Entlastungsdienst Zug kämpft ums Überleben

«Wir wollen Familien mit behinderten Kindern nicht im Stich lassen»

Ausflüge machen trotz Behinderung: Was Moderator Nik Hartmann derzeit in der Sendung «SRF bi de Lüüt» ermöglicht, leistet auch der Entlastungsdienst Zug. (Bild: SRF)

Wenn Eltern mal ein paar Stunden für sich brauchen, schickt Pro Infirmis jemanden vorbei, der sich um ihre behinderten Kinder kümmert. Wie lange es dieses Angebot in Zug noch gibt, ist aber offen. Die Organisation steckt in finanziellen Nöten.

Eltern von Kindern, die von Behinderungen betroffen sind, müssen sich viel anhören. Sprüche wie: «Ach, du Armer, ich könnte das nicht.» Oder: «Ui, das würde mich völlig überfordern – pass auf, dass Dich die Situation nicht auffrisst.» Hilfreich ist das nicht.

Denn sich Zeit für sich selber zu nehmen ist einfacher gesagt als getan. Ganz besonders, wenn die Eltern selber gesundheitlich angeschlagen sind. Das weiss Fabienne Jenni, die Leiterin des Entlastungsdienstes von Pro Infirmis in Zug.

Ihr Team begleitet rund 20 Zuger Familien, zwei Drittel der Einsätze ihres Teams dienen der Unterstützung von Familien mit behinderten Kindern. Jenni erzählt von einer Zuger Klientin, die eine Tochter mit komplexer Mehrfachbehinderung hat. Das Mädchen hat eine kognitive Beeinträchtigung, eine Sehbehinderung und ist kleinwüchsig. Auch die soziale Situation der Familie ist schwierig, da sich die Eltern getrennt haben.

Die Tochter wird zwar teilweise von ihrem Vater betreut, aber darüber hinaus hat die Zuger Mutter keine Verwandten in der Schweiz, die sie unterstützen könnten. Dabei leidet sie selber unter belastenden gesundheitlichen Problemen.

Das Mädchen kann wieder Zeit auf dem Spielplatz verbringen

Seit Jahren wird sie deshalb von einer der sechs Mitarbeiterinnen des Zuger Entlastungsdienstes unterstützt. Sie begleitet die Mutter und das Mädchen beispielsweise zu Arzt- oder Spitalterminen. Weil sie ganz in der Nähe wohnt, kann sie auch mal in Notfällen sehr rasch vor Ort sein. Durch die langjährige Beziehung weiss sie meistens, was zu unternehmen ist.

Tagsüber ist das Kind in einer heilpädagogischen Schule. An Mittwochnachmittagen verbringt das Mädchen, das zwischenzeitlich volles Vertrauen zu ihrer Bezugsperson hat, Zeit auf dem Spielplatz. Das Kind bekommt volle Aufmerksamkeit und kann machen, was es gerne mag.

Der Mutter wäre diese aktive Freizeitgestaltung nicht immer möglich. Aber sie kann loslassen und weiss, dass ihre Tochter gut betreut ist. So kann sie sich auf sich selber beziehungsweise auf ihre eigene Gesundheit konzentrieren – und Kraft tanken für die Betreuung der Tochter.

Fehlende Unterstützung durch die öffentliche Hand

Dieses Angebot braucht es, damit Familien mit einem geistig oder körperlich beeinträchtigen Kind wie andere Familien funktionieren können. Dass ambulante Unterstützungsleistungen wichtig sind, darin ist sich die Zuger Regierung einig.

Aber: «Anders als in anderen Kantonen wird der Entlastungsdienst von Pro Infirmis nicht mit kantonalen Mitteln mitfinanziert. Zwar erhält die Organisation für die Vermittlung Gelder vom Bundesamt für Sozialversicherung, dies deckt jedoch die Betriebskosten des Entlastungsdienstes nur zu einem Bruchteil», sagt Daniel Barmettler, kantonaler Geschäftsleiter von Pro Infirmis. Die Klienten beteiligen sich mit 25 Franken in der Stunde, was knapp einem Viertel der tatsächlichen Kosten entspricht. Das vorhandene Defizit wird derzeit über Spenden finanziert.

«Genügend Geld aufzutreiben wird allerdings immer anspruchsvoller», stellt Barmettler fest. Die nächsten 1,5 Jahre seien noch gesichert, ob es danach weitergeht – und vor allem wie –, darauf hat er derzeit noch keine Antwort. Pro Infirmis hat beim Kanton einen Antrag auf eine Mitfinanzierung gestellt, dieser Prozess ist allerdings noch nicht abgeschlossen.

Lose-lose-Situation für alle

«Wir wollen, dass pflegende und betreuende Angehörige nicht im Stich gelassen werden. Fehlende Unterstützung führen zu persönlichen, sozialen, aber auch zu finanziellen Belastungen und drohen zu eskalieren», warnt Barmettler. Aus seiner Sicht hat ein Entlastungsdienst auch eine präventive Wirkung. «Wenn das Familiensystem überlastet ist, kann dies zu krankheitsbedingten Ausfällen führen und es belastet schlussendlich das stark geforderte Gesundheitssystem wie die Krankenkassen.»

Es ist erwiesen, dass pflegenden und betreuenden Angehörigen häufiger von psychischen und physischen Erkrankungen betroffen sind. «Wir stellen immer wieder fest, dass betreuende Angehörige oft massiv über die Grenze des Machbaren gehen.»  Das würden nicht nur zahlreiche Studien belegen, auch der Bundesrat habe den Handlungsbedarf mit seinen nationalen Programmen erkannt.

Barmettler nennt ein Beispiel: Wenn ein Elternteil aufgrund der Dauerbelastung ein Burnout erleidet und für längere Zeit ausfällt, muss die Taggeldversicherung für den Lohnausfall aufkommen und die Krankenkasse für einen allfälligen stationären Aufenthalt. Hinzu komme, dass für den verbleibenden Elternteil sowie für das behinderte Kind die akute Situation noch belastender werde. «Das ist eine Lose-lose-Situation für alle», so Barmettler. Er hofft deshalb, dass mit dem Kanton Zug eine Lösung für eine Mitfinanzierung gefunden werden kann, wie dies in Luzern bereits der Fall sei.

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