Landwirtschaft

«55 Stunden pro Woche sind für Bauernlehrlinge normal»

Jungbauer Damian Helfenstein am Tisch mit dem 35 Jahre älteren Meisterbauern Josef Stalder. (Bild: dog)

Der Beruf Landwirt, einer der ältesten Berufe der Schweiz, kämpft um seine Existenz. Schweizer Bauern müssen sich mit ökonomischen Schwierigkeiten auseinandersetzen und buhlen um Nachwuchs. zentral+ hat zwei Generationen an einen Tisch gebracht. Das Doppelinterview mit den Luzerner Bauern Damian Helfenstein (18) und Josef Stalder (53) brachte Erstaunliches ans Licht. Ein Gespräch über lange Tage, Löhne und Bauern, die keine Frau finden.

zentral+: Herr Helfenstein, darf man Sie als «Bauern» bezeichnen?

Damian Helfenstein: Klar. Wieso nicht?

zentral+: Sie haben soeben Ihre Lehre zum Landwirt abgeschlossen. Liegt Ihnen nichts am offiziellen Begriff «Landwirt»?

Helfenstein: Nein. Ich nenne mich selber auch Bauer.

Josef Stalder: Das sehe ich genauso. Landwirt ist einfach etwas formeller. Ich vergleiche das gerne mit meinem Vornamen: Ich stelle mich mit «Sepp» vor und nicht mit Josef.

zentral+: Wieso sind Sie Bauer geworden, Herr Helfenstein?

Helfenstein: Es ist schlicht ein schöner und vielseitiger Beruf. Zudem führt meine Familie einen Hof, den ich später einmal übernehmen möchte. Vorher werde ich aber die Berufsmatura machen, damit mir Weiterbildungsmöglichkeiten offen stehen. Bauern haben sehr gute Chancen in einem anderen Berufsfeld Fuss zu fassen.

«Irgendwann dreht der Wind und unsere Arbeit wird wieder wertgeschätzt.» 
Jungbauer Damian Helfenstein

Stalder: Das ist ein guter Gedanke. Aber ich rate meinen Lehrlingen auch, dass sie unbedingt als Bauern weitermachen sollen. Arbeit gibt es genug. Die Wertschöpfung ist das Problem.

zentral+: Verdienen Sie zu wenig?

Stalder: Sagen wir es so: Die Preise sind stark gefallen, die Produktionskosten sind hingegen gestiegen. Ich habe Zeiten erlebt, da gab es über einen Franken für den Liter Milch. Heute sind es 51 Rappen. Ohne die Direktzahlungen vom Bund müsste ich aufhören.

zentral+. Macht Ihnen das keine Angst, Herr Helfenstein?

Helfenstein: Nein, Angst habe ich nicht. Ich bin der Überzeugung, dass der Wind irgendwann dreht und die Arbeit, die wir leisten, auch wieder wertgeschätzt wird.

zentral+: Wie viel verdient ein Lehrling?

Helfenstein: Das ist kantonal unterschiedlich. Während meiner ersten beiden Lehrjahre im Kanton Waadt habe ich 350 Franken pro Monat im ersten und 500 Franken im zweiten Jahr verdient.

Stalder: Im Kanton Luzern erhält ein Lehrling im ersten Jahr 400 Franken pro Monat, im zweiten 550 Franken. Dazu kommt Kost und Logis, was wir Naturallohn nennen. Dieser Naturallohn wurde auf 990 Franken pro Monat festgesetzt. Rechnet man das zusammen, kommt ein Bauernlehrling also auf einen Bruttolohn zwischen rund 1400 und 1500 Franken. Das ist wohl der höchste Lehrlingslohn der Schweiz. Effektiv in der Tasche haben unsere Lehrlinge aber weniger als Lehrlinge aus anderen Berufen, trotz ihrer 55-Stundenwoche.

«Ein Viertel aller Bauern hat tatsächlich Probleme, eine Partnerin zu finden.»
Joseph Stalder (53) 

zentral+: Ein Bauernlehrling arbeitet 55 Stunden in der Woche?

Helfenstein: Ja, das ist normal. Wenn es auf dem Hof Arbeit gibt, muss sie erledigt werden. Da ich die Arbeit aber gerne mache, habe ich kein Problem damit.

Stalder: Unsere Lehrlinge arbeiten nicht nur viel und hart, sie tragen auch mehr Verantwortung als Lernende aus anderen Berufsgruppen. Während ein angehender Elektroniker erst einmal in der Werkstatt üben kann, werden landwirtschaftliche Lehrlinge vom ersten Tag an voll in den Betrieb eingespannt. Nur schon, wenn mein Lehrling mit dem Traktor arbeitet, hat er sozusagen meinen gesamten Jahresverdienst unter dem Hintern. Das ist viel Verantwortung.

zentral+: Wer so viel arbeitet, braucht doch auch Zeit für Erholung. Wie steht es mit Ferien?

Stalder: Wir fahren jedes Jahr für eine Woche in die Ferien. Das Wegfahren ist sehr wichtig. Würden wir auf dem Hof bleiben, könnten wir gar nicht anders als zu arbeiten.

zentral+: Eine Woche Ferien im Jahr – ist das alles?

Stalder: Manchmal kommt noch ein freies Wochenende dazu. Oder es gibt sonst einen freien Tag. Das summiert sich vielleicht auf zehn Tage im Jahr.

Helfenstein: Das bin ich mir auch so gewohnt. Meine Familie macht das genauso. Zudem langweile ich mich, wenn ich zu lange frei habe. Deshalb verbringe ich meine Freizeit oft auf anderen Betrieben und informiere mich, wie es die anderen machen.

zentral+: Wurde Ihnen denn nicht alles während Ihrer Ausbildung beigebracht?

Helfenstein: Nun, der Beruf des Bauern ist so vielseitig, da lernt man nie aus. Ich hätte nichts dagegen, noch etwas länger in die Schule zu gehen. Wirklich bereit fühle ich mich noch nicht.

Stalder: Das finde ich einen sehr wichtigen Punkt. Ein Bauernlehrling muss in drei Jahren extrem viele Aspekte erlernen. Er muss nach der Lehre nebst der Pflanzen- und Tierkunde auch mechanisches und betriebswirtschaftliches Wissen haben. Deshalb habe ich mich für eine vierjährige Lehre eingesetzt – leider erfolglos.

zentral+: Wie war das früher?

Stalder: Auch ich hatte nicht das Gefühl, die Schulbank zu lange gedrückt zu haben. Aber bis zu meinem Fähigkeitszeugnis musste ich 2000 Unterrichtsstunden absolvieren, heute sind es noch 1600 Stunden. Die Ansprüche und die Komplexität wurden jedoch höher. Das geht einfach nicht auf.

zentral+: Weshalb wehren sich die Bauern nicht?

Stalder: Wir suchen das Gespräch mit den Behörden schon. Aber da spielen die Interessen vieler anderer Kreise mit. Durch die strenge staatliche Kontrolle über die Direktzahlungen sind wir steuerbar geworden. Wenn wir eine Vorschrift, eine Verordnung oder einen Termin nicht einhalten, werden die Subventionen gekürzt. 

zentral+: Wenn Sie die Fernsehsendung «Bauer, ledigt, sucht…» betrachten, inwiefern trifft das dort vermittelte Bild der Bauern tatsächlich zu?

Helfenstein: Meiner Meinung nach kommen die Bauern in dieser Sendung schlecht weg. Das liegt vor allem daran, dass man sich bewusst Personen aussucht, die Klischees verkörpern. Das verfälscht das gesamte Bild der Landwirtschaft.

Stalder: Was mich am meisten an dieser Sendung stört, ist, dass ein ernsthaftes Problem auf relativ lächerliche Art und Weise dargestellt wird. Etwa ein Viertel aller Bauern hat tatsächlich Probleme, eine Partnerin zu finden. Sei es, dass die Bauern schlechte Erfahrungen gemacht haben oder sich nicht aufraffen können unter Leute zu gehen. Und je älter sie werden, desto schwieriger wird es für sie, eine Frau zu finden.

zentral+: Aber geht das Männern aus anderen Sparten nicht gleich?

Stalder: Ich kenne nur die Statistik zu unserem Beruf. Die Chancen eines Bauern, der bis 30 noch nie eine Beziehung geführt hat, liegen bei zwei Prozent, doch noch eine Partnerin zu finden. Man sollte ihnen lieber eine professionelle soziale Betreuung zu Seite stellen, anstatt sich im Fernsehen über sie lustig zu machen.

ZU DEN PERSONEN

Damian Helfenstein (18) ist Landwirt mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis. Nachdem er die ersten beiden Lehrjahre im Kanton Waadt absolvierte, arbeitet er heute auf dem Hof seiner Familie in Gunzwil.

Josef Stalder (53) ist Meisterlandwirt und Prüfungsexperte der Berufsgruppe Landwirt. Er führt in Hellbühl einen Milchwirtschaftsbetrieb mit 40 Kühen und eigener Aufzucht. Zudem bewirtschaftet er 90 Hochstammbäume. Zurzeit bildet Stalder zwei Lehrlinge aus.

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