ein säumiger Zahler.» Immer wieder musste Hayek gemahnt werden. «Ab und an nahm er es sich zu Herzen und stellte plötzlich zwischen Dessert und Kaffee einen Scheck über eine Million aus.»

Doch diese Riesenbudgets sind Geschichte. Auch die Luzerner strecken sich nach der Decke in Zeiten, wo viele Schweizer Firmen nach den billigen deutschen Kreativen greifen.

«Ich pflege meine Träume heute schon umzusetzen.»

Velvet hat den umgekehrten Weg gewählt und musste mit oft halb so teuren Agenturen konkurrenzieren. Aber Qualität setzt sich immer wieder durch. Und mit diesem Renommé wird man sicherlich weiterhin von den kleinen Luzernern im grossen Deutschland hören. Mit hoffentlich vielen Aufregern.

Mit mächtig Theater ums mächtige Theater, das träumen lässt. A propos Traum: Was ist ein unerfüllter Traum von Jürg Schaffhuser? Auch da bleibt er bescheiden: Wandern ist seine grosse Passion, darüber schrieb er ein Buch (zentralplus berichtete). Und er hofft, dass ihm seine Neugier erhalten bleibt, denn die ist die Basis für gute Ideen. Dann, zum abschliessenden Händedruck zwischen Pingpong-Tisch und grosser Küche, fügt er an: «Ich pflege meine Träume heute schon umzusetzen.» So reden Macher.

Pflegt seine Träume heute schon umzusetzen: Jürg Schaffhuser.

Pflegt seine Träume heute schon umzusetzen: Jürg Schaffhuser.

(Bild: hae)

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