Beeren statt Schweine? Luzern will Bauern zum Umstieg motivieren
Der Klimawandel beeinflusst die Landwirtschaft und zwingt sie zum Umdenken. Der Kanton Luzern sieht in Beeren, Obst und Reben eine Alternative zur Tierhaltung. Ein neues Projekt soll das Potenzial abklären. Denn noch sind einige Fragen offen.
Es ist ein Bonmot, das wohl schon jeder Einheimische mal gehört hat: Im Kanton Luzern leben mehr Schweine als Menschen. 422'707 waren es letztes Jahr. Zu ihnen gesellen sich auf den Luzerner Bauernhöfen und Mastbetrieben knapp 150'000 Rinder, 18'000 Schafe, ein paar Tausend Ziegen und Pferde sowie 1,3 Millionen Hühner.
Nirgends im Land werden auf vergleichbarer Fläche so viele Tiere gehalten. Das hat Schattenseiten: Belastete Böden, Seen, die man lüften muss und tonnenweise Gülle, die man ins Ausland exportieren muss. Für das Klima ist die hohe Nutztierdichte keinesfalls von Vorteil. Rund ein Viertel der Luzerner Treibhausgase stammt aus der Landwirtschaft.
Klar ist darum: Im Kanton Luzern sollen künftig weniger Nutztiere leben. Das ist eines der Ziele der neuen Klimapolitik. In der Landwirtschaft sollen die Treibhausgasemissionen bis ins Jahr 2050 halbiert werden. Das ist im Vergleich zu anderen Bereichen – etwa Mobilität oder Gebäude – wenig, aber angesichts der aktuellen Strukturen doch ambitioniert.
Denn den Bauern zu befehlen, weniger Tiere zu halten, das empfand man in Luzern in der Vergangenheit als zu krasser Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit. Zudem ist fraglich, ob das Problem damit gelöst ist. Denn die Emissionen sollen sich nicht einfach in andere Regionen verlagern, indem mehr Fleisch importiert wird. Vielmehr will der Kanton, dass Konsumenten und Bauern in dieselbe Richtung gehen. Sprich: Luzernerinnen sollen gleichzeitig mehr lokale Lebensmittel kaufen – und so den einheimischen Bauern eine Zukunft ermöglichen.
Zuger Kirschen, Walliser Aprikosen – und Luzerner Himbeeren?
Doch wie soll das gehen? Eine Alternative zur Tierhaltung sieht der Kanton in Beeren, Zwetschgen, Trauben & Co. – den sogenannten Spezialkulturen. Denn sie bieten vergleichsweise hohe Wertschöpfung. Und gerade die Coronakrise stellte nochmals unter Beweis, dass Produkte aus der Region zunehmend einen grösseren Absatz finden. «Der Kanton Luzern hat in Sachen Spezialkulturen grosses Potenzial und dafür gibt es auch einen wachsenden Markt», sagte Landwirtschaftsdirektor Fabian Peter (FDP) kürzlich an einem Anlass.
Der Regierungsrat besuchte mehrere Bauern im Seetal, die Obst oder Reben produzieren, und er liess sich die Schwierigkeiten erklären. Eine davon ist das Wetter. So zeigte sich etwa auf dem Betrieb von Markus Thali in Gelfingen, was Unwetter anrichten können: Der Hagelsturm am 28. Juni hatte grossen Schaden verursacht. Schutznetze waren zerrissen, Obstbäume lagen auf dem Boden und die Ernte wurde zerstört. Der Kernobstproduzent rechnet mit einem hohen finanziellen Verlust.
Gerade angesichts der Wetterkapriolen dieses Jahr stellt sich deshalb die Frage: Wieso sollte ein Schweinebauer, der seine Tiere im Stall halten kann, auf die hagel- und unwetteranfällige Obstproduktion umsteigen? Thomas Meyer vom kantonalen Amt für Landwirtschaft und Wald hält die Landwirte für genug robust: Sie seien es sich seit jeher gewohnt, sich dem Lauf der Natur anzupassen. «Ob Trockenheit, Überflutung oder Schädlingsplage – sie müssen immer wieder mit unvorhergesehenen Ereignissen zurechtkommen», argumentiert der Leiter der Abteilung Landwirtschaft beim Kanton Luzern.
Kühe sind auch ein Faktor für Identifikation
Zuversichtlich stimmen mag, dass einzelne Bauern bereits von der Nutztierhaltung auf Spezialkulturen umgestiegen sind. Doch während Schweine und Co. weiterhin einen grossen Anteil an der Landwirtschaft einnehmen, werden nur gerade auf knapp zwei Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Spezialkulturen bewirtschaftet.
«In Anbetracht der anstehenden Herausforderungen muss sich die Luzerner Landwirtschaft wandeln.»
Thomas Meyer, Kanton Luzern
Dass bislang nicht mehr Produzenten auf Gemüse und Obst umgestiegen sind, liegt laut Thomas Meyer nicht nur an wirtschaftlichen Gründen. «Die Tierhaltung ist bis anhin ein erfolgreicher Produktionssektor, der im Kanton Luzern Tradition und gleichzeitig Identifikation ist.» Für Meyer ist aber klar: «In Anbetracht der anstehenden Herausforderungen muss sich die Luzerner Landwirtschaft wandeln.»
Deshalb will der Kanton mit einem neuen Projekt detaillierter ausloten, wie gross das Potenzial von Beeren & Co. in der Luzerner Landwirtschaft ist. Dafür werden eine Standort- sowie eine Marktanalyse durchgeführt. «Der Zeitplan sieht vor, dass wir im ersten Quartal 2022 die Ergebnisse vorliegend haben», sagt Thomas Meyer vom Kanton Luzern. «Anhand dessen kann die Breite an Spezialkulturen in den einzelnen Regionen des Kantons und das entsprechende Marktpotenzial abgeschätzt werden.» Auch die mögliche Vermarktung wird geprüft – Zug mit den Kirschen und das Wallis mit den Aprikosen machen vor, wie man sich positionieren könnte.
Was ist mit den spanischen Erdbeeren im Winter?
Konkreteres ist aber noch Zukunftsmusik: Erst wenn die Markt- und Standortanalyse das Potenzial bestätigt, wird ein Förderprogramm in die Wege geleitet. Denn letztlich ist es eben doch eine Frage des Geldes. «Neben den optimalen Rahmenbedingungen sind die zukünftigen Marktaussichten entscheidend, ob ein Landwirt in Spezialkulturen investiert oder nicht», sagt Thomas Meyer vom Kanton.
Das Geld ist aber auch bei den Konsumenten ein entscheidender Punkt – der gerade bei saisonalen Produkten in die andere Richtung dreht. Detailhändler bieten oft schon Monate im Voraus billig importierte Auslandsprodukte an, sodass Herr und Frau Schweizer die Lust bereits vergangen ist, wenn die einheimischen Früchte reif sind.
«Das ist leider so», sagt Thomas Meyer und seine Antwort verdeutlicht den eingeschränkten Handlungsspielraum des Kantons. Er appelliert in erster Linie an das Einkaufsverhalten der Schweizer: «Wer auf die Regionalität und Saisonalität achtet, der kauft keine Erdbeeren, bevor Schweizer Erdbeeren auf dem Markt sind.»