Millionengeschäft mit China-Tourismus

Big Business in Luzerns Chinatown

In Bucherers Rolex-Raum werden die Geschäfte gemacht. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Geschätzte 90 Millionen Franken geben chinesische Touristen in der Region Luzern jedes Jahr aus. Ungewöhnlich dabei: Die chinesischen Reisegruppen werden durch Luzerns Uhrenbranche indirekt mitfinanziert. zentral+ zeigt auf, wie das Geschäft funktioniert und weshalb Interlaken der Leuchtenstadt den Rang abzulaufen droht.

Eigentlich müsste man ihnen ja den roten Teppich ausrollen. Nur wenige Touristen geben in der Schweiz mehr Geld aus als Chinesen. 350 bis 430* Franken sind es pro Tag, die mehrheitlich in die Kassen des lokalen Handels fliessen. In einem Punkt unterscheiden sich Chinesen aber von den noch spendableren Touristen aus den Golfstaaten, Japan oder Thailand: Bei Unterkunft und Essen wird gespart.

Shopping statt Essen

Gilt das Essen in China als grösstes Hobby und Gelegenheit, die Familie zu vereinen, seinen Status auszudrücken oder Geschäfte abzuschliessen, so verstehen es chinesische Touristen in Luzern eher als Pflicht. Laut Simon Bosshart, Director Global Accounts bei Schweiz Tourismus, ist dies auch dem lokalen Angebot geschuldet: «Die Tourveranstalter erhalten von chinesischen Restaurants sehr tiefe Preise offeriert». 12 bis 15 Franken, so bestätigen mehrere Quellen, bezahlt der Tourguide den Restaurants pro Gast und Mahlzeit. Nicht erstaunlich, dass darunter die Qualität leidet. Länger als 30 Minuten Zeit möchten sich die Touristen daher je Mahlzeit nicht nehmen.

Anders beim Shopping. Hier werden in den Besuch bei Gübelin oder Bucherer drei bis vier Stunden investiert. Die Gruppe bleibt in der Regel zusammen und folgt ihrem Reiseführer. Sein Ziel liegt da, wo die Provisionen locken – also am Löwen- oder Schwanenplatz. Zehn Prozent des Netto-Verkaufspreises der Uhren seiner Gruppe erhält der Reiseführer direkt vom Juwelier. Wichtigster Player ist hier Bucherer. Aber auch Gübelin und die eher unscheinbare Embassy Jewel AG mischen im Geschäft gross mit. Little Chinatown am Schwanenplatz sozusagen.

Luxusuhren als Schmiermittel

Seitens der Touristen werden Marken wie Tissot, Omega und vor allem Rolex bevorzugt. «Eigentlich laufen alle Schweizer Marken sehr gut», präzisiert Jörg Baumann, Direktor bei Bucherer.

«In China herrscht eine ausgeprägte Geschenkkultur, die auch in den professionellen Alltag Einzug gehalten hat.»
Simon Bosshart, Director Global Accounts, Schweiz Tourismus

Uhren, die in der Regel nicht nur für den Eigenbedarf erworben werden. Wenn ein Chinese überhaupt eine Uhr für sich selber kauft, so handelt es sich dabei um ein günstiges Exemplar. Zu diesem kommt nicht selten noch eine für den Chef. Und eine Golduhr für den netten Beamten aus der Zentralverwaltung. Oder wie es Simon Bosshart, der die Interessen des Schweizer Tourismus während sieben Jahren in Peking vertrat, diplomatisch formuliert: «In China herrscht eine ausgeprägte Geschenkkultur, die auch in den professionellen Alltag Einzug gehalten hat.»

Für die Umsetzung eines Bauprojekts beispielsweise – so sagen Kenner Chinas – müssten gegen 60 Amtsstellen geschmiert werden. Je wichtiger der Beamte, umso teurer das «Geschenk». Fünf Prozente der Verkäufe in Luzern sollen Luxusuhren in einem vierstelligen Preissegment ausmachen.

Dabei profitieren Luzerns Juweliere auch von einem gewissen Profilierungswillen, der sich bei den Gruppenreisenden bemerkbar macht. Neuerwerbe werden den Mitreisenden präsentiert. Je Tourist kommt da schnell ein Betrag von mehreren hundert oder tausenden Franken zusammen. Und damit eine drei- bis vierstellige Summe je Gruppe, die Bucherer & Co. an den Reiseführer bezahlen.

Anders sieht es Jörg Baumann: «Es wäre schön, wenn wir pro Besucher aus China eine Uhr verkaufen könnten. Bei Bucherer verzeichnen wir deutlich tiefere Verkaufszahlen». Er bestätigt zwar, dass die Chinesen die derzeit besten Kunden seien. Konkrete Verkaufszahlen will Baumann jedoch keine nennen. Und leistet damit indirekt auch Gerüchten wie in der «NZZ» Vorschub, dass ein Car mit einer chinesischen Reisegruppe bei seiner Abfahrt Uhren im Wert von einer Million Franken transportiere. Eine Schätzung, die deutlich zu hoch gegriffen scheint.

Provisionszahlungen in bar im Hinterzimmer

Die Provision seiner Gruppe – die bis zu 50 Personen umfasst – erhält der Tourguide in bar. Eine Unterschrift im Hinterzimmer quittiert den Empfang des Betrages. Steuerfrei, versteht sich. So kommen jährlich einige Millionen Franken an Provision zusammen, die der Juwelier aufzubringen hat. Geld, das der Reiseführer zur Ausübung seiner Arbeit benötigt.

Die Gruppen, die der Reiseführer durch die Länder führt, kauft der Reiseführer zuvor in China ein. «Der Preis richtet sich nach der Anzahl Touristen, Anzahl Tage und der Berufsgattung», sagt Otto Frei, der als Geschäftsführer eines eigenen Unternehmens VIP-Führungen für chinesische Kunden organisiert.

Als unattraktiv gelten dabei Touristen, die ihre Reise vom Staat finanziert erhalten, wie beispielsweise Beamte. «Die Europa-Reisen werden in China so günstig angeboten, dass auch das Reisebüro nur noch mit Provisionen etwas verdienen kann», erklärt der Sohn einer chinesischen Mutter die Abhängigkeit von den Zahlungen. Indirekt subventionieren Luzerns Uhrengeschäfte damit die Reisewünsche der Chinesen mit.

Jungfrauregion macht Druck

Doch wie sieht es bei den Juwelieren aus, die die grösste Wertschöpfung erzielen? Hier spürt man in Luzern zunehmend den Druck der Jungfrauregion. Nicht nur durch ein professionelles Marketing der Berner Touristiker, sondern durch höhere Provision, wie hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wird. Gerne wird auch mit unterschiedlichen Ladenöffnungszeiten argumentiert. Wenn Bucherer in Luzern um 19.30 Uhr schliesst, bleibt die Filiale in Interlaken noch 3,5 Stunden offen – auch am Sonntag. Den Zusammenhang bestreiten Kenner jedoch: Ein Reiseführer kann sich darauf einstellen und seine Tour entsprechend planen, heisst es in der Branche. Die Öffnungszeiten hätten daher keinen namhaften Einfluss.

Der Südchinese will zwar Schnee sehen. Doch wenn er auf dem Pilatus liegt, reicht ihm das. Zumal er so viel Zeit sparen kann. Ansonsten fährt die Gruppe auf den Titlis. Und sollte die Zeit davor nicht für einen Einkauf im Uhrengeschäft gereicht haben, lässt sich dieser nun in einem Shop bei «Swiss Lion» auf dem Titlis-Gipfel nachholen. Und bleibt damit Kunde des Bucherer-Konglomerates.

Ungleiche Provisionen aus Luzern und Interlaken

Doch schon einmal haben Luzerns Touristiker mit den japanischen Reisegruppen ein wichtiges Geschäft an Interlaken verloren. Hauptkonkurrent damals wie heute: Kirchhofer. Das Familienunternehmen mit 250 Mitarbeitenden bietet nach eigener Aussage die grösste Auswahl an Uhrenmarken Europas. Weitaus wichtiger aber: Wie mehrere Quellen erklären, soll neben dem Reiseführer auch der Reiseveranstalter direkt in den Genuss von Provisionen kommen. Und dadurch die Tour so umgestalten, dass der Pflichtstopp in Luzern auch mal ausfällt. In der Branche spricht man von fünf Prozent, die je Uhr zusätzlich zur Reiseleiter-Provision direkt nach China fliessen. Gelegenheit dazu gäbe es ausreichend: Firmeninhaber Jörg Kirchhofer besucht seine acht Promotionsbüros in Asien mehrmals jährlich, wie er auf seiner Webseite verrät.

Solche direkten Provisionszahlungen an den Reiseveranstalter soll es aus Luzern nicht geben. Hingegen würden Luzerns Juweliere in chinesischen Reise-Katalogen und -Magazinen überteuerte Inserate schalten – zumindest eine indirekte Art der Förderung. «Von Bucherer werden für solche Werbemassnahmen keine Phantasiepreise bezahlt», so Jörg Baumann. Seitens Gübelin war keine Stellungnahme zu erhalten.

Luzern schon heute an der Grenze

Werden Luzerns Touristiker also um die Früchte ihrer jahrelangen Aufbauarbeit gebracht, die man sich jährlich 120’000 Franken kosten lässt und der Region heute 30 Prozent aller chinesischen Logiernächte beschert?

Bisher jedenfalls nicht, wie ein Blick auf die Zahlen zeigt. Innerhalb von fünf Jahren haben sich die Übernachtungen in der Region Vierwaldstättersee von 93’771 auf 256’239 verdreifacht. Weniger positiv fällt die Entwicklung in der Stadt Luzern aus. Hier stagnieren die Zahlen seit 2010 weitgehend. «Mehr könnten wir hier kaum stemmen», verweist Luzerns Tourismusdirektor Marcel Perren auf die Bettenkapazitäten der Leuchtenstadt.

Natur macht Eindruck

Simon Bosshart sieht den Einkauf nicht als Hauptmotivation für die Reise nach Luzern. «Shoppen ist eher ein Nebeneffekt des Besuches». Im Hauptinteresse stünden beim Gast aus China die Schweizer Berge. Und diese wirkten nachhaltiger als vieles andere, das chinesische Touristen auf ihrer Reise durch Europa sehen. «Paris hat zwar den Eiffelturm. Doch wenn man die Touristen nach ihrer Rückkehr befragt, was sie am meisten beeindruckt hat, dann ist es in der Regel die intakte Schweizer Natur.»

Neben dem Shopping gäben die Gäste aus China für Ausflüge denn auch am meisten Geld aus. «Nummer-1-Destination ist Luzern. Und hier wiederum macht der Pilatus gegenüber dem Titlis zunehmend an Boden gut», so der Touristiker.

Dabei bedeutet die Reise für Chinesen vor allem Stress. Die erste Europa-Reise führt nicht selten durch zehn Länder – innerhalb gleich vielen Tagen. Da verwundert es nicht, dass Chinesen die Schweiz gerne mal mit Schweden verwechseln, wie die Reiseleiter bei ihren Führungen immer wieder feststellen. Dass die Schweiz überhaupt so weit oben auf der Wunschliste steht, lässt sich nicht zuletzt auch wieder mit den Uhren erklären. Gekonnt streut die Branche immer wieder das Gerücht, dass im Ausland allenfalls auch gut gemachte Fälschungen der Schweizer Zeitmesser kursierten. Sehr subtil, versteht sich. Aber erfolgreich.

Hotels in der Umgebung zum Dumpingpreis

Chinesen gelten als zähe Verhandlungspartner. Preise von 30 bis 40 Franken für eine Übernachtung im Viersternehotel, wie sie im Berner Oberland schon vorgekommen sein sollen, soll es in Luzern aber nicht geben. Hotelzimmer gehen laut Marcel Perren in der Stadt auch zur kältesten Jahreszeit kaum unter 110 Franken je Zimmer weg. Dies trotz Gruppenrabatten und Kontingentbuchungen. «Reiseveranstalter benötigen ganzjährige Kontingente. Und von Frühling bis Herbst sind die Hotels in der Stadt durch Individualpersonen und Veranstaltungen bereits gut ausgelastet. Wir hätten in der Stadt gar nicht die nötigen Kapazitäten, um in diesem Massengeschäft mithalten zu können», erklärt der CEO von Luzern Tourismus.

«Orte in einem Radius von 35 Kilometer um die Stadt werden als Luzern wahr genommen»
Marcel Perren, CEO Luzern Tourismus

Deutlich günstiger kommen die Reisegruppen in der näheren Umgebung weg. Stans oder Brunnen böten für Gruppen Zimmerpreise ab 45 Franken, heisst es hinter vorgehaltener Hand. Denn: jeder Hotelier versucht kalte Betten zu vermeiden. Für die Touristen offenbar durchaus akzeptabel. «Orte in einem Radius von 35 Kilometer um die Stadt», weiss Perren, «werden bei Chinesen genauso als Luzern wahr genommen.»

Ein Wasserkocher und keine Zahl 4

256’239 Logiernächte zählte das Bundesamt für Statistik letztes Jahr in der Region Vierwaldstättersee. Knapp die Hälfte (119’311) davon entfielen auf die Stadt Luzern. Jedoch nicht auf Luxushotels entlang des Seebeckens, wo die wohlhabende Klientel anderer Länder Halt macht. Sondern auf 3- oder 4-Sterne-Betriebe wie das Flora, Astoria, Monopol, Europe oder Rothaus.

Kleinere Betriebe hätten in der Regel Mühe, grössere Reisegruppen aufzunehmen. Und sollte es noch preiswerter sein, fährt der Car spätabends zum Flughafen Kloten, wo Überkapazitäten herrschen und damit die Preisdynamik spielt. Solange ein Wasserkocher im Zimmer steht, auf dem Frückstücksbuffet warme Speisen (bevorzugt Nudelsuppe, Reis oder gekochte Eier) angeboten werden und das Zimmer nicht die Unglückszahl 4 trägt, sind die Ansprüche bescheiden.

Benimmregeln machen noch wenig Sinn

Und was halten die Touristiker von Benimmregeln, die der chinesische Staat seinen Bürgern mit auf die Europa-Reise gibt? Wenig. «Ich kann mich nicht erinnern, hier je einen spuckenden Chinesen gesehen zu haben», relativiert Marcel Perren das diesjährige Sommerthema verschiedener Medien.

Einzig Südchinesen sollen häufig durch ihre laute Art auffallen, heisst es seitens betroffener Hoteliers. Als Antwort darauf haben verschiedene Hotels getrennte Check-in-Schalter eingerichtet. Auch wird dann und wann ein Rauchverbot übersehen, was schon mal zu Feueralarmen und hohen Bussen führen kann.

Bis dato hatten die Schweizer Touristiker mit ihrer auf fünf Zentren beschränkten Kommunikation vor allem eine städtische Mittelschicht im Fokus. Entsprechend waren die Gäste, welche die Schweiz besuchten: Eine selektive Gruppe kulturell interessierter Chinesen. Steigen nun in China immer mehr in die Mittelklasse auf, wird sich auch das Publikum verändern.

Nur auf der Durchreise

Dies ist ganz im Sinne der gewünschten wirtschaftlichen Entwicklung: Erstbesucher absolvieren die Mehrländertour und bleiben eine Nacht – wenn überhaupt. Ein zweiter Besuch auf einer Dreiländerreise durch Frankreich, Italien und der Schweiz soll dann einen etwas längeren Aufenthalt bringen. Dieser beträgt bei Chinesen in der Region Luzern durchschnittlich 1,3 Tage. Und liegt damit deutlich unter dem anderer Nationalitäten.

Zunehmend kommt es auch zu Individualreisen, was sich in Übernachtungszahlen besser klassierter Hotels niederschlägt. Ebenfalls versucht man, das Interesse des asiatischen Riesenreichs durch sogenannte Study-Trips zu fördern. Veranstaltungen, die beispielsweise in die Biosphäre Entlebuch führen, erklärt Perren.

Dies ist denn auch eine der wenigen Möglichkeiten, wo überhaupt ein interkultureller Austausch stattfinden kann und die ansonsten kompakt auftretende Touristengruppe etwas durchmischt wird. Davon abgesehen können sich die Touristen kaum ein Bild über die Einwohner des Gastlandes machen. Das kann auch Vorteile haben: Denn Schweizer, so heisst es, würden von Chinesen gerne als distanziert und ablehnend bezeichnet.

Kaum Kontakte mit Schweizern

Dabei lernen sie auf ihrer Durchreise kaum je Schweizer kennen. Der Verkäufer im Uhrengeschäft ist Chinese, der Reiseführer ebenso, der Carchauffeur häufig Italiener, und das Servicepersonal in den Hotels und Restaurants hat meistens einen Migrationshintergrund. Reiseführer erteilten der Schweiz bezüglich Dienstleistungsqualität nicht nur gute Noten. Oder wie es Daniela Bär von Schweiz Tourismus gegenüber der «Hotel Revue» formulierte: «Wir gelten zwar als korrekt und höflich, nicht aber als offen, herzlich und interessiert am Gast.»

Vorerst bliebt es also bei Klischées. Und Wunschvorstellungen. Neben Sauberkeit, einem sehr hohen Ansehen in Produkte «Made in Switzerland» und einer intakten Natur zählt auch ein hoher Sicherheitsanspruch zum chinesischen Idealbild der Schweiz. Dies führt dazu, dass die Touristen nicht selten hohe Bargeldbeträge auf sich führen oder ihr Gepäck häufig unbeaufsichtigt lassen. Umso schwerer wiegt der Vorfall von Oktober 2012, als ein chinesischer Tourist in seinem Luzerner Hotelzimmer überfallen und verletzt wurde. Dem Zustrom aus China tat dies statistisch keinen Abstrich, das Bild von der heilen Schweiz ist seither aber etwas angekratzt.

*Tagesausgabeschätzung anhand des Tourismus Monitors Schweiz 2010.

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