Chamer Unternehmen verarbeitet Biestmilch

Bio-Preis für einstiges Abfallprodukt

Die Preisträger Gian-Carlo Keller (links) und Marc-René Paravicini (rechts) von «SwissBioColostrum» mit Jury-Präsident Josef Lang (Mitte). (Bild: DOMINIK BAUR)

Ein Naturprodukt verhilft einem Zuger Kleinunternehmen zum Durchbruch. Für die nachhaltige Innovation wurde die Firma nun mit dem «Grand Prix Bio Suisse» ausgezeichnet – von einem ehemaligen Zuger Nationalrat.

Manchmal muss man die Dinge nicht neu erfinden. Dies hat auch ein Zuger Kleinunternehmen erkannt. Der Zuger Biobauer, Naturwissenschaftler und Lehrer Gian-Carlo Keller weiss nur zu gut, wie wichtig die Frühmilch für neugeborene Kühe, Schafe und Ziegen ist. Anders als beim Menschen erfolgt deren Immunisierung nämlich nicht vorgeburtlich über die Blutversorgung, sondern über die Muttermilch (siehe Box).

In der Regel hat man die überflüssige Vormilch – auch Biest- oder Kolostralmilch genannt – in die Jauchegrube geleert. Das Potential dieser nährstoffreichen Milch hat Keller erkannt. Begehrt ist sein Produkt vor allem als biologische Nahrungsergänzung. Zusammen mit dem Chamer Naturheilpraktiker und Architekt Marc-René Paravicini hat der Bauer vor sechs Jahren die Firma «SwissBioColostrum AG» gegründet. Zur Zeit noch ohne weitere Angestellte, soll die kleine Firma in den kommenden Jahren wachsen.

Als einzige Schweizer Verarbeiterin der Kolostralmilch produziert und vermarktet die Firma ihre Produkte in biologischer Qualität. Verarbeitet wird die Biestmilch von Kühen, Schafen und Ziegen zu einem Präparat, das auf dem Markt unter dem Namen «QuraDea» (sprich: kuradea) erhältlich ist – sogar in Taiwan und bald auch in China.

Fair Trade

Biestmilch oder Kolostrum

Als Erstmilch, Vormilch, Kolostralmilch oder Kolostrum gilt bei Säugetieren die erste Milch, die von der weiblichen Milchdrüse produziert wird, um das Neugeborene in den ersten Tagen optimal zu ernähren.

Bei Kühen, Schafen und Ziegen wird Kolostrum auch als Biestmilch bezeichnet. Es enthält wie die später gebildete Milch Proteine, Enzyme, Vitamine, Mineralien, Wachstumsfaktoren, Aminosäuren und Antikörper, jedoch teilweise in höheren Anteilen. Hingegen ist der Fettanteil in Kolostrum geringer als in Milch.

Seit nunmehr sechs Jahren können Schweizer Bio-Betriebe den Rohstoff in der alten Käserei in Cham veredeln lassen. Und bekommen für die bisher wertlose Biestmilch erst noch einen Preis bezahlt, der weit über demjenigen der normalen Milch liegt. Pro Liter erhält ein Bauer zwischen 16 und 18 Franken. Entsprechend gross ist die Zahl der interessierten Bio-Bauern. Paravicini: «Derzeit stehen mehrere Bio-Milchbetriebe auf der Warteliste.» Momentan stammt das Kolostrum aus rund 50 handverlesenen Produktionsbetrieben. Das entspricht weniger als 10 Prozent der Bio-Milchwirtschaftsbetriebe in der Schweiz.

Für die Produkte-Idee wurde der Firma vor einigen Tagen der mit 10’000 Franken dotierte Grand Prix Bio Suisse verliehen. «Fertig mit Food-Waste, kein Kuh-Gold mehr in die Jauche!» erklärte die Jury die Wahl des Chamer Unternehmens. Und Jurypräsident Jo Lang, Vizepräsident der Grünen und ehemaliger Zuger Nationalrat, doppelte in seiner Laudatio nach, es sei höchste Zeit, dass die Chamer Firma von Bio Suisse geehrt und gefördert werde.

Vom Bio-Boom profitiert

Lange waren die Vorteile von Kolostralmilch nur in Fachkreisen bekannt. Mit dem Bio-Boom der letzten Jahre hat auch das Interesse an speziellen natürlichen Nischenprodukten zugenommen. Davon profitiert die in Cham domizilierte SwissBioColostrum. Zudem steigt die Nachfrage nach Kolostrum insbesondere im asiatischen Raum stark an. Dafür sei nicht allein der wachsende Wohlstand der urbanen Mittelschicht, sondern auch die Vorliebe für natürliche gesundheitsfördernde tierische Produkte verantwortlich, glaubt Paravicini. «Allein nach China könnten wir derzeit eine Tonne Kolostrum exportieren.»

So gross die Nachfrage auch sein mag, der Produktion sind Grenzen gesetzt. Die in Cham verarbeitete Biestmilch stammt aus dem ersten und zweiten Gemelk, welche innerhalb von zwölf Stunden nach der Geburt gewonnen werden. Auf den grössten Teil der Biestmilch ist das Jungtier selbst angewiesen. Somit stehen für die Verarbeitung nur die Überschüsse zur Verfügung. Das sind durchschnittlich fünf Liter pro Kuh und Jahr.

Aufwendige Herstellung

Arbeitsintensiv ist insbesondere das Sammeln des Rohstoffs. Verwendet wird nur Immunmilch von zertifizierten Bio-Betrieben. Pro Jahr sammelt SwissBioColostrum davon bei über die ganze Schweiz verteilten Milchproduzenten 2’000 Liter. Das in speziellen Pet-Flaschen abgefüllte Kolostrum muss bis zur Abholung in lokalen Depots gekühlt werden. Am Schluss der Verarbeitung bleiben nach Trocknung und Veredelung noch 400 Kilogramm Pulver.

Der Preis für in der Schweiz hergestellte Kolostrum-Produkte ist denn auch entsprechend hoch. Je nach Produkt müssen für eine Monatsration Kapseln bis zu 100 Franken auf den Tisch gelegt werden. Das ist viel für ein profanes Milchprodukt. Kolostrum gilt nicht als Naturheilmittel. So bleibt den Chamern nur die Vermarktung als Lebensmittel. Und diese ist schwierig, weil das komplexe Produkt im Ladenverkauf einiges an Beratung abverlangt. Zu teuer für ein Nahrungs-, zu profan für ein Heilmittel, ist das Produkt in Reformhäusern ein Ladenhüter. Auch aus der Inseratewerbung habe man sich aus Kostengründen zurückgezogen, erklärt Paravicini. «Wir setzen auf Mund-Propaganda und Online-Kanäle».

Bisher ein Verlustgeschäft

Im Direktverkauf laufen die Produkte von SwissBioColostrum besser. Etwa die Hälfte der Ware wird über den eigenen Fabrikladen in Cham und über den Online-Shop abgesetzt. Der Rest wird über Drogerien und Apotheken verkauft. «Auch der Absatz via Naturheilpraktiker läuft mit zunehmender Bekanntheit besser», sagt Verkaufsleiter Paravicini.

Er und Geschäftspartner Keller erhoffen sich deshalb von der Preisverleihung Resonanz. Denn obwohl die Produkte der Kleinstunternehmung auf Kurs sind, lässt der finanzielle Erfolg noch auf sich warten. Man komme zwar dem Break Even Point näher. «Die sieben mageren Jahre sind hoffentlich bald vorbei», sagt Paravicini.

 

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