Spionage-Affäre betrifft ein anerkanntes Zuger Unternehmen

Crypto: So sieht die dunkle Seite von Fortschritt aus

Die Crypto AG ermöglichte den amerikanischen und deutschen Geheimdiensten über Jahrzehnte einen Lauschangriff. (Bild: Adobe Stock)

Die ganze Schweiz spricht über die Zuger Firma Crypto AG, die amerikanischen und deutschen Geheimdiensten einen jahrzehntelangen Lauschangriff ermöglichte. Dabei gehörte das Unternehmen über Generationen zur wirtschaftlichen DNA des Kantons – offerierte gute Jobs und schaffte es immer wieder, bekannte Lokalgrössen einzubinden.

Spionage, Mord und Folter auf der einen Seite. Helvetische Biederkeit und enge Einbindung in lokale Netzwerke auf der anderen Seite. Dieser Spagat sticht bei der Sicherheitstechnik-Firma Crypto AG ins Auge.

Wie die Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens am Mittwochabend dokumentieren will, gehörte die Crypto AG seit 1970 über eine Liechtensteiner Tarnfirma dem amerikanischen Geheimdienst CIA und dem deutschen Bundesnachrichtendienst BND (zentralplus berichtete).

Sie wurde von diesen dazu benutzt, Chiffrier-Geräte «mit einer Hintertüre» an verschiedene Staaten zu verkaufen, damit die beiden Geheimdienste deren Kommunikation mitverfolgen konnten. Ein monumentaler Lauschangriff mit der Technologie aus der neutralen Schweiz.

Als Garagenfirma begonnen

Der gute Ruf der kleinen Schweiz war einer der Gründe, warum der schwedische Ingenieur Boris Hagelin (1892–1983) nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegte.

Boris Hagelin 1940. (Bild: wikipedia)

Am 12. Mai 1952 liess er die Crypto AG an der Weinbergstrasse in Zug ins Handelsregister eintragen – ursprünglich als Entwicklungslabor für seine Hauptfirma Cryptoteknik, die in Stockholm domiziliert war.

Freigiebige Schweiz

Hagelin hatte während des Kriegs in den USA gelebt und enge Kontakte zum Geheimdienst NSA unterhalten. Er war in dieser Zeit reich geworden, weil er eines seiner Chiffriergeräte in Lizenz herstellen lassen und an die US-Armee verkaufen konnte.

M-209: Die US-Armee verwendete Hagelins Chiffriermaschine im 2. Weltkrieg und im Koreakrieg. (Bild: Mike Newton (Wikipedia))

Die Schweiz lieferte Hagelin dann mit ihrer Neutralität nicht nur ein Verkaufsargument für seine Geräte. Sie schränkte sein Geschäft in keiner Weise ein und offerierte Exportrisikogarantien. Dies im Gegensatz zu Schweden, das Chiffriertechnik zu Armeegütern zählte und dafür Waffenexportkontrollen einführte.

Gefragte Elektroingenieure

Als drittes Argument für den Umzug in die Schweiz nannte Hagelin in der Folge immer wieder die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal. In den 1950er-Jahren, als er seine Firma aufbaute, waren vor allem Feinmechaniker gefragt.

In den 1970er-Jahren, nachdem die Crypto AG in einen grossen Neubau nach Steinhausen gezogen war und zu boomen begonnen hatte, vervielfachte sich der Bedarf an Elektroingenieuren in kurzer Zeit.

Mit eigener Feuerwehr

Für die kommenden Jahrzehnte zementierte dies den Ruf von Crypto: Ein Schweizer High-Tech-Unternehmen, das vielen Familien in der Region ein gutes Auskommen verschaffte. Und als Ausbildungsbetrieb fungierte. Im Verlauf seiner jüngeren Geschichte beschäftigte Crypto meist gut 200 Personen – in den 1980er-Jahren waren es gar über 400.

Mitarbeiter, die zwar hinter hohen Zäunen und unter Kameraüberwachung agierten, aber lokal bestens integriert waren. Crypto hatte als eines von wenigen Unternehmen im Kanton eine eigene Betriebsfeuerwehr. Und gewann immer wieder bekannte Notabeln für eine Zusammenarbeit.

Stapi, Nationalrat, Parteipräsident

In den 1990er-Jahren präsidierte der ehemalige Zuger Stadtpräsident Walter A. Hegglin (CVP) den Verwaltungsrat. Nach der Jahrtausendwende löste ihn alt Regierungs- und Nationalrat Georg Stucky (FDP) ab. Zuletzt war der frühere Nationalrat und FDP-Präsident Rolf Schweiger im Gremium vertreten.

Überwachungskamera auf dem Crypto-Gelände in Steinhausen. (Bild: mam)

Die Crypto-Manager engagierten sich öffentlich für den Wirtschaftsstandort Zug. Das Technologie-Forum Zug, eine Public-Private-Partnership, bei der auch Roche Diagnostics oder Siemens Gebäudetechnik mittun, wurde und wird massgeblich von Crypto-Leuten getragen.

Sponsor der Hochschule Luzern

Die Crypto AG und das Schwesterunternehmen Infoguard traten auch als Sponsoren der Hochschule Luzern auf, damit diese ihren Informatik-Campus nach Rotkreuz verlegte.

Neben diesem Bild von Wohlanständigkeit wird in der Region aber auch seit über 25 Jahren immer wieder über die geheimnisumwitterten Geschäfte von Crypto getuschelt. Genauer: Seit 1992. Damals wurde der Crypto-Verkaufsingenieur Hans Bühler, der nicht wusste, dass er knackbare Geräte verkaufte, im Iran wegen Spionageverdacht verhaftet und gefoltert.

Kaution zurückverlangt

Als Bühler 1993 in die Schweiz zurückkehrte, wurde er vom Steinhauser Unternehmen umgehend gefeuert. Ausserdem sollte er eine Million Franken zurückzahlen – die von Crypto als Kaution für seine Freilassung gezahlt worden war, aber vom deutschen Bundesnachrichtendienst stammte.

Bühler begann seinem ehemaligen Arbeitgeber vorzuwerfen, dass dessen Geräte Spionage ermöglichten. Das führte zu Aufruhr und schliesslich zu einem Vergleich. So wurde ein Prozess verhindert, in dem etwa der Tod des Sohns des Firmengründers hätte zur Sprache kommen können.

Keine unbequemen Fragen

Boris Hagelin junior war 1970 bei einem Autounfall in New York ums Leben gekommen. Offenbar war Hagelin über die enge Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten im Bilde gewesen. Gewährsleute sagen, im Fall einer Nachfolge wäre er nicht willens gewesen, weiterhin Geräte mit entschlüsselbarer Kommunikation zu verkaufen.

Dass Bühler die Kaution zurückzahlen sollte, sorgte betriebsintern für einigen Unmut. Ein ehemaliger Entwicklungschef stützte gegenüber Journalisten Bühlers Anschuldigungen und sprach von mehreren Mordanschlägen, die er selber überlebt habe.

Tod eines Niederlassungsleiters

Aus dem Jahr 2002 ist ein Todesfall aktenkundig: Der Verkaufschef der Crypto-Niederlassung in Riad wurde mit seinem Auto in die Luft gesprengt. Saudi-Arabien war ein Kunde der Crypto AG.

Die Vorwürfe, dass Crypto mit seinen Geräten amerikanischen Geheimdiensten bei der Spionage behilflich sei, tauchten immer wieder auf. Der «Spiegel» widmete dem Thema 1996 eine Titelgeschichte, 2000 kam ein Bericht ins Europaparlament, der vom Crypto-Chef in der «Zuger Presse» als «falsch und ehrverletzend» abgetan  wurde.

US-Agent besucht Freund in Zug

2015 deklassifizierte der amerikanische Geheimdienst NSA 52'000 alte Dokumente – darunter auch 350, die sich mit der Crypto AG und Boris Hagelin befassten. Sie stammten aus der Feder des amerikanischen NSA-Kryptologen William F. Friedman (1891–1969), der ein Freund von Hagelin war und ihn im Februar 1955 in Zug besuchte.

Soll neu bebaut werden: Crypto-Firmengelände in Steinhausen. (Bild: mam)

Seither ist bekannt, dass Crypto systematisch Informationen an die Amerikaner weitergab. Seither ist aber auch ruchbar, dass die Geheimdienste finanziell an Crypto beteiligt waren. Laut einem Bericht der Informationsplattform «Infosperber» war bereits bei der Gründung der Crypto AG im Jahr 1952 eine Liechtensteinische Tarneinrichtung mit Kapital beteiligt.

Firmengelände soll neu bebaut werden

Im Rückblick fällt auf, dass auf die Veröffentlichung der NSA-Dokumente und die damit verbundene Publizität ein Prozess bei Crypto folgte. Den Inhalt der Enthüllungen wollte man zwar nicht – wie sonst üblich – dementieren. Aber eben auch nicht mehr kommentieren. Die Akten seien zu alt, hiess es.

1994 schrieb der Journalist Res Strehle mit «Verschlüsselt» ein Buch über die Erlebnisse von Hans Bühler. (Bild: zvg)

2017 aber wurde das Firmengelände in Steinhausen – zu dem auch ein Fussballplatz und ein Tenniscourt gehört – an eine Immobiliengesellschaft verkauft, die nun daran ist, ein gemischtes Bauprojekt für Arbeiten und Wohnen zu realisieren. Die Crypto-Gruppe wurde abgewickelt, was bis in den Herbst 2019 dauerte.

Manager übernahmen vieles

Infoguard, die sich mit ihren 150 Mitarbeitern als Unternehmen für Cybersicherheit auf Geschäftskunden spezialisiert hatte und schon eine Weile in Baar ansässig ist, erlebte ein Management-Buy-Out.

Das Geschäft der Crypto AG wurde aufgeteilt: Die Schweizer Operationen wurden ebenfalls vom Management übernommen. Die neue Firma, die nach eigenen Angaben rund 50 Mitarbeiter hat, ist umgezogen und hat sich  in CyOne Security unbenannt. Der schwedische IT-Unternehmer Andreas Linde hat die internationalen Geschäfte und die legendäre Marke übernommen.

Die Marke bleibt schwedisch

Mit einer neugegründeten Firma namens Crypto International operiert er von Lund in Schweden und vorderhand auch vom alten Gelände in Steinhausen aus weiter. Wie ein Mantra verkündet Crypto International, dass man mit der alten Crypto nichts zu tun habe.

In einem Firmenprospekt hatten die beiden Crypto-Nachfolgefirmen 2018 die Aufteilung noch als Schritt zu neuem Wachstum gefeiert. Laut Medienberichten hat das Wirtschaftsdepartement von Bundesrat Guy Parmelin die Generalausfuhrbewilligung für die international tätigen Nachfolgefirmen der Crypto AG ausgesetzt.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon