Musikinstrumentenbau

Der richtige Ton ist ein Gesamtkunstwerk

Der Himmel hängt voller Geigen: Ufuk Irgin und Micha Sennhauser (v.l.) reparieren in ihrer Werkstatt Streichinstrumente unterschiedlicher Grösse. (Bild: mag)

Der Kanton Luzern ist eine Hochburg des Musikinstrumentenbaus. Die Produktion eines Musikinstruments ist sehr zeitintensiv, weshalb die Lohnkosten für den Preis entscheidend sind. Gefragt ist eine effiziente Arbeitsweise. Mit Qualität und durch Beziehungen können sich die Musikinstrumentenbauer im Markt behaupten.

Es ist ein besonderer Anblick: Der Himmel hängt voller Geigen. In der Werkstatt von Geigenbaumeister Micha Sennhauser an der Hirschmattstrasse in Luzern werden Streichinstrumente repariert und hergestellt. Sennhauser ist einer von fünf Geigenbauern in der Kantonshauptstadt. «Das sind relativ viele für die Grösse der Stadt», meint der 33-Jährige. Die Grösse des Einzugsgebietes relativiere die Dichte aber, da es auf dem Land praktisch keine Geigenbauer gäbe.

Der Kanton Luzern ist eine Hochburg des Musikinstrumentenbaus. Rund hundert Personen stellen aus verschiedenen Materialien Instrumente her, sind in der Reparatur und im Handel tätig – so viele wie in keinem anderen Kanton. Neben Geigen, Bratschen, Celli, Bestandteilen für Schlagzeuge und Alphörnern werden in der Zentralschweiz auch Orgeln gebaut, deren Qualität zur Weltspitze zählt.

Grosser Einfluss der Musikschulen

Der Musikinstrumentenbau hängt stark davon ab, welche Instrumente an Musikschulen unterrichtet werden und beliebt sind.

Im Herbst 2012 hat das Schweizer Stimmvolk die Stärkung der musikalischen Bildung beschlossen. In der Freizeit sollen alle Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, sich musikalisch zu betätigen. Besondere Talente sollen speziell gefördert werden. Eine Arbeitsgruppe hat in der Zwischenzeit 37 Massnahmenvorschläge zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit und Qualität der musikalischen Bildung entworfen.

Im Bereich der Musikschulen sollen Schulgeldermässigungen für Kinder und Jugendliche aus finanzschwachen Familien und für Begabte den Zugang zu Musikschulen erleichtern beziehungsweise sichern. Damit soll erreicht werden, dass jeder junge Mensch ein Instrument erlernen kann und dass besondere Talente entsprechend gefördert werden. Eine weitere Massnahme sieht vor, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund verstärkt für den Musikschulunterricht zu gewinnen.

Im Laienbereich sollen die staatlichen Struktur- und Projektbeiträge erhöht und die Förderung von nationalen Jugendmusikformationen, -festivals und -wettbewerben ausgebaut werden. Zudem sollen Lokalitäten der öffentlichen Hand den Laienvereinen kostengünstig zur Verfügung gestellt werden.

Kein schnelles Geld

Das schnelle Geld verdienen Musikinstrumentenbauer nicht. Im Gegenteil: «Man muss sehr langfristig denken», sagt Micha Sennhauser. Zwischen 150 und 200 Stunden benötigt der Geigenbaumeister für den Bau eines Instruments, gut einen Monat also. Noch deutlicher wird der grosse Zeitaufwand beim Orgelbau. 

Ein grosses Projekt beansprucht bei der Luzerner Orgelbaufirma Goll schon mal die gesamte Belegschaft – das sind 15 Mitarbeiter – für ein ganzes Jahr. «Der handwerkliche Teil beim Bau einer Orgel ist enorm gross. 80 Prozent des Schlusspreises machen alleine die Lohnkosten aus», sagt der Geschäftsführer Simon Hebeisen. Neben Goll gibt es im Kanton Luzern zwei weitere Orgelbauer in Oberkirch und Emmen.

Auf mehrere Standbeine angewiesen

Vom Musikinstrumentenbau alleine kann kein Luzerner Unternehmen leben. Reparatur- und Restaurationsarbeiten stellen ein wichtiges zweites Standbein dar. Auch Micha Sennhauser und seine zwei Mitarbeiter investieren den grössten Teil der Arbeit in die Revision von Streichinstrumenten. In der Werkstatt wird geleimt, lackiert und werden Saiten neu aufgespannt. Sennhauser baut pro Jahr durchschnittlich eine Geige – insgesamt gibt es bereits zwölf «Sennhauser».

Daneben setzt der Meistergeigenbauer auch auf die Vermietung. Er empfiehlt, spätestens nach einer gewissen Zeit ein Instrument zu kaufen. Der Grund: «Die Verbindung zwischen einem Musiker und seinem Instrument ist sehr wichtig. Es entsteht eine persönliche Beziehung», sagt Micha Sennhauser.

Im Atelier des Geigenbauers herrscht reger Betrieb. Kunden holen reparierte Instrumente ab, ein älterer Herr lässt sich im Nebenzimmer beraten, finanzielle Details werden besprochen. Vermutlich ein Berufsmusiker. Der Kauf einer Geige ist eine teure Angelegenheit. Das Schülerinstrument kostet zwischen 2’000 und 7’000 Franken, eine Meistergeige sogar 10’000 bis 25’000 Franken und mehr.

Orgel zum Preis eines grossen Einfamilienhauses

Aufgrund dieser Beträge werden Instrumente auch als Geldanlage genutzt. Das beste Beispiel dafür sind die Geigen von Antonio Stradivari, die teilweise zwischen einer und elf Millionen Franken gehandelt werden. Sennhauser bezeichnet dies als «Auswuchs», denn ein Instrument sei zum Spielen gedacht.

Kein Spekulationsobjekt, aber ebenfalls eine teure Angelegenheit, war die Orgel im «Weissen Saal» des KKL. Das Werk der Luzerner Orgelbaufirma Goll kostete 1,8 Millionen Franken und verschlang gut 20’000 Arbeitsstunden. Bemerkenswert ist, dass es sich bei der Orgel allgemein um ein Blasinstrument handelt. Über ein elektrisches Gebläse gelangt Luft durch einen Blasbalg zu den einzelnen Pfeifen und erzeugt den entsprechenden Ton. Damit kann die Orgel, zwar auch ein Tasteninstrument, nicht mit den Saiteninstrumenten Klavier, Flügel und dem Cembalo verglichen werden.

Neben dem Neubau setzt Goll ebenfalls auf die Restauration von Instrumenten. Das Unternehmen kümmert sich um den Unterhalt von rund 200 Orgeln im In- und Ausland. In den letzten dreissig bis vierzig Jahren wurden praktisch alle Orgeln in der Schweiz restauriert oder erneuert. «Im Bereich des Orgelneubaus ist der einheimische Markt deutlich zurückgegangen», sagt Simon Hebeisen entsprechend. Für die Orgelbaufirma Goll sind deshalb Projekte in Deutschland und anderen europäischen Ländern zunehmend wichtig.  

Die Herstellung von Blasinstrumenten wie Posaunen und Saxophone rentiere sich nur für grosse Betriebe, die die Instrumente industriell herstellen könnten. Oder aber für kleine Familienbetriebe, die spezielle Einzelstücke anfertigten, sagt Ueli Scherrer vom Musikatelier in Willisau. Er ist auch Präsident der Vereinigung Schweizer Blasinstrumentenmacher. Holz- und Blechblasinstrumente würden in der Zentralschweiz deshalb nur verkauft und repariert, nicht aber gebaut.
Seinen Lebensunterhalt verdient der gelernte Blasinstrumentenbauer zur Hälfte mit Reparaturen und zur Hälfte mit dem Verkauf von Instrumenten. Die persönliche Beratung und der begleitende Service bilden für ihn die Unternehmensgrundlage.

Berufsmusiker sind die wichtigsten Kunden

Unter den Kunden geniessen besonders Musiklehrer und Orchestermusiker hohe Beachtung. Sie tragen auf zwei Wegen zur Reputation eines Musikinstrumentenbauers bei. Einerseits machen sie durch die Weiterempfehlung Werbung. Andererseits ermöglichten sie einen spannenden Austausch, sagt Micha Sennhauser. «Berufsmusiker haben höchste Ansprüche an die Instrumente und sie geben Impulse. Das führt zu einer spannenden Zusammenarbeit.»

Eine besondere Praxis herrscht im Orgelbau. «Wir können uns nicht selber ins Spiel bringen», sagt Simon Hebeisen. Wird eine neue Orgel gebaut, werden Werkstätten eingeladen, eine Offerte zu unterbreiten. Um in die entsprechende Auswahl zu kommen muss sich ein Unternehmen deshalb zuerst einen Ruf erschaffen. «Das geschieht über die Organisten», so Hebeisen.

«Berufsmusiker haben höchste Ansprüche an die Instrumente. Sie geben Impulse. Das führt zu einer spannenden Zusammenarbeit.»

Micha Sennhauser, Geigenbaumeister

Auch Ueli Scherrer berät im Musikatelier Berufsmusiker. Besonders wichtig ist für ihn das Entlebuch als Einzugsgebiet. Denn: «Jedes Dorf hat eine eigene Musik.» In diesen traditionellen Blasmusikgruppen spielen manchmal drei Generationen einer Familie. Davon profitiert Scherrer. Aufgrund der bestehenden Beziehungen wird auch der Blasmusik-Nachwuchs bei ihm ausgerüstet. Dazu komme eine steigende Professionalisierung. Die «Dorfmusiker» würden den Instrumenten mehr Sorge tragen und die Bereitschaft, ins Instrument zu investieren, sei gestiegen. «Entscheidend ist die Nähe zur Kundschaft», bilanziert deshalb der 44-Jährige.

Nicht überall fehlen Lehrlinge

Die Branche der Musikinstrumentenbauer ist vergleichsweise klein und übersichtlich. Da fragt man sich, ob genügend Nachwuchs vorhanden ist. Ueli Scherrer sagt dazu: «Es ist schwierig, ‹angefressene› Junge zu finden.» Die Ausbildung sei sehr aufwendig und es werde viel Erfahrung im Handwerk verlangt. Diese zu erlangen, dauere bis zu zehn Jahren. «Dennoch ist es ein Traumberuf, der auch in Zukunft seine Berechtigung hat», sagt Scherrer.

Gemäss Simon Hebeisen, Geschäftsführer der Orgelbaufirma Goll, verläuft die Suche nach Lehrlingen von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich. Auch er stellt jedoch fest: «Es wird immer schwieriger, junge Personen zu finden, die sich darauf einlassen.» An der Motivation fehlt es selten, dafür aber an Geduld und Durchhaltewillen. Musikinstrumentenbauer sei ein vielseitiger Beruf, so Hebeisen. Die aufgezählten Anforderungen zeigen aber auch: Es wird viel verlangt. Gefragt sind eine handwerkliche Veranlagung, räumliches Vorstellungsvermögen, ein gutes musikalisches Gehör und Durchhaltewille für die langwierigen Produktionsprozesse.

«Der Geigenbau wird als romantischer Beruf angesehen», sagt Micha Sennhauser. Gibt es deshalb bei den Herstellern von Streichinstrumenten keine Nachwuchssorgen? Richtig. Es gibt genügend Interessierte. Dennoch verweist Sennhauser darauf, dass ein Geigenbauer viel Geduld und Empathie benötige, denn es sei auch ein «Knochenjob».

Verschiedene Faktoren beeinflussen den Klang

Schliesslich stellt sich die Frage nach den für den Bau verwendeten Materialien sowie die Frage, welchen Einfluss das Material tatsächlich auf den Klang hat. So werden für die Herstellung von Klarinetten zum Beispiel Tropenhölzer verwendet.

Micha Sennhauser relativiert die Bedeutung des Materials: «Der Klang einer Geige hängt primär vom Modell und der Wölbungsform sowie der Ausarbeitung, jedoch auch zu einem grossen Teil von der Holzbehandlung und der Lackierung ab.» Diese Detailarbeit benötige sehr viel Zeit, mache aber den Unterschied in der Qualität aus. Da könne die Massenware aus China nicht mithalten. Dem Material wird dennoch grosse Aufmerksamkeit geschenkt, besonders bei der Beschaffung und der Lagerung. Sennhauser verwendet für seine Musikinstrumente Holz aus den Alpen und Bosnien, Hebeisen arbeitet eng mit einer Sägerei aus dem Kanton Graubünden zusammen.

Der Unterschied zu günstigeren Blasinstrumenten sei bei der Mechanik und der Genauigkeit hör- und sichtbar, sagt Ueli Scherrer. Der grosse Preisdruck führt dazu, dass er seine zusätzlichen Leistungen im Fachgeschäft gut erklären und verkaufen muss. Diese machen einen wichtigen Teil seines Lebensunterhalts aus.

Im Musikinstrumentenbau braucht es Mut, sich in einer Nische auszubreiten. Und es braucht Risikobereitschaft. Die hohen Lohnkosten fordern die Musikinstrumentenbauer besonders heraus. Eine effiziente Arbeitsweise bildet den Ausweg. Und zuletzt ist Geduld gefragt, wie so oft im Musikinstrumentenbau.

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