Luzern: Nur noch 100 statt 500 Jobs

«Ansiedlungszahlen sind dramatisch zurückgegangen»

Luzern als Superman-Kanton, der dank seiner tiefen Steuern viele Firmen ansiedeln kann?

(Bild: fotolia/zentralplus)

Trotz rekordtiefen Steuern: Mit der Ansiedlung von Firmen im Kanton Luzern hapert es gröber. Und Besserung ist nicht in Sicht. «Wir sind glücklich, wenn überhaupt jemand kommt», heisst es seitens der Wirtschaftsförderung. Diese reagiert jetzt und setzt den Fokus neu auf bestehende Luzerner Firmen. Ist die Tiefsteuerstrategie damit gescheitert?

 

Seit zehn Jahren gibt es die Wirtschaftsförderung Luzern. «In dieser Zeit ist es gelungen, die Wirtschaftsmarke Luzern markant zu stärken und international zu etablieren», klopft sich die Institution via Medienmitteilung selber auf die Schultern. Doch offenbar läuft nicht alles so wie erhofft.

Luzerner statt ausländische Firmen im Fokus

«Das Ansiedlungsgeschäft harzt in der ganzen Schweiz», sagt Stiftungsratspräsident Erwin Steiger. «Das ist teils auf die instabile globale Wirtschaftslage zurückzuführen, hat aber weitere Gründe wie den starken Franken, den Fachkräftemangel und Unsicherheiten in Bezug auf die anstehende Unternehmenssteuerreform.» Auch die anstehende Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative wirke sich bremsend aus.

Deshalb reagiert nun die Wirtschaftsförderung und richtet ihren Fokus neu aus. Direktor Walter Stalder sagt: «Nach zehn Jahren intensiver Investitionen in die Märkte und den Aufbau der Wirtschaftsmarke Luzern werden wir etwas weniger in Promotion und Vermarktung, dafür mehr in Bestandespflege und Neuunternehmerförderung investieren. Ein besonderes Augenmerk richten wir auf Unternehmen, die für den Kanton und ihre Standortgemeinden eine herausragende Rolle einnehmen, seien es Grossunternehmen oder auch KMU.»

Walter Stalder, Direktor Wirtschaftsförderung Luzern.

Walter Stalder, Direktor Wirtschaftsförderung Luzern.

Bloss 250 neue Firmen für die ganze Schweiz

zentralplus hat sich den Direktor der Wirtschaftsförderung im grossen Interview zur Brust genommen.

zentralplus: Walter Stalder, durch die Halbierung der Unternehmensgewinnsteuern auf 2012 versprach sich der Kanton viele neuzuziehende Firmen. Im Vergleich zu anderen Kantonen konnte Luzern aber nicht übermässig zulegen. Nun verstärkt die Wirtschaftsförderung entsprechende Bemühungen nicht, sondern reduziert sie sogar. Ist der Traum von zuziehenden Firmen ausgeträumt?

Walter Stalder: Als wir vor zehn Jahren gestartet sind, kannte uns noch niemand. Deshalb mussten wir rund die Hälfte unseres Budgets dafür ausgeben, den Kanton mit seinen Vorzügen sowie uns und unsere Dienstleistungen bekannt zu machen. Wir mussten die Märkte zuerst aufbauen. Nun haben wir einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht.

Deshalb und weil die Ansiedlungen im Moment harzen, können wir wieder mehr Mittel in die wichtige Bestandespflege der hiesigen Firmen investieren. Bislang hatten wir nur eine Person, die unsere 300 Kunden in den 83 Luzerner Gemeinden besuchen konnte. Nun verdoppeln wir hier die Manpower auf zwei Personen. Dafür senken wir entsprechend die Anstrengungen betreffend Neuansiedlungen.

zentralplus: Wie schlimm ist die Lage?

Stalder: Es harzt ja nicht nur in Luzern, sondern schweizweit. Die Ansiedlungszahlen sind drastisch bis dramatisch zurückgegangen. Dazu ein paar Fakten: Schweizweit haben die Kantone für letztes Jahr gerade mal 250 angesiedelte Firmen mit 1000 Arbeitsplätzen gemeldet. Das sind gerade mal vier Arbeitsplätze pro Firma. Wenn die Leute nun von 1000 neuen Arbeitsplätzen durch Ansiedlungen sprechen, dann ist das einfach nicht realistisch.

Das Team der Wirtschaftsförderung Luzern: (v.l.n.r.) Rouven Willimann, Monika von Rotz, Walter Stalder, Marlen Huez, Andreas Zettel und Andrea Barmettler.

Das Team der Wirtschaftsförderung Luzern: (v.l.n.r.) Rouven Willimann, Monika von Rotz, Walter Stalder, Marlen Huez, Andreas Zettel und Andrea Barmettler.

zentralplus: Die Hauptgründe für die schwierige Lage sei die Unsicherheit wegen der Unternehmenssteuerreform III, der Masseneinwanderungsinitiative sowie des starken Frankens. Bitte präzisieren Sie kurz die Auswirkungen.

Stalder: Beginnen wir mit der Unternehmenssteuerreform III, die ins Haus steht. Das bedeutet, dass es keinen privilegierten Firmenstatus mehr gibt. Wir schätzen, dass davon etwa 90 Prozent der international angesiedelten Firmen betroffen wären. Das macht die Investoren unsicher, die wollen wissen, was Sache ist. Hier nützen zurzeit auch die tiefen Steuern des Kantons wenig, um die Investoren zu überzeugen.

«Firmen ziehen derzeit eher ins günstigere Ausland als zu uns.»

Betreffend Zuwanderung stellen sich für die Firmen Fragen wie: Wie komme ich an qualifizierte Mitarbeiter ran? Wird es Kontingente geben? Darauf können wir ihnen derzeit schlicht keine Antworten geben. Dass der Franken jetzt auch noch zehn Prozent teurer geworden ist, macht die Sache noch schwieriger. Das alles führt dazu, dass viele Firmen eher ins günstigere Ausland ziehen als zu uns.

zentralplus: Das tönt düster. Also dürfen wir auch in den nächsten Jahren nicht mit dem von der Luzerner Regierung einst versprochenen markanten Zuwachs rechnen?

Stalder: Das schlechteste Jahr hatte die Schweiz 2014. 2015 hat sich die Situation verflacht. Hätte der Trend 2014 angehalten, hätten wir ab 2018 überhaupt keine Ansiedlungen mehr. Davon gehen wir zwar nicht aus, aber der Trend geht eher nach unten als wieder nach oben.

zentralplus: Was heisst das in Arbeitsplätzen?

Stalder: In guten Zeiten konnten wir an die 500 neue Arbeitsplätze registrieren. Etwa je zur Hälfte generiert von zugezogenen und hiesigen Firmen. Zurzeit sind es allerdings nur zwischen 100 und 200. Letztes Jahr brachten die 29 neuen Firmen rund 100 prognostizierte Arbeitsplätze nach Luzern. Den Umständen entsprechend sind wir damit zufrieden.

Vergangenes Jahr war bezüglich Ansiedlung von Arbeitsplätzen das schlechteste seit Langem.

Vergangenes Jahr war bezüglich Ansiedlung von Arbeitsplätzen das schlechteste seit Langem.

zentralplus: Wie hoch schätzen Sie das Steuerpotenzial dieser Firmen ein?

Stalder: Das Steuersubstrat der einzelnen Firmen unterliegt dem Steuergeheimnis, davon erfahren auch wir keine Details. Was wichtig ist: Die von Unternehmen abgelieferte direkte Bundessteuer ging in den letzten Jahren stark und stetig nach oben. Das ist der beste Indikator für eine erfolgreiche Ansiedlung.

«Wir leisten sehr viel in anderen Bereichen, speziell bezüglich Bestandespflege. Das wird oft übersehen.»

Budget von 2,2 Millionen Franken

Die Wirtschaftsförderung Luzern ist ein Public-Private-Partnership-Projekt und operiert mit einem Budget von 2,2 Millionen Franken. Daran zahlen die rund 160 Partner aus der Wirtschaft 1,15 Millionen Franken, der Kanton steuert 675’000 Franken bei, die Gemeinden 375’000 Franken.

Im Stiftungsrat sitzen nebst Präsident Erwin Steiger: Rudolf Fehlmann von Digital Enterprise AG, Regierungsrat Robert Küng, Hans Luternauer vom Verband Luzerner Gemeinden, Max Renggli, CEO Renggli, Rainer Roten, CEO Schindler Schweiz, der Luzerner Stadtpräsident Stefan Roth, LUKB-CEO Daniel Salzmann, Roland Vonarburg, Zentralpräsident Gewerbeverband sowie Sven Erik-Zeidler vom Kanton Luzern.

zentralplus: Das tönt alles recht verhalten. Die Wirtschaftsförderung wird teilweise vom Kanton finanziert. Wie kritisch dürfen Sie sich hier überhaupt über die vom Kanton forcierte Steuerstrategie äussern? Müssen Sie die Lage manchmal etwas schönreden?

Stalder: Ich glaube nicht, dass ich etwas schönreden muss. Schliesslich wird unsere Stiftung zu 55 Prozent von Privaten finanziert, und die wollen genau wissen, was läuft. Aber was mich hier an der Debatte manchmal ärgert: Wir wollen nicht nur den Neuansiedlungen und neuen Arbeitsplätzen gemessen werden. Wir leisten sehr viel in anderen Bereichen, speziell bezüglich Bestandespflege. Das wird oft übersehen.

zentralplus: Darauf kommen wir noch zu sprechen. Es ist aber nun mal so: In Teilen der Öffentlichkeit hat man sich deutlich mehr von den schweizweit tiefsten Unternehmenssteuern erhofft – waren die Erwartungen zu hoch?

Stalder: Ich glaube nicht. Es harzt mit den Neuansiedlungen in erster Linie wegen den erwähnten Unsicherheiten. Das ist Gift. Investoren wollen Planungssicherheit auf mindestens fünf bis zehn Jahre hinaus.

zentralplus: Was viele Linke gerne vorbringen: Tiefe Steuern sind laut einer Studie für die meisten Firmen, die sich hier ansiedeln wollen, nur der zweitwichtigste Punkt. Am wichtigsten ist ihnen die Verkehrsanbindung. Wird das Thema Tiefsteuern überschätzt?

Stalder: Wenn Sie zu Schindler und Emmi gehen, sagen die, die Steuern sind nicht so wichtig – weil wir ja schon die tiefsten haben. Wenn man aber ausländische Firmen anfragt, gibt’s solche, die knallhart nur wegen den tiefen Steuern kommen. Es muss sich für die ja lohnen, den ganzen Apparat zu zügeln. Pro Mitarbeiter, der in die Schweiz verschoben wird, rechnet man mit Kosten von 50’000 Euro. Klar gibt’s hier Firmen, die sagen, das lohnt sich nicht. Erst neulich hat deswegen ein Unternehmen kurz vor der definitiven Zusage für eine Ansiedlung abgesagt.

«Wählerisch zu sein, können wir uns nicht erlauben.»

Was manchmal auch vergessen geht, ist folgender Zusammenhang: Dank den Tiefsteuern bleibt für die Firmen mehr Gewinn übrig. Dadurch bleibt ihnen mehr Geld für Investitionen und sie können mehr Arbeitsplätze schaffen und dadurch gibt’s letztlich auch mehr private Steuerzahler, welche konsumieren und investieren.

zentralplus: An welchen Faktoren muss der Erfolg Ihrer Arbeit eigentlich gemessen werden: An der Anzahl Neuansiedlungen, den zusätzlichen Arbeitsplätzen oder den Steuererträgen?

Stalder: Basis sind die Arbeitsplätze. Konkret werden wir an folgenden Zielvorgaben gemessen: Wir wollen pro Jahr etwa 100 Kontakte zu interessierten Kunden herstellen. Etwa 30 davon wollen wir überzeugen, zu uns nach Luzern zu kommen, um ihnen die Vorzüge zu erklären. Mit den schlussendlich erfolgreichen Firmenansiedlungen wollen wir jährlich zwischen 100 bis 200 neue Arbeitsplätze generieren.

zentralplus: Die Firmen-Steuererträge werden wohl nicht vor 2020 das Niveau aus dem Jahr 2011 erreicht haben. Auch deswegen muss der Kanton mehr sparen. Potente Firmen wären also sehr willkommen. Wie gehen Sie damit um?

Stalder: Wir können ja nicht selber entscheiden, wer sich ansiedelt und wer nicht. Wir helfen nur dabei. Klar ist es unser Ziel, gute Arbeitsplätze und gute Steuerzahler anzusiedeln, die einen guten Namen haben. Deshalb konzentrieren wir uns auf diese Firmen. Aber schlussendlich sind wir glücklich, wenn überhaupt jemand kommt. Wählerisch zu sein, können wir uns nicht erlauben.

«Gute Namen und Testimonials ziehen bei den Amerikanern, das ist wie eine Art Herdentrieb.»

zentralplus: Sie bearbeiten speziell auch die Märkte Amerika und China, haben dort eigene Repräsentanten. Fünf US-Firmen konnten sie letztes Jahr nach Luzern holen, aber keine aus China.

Stalder: Amerika ist für uns der beste Markt. In den letzten Jahren haben sich einige bekannte Unternehmen wie Pratt & Whitney oder Corning angesiedelt. Gute Namen und Testimonials ziehen bei den Amerikanern, das ist wie eine Art Herdentrieb. Aber eine gewisse Sättigung ist auch in diesem Bereich feststellbar.

Auf China haben wir gesetzt, weil wir davon ausgehen, dass es dort Potenzial hat. Allerdings ist die Arbeit dort komplexer, undurchschaubarer. Die Chinesen sagen nicht direkt, was sie wollen. Wir gehen aktuell davon aus, dass sie eher bestehende Firmen aufkaufen anstatt neue anzusiedeln. Auf diese Weise können sie einfacher Fuss fassen bei uns.

Hier ist zu sehen, aus welchen Ländern die 29 Firmen kommen, die sich letztes Jahr in Luzern angesiedelt haben.

Hier ist zu sehen, aus welchen Ländern die 29 Firmen kommen, die sich letztes Jahr in Luzern angesiedelt haben.

zentralplus: Zurück zum Thema Konzentration auf Bestandespflege von Luzerner Firmen. Unter dem Strich muss die Rechnung sicher aufgehen. Heisst: Luzerner Firmen sollen so stark wachsen, dass der Rückgang bei den Neuansiedlungen kompensiert wird. Ist das realistisch?

Stalder: Wir wollen damit die bestehenden Firmen stärken und ihnen ermöglichen, zu wachsen. Wir setzten uns für bessere Rahmenbedingungen für die Firmen ein und bieten ihnen unser Fachwissen an. Wir helfen etwa bei der Suche nach Fachkräften und bei der Umsetzung von neuen innovativen Ideen. Dieses Konzept haben wir kürzlich den zehn grössten Luzerner Gemeinden vorgestellt, und die sind sehr zufrieden und unterstützen unsere neue Ausrichtung.

zentralplus: Im September stimmen die Luzerner über eine SP-Initiative ab, welche die Unternehmenssteuern wieder etwas erhöhen möchte. Wie schlimm wäre das für Ihre Arbeit?

Stalder: Das wäre für uns eine absolute Katastrophe. Wir würden sofort von der Liste der steuergünstigsten Kantone fliegen. Und es würde sofort heissen, dass Luzern kein zuverlässiger Partner mehr ist. Dabei werden speziell von ausländischen Investoren bei uns Zuverlässigkeit und Planbarkeit sehr geschätzt. Diese Vorteile sollten wir nicht aufs Spiel setzen.

So sieht die Tiefsteuerrangliste aktuell aus.

So sieht die Tiefsteuerrangliste aktuell aus.

Küng verspricht trotzdem: Luzern wird stärker

Damit die Wirtschaftsförderung erfolgreich wirken kann, müssen die Standortfaktoren stimmen. Regierungsrat und Wirtschaftsdirektor Robert Küng freut sich gemäss Mitteilung der Wirtschaftsförderung, dass Luzern diesbezüglich sehr gut positioniert sei: «Luzern ist mehr denn je ein attraktiver Wirtschaftsstandort.» Dafür seien diverse Erfolgsfaktoren verantwortlich.

An erster Stelle steht laut Küng die gute Verkehrsanbindung, gefolgt von verfügbaren und bezahlbaren Grundstücken. «Und dank der Hochschule und der Universität ist das Ausbildungsniveau der Bevölkerung vergleichsweise hoch, womit gut qualifizierte Arbeitskräfte verfügbar sind. Sehr wichtig zudem: Der Kanton Luzern hat schweizweit die tiefsten Unternehmenssteuern.»

Küng ist überzeugt, dass Luzern in den kommenden Jahren seinen Spitzenplatz als wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort halten und ausbauen kann.

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