Demonstration in der Stadt Luzern

«Wir wollen einen antikapitalistischen Diskurs»

Radikale Parolen. Doch es steckt mehr dahinter. (Bild: zvg)

Demonstration und Chaoten: Zwei Wörter, die in ihrer Wirkung unzertrennlich scheinen. Eben gerade am vergangenen Samstag, als Kapitalismus-Kritiker in der Stadt Luzern demonstrierten. Friedlich, wie die Polizei festhielt, und in der Hoffnung auf Gehör. In Erwartung auf Sachbeschädigungen offenbar ein Teil der Berichterstatter. Wir haben mit dem Mitorganisator des «antikapitalistischen Tanzes 4.0», Luca Langensand, über seine Motivation und die Hintergründe der Demonstration gesprochen.

Beim Treffen mit Luca Langensand, Mitorganisator des «antikapitalistischen Tanzes 4.0», fällt auf: Seine Wortwahl ist bedacht und bei weitem nicht so radikal, wie es die Parolen sind. «Bereits zum vierten Mal haben wir einen solchen Anlass in der Stadt Luzern organisiert und durchgeführt. Dabei fanden jeweils Konzerte beim Pavillon und eine Demonstration durch Luzern statt», sagt Langensand, gegenüber zentral+. Das Aussergewöhnliche sei, dass die Demonstration dieses Jahr so ruhig wie noch nie verlaufen ist. «Es war ausserdem die erste der vier Demonstrationen, an der es zu keinen Störungen von Rechtsextremisten auf uns kam.» Trotzdem zog sich die Berichterstattung der Demonstration in der «Neuen Luzerner Zeitung» über mehrere Tage hin (siehe Kommentar). Im Fokus das Vermummungsverbot.

«Die Gesetze sind keine Folge eines idealen Diskurses»

Die Politik und deren Machenschaften scheinen Luca Langensand ein grosses Anliegen zu sein – und auch ein Dorn im Auge. Dabei kommt er auf die Gesetze und deren Entstehung zu sprechen: «Das eine Problem der Gesetze ist, dass sie absolut sind. Sie regeln etwas, das fix so gelten muss.» Ihre Idee sei es, dass man Probleme nach dem Konsensprinzip löse. Als zweiten Kritikpunkt erklärt er, dass der politische «Entscheidfindungsprozess» nicht so demokratisch sei, wie es immer dargestellt wird. «Bei diesem Prozess wird stets ein Grossteil der Menschen ausgeschlossen, die nicht daran teilnehmen können oder dürfen.» Dabei verweist er auf Ausländer, die hier wohnen und Steuern zahlen, jedoch nicht abstimmen gehen dürfen. «Somit entscheidet eigentlich eine Minderheit, was bedeutet, dass die Gesetze keine Folge eines idealen Diskurses sind.»

Für viele klingt «Antikapitalismus» erschreckend. Denn schliesslich stellt dieser das Gegenteil unseres heutigen Systems dar. «Der Zweck der Demonstration ist es nicht, im Sinne vom ‹kalten Krieg› zwischen zwei Systemen – also Kapitalismus oder Kommunismus – wählen zu müssen. Dafür ist der Sachverhalt viel zu komplex. Vielmehr wollen wir mit der Demonstration eine Plattform und einen Rahmen zur Verfügung stellen, um einen antikapitalistischen Diskurs anzuregen.»

Denn das Feld der Teilnehmer sei keineswegs eine homogene Gruppe, was eine extrem vielfältige Diskussion ermögliche und in einer Sache seien sie sich einig: «Unser gemeinsamer Nenner ist, dass wir die Profitlogik ablehnen, die im Kapitalismus vorhanden ist. Auch die Herrschaftslogik lehnen wir ab.» Der Mitorganisator betont zudem, dass es nicht das Ziel sei, dem Kapitalismus ein anderes System gegenüberzustellen. Vielmehr sei man nicht damit einverstanden, dass «Menschen gegenüber anderen Menschen Herrschaft ausüben».

«Ziel ist es nicht, dem Kapitalismus ein anderes System gegenüberzustellen»

Luca Langensand, Mitorganisator des «antikapitalistischen Tanzes 4.0»

«Es gab immer Gruppierungen, die sich herrschaftslos organisierten»

Langensand erklärt sich betreffend seines Ziels, jegliche Herrschaftsstrukturen abzuschaffen: «Seit sich der Mensch in irgendeiner Form versucht zu organisieren, gab es immer Gruppierungen, die sich völlig herrschaftslos organisierten. Dies verstärkt uns in unserem Glauben und unserer Hoffnung.» Als Beispiel nennt er das alte China, aber auch Griechenland. So weit zurück zu gehen brauche man nicht, um gute Beispiele für «herrschaftsloses», also anarchistisches, Zusammenleben zu finden. «Barcelona war in den 1930er Jahren von dessen Bürgern selbst anarchistisch organisiert. Auch in der Ukraine organisierten sich in den 20er-Jahren Bauern herrschaftsfrei, ganz nach dem Solidaritätsprinzip.»

Das Interessante dabei sei, dass solche praktischen Versuche «herrschaftslosen» Zusammenlebens oftmals auf Eigeninitiative von Menschen entstünden, die «sich gar nicht bewusst sind oder nicht explizit bestimmen: ‹Jetzt leben wir nach dieser Theorie›.» Dies sei der Punkt, der die Gruppe in ihrer Überzeugung stärke, dass ein «herrschaftsloses» Zusammenleben von sich aus entstehen könne, ohne dass man es zuerst erarbeitet. Dabei kommt er auf einen amerikanischen Anthropologen und dessen interessante Aussage zu sprechen: «Auf ein Somalia, das quasi ‹staatenlos› ist, folgen stets zehn positive Gegenbeispiele.»

Langensand erklärt, dass dieser in den 90er-Jahren in Madagaskar Untersuchungen gemacht habe. «Dabei hat er ein Gebiet entdeckt, in dem der ‹Staat› vollständig verschwunden war. Er berichtete, dass die Leute freiheitlich miteinander gelebt und auch nach dem Konsensprinzip geschlichtet haben, ohne dass sie jemals etwas über ‹Anarchie› gehört haben.»

Luca Langensand resümiert: «Global herrscht eine kapitalistische Logik. Es gibt viele Probleme, die anscheinend mit diesem System nicht lösbar sind. Da finde ich schon, man kann es auf eine andere Weise probieren.»

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