Schmolz+Bickenbach

«Wir wollten beweisen, dass die Stahlbranche in der Schweiz eine Chance hat»

Marcel Imhof, bisheriger CEO von Schmolz+Bickenbach: «Stahl braucht es immer.» (Bild: Robert Müller)

«Ich gehe davon aus, dass Victor Vekselberg und seine Renova ihr Ziel erreichen werden.» Das sagt das bisherige Konzernleitungsmitglied von Schmolz+Bickenbach, Marcel Imhof. Doch Imhof ist gleichzeitig überzeugt, dass das Unternehmen in Emmen dank seiner starken Position im weltweiten Stahlmarkt weiterbestehen wird. zentral+ im Gespräch mit Marcel Imhof, der nach 36 Jahren im Unternehmen am 19. Juli seinen letzten Arbeitstag hatte.

Schmolz+Bickenbach macht seit Monaten vor allem wegen des Machtkampfes um die Kontrolle des Stahlkonzerns Schlagzeilen. Dabei stehen sich der Verwaltungsrat und die Gründerfamilien, die Schmolz und die Bickenbach aus Düsseldorf gegenüber. Letztere haben sich mit der Renova des russischen Multimilliardärs Viktor Vekselberg verbandelt.

Doch Schmolz+Bickenbach, zu der unter anderem die Swiss Steel in Emmen gehört, ist weltweit einer der grössten Produzenten von Werkzeugstahl und von rostfreien Langprodukten (Stahlstangen). Swiss Steel produziert 150 verschiedene Spezialstähle für unterschiedliche Anforderungen.

Dass das Unternehmen in Emmen gut da steht, verdankt es wesentlich dem langjährigen Konzernleitungsmitglied  Marcel Imhof. Als Mitte der 1990er-Jahre der Schweizer Stahlindustrie keine Zukunft vorausgesagt wurde, trat Imhof an, um das Gegenteil zu beweisen. Heute gilt er als Retter der Schweizer Stahlindustrie.

zentral+: Marcel Imhof, heute ist Ihr letzter Arbeitstag. Sie haben unser Interview auf 7 Uhr früh vorverlegt, was läuft heute noch?

Marcel Imhof: Ich muss gleich anschliessend zu einem Notar. Ich muss einen Vertrag unterzeichnen, bei dem es um den Bau eines neuen Abwärme- und Heizkraftwerkes geht. Wir wollen die Abwärme im Stahl- und Walzwerk für die Strom- und Wärmeproduktion nutzen. Und dann muss ich mit meiner Sekretärin unzählige Unterlagen durcharbeiten.

zentral+: Der letzte Arbeitstag – wie fühlt sich das an? Wehmut, Freude?

Imhof: Es ist das Ende meiner Geschäftstätigkeit. Ich bin ja sechs Monate länger im Unternehmen geblieben, weil ich den Wissenstransfer an meine Nachfolger sicherstellen wollte. Insofern war das Aufhören nicht schlagartig ein Runterfahren auf Null. Aber es ist klar, mein Leben wird sich verändern. Ich freue mich auf den neuen Lebensabschnitt mit mehr Freiheiten.

zentral+: Die letzten Monate waren besonders turbulent. Die Hauptaktionäre des Konzerns, die Familien Schmolz und Bickenbach aus Düsseldorf,  haben sich mit der Renova von Viktor Vekselberg verbündet. Das war auch eine emotionale Zeit, warum?

Imhof: Das Ganze war überraschend und auch unverständlich, weil sich die Gründerfamilien vom Unternehmen abgewandt haben, von der eigenen Firma. Sie haben hinter dem Rücken des Verwaltungsrates neue Investoren gesucht. Das war irritierend. Da ist eine eigenartige und auch konfuse Situation entstanden. Ich habe das sehr bedauert. Am Ende – und das ist das Problem – bleiben Verunsicherung und ein Imageschaden für die Firma zurück.

 

 «Vekselberg wird wesentlich Einfluss nehmen auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrates, die Strategie und die Entwicklung der Firma.»

 

zentral+: Was haben Sie denn gegen Victor Vekselberg als Investor?

Imhof: Ich habe nichts gegen das Engagement von Victor Vekselberg in unserer Firma. Er ist ein möglicher Partner. Irritierend ist nur, dass ihn die Gründerfamilien quasi hintenherum ins Boot geholt haben. Das ist unverständlich.

zentral+: Vekselberg gibt nicht auf. Er will die Kontrolle über Schmolz+Bickenbach. Wie lautet ihre Prognose?

Imhof: Ich gehe davon aus, dass Viktor Vekselberg und seine Renova ihr Ziel erreichen werden. Immerhin muss er jetzt offiziell ein Übernahmeangebot machen.

zentral+: Und was bedeutet das jetzt für den Stahlkonzern in Emmen?

Imhof: Vekselberg wird wesentlich Einfluss nehmen auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrates, die Strategie und die Entwicklung der Firma. Seine Renova wird die Finanzierung des Unternehmens neu organisieren.

zentral+: Was sind die Folgen?

Imhof: Das Rating der Firma wird sich verbessern. Das ist ein erkennbarer Vorteil. Viel schwieriger ist es, abzuschätzen, was Vekselbergs Absichten sind, wie seine Strategie lautet. Darüber haben wir nichts erfahren. Das ist sehr unbefriedigend.

zentral+: Sie zeigen viele Emotionen gegen das Engagement von Vekselberg?

Imhof: Das Vorgehen ist schlecht, der ganze Prozess. Die Investorensuche des Verwaltungsrates wurde gestört, und die Gründerfamilien konnten nicht mit anderen Interessenten reden, weil sie eine Exklusivvereinbarung mit Renova haben. So kann man nicht Geschäfte machen.

 

«Ich habe in der Firma solche Turbulenzen hautnah miterlebt und die entsprechenden Prozesse begleitet.»

 

zentral+: Sind Sie enttäuscht?

Imhof: Für mich stellt sich die Frage, weshalb die Gründerfamilien sich so verhalten haben. Ich kann es mir nur so erklären, dass es Verletzungen gab. Immerhin musste der Verwaltungsratspräsident aus dem Kreis der Gründerfamilien gehen, weil es zu zweifelhaften Beanspruchungen bei Firmenspesen kam.

zentral+: Fällt es Ihnen leicht, inmitten dieser Turbulenzen aufzuhören?

Imhof: Ich habe in der Firma oft solche Phasen erlebt, habe solche Turbulenzen hautnah miterlebt und die entsprechenden Prozesse begleitet. Insofern gibt es weder einen guten noch einen schlechten Zeitpunkt zum Aufhören.

zentral+: Tatsache ist, dass der Konzern rund eine Milliarde Franken Schulden hatte, in einer Zeit, als Sie Konzernleitungsmitglied waren.

Imhof: Es ist der Eindruck entstanden, diese Schulden seien in den letzten Monaten entstanden. Doch das war ein Prozess von zehn Jahren. Wir haben Unternehmen gekauft und mit hohen Investitionen technologisch auf Vordermann gebracht. Unsere Schulden waren Ende 2007 höher als Ende 2012.  Auch hatten wir vereinzelte schlechte Jahre. Und schliesslich verschärften die Banken im Zuge der Finanzkrise ihre Kreditanforderungen. Insofern waren die Probleme nicht nur hausgemacht.

 

«Wir wollten beweisen, dass die Stahlbranche in der Schweiz eine Chance hat.»

 

zentral+: Blenden wir zurück in die Anfänge Ihrer Karriere Sie waren 36 Jahre im Unternehmen tätig. Wie haben Sie angefangen?

Imhof: Meine Frau und ich lebten damals in Baden. Aber wir sind beide hier geboren und hatten Heimweh nach Luzern. So sind wir nach Luzern gezogen. Ich habe mich dann spontan bei der damaligen Firma von Moos beworben und bin so ins Geschäft eingestiegen.

zentral+: Sie sagen es, das Unternehmen gehörte schon einmal einer Familie, der Stahldynastie von Moos. Wie war das Arbeiten unter diesen Patrons?

Imhof: Interessant. Ich habe fast 36 Jahre lang in Familiengesellschaften gearbeitet. Familiengesellschaften haben auch grosse Vorteile. Man kennt die Eigentümer, es gibt eine enge Bindung. Es entwickelt sich eine gewisse Kultur, die sich hier am Standort Emmen erhalten hat. Ich denke da an die soziale Verantwortung, die das Unternehmen gegenüber seinen Mitarbeitern gepflegt hat unter anderem mit Wohn- und Freizeitangeboten oder der sozialen Absicherung.

zentral+: Aber in den 1990er-Jahren schlitterte die Stahlbranche von Krise zu Krise. Die Familie von Moos musste die Macht an die Banken abgeben. In dieser Zeit übernahmen Sie das Ruder. Es ging aufwärts. Was war Ihr Erfolgsrezept?

Imhof: Entscheidend war, dass wir den Schweizer Standort europakompatibel machten, indem wir die Kosten senkten. Wir produzieren heute mit gleich viel Mitarbeitern viel mehr als früher. Wir wollten beweisen, dass die Stahlbranche in der Schweiz eine Chance hat.

 

«Man darf sich nicht überschätzen. Wichtig für den Erfolg ist auch das Betriebsklima.»

 

zentral+: Wir? Es waren doch Sie, die heute als Retter der Schweizer Stahlbranche gelten.

Imhof: Ich habe das nicht allein gemacht, das war ein Team. Wir haben uns auf Spezialstahl mit hoher Wertschöpfung konzentriert, auf Produkte, die nicht jeder macht.

zentral+: Es fällt auf, dass Sie sich sehr bescheiden geben.

Imhof: Man darf sich nicht überschätzen. Wichtig für den Erfolg ist auch das Betriebsklima. Ich habe nicht Alphatiere eingestellt, sondern Teamplayer. Das führt zu einer  Kultur, die es den Leuten ermöglicht, selber Verantwortung zu übernehmen. Ich wollte Leute, die selber denken, sich so verwirklichen können und damit Freude an der Arbeit haben.

zentral+: Sie haben im Unternehmen auch 36 Jahre Industriegeschichte miterlebt. Was hat sich verändert?

Imhof: Als ich im Unternehmen eintrat, verrichteten die Mitarbeiter noch körperliche Schwerstarbeit. Sie hatten ein Ledertuch über den Schultern und trugen schwere Stahlstangen herum. Oder glühender Stahl wurde manuell mit grossen Zangen in die Walzen eingeführt. Heute läuft das alles vollautomatisiert.

 

«Wenn man es nie sah, kann man sich das Brachiale, das Feuer, die Urgewalt nicht vorstellen.»

 

zentral+: Was ist denn der Reiz, ein halbes Leben in der Stahlbranche zu verbringen? Stahl ist doch nichts Aufregendes?

Imhof: Da täuschen Sie sich. Stahl ist faszinierend, nur schon, weil es so viele Sorten mit ganz verschiedenen Eigenschaften gibt. Und vom Prozess her ist Stahl faszinierend. Wenn man es nie sah, kann man sich das Brachiale, das Feuer, die Urgewalt nicht vorstellen. Stahl ist ein Lebensmotor der Wirtschaft. Sie essen mit Messer und Gabel, Eisenbahnen, Autos brauchen Stahl und auch Flugzeuge. Und Stahl ist zu hundert Prozent recyclebar.

zentral+: Wie geht es weiter mit dem Unternehmen? Gibt es Schmolz+Bickenbach in zehn Jahren noch?

Imhof: Davon bin ich überzeugt. Die Firma ist auf dem Weltmarkt sehr gut aufgestellt. Sie hat eine starke Position. Die Werke sind hochgerüstet worden und technologisch an der Spitze mit dabei. Und: Stahl braucht es immer.

 

«Das Schöne ist, dass ich aus der Zwangsjacke der Termine und Sitzungen aussteigen kann.»

 

zentral+: Sie hören jetzt auf, was werden Sie tun?

Imhof: Ich bin noch in einem Findungsprozess. Aber gewisse Dinge sind schon klar. Ich bleibe Mitglied in zwei Verwaltungsräten, Präsident der Luzerner Wirtschaftsförderung.  Ausserdem bleibe ich Präsident unserer Pensionskasse, so bleibe ich mit den Mitarbeitern verbunden.

zentral+: Und privat?

Imhof: Das Schöne ist, dass ich aus der Zwangsjacke der Termine und Sitzungen aussteigen kann. Ich freue mich, meinen Freiraum nutzen zu können, Dinge zu tun, für die ich bisher zu wenig Zeit hatte, vor allem Wandern in den Bergen und Skifahren. Mein Sohn und meine Tochter haben auch schon Anfragen für Hütedienste bei meinen Grosskindern lanciert. Und dann möchte ich mit meiner Frau mehr Reisen. Dieses Jahr werden wir eine Reise nach Peru unternehmen.

zentral+: Und morgen?

Imhof: Morgen fahren wir in die Ferien nach Spitzbergen. Der Norden fasziniert mich, die Kälte und das Eis. Da kann ich eine ganz andere Welt kennenlernen.

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