Liberalisierung bringt nicht erhoffte Resultate

CKW stehen grossen Strombezügern auf der Leitung

Unternehmer Jürg Brand in Zug: Er hat die Luzerner Stromlandschaft aufgemischt – zum Teil mit Erfolg. (Bild: rmu)

Ab Januar geht ein Teil der grossen industriellen Energieverbraucher im Raum Emmen fremd: Sie kaufen den Strom nicht mehr bei den Centralschweizerischen Kraftwerken (CKW) ein, sondern bei anderen Elektroversorgungsunternehmen. Endlich funktioniert der liberalisierte Strommarkt, könnte man jetzt sagen. Doch die Freude bei den Grossbezügern ist getrübt. 

Überall hat der Zuger Wirtschaftsanwalt und Unternehmer Jürg Brand günstigen Strom gesucht, sogar nach Frankreich ist er gefahren, um neue Stromlieferanten zu finden. Doch daraus wurde nichts: Zu kompliziert war in der Praxis das Vorhaben. Doch jetzt hat es doch noch geklappt. «Ab Januar 2014 kaufen wir den Strom bei Swisspower ein», sagt Jürg Brand. 

Swisspower ist ein Zusammenschluss von städtischen Energieversorgern. Ihr Angebot ist für Jürg Brand attraktiv: «Die Energiepreise von Swisspower sind gut fünfzehn Prozent günstiger als die aktuellen der CKW, von denen wir bisher den Strom bezogen haben. Wir sparen so etwa eine halbe Million Franken pro Jahr.»

Neue Stromlieferverträge ab Januar

Den Strom braucht Jürg Brand für die Giesserei in Emmen, die sehr viel Strom verbraucht. Die vonRoll casting, wie die Giesserei heute heisst, fertigt mit 220 Mitarbeitern Gussteile für Turbinen, Schienenfahrzeuge, Hydrantengehäuse oder Maschinen.

Dabei flattern dem Giesserei-Verwaltungsratspräsidenten hohe Stromrechnungen auf den Tisch. «Wir brauchen pro Jahr 25 Gigawattstunden Strom», sagt Jürg Brand, «das entspricht dem Verbrauch von gut 5‘500 Haushaltungen mit vier Personen.»

Wahlfreiheit auch für Haushalte

Seit 2009 können Grossbezüger mit einem Stromverbrauch von über 100 Megawattstunden wählen, ob sie den Strom in der Grundversorgung mit staatlich kontrollierten Preisen oder im freien Markt kaufen wollen.

Ab 2015 soll es auch für die privaten Haushaltungen eine Wahlfreiheit geben: Sie können entscheiden, ob sie in der regulierten Grundversorgung bleiben oder den Strom auf dem freien Markt einkaufen wollen.

Auf den kommenden Januar wechselt noch ein weiterer Grossbezüger in Emmen den Stromlieferanten: Swiss Steel bezieht nur noch eine kleine Tranche von den CKW. Den Löwenanteil des Bedarfs von 400 Gigawattstunden (das entspricht dem Verbrauch von rund 88 000 Haushaltungen) kauft der Stahlschmelzer neu bei Alpiq.

Andere grosse Unternehmen im Raum Emmen-Luzern decken sich ab Januar 2014 ebenfalls auf dem freien Strommarkt ein, ohne allerdings den Stromlieferanten zu wechseln. So haben die Papierfabrik Perlen, die Kronospan in Menznau sowie die Garnhersteller Monosuisse und Tersuisse in Emmen neue Stromlieferverträge mit den CKW unterzeichnet.

Lange kein freier Markt

Seit 2009 können industrielle Grossverbraucher den Strom kaufen, wo sie wollen. So jedenfalls war das mit der Stromliberalisierung gedacht. Doch funktioniert hat es nicht. «Als wir uns damals um günstigen Strom bemühten, erhielten wir gar keine Angebote», erinnert sich Jürg Brand von der vonRoll casting. Ein herber Frust für die Grossbezüger im Raum Emmen-Luzern, die ursprünglich grosse Erwartungen in die Strommarktliberalisierung gesetzt hatten.

Das Problem war: Die CKW und die andern grossen Elektroversorgungsunternehmen (EVU) hatten keine Lust, die Grossverbraucher mit «liberalisiertem» Strom zu versorgen. Sie argumentierten, sie müssten diesen Strom teuer an den europäischen Strombörsen einkaufen, und das lohne sich nicht.

Entsprechend wenig Bewegung löste die Strommarktliberalisierung aus. «Im Geschäftsjahr 2012/13 haben nur 15 Prozent der Grosskunden in den freien Markt gewechselt», sagte CKW-Chef Andrew Walo an der Bilanzmedienkonferenz. Und dieser bescheidene Wechsel hatte kaum Auswirkungen, wie Walo gegenüber zentral+ erklärte: «Die Anzahl Kunden insgesamt wie auch die Absatzmenge sind konstant geblieben.»

Jetzt profitiert die Industrie

Doch jetzt ändert sich das. Die ganze Stromlandschaft gerät mächtig in Bewegung. Die Ursachen sind bekannt: Seit Deutschland Europa mit hoch subventioniertem Ökostrom aus Solar- und Windanlagen sowie mit Billigstrom aus Kohlekraftwerken überflutet, sind die Strompreise im Keller. «Die Marktpreise liegen unter den Gestehungskosten der Elektrizitätsunternehmen», sagt CKW-Chef Andrew Walo.

Die CKW reut’s, die Grossbezüger im Raum Emmen-Luzern freut’s. Für sie ist der Zeitpunkt ideal, in den liberalisierten Strommarkt zu wechseln – und diese Chance packen sie jetzt.

Marktpreise bleiben geheim

Die Grossbezüger haben mit den CKW und mit anderen EVU individuelle Lieferverträge für günstigeren Strom abgeschlossen. Wie viel weniger die Unternehmen ab kommendem Jahr zahlen, wollen die Firmenchefs nicht verraten. Josef Hofer, technischer Direktor bei der Kronospan in Menznau, sagt nur: «Wir haben hart mit den CKW und einem andern EVU verhandelt, es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das die CKW gewonnen haben.»

Und Klemens Gottstein, Vorsitzender der Geschäftsleitung bei der Papierfabrik Perlen, sagt: «Über die Zahlen sprechen wir nicht, aber ich kann sagen, dass uns die CKW eine substanzielle Preisreduktion geben.»

Einsparungen in Millionenhöhe

Etwas auskunftsfreudiger ist Carlo Mischler, CEO der Swiss Steel AG in Emmen. «Mit dem Wechsel von der Grundversorgung in den freien Markt sparen wir ab Januar rund 15 bis 16 Prozent bei den Energiekosten.» Auf die Frage, was dies in absoluten Zahlen bedeutet, erklärt Mischler: «Das sind Einsparungen von ein paar Millionen Franken.» Gemäss Recherchen von zentral+ zahlen die grossen Industriebetriebe im kommenden Jahr zwischen 11 und 12 Rappen pro Kilowattstunde.

Dabei summiert sich ein Rappen Preisnachlass pro Kilowattstunde schnell zu einer riesigen Summe. Ein Beispiel: Wenn die Papierfabrik Perlen mit einem Verbrauch von jährlich 640 Gigawattstunden einen Rappen weniger zahlen muss, spart sie rund 6 Millionen Franken.

Jürg Brand von der vonRoll casting schätzt, dass 2014 die Stromkosten für die Unternehmen im Raum Emmen-Luzern je nach Anbieter um 10 bis 15 Prozent sinken. Das sei ein grosser Erfolg für die Grossverbraucher, sagt Brand, der schon vor Jahren kampfeslustig die Arbeitsgruppe Strom (AGS) der regionalen Grossbezüger initiiert hatte, um den bis vor kurzem noch teuren CKW Paroli zu bieten. «Wir haben uns immer dazu bekannt, dass wir in der Schweiz produzieren wollen. Wenn wir jetzt weniger für den Strom bezahlen müssen, hilft das.»

CKW steht auf der Leitung

Die Unternehmen freuen sich also, dass sie ab 2014 billigeren Strom beziehen können, doch sie beklagen gleichzeitig neue Probleme: Sie kritisieren, die CKW verlange für den Transport des Stromes zu den Fabriken zu hohe Preise.

Und da wird’s kompliziert. Denn seit der Strommarktliberalisierung haben die verschiedenen Netze unterschiedliche Besitzer. So gehören die «Stromautobahnen» (Hochspannungnetz) der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid. Die «Quartierstrassen» aber, die Verteilnetze an der Basis also, gehören nach wie vor den Elektroversorgungsunternehmen.

Das Stromnetz in Emmen zum Beispiel gehört nach wie vor den CKW. Konkret bedeutet das, dass die Grossbezüger zwei Rechnungen erhalten: Eine für die Energie, und eine andere für die Netzkosten. Die Grossbezüger kommen also nicht um die CKW herum: Egal wo sie ihren Strom einkaufen, beim Transport in die Fabrik verdienen die CKW als lokaler Netzbetreiber mit.

Wundersame Netzpreisvermehrung

Und mit diesen «Quartierstrassen» passiert gegenwärtig Wundersames. «Die Netzkosten steigen für einige Kunden massiv um bis zu 14 Prozent», stellt Walter Müller von der Gruppe Grosser Stromkunden (GGS) in Zürich fest, einem branchenübergreifenden Zusammenschluss, der die Interessen der industriellen Endverbraucher vertritt. «Die Verteilnetze sind Monopole der jeweiligen Versorger, da gibt es keine Konkurrenz.»

Wie viele andere Beobachter des Strommarktes vermutet Müller, dass die Stromversorgungsunternehmen versuchen, die tieferen Einnahmen aus dem Stromverkauf mit höheren Netzgebühren zu kompensieren. «Seit der Marktöffnung werden möglichst hohe anrechenbare Netzkosten ausgewiesen.»

Netzkosten schmälern Einsparungen

Die Folgen für die grossen Stromkunden sind fatal. «Die Einsparungen bei den tieferen Stromkosten werden bei uns zu einem Drittel von den höheren Netzkosten wieder aufgefressen», sagt Carlo Mischler, CEO bei Swiss Steel. Ähnlich ist die Situation bei der Papierfabrik Perlen. «Die Netzkosten sind sehr hoch», sagt Klemens Gottstein, «sie dürften deutlich günstiger sein.»

Noch schlechter sieht es für die vonRoll casting aus. «Gut die Hälfte des Geldes, das wir mit tieferen Energiepreisen einsparen, verlieren wir durch die höheren Netzgebühren der CKW», kritisiert Jürg Brand. «Wir bezahlten in der Grundversorgung im Schnitt einen Gesamtpreis von rund 12 Rappen pro Kilowattstunde, künftig bezahlen wir trotz tieferer Energiepreise kaum weniger.»

CKW-Netzpreise nicht abgesegnet

CKW-Chef Andrew Walo bestreitet, dass die Netzkosten zu hoch sind. «Die Netzkosten sind nicht dem Wettbewerb unterstellt», sagt er, «da gibt es ein natürliches Monopol.» Und er betont: «Unsere Netztarife sind korrekt berechnet, und sie werden von der Regulierungsbehörde Elcom überwacht. Der Vorwurf zu hoher Netzkosten ist haltlos.»

Was Andrew Walo nicht sagt: Die Netztarife der CKW sind von der Elcom noch gar nicht abgesegnet worden. Das bestätigt ein Anruf bei der Elcom. Stefan Burri von der Sektion Preise und Tarife sagt: «Die Netztarife der CKW sind nicht Elcom-approved.»

Dass die Energie- und Netzkosten der CKW noch nicht den Segen der Regulierungsbehörde haben, hängt mit mehreren Beschwerdeverfahren zusammen, die noch nicht rechtsgültig entschieden sind. Diese Verfahren sind keine Einzelfälle. Schon seit Längerem sind die Energie- und Netztarife Juristenfutter geworden.

Gemeinden als Netzbetreiber

Auf das Gezerre um die Netztarife reagieren die Grossunternehmen in Emmen unterschiedlich. So sagt etwa Klemens Gottstein, CEO der Papierfabrik Perlen: «Wir wollen jetzt zuerst mal erste Schritte im liberalisierten Strommarkt machen, und später nehmen wir uns dann die Netzkosten vor.»

Andere Unternehmer drängen rascher auf Lösungen. So auch Jürg Brand von der vonRoll casting. Er meint, das Gemeinwesen sollte die Netze übernehmen. «Denn die bestehenden Netze», betont Brand, «sind von den Stromkunden schon mehrfach abbezahlt worden.»

Auch Walter Müller von der Lobby der Grossen Stromkunden meint, dass die Netze von den Konsumenten schon mehrfach abbezahlt wurden. Sein Lösungsvorschlag ist aber pragmatisch: «Man müsste die Netzbetreiber verpflichten, sich einem Leistungsvergleich zu unterziehen, damit ihre Effizienz für alle sichtbar wird. Dann hätten wir bei den Netzen mehr öffentlichen Druck auf ineffiziente Netzbetreiber.»

Durchzogene Noten für Liberalisierung

Offen ist, was die Strommarktliberalisierung ob all dieser Probleme überhaupt bringt. Bei den Grossbezügern im Raum Emmen sind die Meinungen geteilt. Unternehmen wie Kronospan oder Perlen Papier möchten ihre ersten Gehversuche im liberalisierten Markt wagen, bevor sie abschliessend urteilen.

Jürg Brand von der vonRoll casting hingegen spricht von unsicheren Verhältnissen. Neu müssten jetzt alle paar Jahre mit den Elektroversorgungungsunternehmen und den Netzbetreibern neue Verträge ausgehandelt werden. Mehr Planungssicherheit bringe das nicht. Jürg Brand von der vonRoll casting wirkt müde, wenn man ihn nach den Segnungen der Liberalisierung fragt.

Der Kanton ohne Strategie

«Die schlecht gestaltete Liberalisierung hat bisher ausser Unsicherheiten nicht viel gebracht», fasst Brand zusammen. «Alles ist komplizierter geworden. Die Liberalisierung ist eine Übung mit vielen und hohen Kosten.» Heute liefere die Zentralschweiz Strom in die Westschweiz, und die Westschweiz liefere Strom in die Ostschweiz – «quer durch die Schweiz zu einem Preis, wie wir ihn schon vor der Liberalisierung hätten haben können. Das ist ein Leerlauf.»

Fatal wirke sich aus, dass der Kanton Luzern keine Energiestrategie habe, die diesen Namen auch verdiene. «Der Kanton ist zu passiv», meint Brand, «er setzt zu stark auf die Schiene CKW, und er hört zu wenig auf die Industrie und auf die Konsumenten.»

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