Adoray-Festival in Zug

«Wir sind keine Sekte»

So geht Lobpreis bei Adoray: inklusive Kameras und Leinwand. (Bild: zvg: Andreas Hofer)

Dieses Wochenende wird Zug zum Magneten für tief gläubige Jugendliche. Das «Adoray-Festival» zieht Menschen aus der ganzen Schweiz an. Wir wollten wissen: Ist Adoray das «ICF» für Katholiken? Wie hält man es hier mit Sex vor der Ehe? Und dürfen homosexuelle Menschen auch mitbeten?

«Trust» steht in grossen goldenen Buchstaben vorne beim Altar und auf den Stofftaschen, die sich viele der Teenager hier umgebunden haben. Wir sind jung, wir sind witzig, wir machen so Kirche, wie wir wollen.

Ungefähr so geht das hier am «Adoray-Festival»: Die St. Michaelskirche ist rappelvoll, nur zuhinterst sind noch ein paar Reihen frei.

Ungewöhnlicher Gottesdienst: Es gibt eine Band, Geigen, Gitarren und Piano, Mikrofone und High-Tech-Lautsprecher. Scheinwerfer zünden von der Kanzel, fünf Videokameras halten alles fest, zwei Techniker schneiden an Computern live die Ausschnitte zusammen, ein Tontechniker mischt alles, und zwei Leinwände im Kirchenschiff zeigen das Ganze live in Grossaufnahme – Teenies winken in die Kamera, und die Frauen und Männer in der Band singen von der Leinwand ergriffen: «Maria, du wolltest ihn nur lieben, und bist geblieben, auch als es schwer war.» Der Kameramann zoomt auf die Maria im Kirchenfenster, sie wird unter dem Songtext leise und etwas kitschig eingeblendet, und der ganze Saal singt mit. Es sind echte Pop-Melodien, haben was von Lion King, suchen den Gänsehautmoment, finden ihn auch.

Ist Adoray das «ICF» für junge Katholiken?

Die Pop-Prosa allerdings ist von der simplen Sorte, aber in den Bänken halten die Menschen beim Refrain trotzdem die Arme in die Luft und die Augen zu, der junge Teenager und auch die ältere Nonne fühlen sich ergriffen. Seit dem Freitagabend wird hier gebetet und auch gefestet, die ganze Meute ist am Vorabend per Prozession mit Lichtern durch die Stadt Zug gelaufen, Jugendliche aus der ganzen Schweiz und dem nahen Ausland. Viel gebechert wurde nachher wohl nicht – es sehen alle ziemlich fit aus.«Wir sind keine Freikirche, sondern echte Katholiken.»«Es ist ein Ort, an dem ich mit anderen coolen Leuten meinen Glauben leben kann.»

Popmusik, professionelle Technik, Show: Ist «Adoray» wie ICF für junge Katholiken? «Der Vergleich stimmt so nicht», sagt Gregor Hofer. Er ist der Pressesprecher der Gebetsgruppen, wohnt in Zug und macht in Luzern eine Ausbildung zum Seklehrer. «Vergleichbar ist nur, dass wir bei Lobpreis auch mit Pop-Musik arbeiten. Wir sind aber keine Freikirche, sondern echte Katholiken.»

«Wir sind keine Sekte»

Deshalb sei es auch kein Wunder, dass in den Bänken einige Nonnen sitzen, verschiedene Priester und sonstige Leute in Roben. Was hier geschieht, könnte die Hoffnung der katholischen Kirche sein: Junge Gläubige, die sich nicht langweilen, sondern sich ihre eigene Sorte von Gottesdienst erfinden, die gerade noch so ins Schema reinpasst.
Begeisterte religiöse Jugendliche? Da schrillen Alarmglocken. «Nein», sagt Sandrina Büeler (18) aus Zug, «wir sind keine Sekte. Man kann kommen und gehen, wie man will. Aber es ist ein Ort, an dem ich mit anderen coolen Leuten meinen Glauben leben kann. Das sind meine besten Freunde.» Sie stamme aus gläubigem Haus, sagt Büeler, aber «ich wollte meinen Kinderglauben weiterentwickeln, den ich von meinen Eltern bekommen habe. Das kann ich bei der Adoray-Gruppe. Gott spielt in meinem Leben eine wichtige Rolle.»

«Man sagt so schön, die Jugend bringt das Feuer in die Kirche, und die Alten schauen, dass sie nicht gleich abbrennt», sagt Hofer; er ist offen und gut drauf, immerhin haben es 450 Leute ans Adoray-Fest geschafft, das ist ein Rekord. Adoray ist die Antwort der katholischen Kirche auf die Begeisterung, die verschiedene Freikirchen mit ihren Gottesdienstformen bei Jugendlichen anrichten. Und noch besser, es ist sogar eine eigene «Initiative», sagt Hofer. «Es ist von Jugendlichen ausgegangen, die sich bei internationalen katholischen Treffen für die Idee von Gebetsgruppen begeistert haben.»

Die Gründungslegende geht so: In einem Zuger Kloster habe man Jahre lang dafür gebetet, dass sich eine solche Gebetsgruppe bilden werde. «Und dann, an einem hundskomunen Dienstag, haben zwei junge Männer an der Klostertür geklopft und um Unterstützung bei der Gründung einer Gebetsgruppe gebeten. Das ist schon speziell.»

«Die ziehen das noch viel heftiger auf»

Ganz so professionell wie beim ICF läuft das hier aber noch nicht. «Die ziehen das noch viel heftiger auf», sagt Hofer, «was die Show angeht. Ich muss mal einen Gottesdienst bei denen besuchen, das getraue ich mich schon», sagt er und lacht. «Aber wir sind auch schon besser geworden: So gut wie heute war die Technik noch nie.» Das Kamerateam ist aus Österreich angefahren, es hat sich auf das Filmen und multimediale Abdecken von Gottesdiensten spezialisiert und macht das sogar halb gratis. «Es geht dabei ums Evangelisieren», sagt Hofer. Klartext: Ums Missionieren. Das Wort stört ihn nicht: «Wir haben eine tolle Botschaft, und die soll auch rüberkommen.»

«Es geht um das Wir-Gefühl, darum, dass die Jugendlichen merken, he, ich bin nicht der einzige, der an Gott glaubt, sondern da gibt es noch andere coole Leute, die das auch machen.»

Gregor Hofer, Adoray

Das tut sie offenbar: Heute ist die Bewegung Adoray in der ganzen Schweiz aktiv. In den Gebetsgruppen trifft man sich aber nicht nur zum Beten, sondern auch, um über alles mögliche zu sprechen. Aber was sind denn das für Werte, die den Jugendlichen da mitgegeben werden? Was kann eine solche Bewegung einem Teenager an Lebensstütze bieten? «Was wir bieten können? Gar nichts», sagt Hofer. «Da geht es nicht darum, dass wir etwas bieten. Sondern darum, zusammen den Weg zu Jesus zu finden. Es geht um das Wir-Gefühl, darum, dass die Jugendlichen merken, he, ich bin nicht der einzige, der an Gott glaubt, sondern da gibt es noch andere coole Leute, die das auch machen.»

Wie ist es mit der Homosexualität?

Und wenn es dann ans Lebendige geht, um all die Fragen, die die Jugendlichen beschäftigen, was lebt die Adoraygruppe dann vor? Ganz konkret: Dürfen die miteinander in die Kiste, bevor sie heiraten? Oder sind dann ewige Schuldgefühle angesagt? «Wenn man die Bibel anschaut, dann ist ziemlich klar, was Sache ist», sagt Hofer. «Aber das wird heiss diskutiert, vor allem unter den Peers. Und wir leben das ja auch vor, ich bin zum Beispiel verheiratet und kann auch davon erzählen, was das für ein Schatz ist, wenn man wartet.»

Und wenn man nicht wartet, wird man dann ausgeschlossen? «Natürlich nicht. Hier ist jeder willkommen, auch wenn man Fehler hat.» Das bedeutet, es ist ein Fehler, wenn man nicht wartet? «Im Sinne des Katholizismus ist alles ein Fehler, was uns von Jesus entfernt», sagt Hofer. «Insofern ja, das ist einer.»

Wie ist es mit der Homosexualität, dürfen Schwule und Lesben auch mitmachen? «Natürlich, wir sind offen für alle. Sie wissen ja, was Papst Franziskus gesagt hat: Wie könnte ich über die Homosexuellen richten?» Und darf man über seine Homosexualität auch offen sprechen, oder wird sie nur geduldet? «Das müssen sich die Leute selber fragen, ich bin sicher, es hat auch heute homosexuelle Menschen dabei. Es ist wirklich eine offene Gruppe.» Noch eine Frage zur Klärung: Wie konservativ ist die Gruppe? Papst Franziskus oder Pius-Brüder? Gregor Hofer lacht: «Naja, also mit den Piusbrüdern haben wir nun wirklich nichts am Hut. Gehen Sie rein und schauen Sie sich das an, dann merken Sie das schnell.»

Fazit

Gerade ist Kardinal Schönborn bei seiner Predigt, spricht lange und ernst und macht zwischendurch ein paar Witze über Facebook, und der Saal lacht. Spricht über Jesus, und darüber, dass der gerade für die Menschen mit Fehlern da sei. Keine schlechte Predigt, wirkt ernst gemeint. Etwas langatmig vielleicht. «Die meisten Predigten vergisst man wieder», sagt der Kardinal gerade, «manche schläft man durch, und einige bleiben einem.» Hier schläft niemand durch.

Wäre schön, wenn auf diese Weise die Jugendlichen zu einer gesunden Spiritualität finden können, denen das Setting passt. Nur ist es trotzdem etwas unheimlich, wenn sich Leute einer religiösen Sache so sicher sind. Inwiefern die ultrakonservativen Vorstellung von Sexualität für die Entwicklung von Teenagern eine Gefahr darstellen, bleibt offen. Auch wie eng das Korsett von religiösen Vorstellungen tatsächlich ist, dass in den Adoray-Gruppen gepflegt wird. Eines ist sicher: Mitsingen kann man unbeschadet.

 

Das sagt die Sektenfachstelle über Adoray

Ist Adoray eine Sekte? Wir haben bei der Fachstelle «Infosekta» nachgefragt. Susanne Schaaf von Infosekta schreibt: «Adoray ist im konservativ katholischen Umfeld anzusiedeln, so ist der Unterschied zum Beispiel zu Jungwacht und Blauring ein riesiger.» Adoray könne mit ICF aus dem evangelikalen Spektrum insofern verglichen werden: «Die Verpackung ist frisch und ansprechend, die Inhalte jedoch sind erzkatholisch (im Fall von ICF streng evangelikal).» Auch bei Adoray stehe die Anbetung, das Charismatische im Vordergrund.

«Das streng Katholische dürfte sich in einer stärkeren Betonung von Sünde und Schuld äussern, aber auch darin, wie mit Sexualität umgegangen wird», schreibt Schaaf. «Die Art, wie Spiritualität gelebt wird, sei – gemäss Aussagen eines Theologen der Jugendseelsorge, den wir vor Jahren kontaktiert haben, nur schwer kompatibel mit der heutigen Zeit; dies im Unterschied etwa zu der Taizé-Bewegung (die ja von der Orientierung her ökumenisch ist).» Im Umfeld von Adoray gebe es ausserdem einige junge Priester, die sich durch eine sehr spezielle, stark rückwärtsgewandte Theologie auszeichneten, so Schaaf. 

Bei der Jugendseelsorge schätze man das «Potenzial» von Adoray ähnlich ein, wie bei der Fachstelle Infosekta: «Für die meisten Jugendlichen, die teilnehmen, dürfte das keine negativen Folgen haben.» Oft seien Jugendliche sehr offen für grundsätzliche Diskussionen und würden auch verstehen, dass das Absolute, das Orientierung bietet, gleichzeitig auch etwas Ausschliessliches und Ausschliessendes haben könne. Oft sei es vor allem das Erleben in der Gruppe und das Interesse an Spiritualität, die auf Jugendliche attraktiv wirken würden.

Probleme, wenn Jugendliche zu fest engagiert sind

Zu Problemen könne es dann kommen, wenn sich ein Jugendlicher sehr stark einbringe. «Sei das, weil die Differenz zwischen der eigenen ‹Sündhaftigkeit› und einem als ideal propagierten Zustand der angestrebten Sündenfreiheit als Stress erlebt wird.» Oder dass ein Jugendlicher zum Beispiel in einer Krisensituation um Rat und Unterstützung bei einem Geistlichen in diesem Umfeld suche und dieser an den Bedürfnissen des Teenagers «vorbei berate» und unter Umständen den Konflikt noch verstärke. «Was soll er sagen, wenn ein Jugendlicher starke sexuelle Gefühle empfindet und sich deshalb sündig fühlt – er kann das ‹Sündhafte› eigentlich nur bestätigen, schreibt Schaaf.

Es könne also sein, dass neben dem Gruppengefühl und dem Halt, den ein solches Umfeld bieten kann, Probleme damit einhergehen, die ein Jugendlicher sonst nicht hätte: «Neben einem negativen Umgang mit Sexualität (bzw. keinem Umgang mit Homo-/ Bisexualität) kann das auch der ‹falsche› oder fehlende Glaube eines Freundes sein», schreibt Schaaf. Besonders für junge Frauen könnten auch die konservativen Rollenvorstellungen zu Konflikten führen. Das seien alles theoretische Aussagen, relativiert Schaaf ihre Aussagen: «Wir hatten bisher kaum Anfragen zu Adoray, daher kann ich nichts über die Ausprägung und Verbreitung meiner Ausführungen machen.»

 

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Gute Nacht
    Gute Nacht, 09.11.2015, 01:14 Uhr

    «Infosekta» hat ihre «andere Perspektive» bereits erläutert.

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  • Profilfoto von AF
    AF, 08.11.2015, 23:29 Uhr

    Hier noch eine interessante Alternativ-Perspektive zum selben Event: http://www.kath.ch/newsd/drei-tage-ganz-im-vertrauen/

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  • Profilfoto von Gute Nacht
    Gute Nacht, 07.11.2015, 20:12 Uhr

    Mitsingen kann schon Sätze prägen …

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