Luzern: Blockierte Bauprojekte sorgen für Ärger

Architekten kritisieren Auflagen für behindertengerechtes Bauen

Bunt, verschachtelt, anders: So hätte das Projekt Feldhäuser in Emmenbrücke aussehen sollen. Doch nicht alles ist rollstuhlgängig – nun ist das Vorhaben blockiert.

(Bild: zVg)

Dass Gebäude barrierefrei sein sollen, damit auch Leute im Rollstuhl Zugang haben, stellt niemand in Frage. Nur: Ganz überall ist das nicht immer möglich oder es steht in keinem Verhältnis zu den Kosten, wie Beispiele aus der Emmer Viscosistadt und Feldbreite zeigen. Drei Architekten nehmen Stellung. Einer davon ist richtig sauer.

Das farbig-verschachtelte «Holländerdörfli» auf der Feldbreite in Emmen kann bis auf Weiteres nicht realisiert werden. Und eine Dachterrasse bei der Hochschule Luzern in der Viscosistadt wurde nicht, wie ursprünglich vorgesehen, zugänglich gemacht. Die Gründe bei beiden Projekten: nicht barrierefrei, also für Menschen im Rollstuhl nicht oder nicht durchwegs zugänglich.

Beide Male war es die Fachstelle Hindernisfrei Bauen Luzern (HBLU), die intervenierte (zentralplus berichtete). Das wirft – zumindest in diesen Fällen – die Frage nach der Verhältnismässigkeit auf. Das kantonale Baugesetz gibt zwar die Regeln vor, die punkto Barrierefreiheit gelten – insbesondere bei Umbauten gibt es allerdings einen Ermessensspielraum. Wie gross dieser ist, liegt an der jeweiligen Einschätzung der Fachstelle HBLU. Diese kontrolliert die Baugesuche und hat die Möglichkeit, Beanstandungen zu machen.

«Es braucht ein Gesetz, das unter bestimmten Auflagen auch mal Ausnahmen ermöglicht.»

Marc Syfrig, Luzerner Architekt

In den allermeisten Fällen kann gemeinsam mit den Bauherren eine Lösung gefunden werden – aber eben nicht in allen. Bei Uneinigkeiten wird das für die Beteiligten mühsam. Und zum Teil sehr teuer.

«Das Gesetz ist viel zu streng»

Marc Syfrig gehört zum bekannten Luzerner Architektenduo Scheitlin & Syfrig, zudem sitzt er oft in Jurys von Architekturwettbewerben. Er sagt: «Ich finde das Gesetz viel zu streng. Speziell in Luzern haben wir eines der Restriktivsten.» In Zürich etwa bestehe mehr Spielraum. Als Beispiel führt Syfrig aus: «Bei einem typischen Luzerner Mehrfamilienhaus mit fünf bis acht Wohnungen müssen gemäss Gesetz alle Wohnungen behindertengerecht erschlossen werden. In Zürich hingegen nur ein Geschoss.»

Hier präsentiert Marc Syfrig (Mitte) als Juryvorsitzender den Wettbewerbsgewinner für das neue Restaurant Tivoli am Luzerner Quai.

Hier präsentiert Marc Syfrig (Mitte) als Juryvorsitzender den Wettbewerbsgewinner für das neue Restaurant Tivoli am Luzerner Quai.

Laut Syfrig haben alle Architekten ständig Probleme mit dem Behindertengesetz. Deshalb fordert der Architekt: «Das Gesetz muss angepasst werden, damit die Verhältnismässigkeit wieder stimmt. In der aktuellen Form verhindert das Gesetz viele kreative Lösungen, speziell beim Bau von Wohnungen.»

Maisonettewohnungen seien nur unter sehr aufwendigen Auflagen möglich. Oder Umbauten etwa in der Luzerner Neustadt würden viel teurer, weil ein Treppenlift nicht mehr genügt – stattdessen brauche es eine spezielle hydraulische Plattform, die etwa fünfmal teurer sei. Syfrig ist überzeugt: «Es braucht ein Gesetz, das unter bestimmten Auflagen auch mal Ausnahmen ermöglicht. Nicht komplett alle Wohnungen müssen behindertengerecht gebaut werden.»

Lob für Fachstelle

Auch der Luzerner Architekt und langjährige CVP-Stadtparlamentarier Markus Mächler verneint nicht, dass es hin und wieder Schwierigkeiten wegen der Auflagen der Fachstelle gibt. Er beurteilt die Situation allerdings als weitaus unproblematischer als Syfrig. «Ich hatte zuletzt oft mit Umbauten zu tun, und dort ist die Fachstelle für Hindernisfreies Bauen sehr konziliant aufgetreten.»

Bei Neubauten sei es manchmal etwas schwieriger, da fehle es der Fachstelle gelegentlich an Flexibilität. «Aber generell wissen wir Architekten ja eigentlich, nach welchen Grundsätzen gebaut werden darf, und können dies von vornerein so einplanen.» Deshalb findet Mächler nicht, dass das Gesetz angepasst werden muss. 

«Sinnvoll – aber nicht immer realistisch»

zentralplus fragte auch beim Präsidenten des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA Sektion Zentralschweiz nach, wie die Gesetzgebung bezüglich barrierefreies Bauen dort ankommt und ob die Zusammenarbeit mit der Fachstelle HBLU gut läuft. 

Die beiden Architekten Patrick Bisang (links) und Markus Mächler.

Die beiden Architekten Patrick Bisang (links) und Markus Mächler.

(Bild: zVg)

zentralplus: Patrik Bisang, welche Erfahrungen machen Architekten punkto barrierefreies Bauen: Sind die kantonalen gesetzlichen Vorgaben sinnvoll und realistisch?

Patrik Bisang: Grundsätzlich sind die kantonalen Vorschriften punkto barrierefreies Bauen sinnvoll – aber nicht immer realistisch. Im Einzelfall gibt es oft nicht einfach zu lösende und auch sehr kostenintensive Probleme. Die Vorgaben können auch so weit gehen, dass gewisse Gebäudekonzeptionen schlichtweg nicht möglich sind.

zentralplus: Gibt es viele Architekten, die ihre Projekte überarbeiten müssen, weil es zu einer Beschwerde der Fachstelle kommt?

Bisang: Mir sind nur Einzelfälle bekannt, diese sind dann aber für die Planer und die Bauherren sehr unangenehm und können im Extremfall zu einem kompletten Projektabbruch führen. Dies darf respektive sollte einfach nicht passieren. Häufiger ist aber, dass die Auflagen der Fachstelle zu grösseren Projektüberarbeitungen führen und zum Teil auch gewählte Konzeptionen neu überarbeitet werden müssen.

zentralplus: Wie erleben Sie die Zusammenarbeit und den Kontakt mit der Fachstelle HBLU?

Bisang: Wichtig ist, dass bei einer Projekterarbeitung die Fachstelle frühzeitig kontaktiert wird und somit mögliche Probleme diskutiert werden können. Die Zusammenarbeit mit der Fachstelle ist meist konstruktiv, es gibt aber immer wieder Fälle, die zu Reibungsflächen führen. Hier wünschte man sich ein übergeordnetes Kontroll- und Entscheidungsorgan, welches die Frage der Angemessenheit ganzheitlich und besser beurteilen könnte.

«Man wünschte sich hier mehr Freiheiten und Ausnahmemöglichkeiten.»
Patrik Bisang, Präsident sia Zentralschweiz

zentralplus: Gerade bei kleineren Umbauprojekten ist es teilweise aus finanzieller Sicht schlicht nicht möglich, alles barrierefrei zu machen. Gibt es hier genügend Spielraum oder sind die Regeln zu strikt?

Bisang: Der Spielraum ist leider eher klein und führt gerade bei Umbauprojekten häufig zu Schwierigkeiten. Die Frage der Angemessenheit ist sicher in vielen Fällen berechtigt. Gerade auch im denkmalpflegerischen Bereich führen die Auflagen oft zu eher schwierigen Lösungen, man wünschte sich hier mehr Freiheiten und Ausnahmemöglichkeiten. Aber auch hier empfiehlt sich frühzeitig der Austausch mit der Fachstelle, sodass mögliche Probleme diskutiert und Lösungen gesucht werden können. 

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