Langjährige Luzerner Schulleiter gehen in Pension

«Wir unterrichten gerne und können es!»

Jana Bachmann, Urs Grüter und Pia Deubelbeiss (v.l.n.r.) erzählen vom Alltag an den Luzerner Schulen Fluhmühle, Maihof und Felsberg.

(Bild: bas)

110 Jahre lang haben sie zusammen an Luzerner Schulen unterrichtet. Jetzt werden sie pensioniert: Pia Deubelbeiss (Schulhaus Felsberg), Jana Bachmann (Schulhaus Fluhmühle) und Urs Grüter (Schulhaus Maihof). Sie kennen die Probleme des Schulsystems, die Herausforderungen und Schwachstellen der Ausbildung. Ein Round-table-Gespräch über Helikoptereltern, das Scheitern – und natürlich das Sparen.

Das Schuljahr geht zu Ende und für viele Schüler stehen die Ferien vor der Tür. Mit dem Ferienanfang gehen immer auch Ären zu Ende: Für Abschlussklassen ein Lebensabschnitt, für Lehrpersonen ein Zyklus und für gewisse Vertreter der Voksschule sogar ein Lebensprojekt. Im Fall von Pia Deubelbeiss (Schulhaus Felsberg), Jana Bachmann (Schulhaus Fluhmühle) und Urs Grüter (Schulhaus Maihof) trifft dies besonders zu. Die drei Luzerner Schulleiter werden im Juli nach zusammengezählt über 110 Jahren Dienst an Luzerner Schulen verabschiedet.

So viele Jahre an Luzerner Schulen, da müssten einige Anekdoten zu erzählen sein, dachten wir uns. Darum hat zentralplus die drei Schulleiter getroffen. Gefunden haben wir überraschende Geschichten – vom Jugendgefängnis bis hin zur Pädagogischen Hochschule Luzern (PH). Obwohl sich die Schulleiter noch gegen das Wort «Rückblick» wehren («es gibt noch so viel zu tun»), erfolgt dieser hier in fünf bunt gemischten Kapiteln, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben.

1. Die schlimmsten Ärger

Man könnte sich über vieles aufregen in der Schule: Unstimmigkeiten im Team, mühsame Kinder, ständige Reformern. Doch wirklich emotional wurde die Debatte, als es um die Sparmassnahmen im Kanton ging. Es herrschte Einigkeit und eine gewisse Aufregung. «Dass wir Sparen müssen ist klar. Alle müssen das», sagt Pia Deubelbeiss vom Schulhaus Felsberg. Aber es müsse auch Grenzen haben. Die Lehrpersonen hätten seit Jahren keinen höheren Lohn mehr bekommen. «Das gibt es in anderen Berufen fast nicht. In der Summe kommen die Lehrer so immer schlechter weg.» Das eröffne wenig Perspektiven und mache den Beruf nicht attraktiv, sagt Deubelbeiss. Ihre Aussage stösst auf grosse Zustimmung bei den anderen beiden Schulleitern.

«Bei zunehmender Arbeit und steigenden Ansprüchen schmerzt es natürlich, weniger Lohn zu bekommen.»
Urs Grüter, Schulleiter Maihof

Urs Grüter wirft ein, dass Arbeit und Ansprüche im Lehrerberuf laufend zunehmen würden, insbesondere mit der integrativen Förderung. «Da schmerzt es natürlich, weniger Lohn zu bekommen.» Er hoffe, dass die Einsparungen sobald es gehe rückgängig gemacht würden und die Sparerei an Schule nicht zum Status Quo werde. Denn das ärgert die Schulleiter am meisten: dass an den Schulen ohne den Nachsatz gespart werde, dass die Einsparungen wieder rückgängig gemacht würden, wenn sie nicht mehr erforderlich seien. «Es wird stückchenweise und ohne echte Kommunikation abgebaut. Das nagt an der Stimmung», so Bachmann.

Noch eine Sache bereitet den Schulleitern schlaflose Nächte: die Personalpolitik. «Wenn es Probleme gab, dann meist beim Personal», sagt Bachmann. Besonders wenn man aufgrund der Schweigepflicht gegen aussen nicht begründen könne, warum jemand nicht weiter angestellt werde. «Ich hätte gerne offener über Entlassungen gesprochen», so die Schulleiterin.

2. Die grössten Unterschiede

Doch nicht nur das Sparen und das Personal beschäftigt die Schulleiter. Pia Deubelbeiss vom Schulhaus Felsberg im Dreilinden-Wesmelinquartier ist immer mal wieder mit Eltern konfrontiert, die sich in die Arbeit der Lehrer einmischen, dreinreden und korrigieren. «Das kann sehr belastend sein. Für die Lehrperson wie auch die Schulleitung.» Diese Helikoptereltern, die zum geglaubten Wohl ihres Kindes sogar die Fachkräfte hinterfragten, seien zwar klar in der Unterzahl, dennoch käme es immer wieder vor.

Drei Schulleiter - drei Schulhäuser - drei Karrieren

Pia Deubelbeiss wird nach 41 Jahren an Luzerner Schulen pensioniert. Die 65-jährige arbeitet seit 12 Jahren als Schulleiterin im Schulhaus Felsberg.

Jana Bachmann arbeitet seit dem Jahr 2007 als Schulleiterin im Schulhaus Fluhmühle. Sie hat insgesamt 30 Dienstjahre an Luzerner Schulen absolviert. Heute ist sie 62-jährig.

Urs Grüter (64) arbeitete 18 Jahre als Schulleiter im Maihof, als Lehrer sogar seit 1987. Zuvor war er schon von 1973 bis 1975 und von 1976 bis 1977 als Lehrer am Maihof-Schulhaus. Insgesamt hat Grüter 44 Jahre als Lehrperson an Luzerner Schulen gearbeitet.

Im Schulhaus Fluhmühle, das eingeklemmt zwischen Eisenbahnlinie, Hauptstrasse, Zimmereggwald und dem Luzerner Sorgenquartier Baselstrasse / Bernstrasse am Stadtrand liegt, sind solche Probleme weniger häufig, wenn nicht sogar selten. «Dass jemand kommt und sagt: Das und das steht im Lehrplan, das müssen sie noch oder das wollen wir nicht, das gibt es bei uns praktisch nicht», sagt Jana Bachmann. Für viele Eltern des Quartiers bringe das Leben grosse – oft zu grosse Herausforderungen. «Viele arbeiten Schicht, haben zuhause mehrere Kinder. Da sind die meisten froh, gehen ihre Sprösslinge zur Schule und lernen etwas.»

Das Maihof habe sei diesbezüglich so etwas wie die Mischform der beiden anderen Schulhäuser, sagt Grüter. «Wir haben beides – Eltern, die sich einmischen und solche, die gar nichts dergleichen unternehmen würden, weil sie im Leben mit anderem zu kämpfen hätten.» Es habe aber beides seine guten Seiten. «Wir hatten früher weniger Unterstützung von den Eltern als heute.

3. Die zentralsten Herausforderungen

Dass es «ihre Kinder» schaffen, dafür brauche es schon einen Extraeffort der Lehrpersonen, sagt Jana Bachmann. Die Leistungsbereitschaft und das Engagement der Lehrer im Fluhmühle-Schulhaus sei gross. «Das braucht es in einem solchen Umfeld. Wenn ein Kind aus schwierigen Verhältnissen weiter kommen will, kann man nicht den Fünfer gerade sein lassen.»

Gleichzeitig seien mit den integrierten Klassen Aufwand und die Anforderungen an die Lehrpersonen grundsätzlich gestiegen – nicht nur im Fluhmühle-Schulhaus. Zwar sind sich alle einig, die Integration könne sowohl Chance als auch Herausforderung sein. Dennoch sagt Urs Grüter: «Die Integration hat die Philosophie des Schule-Gebens verändert. Früher war der Unterricht darauf ausgelegt, eine Einheit hinzubekommen, die Schüler alle aufs gleiche Niveau zu bringen.» Mit der Integrativen Förderung stünden die individuellen Fördermöglichkeiten vermehrt im Zentrum.

«Lehrer sind keine Einzelkämpfer mehr, man muss ganz klar teamfähig sein.»
Pia Deubelbeiss, Schulleiterin Felsberg

Die neue Ganzheitlichkeit habe dazu geführt, dass Lehrer lernen mussten, dass sie ein Team haben, ergänzt Deubelbeiss. «Lehrer sind keine Einzelkämpfer mehr, man muss ganz klar teamfähig sein.» Bachmann bringt es auf den Punkt, was die Integration mit sich gebracht hat: «Die fachlichen Anforderungen sind insofern gestiegen, als dass der Matheunterricht von 5.-Klässern auch mit Kindern stattfindet, die in der Mathematik ein 2.-Klasse-Niveau mitbringen. «Man kann nicht mehr einfach eine 5. Klasse unterrichten, sondern unterrichtet gleichzeitig auch eine 2. Klasse.» Wer das nicht verinnerliche, scheitere im Beruf. 

4. Die weitreichendsten Veränderungen

Die einzige grosse Konstante im Schulwesen sei die Veränderung, sind sich die drei Schulleiter einig. Die grössten Veränderungen seien daher schwierig zu identifizieren. Sie beträfen die ganze Schule, einige Dinge jedoch würden besonders regelmässig auftauchen. So beispielsweise die Beurteilungen und die Hausaufgaben, deren Sinn und Umfang immer wieder diskutiert worden seien und deren Handhabung regelmässig angepasst wurde. Wo man früher beispielsweise einzelne Verhaltensnoten zwischen eins und drei verteilt habe, da würden heute die verschiedensten Kompetenzen bewertet, so Jana Bachmann.

«Bei uns müssen die Kinder oft als erstes den Ansprüchen ihrer Eltern genügen.»
Pia Deubelbeiss

Gleich geblieben seien aber die Kinder, wirft Bachmann weiter ein. «Die kommen grundsätzlich seit eh und je gerne zur Schule, wollen etwas lernen und der Lehrperson gefallen.» Pia Deubelbeiss ergänzt, sie erlebe das hin und wieder etwas anders: «Bei uns müssen die Kinder manchmal den Ansprüchen ihrer Eltern genügen, welche klare Vorstellungen betreffend der Laufbahn des Kindes haben.» Das mache nicht jedes Kind mit und führe dann beispielsweise zur Arbeitsverweigerung in der Schule. «Das haben wir ab und zu. In der Regel gilt aber schon: Die Kinder wollen lernen, gefallen und gehen gerne in die Schule.»

Urs Grüter sieht eine weitere Veränderung: «Früher wurden die Lehrer zu Allroundern ausgebildet.» Heute sei es nicht mehr möglich, sie als solche einzusetzen. Zu stark seien gerade Junglehrer durch die Fächerkombinationen an der PH eingeschränkt. «Das bedaure ich.» Denn dies beisse sich mit dem Grundsatz, dass möglichst wenig Lehrer an einer Klasse unterrichten.

5. Was den (künftigen) Lehrern noch fehlt

Pia Deubelbeiss verortet ein Manko in der Lehrer-Ausbildung: «Jede Lehrperson müsste während der Ausbildung eine gewisse Zeit in der Wirtschaft arbeiten.» Der Einblick in andere Berufe sei wichtig. «Die Wirtschaft ist knallhart im Bezug auf Sparen oder Entlassungen. Es täte manchen Lehrern gut zu sehen, unter welchem Stress die Eltern teilweise stehen.»

«Der Lehrerberuf bietet trotz Lehrplan sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten.»
Urs Grüter

Urs Grüter sieht andernorts Verbesserungspotential. «Der Lehrerberuf bietet trotz Lehrplan sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten.» Es sei ein sehr abwechslungsreicher Job. «Das könnten manche Lehrer noch mehr ausnützen: Blockweise an Themen arbeiten, nicht nur «Stündelen», die Orte ausnutzen und nicht nur im Schulzimmer unterrichten, sondern auch rausgehen.» Deubelbeiss sieht das ähnlich und auch sie ist überrascht, dass dieser Spielraum von den Lehrpersonen manchmal zu wenig genutzt werde. «Gerade letzthin habe ich an einer Teamsitzung gesagt, dass sie ihre Freiheiten nutzen und nicht überlegen sollen, welche Vorschriften vom Kanton noch kommen könnten. Wer kann in einem Bürojob schon sagen: Kommt, wir gehen raus, spielen oder Bienen angucken», fragt Deubelbeiss in die Runde.

«Die Lehrer machen es schon richtig.»
Jana Bachmann

Jana Bachmann formuliert ihr Anliegen eher als Wunsch. «Ich meine, dass es schön wäre, wenn Lehrpersonen mehr Anerkennung bekommen würden.» Dass man ihnen als Fach- und Autoritätspersonen begegnen würde. «Die Lehrer machen es schon richtig», ist sie überzeugt. Nur fehle ihnen diese Überzeugung manchmal beim Auftritt. «Auf der Baustelle habe ich letzthin ein Plakat gesehen: Wir bauen gerne und wir können es gut. Stellen Sie sich das in der Schule vor: Wir unterrichten gerne und können es!» Sie stelle schliesslich nur Fachleute an, und die dürfen auch hinstehen und das so kommunizieren.

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