VBL-Chef Norbert Schmassmann über ÖV der Zukunft

«Die Passagiere wollen einen Gastgeber, nicht einen Gasgeber»

«Die Leute überlegen sich zweimal, ob sie den Bus nehmen»: VBL-Direktor Norbert Schmassmann.

(Bild: zvg)

Die Verkehrsbetriebe Luzern wachsen wieder: Die Busse haben letztes Jahr erstmals mehr als 50 Millionen Passagiere transportiert. Direktor Norbert Schmassmann sagt, wann Elektrobusse den Diesel ablösen. Und wieso er seinem Betrieb wohl bis zur Pensionierung treu bleibt.

zentralplus: Norbert Schmassmann, Sie haben mit den VBL erstmals mehr als 50 Millionen Fahrgäste transportiert (zentralplus berichtete). Wie wichtig ist diese Schwelle?

Norbert Schmassmann: Es ist eine psychologisch sehr wichtige Schwelle. Das Vertrauen in diese Zahlen ist heute hoch, dienen sie doch als Basis für die Verteilung der Einnahmen innerhalb des Tarifverbundes. Darum ist das «Knacken» der 50-Millionen-Schwelle schon wichtig.

zentralplus: Wichtig dürfte sein, dass nach Jahren der Stagnation die VBL wieder wächst.

Schmassmann: Ja, wir haben eine Zunahme um mehr als drei Prozent, das ist beachtlich. Durch meine Tätigkeit als Präsident des Verbandes öffentlicher Verkehr stelle ich nämlich fest, dass andere Nahverkehrsbetriebe rückläufige Fahrgastfrequenzen haben. Die Gründe haben vor allem mit dem Boom der E-Bikes zu tun. Die Leute überlegen sich zweimal, ob sie den Bus nehmen.

zentralplus: Spürt das auch die VBL?

Schmassmann: Andere Städte sind velofreundlicher, Luzern kommt mit ein paar Jahren Verspätung jetzt vielleicht auch in eine solche Phase. Ob es den gleichen Effekt gibt, wird man sehen.

«Der Bahnhofsausfall hat uns wahnsinnig zusammengekittet.»

zentralplus: Sie selber sind ja auch Velofahrer?

Schmassmann: Richtig, ich bin multimodal unterwegs. Ich fahre häufig Zug, Velo, aber natürlich auch Bus oder Tram. Und ich fahre auch Auto, habe aber als «Car-Sharer» seit 34 Jahren kein eigenes mehr.

zentralplus: Sie haben in der Bilanz den Totalausfall im Bahnhof Luzern vom März 2017 angesprochen. VBL-Verwaltungsratspräsidentin Yvonne Hunkeler sprach von einer Meisterleistung. Wieso war das wichtig?

Schmassmann: Dieser Totalausfall hat uns wahnsinnig zusammengekittet, die Leute sind zusammengestanden und waren stolz zu zeigen, was die VBL auf die Reihe bringt. Das hat mich als Chef dieses Unternehmens sehr gefreut, ich musste keine Befehle erteilen, alles wurde sofort in die Wege geleitet. Etwa, als der Europaplatz vor dem KKL für Busse genutzt wurde. Das alles hat sich niedergeschlagen in der Personalbefragung: Wir haben eine Belegschaft, die gern bei uns arbeitet. Es herrscht ein tolles Wir-Gefühl. Darum bin ich immer noch hier.

Spontan diente der Europaplatz im März 2017 beim Bahnhofsausfall als Busperron.

Spontan diente der Europaplatz im März 2017 beim Bahnhofsausfall als Busperron.

(Bild: jwy)

zentralplus: Sie haben nach 2013 erstmals wieder eine Personalumfrage durchgeführt und haben sich von 7,7 auf 8,2 von 10 möglichen Punkten gesteigert. Trotzdem fehlen Ihnen Mitarbeiter, besonders Buschauffeure.

Schmassmann: Ja, die Mitarbeiterzahl ist eine Momentaufnahme, und wir haben jetzt eine leichte Delle. Aber wir sind am Rekrutieren und füllen den Unterbestand wieder auf. In der Personalstatistik scheinen zudem Stundenlöhner im Fahrdienst gegenüber dem Vorjahr nicht mehr auf, die aber nach wie vor für uns tätig sind.

zentralplus: Greifen Sie auch auf pensionierte Chauffeure zurück?

Schmassmann: Ja, beispielsweise auf die erwähnten Stundenlöhner. Vor allem beim Bahnhofsausfall haben sich viele freiwillig gemeldet. Das ist doch schön, wenn Mitarbeiter über die Pension hinaus mitfiebern und mitdenken.

29 Doppelgelenk-Trolleybusse fahren auf dem VBL-Netz.

29 Doppelgelenk-Trolleybusse fahren auf dem VBL-Netz.

(Bild: Wikimedia/Zurflchr)

zentralplus: Wie rekrutieren Sie neue Chauffeure?

Schmassmann: In unserer VBL-eigenen Fahrschule bilden wir fortlaufend neue Chauffeure aus. Wir arbeiten dabei auch mit den Behörden zusammen und können arbeitslosen Menschen eine Ausbildung anbieten.

zentralplus: Sind Chauffeure heute gestresster als früher?

Schmassmann: Bei früheren Personalumfragen war der Stress bei den Chauffeuren immer am grössten. Jetzt hat erstmals das Verwaltungspersonal den grösseren Stress angegeben. Chauffeur ist sicher kein «Schoggijob», aber der Stress hat überall zugenommen – gerade auch im Bürobereich mit der ganzen Mailflut etc.

«Es braucht Gelassenheit und nicht das verpönte Stop-and-Go.»

zentralplus: Sie wollen im laufenden Jahr die Kundenzufriedenheit erhöhen und starten eine Charmeoffensive. Welche Rückmeldung hören sie am häufigsten?

Schmassmann: (überlegt) Meine Botschaft ist immer die: Wie man in den Wald ruft, so tönt es zurück. Unsere Leute werden dazu ermuntert, freundlich zu sein und gelassen zu bleiben, wenn jemand ausruft. Zu lächeln oder zu grüssen kostet nichts, aber solche Kleinigkeiten machen viel aus. Das höre ich oft von Gästen.

Zur Person

Norbert Schmassmann ist seit über 20 Jahren Direktor der Verkehrsbetriebe Luzern (VBL), seit letztem Herbst ist der 60-Jährige zudem Präsident des Verbundes öffentlicher Verkehr und damit als Vorsteher des nationalen Dachverbandes höchster Lobbyist für den ÖV. Seit 2011 politisiert er für die CVP im Kantonsrat.

zentralplus: Es reicht also nicht, einfach einen guten Job zu machen und pünktlich zu sein?

Schmassmann: Nein, es braucht mehr, intern sagen wir: Wir wandeln uns vom «Gasgeber» zum «Gastgeber». Ein einziger Buchstabe mehr bringt es auf den Punkt.

zentralplus: Wobei das Gasgeben auch kritisiert wird – das hauruck-artige Fahren (zentralplus berichtete).

Schmassmann: Ja, flüssig zu fahren ist wichtig, es braucht Gelassenheit, vorausschauendes Fahren und nicht das verpönte Stop-and-Go.

zentralplus: Stichwort Innovation: Die App Fairtiq, an der die VBL beteiligt ist, hat sich als nationale Lösung bei den SBB durchgesetzt und wird sogar im Ausland getestet. Macht Sie das stolz?

Schmassmann: Es herrscht ein guter Spirit im Haus, wir haben junge Leute, ich nenne sie kreative «Turnschuh-Informatiker». Solche Leute müssen wir fördern, indem wir sie machen und probieren lassen. Wir sind da nicht so machtgetrieben. Ich nenne keine Namen, aber es gibt Chefs, die meinen, sie alleine wüssten, was die Kunden brauchen, und entwickeln teure Lösungen.

Die Idee zu Fairtiq hatte ein SBB-Kadermitglied, das abgesprungen war und eine eigene Firma gegründet hatte. Er kam vor ein paar Jahren auf uns zu und zusammen haben wir bei einem Brainstorming überlegt: Was wollen die Leute? Sie wollen einfach losfahren und sich nicht mit Zonen und Tarifen herumschlagen müssen.

zentralplus: Sie haben gesagt: ÖV müsse so einfach sein wie Liftfahren. Ist es das?

Schmassmann: Ja, wenn der Kunde einverstanden ist, dass er sich orten lässt, und seine Kreditkartennummer hinterlegt. Fairtiq löscht die Personendaten übrigens nach einer Weile wieder. Wir nutzen für statistische Auswertungen lediglich die anonymisierten Profile. Das ist datenschutzrechtlich unbedenklich.

«Wenn ich ehrlich bin, werde ich hier pensioniert.»

zentralplus: Sie haben kürzlich einen Trolleybus getestet, der eine gewisse Strecke ohne Fahrleitung fahren kann (zentralplus berichtete). Wann werden alle Dieselbusse durch Elektrobusse ersetzt?

Schmassmann: Das ist die gute Frage. Den heutigen Dieselbus kann man nicht vergleichen mit Diesel-Autos, es gibt keinen Dieselskandal beim Bus. Der Dieselbus ist optimiert – die Euro-Norm 6 ist sehr streng. Man kann ihn fast nicht mehr besser machen, und er ist relativ günstig. Ich glaube erst dann an eine vollständige Elektromobilität, wenn der Besteller auch bereit ist, die höheren Investitionskosten zu bezahlen. Im Moment sind sie noch doppelt so teuer.

zentralplus: Sie sind seit über 20 Jahren VBL-Direktor, seit kurzem sind Sie Präsident des Verbandes öffentlicher Verkehr. Werden Sie bei den VBL pensioniert oder reizt sie noch ein nationaler Posten?

Schmassmann: (lacht) Nein, wenn ich ehrlich bin, werde ich hier pensioniert. Mein Engagement bei der VBL hat sich als meine Lebensstelle entpuppt.

Und hier die wichtigsten Zahlen in der Übersicht:

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